Remin, Nicolas – Gondeln aus Glas

Aller guten Dinge sind drei? Das bleibt zu überprüfen. Feststeht, dass Commissario Tron in „Gondeln aus Glas“ seinen dritten Fall löst – und wir dürfen live dabei sein. Nicolas Remin hat sich mit seiner Kriminalreihe im historischen Venedig dank seiner sympathischen Charaktere und seines unvergleichlich liebevollen Schreibstils in die Herzen seiner Leser geschrieben, und nun ist sein dritter Fall auch endlich als Taschenbuch erschienen.

_Echt oder nicht echt? Das ist hier die Frage!_

Marie Sophie, die Königin der beiden Sizilien, ist in Geldnot, wie praktisch also, dass sie über die Kopie eines kostbaren Tizian verfügt, die darüber hinaus dank ihrer geringen Größe praktisch zu transportieren ist. So informiert sie Oberst Orlow davon, dass sie diese Kopie an den Kunsthändler Kostolany in Venedig verkaufen will – natürlich inkognito, also reist sie als Signora Caserta nach Venedig.

Doch Kostolany trifft in seinem eigenen Laden auf seinen Mörder, der es offensichtlich nur auf eines abgesehen hat, nämlich den kostbaren Tizian, der als einziges Gemälde verschwindet. Die Königin Maria Sofia de Borbone ist in heller Aufregung, denn sie braucht für ihre Zwecke dringend Geld und will deswegen in Venedig bleiben, bis sich der Tizian wieder angefunden hat.

Das ruft Commissario Tron auf den Plan, der sich geschwind auf die Suche nach dem Mörder Kostolanys macht und sich damit auch auf die Spur des Tizians begibt. Begleitet wird er bei diesem nicht ganz einfachen Unterfangen von seinem Kollegen Sergente Bossi, der mit unglaublicher Kombinationsgabe sofort darauf schließt, dass es sich bei Signora Caserta um die Königin von Sizilien handeln muss. Tron spielt das Spiel mit und gaukelt Bossi vor, dass er dies auch längst bemerkt habe, obwohl er sich in Wahrheit von ihr täuschen ließ. Doch schließlich fällt auch ihm die Ähnlichkeit zwischen Marie Sophie und der Kaiserin Elisabeth von Österreich auf – ihre Schwester.

Der verschwundene Tizian ist allerdings wie üblich nicht das Einzige, was Tron auf dem Herzen liegt, denn seine Mutter plagen immer noch die Geldsorgen und der Palazzo Tron verfällt mehr und mehr. Trons Mutter fasst daher große Pläne mit ihrer künftigen Schwiegertochter, der Principessa di Montalcino, die über das nötige Kleingeld verfügt, um günstiges Pressglas herzustellen und unter dem Markennamen Tron venezianisches Glas in großem Kaliber zu vermarkten. Um die Produktion des Pressglases gebührend zu feiern, planen die beiden geschäftstüchtigen Damen einen großen Ball. Als die beiden hören, dass die Königin von Sizilien in Schwulitäten ist und ausgerechnet Tron ihr bei ihren Sorgen behilflich sein kann, wittern sie Morgenluft. Sie legen Tron mehr als nahe, dass er den Tizian rechtzeitig wiederzufinden habe, damit die Königin aus Dankbarkeit und als werbewirksame Figur auf dem Ball erscheinen kann. So rennt Tron die Zeit davon, zumal Kostolany nicht das einzige Todesopfer bleiben soll …

_Tödlicher Tizian_

Zur Abwechslung treffen wir in diesem Kriminalroman nicht auf die Kaiserin von Österreich, sondern auf ihre Schwester Marie Sophie, die ein delikates Geheimnis mit sich trägt, das sie nun in große Schwierigkeiten bringen soll. Kostolany ist der Erste, der in diesem Buch sein Leben lassen soll, doch längst nicht der Letzte, denn nicht nur Marie Sophie verschweigt etwas, es sind noch weitere Verschwörungen am Werke, die der Mörder nun unter dem Deckmantel des Tötens verhüllen möchte.

