Ubukata, To – Implosion (Mardock-Trilogie 3)

Band 1: [„Kompression“ 2695
Band 2: [„Expansion“ 3363

_Das Geheimnis der 1800 Seiten._

Das Ursprungsmanuskript der Mardock-Trilogie umfasste 1800 Seiten, hieß es stets, und da es die deutschen Übersetzungen gerade mal auf gute 1000 Seiten bringen, stellt sich dem neugierigen Leser natürlich die Frage: Wo ist der Rest abgeblieben? Von |Heyne| gekürzt? Bei der Übersetzung verloren gegangen? Cora Hartwig, die Übersetzerin der Mardock-Trilogie, hat das Geheimnis dann gelüftet: Das Ursprungsmanuskript der Mardock-Trilogie umfasste 1800 Seiten, wurde dann aber u. A. vom Autor selbst kräftig gekürzt, ehe es überhaupt veröffentlicht wurde.

Außerdem muss bei solchen Seitenangaben beachtet werden, dass die japanische Normseite 17 Zeilen und 40 Anschläge umfasst, während es bei der deutschen Normseite 30 Zeilen und 60 Anschläge sind (eine Normseite entspricht der Standardformatierung, in der Manuskripte bei Verlagen einzureichen sind, wie jede(r) Nachwuchsautor(in) gequält nickend zu bestätigen weiß). Auch diese Information verdanke ich Frau Hartwig und möchte mich an dieser Stelle nochmals herzlich bei ihr bedanken!

_Showdown A-go-go Baby!_

Nun denn, zurück nach Mardock, wo der Leser in „Kompression“ und „Expansion“ eine rasante Achterbahnfahrt durchlebt hat: Im ersten Band durfte der geneigte Leser Rune Balot kennenlernen, die minderjährige Zwangsprostituierte; man war dabei, als sie von Shell Septinos beinahe umgebracht wurde, als sie von zwei Rechtsanwälten aufgegriffen wurde, als sie zu einer biotechnologischen Kampfmaschine umgebaut wurde, als sie ihre Fähigkeiten zu beherrschen lernte, als sie von Shell Septinos und seinen brutalen Häschern gejagt wurde, als Action im Buch eine neue, vorstellungssprengende Dimension erreicht hat.

Im zweiten Band dann begab man sich mit Rune Balot auf die Suche nach Motiven: Wer ist Shell Septinos, ihr Beinahe-Mörder? Wer ist Dimsdale Boiled, die schier unüberwindliche Kampfmaschine im Dienste von Septinos? Was treibt die beiden an? Was hat die October Company damit zu tun? Ein vergeistigter Trip war das, bis zu dem Punkt, da Rune Balot das Casino von Shell Septinos betritt, um dort einen wahren Glücksspiel-Thriller zu erleben, der eine völlig neue Spannungserfahrung vermittelt hat.

Die Spannung ist also groß – wie wird sich das alles im abschließenden Band der Mardock-Trilogie auflösen? Noch immer befinden wir uns im Casino von Shell Septinos, noch immer muss Rune Balot durch geschicktes Glücksspiel an die wichtigen Eine-Million-Dollar-Chips herankommen, da auf diesen die Erinnerungen von Septinos gespeichert sind – seine Motive, seine Verbindungen zur October Company und seine ganze schmutzige Vergangenheit. Wo Rune im zweiten Band noch beim Poker und beim Roulette bestehen musste, gilt es nun, die statistischen Geheimnisse des Black Jack zu ergründen und gegen das Casino einzusetzen.

Außerdem muss Balot gegen die Anwälte der October Company bestehen und natürlich ein letztes Gefecht mit der irrsinnigen Kampfmaschine Dimsdale Boiled austragen. Die perfekte Gelegenheit also, um an der Action des ersten Bandes anzuknüpfen und die angedeuteten Tiefgründigkeiten des zweiten Bandes auszuloten.

_Schwacher Schluss einer starken Trilogie._

Auch in „Implosion“ hat es Ubukata geschafft, dem unkundigen Leser einen völlig neuen Blickwinkel auf das „Glücksspiel“ zu gewähren, und es macht einen Heidenspaß, Rune Balot beim Black-Jack-Spielen zuzusehen. Aber diesmal hat es Ubukata überstrapaziert, denn ein Kartenspiel von 213 Seiten bei einer Story von 342 Seiten ist definitiv zu lang. Natürlich bekommt Rune einen würdigen Gegner, natürlich werden ihre Fähigkeiten ausgereizt und ohne jeden Zweifel war es ganz und gar nicht einfach, dieses Kartenduell zu choreographieren, ohne die Regeln der Wahrscheinlichkeit allzu schwer zu verletzen. Aber irgendwann liest man nur noch Zahlen, liest „Hit“, „Stay“, „Bust“, „Split“ oder „Double Down“, ohne dass man Runes Strategie tatsächlich noch folgen könnte. Trotzdem reißt es einen noch mit, keine Frage, aber die Ermüdungserscheinungen bleiben nicht aus.

So freut man sich denn, dass sich während der letzten Seiten ein actionbetonter Showdown abzeichnet, aber – leider – auch dieser kommt nicht ohne Ermüdungserscheinungen aus. Wo in „Kompression“ Rune Balots Kampf gegen die fürchterliche Bandersnatch-Gang Maßstäbe gesetzt hat, mit einem atemberaubenden Actionspektakel, wie ich es in einem Buch nicht für möglich gehalten hätte, schleppt sich „Implosion“ mit einem konventionellen Zweikampf zum Ende. Noch immer ist es beeindruckend, wie Ubukata Geschwindigkeit vermittelt, wie er die Explosionen förmlich spürbar macht, aber es bleibt dennoch bei einem blassen Nachbild der Action des ersten Bandes.

Eigentlich hätte „Implosion“ ein gewaltiger Schlussakkord sein können, der einen neuen Blickwinkel auf die Ereignisse der ersten beiden Bände erzeugt, der mit neuen Ideen den Leser erneut verblüfft, der wiederum mit den Konventionen spielt und sich über sich selbst erhebt. Stattdessen erfährt der Leser nichts brüllend Neues, der Tauchgang in die Erinnerung von Septinos liefert einem nichts, was man nicht ohnehin schon vermutet hätte, und anstatt im Showdown mit den Konventionen zu brechen, liefert Ubukata schlicht und ergreifend Action-Standard.

Es ist überaus schade: Wo die ersten beiden Bände noch Hunger auf mehr machten, bricht in „Implosion“ sämtliche aufgebaute Spannung zu einem Sammelsurium aus Klischees zusammen und hinterlässt den faden Eindruck einer Story, die sich tatsächlich auf einem Bierdeckel zusammenschreiben ließe. Natürlich hat Ubukata auch hier gute Ideen verarbeitet, seine Szenen sind spritzig, rasant und kompakt – es ist nicht sein Stil, dem die Puste ausgeht, sondern die Story. Auf der Zielgeraden macht sie schlapp. Die Erwartungen werden nicht erfüllt. Unter dem Strich bleibt dennoch ein solides Zukunfts-Abenteuer, das man sich durchaus zulegen kann. Alles andere würde ja auch keinen Sinn machen, denn die ersten beiden Bände sind und bleiben unbedingt empfehlenswert! Und, na ja, schwache Trilogie-Schlusspunkte hat die Phantastik-Anhängerschaft ohnehin schon längst zu verkraften gelernt: Matrix, Fluch der Karibik, Spider-Man …

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