Dummerweise werden die Toten immer zu den für Tron ungünstigsten Zeitpunkten aufgefunden, denn stets stellt er sich gerade auf ein kleines Schäferstündchen mit seiner Verlobten ein, die dank des Pressglases kaum noch Zeit für ihren Liebsten hat, doch immer wieder werden die beiden durch schlechte Nachrichten gestört. Zunächst treten die Ermittlungen auf der Stelle, Tron befragt die Kunden, die am Todesabend bei Kostolany gewesen sind. Dabei spürt er zwar einen aufgebrachten Kunden auf, der durchaus ein Tatmotiv haben könnte, doch schon am Großfürsten Troubetzkoy beißt Tron sich die Zähne aus. Denn dieser kommt Tron und Bossi zwar dubios vor, allerdings sehen Trons Vorgesetzte es gar nicht gerne, dass er Troubetzkoy in den Kreis der Verdächtigen aufnimmt.

Durch den sachdienlichen Hinweis eines anderen Kunsthändlers ist der verschwundene Tizian schnell identifiziert und aufgefunden. Problematisch ist lediglich, dass er sich auf dem Schiff des besagten Troubetzkoy befinden soll, das nicht durchsucht werden darf. Aber das schreckt natürlich keinen Tron, der daraufhin beschließt, selbst an Bord zu gehen und das Bild zu beschaffen. Immer noch hat der Fall nicht viel Fahrt aufgenommen, doch als der Tizian schließlich zurückerobert ist, stellt er sich als Fälschung heraus! Als kurz darauf der Kopist des Tizian einen merkwürdigen Unfall erleidet, steigert sich die Spannung schließlich, um allerdings kurz darauf auch wieder abzunehmen.

Durch die aufgetauchte Kopie verwandelt sich der vorliegende Kriminalroman nämlich zu einem Ratespiel. Je nachdem, ob es nun eine Kopie des Tizian gibt oder sogar zwei – denn auch das ist nicht ausgeschlossen -, ergeben sich als Tatmotiv ganz neue Konstellationen und Verdächtige. So spielen Tron und sein Kollege Bossi alle Möglichkeiten durch und verwirren dabei mitunter auch den Leser. Es ist ähnlich wie das Hütchenspiel, bei dem man einen kleinen Gegenstand unter drei verschiedenen Muscheln wiederfinden muss; hier geht es darum, den echten Tizian neben dem einen oder den zwei gefälschten aufzufinden. Beim Durchspielen sämtlicher Möglichkeiten bezüglich des Tizians und der Verdächtigen hat Nicolas Remin mich zugegebenermaßen zeitweise abgehängt, denn zu sehr verwirrt er sich in den einzelnen Gängen seines Irrgartens. Dadurch leidet ein wenig der Spannungsbogen, denn irgendwann ist man es leid und mag gar nicht mehr so genau wissen, wo nun der echte Tizian hängt und wer von den Kopien gewusst hat. Zu verworren empfand ich an dieser Stelle Nicolas Remins Gedankengänge.

_Tron zum Dritten_

Wo Nicolas Remin dagegen in gewohnter Weise punkten kann, das sind seine liebevolle Charakterzeichnung und sein Wortwitz. Commissario Tron kämpft wieder einmal mit kleineren und größeren Problemen auf allen Ebenen, und wie üblich rückt der eigentliche Kriminalfall in seiner Prioritätenliste ein wenig nach hinten, wenn vermeintlich wichtigere Dinge hinzukommen. Der Polizeichef Spaur beschäftigt Tron auch dieses Mal wieder sehr gut, da er ein Stück Prosa für den Emporio della Poesia schreiben möchte, für das er Tron um kreative Ideen bittet. Dieser wirft einige hanebüchene Stichpunkte in den Raum, die Spaur allerdings sogleich begeistert aufnimmt und Tron bittet, um diese Stichpunkte herum ein Konzept zu entwerfen. Kurz darauf plagt Spaur bereits das nächste Problem, denn seine Geliebte Violetta hat einen hartnäckigen Verehrer, der sie mit Blumen beschenkt und ihr den Hof macht. Spaur allerdings kennt nicht einmal den Namen des Konkurrenten und setzt daraufhin Tron auf den „Fall Violetta“ an. Der gemeine Widersacher ist sogleich dingfest zu machen und aus der Stadt zu ekeln, so der Auftrag, mit dem Tron sich zusätzlich noch herumzuplagen hat.

Nicolas Remin entwickelt in wunderbarer Weise seine Charaktere weiter, die einem immer mehr ans Herz wachsen, allen voran natürlich Tron, auch wenn er manchmal schon recht dreist ist, wenn er Bossis Erkenntnisse zu seinen eigenen macht. Bossi gewinnt nach und nach an Profil, er mausert sich immer mehr zu einem guten Ermittler, der mit Fachvokabular nur so um sich schmeißt und Tron damit immer genügend Worte an die Hand gibt, damit der wiederum Spaur beeindrucken kann.

Zu den Stärken gehören bei Remin auch die Frauenfiguren; in diesem Buch ist es vor allem die Principessa di Montalcino, die Tron auf Trab hält, aber auch immer genau weiß, in welchen Situationen sie Tron den kleinen Finger reichen muss, um ihn weiterhin bei der Stange zu halten. Sie spielt die Waffen einer Frau unglaublich geschickt aus und bleibt uns dennoch höchst sympathisch.

_Achtung Wortwitz, ich komme_

Nicolas Remin hat einen unvergleichlichen Schreibstil, der alle seine Bücher zu einem besonderen Leseerlebnis macht. Mit seinen köstlichen Worten und herrlichen Metaphern schafft er es, uns alles bildlich vor Augen zu führen. Der Genuss eines Desserts ist Remin manchmal schon einige Absätze wert, wenn Tron darüber nachdenkt, wie er zwei geliebte Nachspeisen am besten verzehrt: eins nach dem anderen (und dann in welcher Reihenfolge?) oder doch lieber mit „Sachertorteneffekt“ beide gleichzeitig? Das ist ein Problem, das man höchstwahrscheinlich aus dem eigenen Alltag nicht wirklich kennt bzw. nicht so detailliert durchdenkt wie Tron, dennoch beschreibt Remin diese Situation so fantastisch, dass man stets ein Lächeln auf den Lippen trägt.

Auch die Charakterbeschreibungen sind wieder einmal herrlich gelungen – ein Beispiel: |“Als Bossi zehn Minuten später Trons Büro betrat, hatte er den tragischen Gesichtsausdruck eines Mannes, der in ungeahnte Abgründe geblickt hatte. Dazu passte sein schleppender Gang, sein desillusionierter Blick und das blaue Auge, das in farblichem Einklang mit seiner blauen Uniform stand. Auch seine Nase, deren Wiederherstellung gute Fortschritte gemacht hatte, schien abermals in Mitleidenschaft gezogen zu sein. Sie stach bergeracmäßig aus Bossis Gesicht hervor und verlieh seiner Erscheinung einen Einschlag ins Dramatische.“|

Mit diesen farbenfrohen Beschreibungen, die stets einen Hauch von Ironie enthalten und auch die winzigste Kleinigkeit berücksichtigen, entführt uns Remin in eine faszinierende Welt seiner wunderbaren Romanfiguren, die wir nur zu gerne für eine Weile begleiten.

_Unter dem Strich_

Nicolas Remin ist sicherlich nicht der Meister der Spannung. Dieses Mal empfand ich den eigentlichen Kriminalfall als ziemlich schwach, zumal Remin uns mit seinen vielen Gedankenspielen arg fordert und stellenweise zu viele Rätsel aufgibt. Doch punktet Remin wie gewohnt mit seinen historischen Schauplätzen, den anschaulichen Beschreibungen und den sympathischen Charakteren. Insgesamt ist „Gondeln aus Glas“ allerdings das schwächste Glied in der bisherigen Tron-Reihe, aber auch das schwächste Remin-Buch ist immer noch deutlich besser als zahlreiche andere Kriminalromane. Und eins ist klar: Remin muss man gelesen haben, man sollte sich allerdings nicht als Erstes dieses Buch schnappen, sondern vielleicht gleich zum nächsten Fall greifen („Die Masken von San Marco“), den bislang besten Tron-Fall.

http://www.rowohlt.de

_Nicolas Remin auf |Buchwurm.info|:_

[„Schnee in Venedig“ 1987 (Band 1)
[„Venezianische Verlobung“ 2326 (Band 2)
[„Die Masken von San Marco“ 4630 (Band 4)

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