Das Buch und das Schwert:
Band 1: „Der Pfad des Zorns“
Dun-Cadal Daermon war einst ein erfolgreicher General und mächtiger Mann. Jetzt allerdings ist er nur noch ein abgehalfterter Säufer, der versucht zu vergessen. Deshalb hat er im Grunde überhaupt keine Lust, mit der jungen Viola zu reden, doch sie ist jung und hübsch und vor allem duftet sie nach Lavendel. Und sie ist hartnäckig …
Dun ist nicht unbedingt ein sympathischer Kerl. Er ist grob, stur, arrogant und hat eine Neigung zum Rassismus. So begabt er in militärischer Hinsicht ist, so ausgeprägt sind seine Scheuklappen in politischer Hinsicht. Er ist zu schlicht und direkt fürs Parkett. Aber er ist ehrlich und treu, sowohl seinem Kaiser als auch seinem Eid.
Grenouille, der Junge, den er in den Salinen trifft, ist da schon weit schwerer zu durchschauen. Klar ist eigentlich nur, dass er seine Familie und sein Zuhause verloren hat, und jetzt mit einer Verbissenheit daran arbeitet, der beste aller Ritter zu werden, die schon an Manie grenzt.
Beide Hauptfiguren sind ausgesprochen gut und lebendig gezeichnet, selbst Grenouille, der während des ersten Teils so gut wie nichts über sich verrät und somit eher fürs Geheimnisvolle zuständig ist. Die Nebenfiguren sind nicht ganz so lebendig ausgefallen, spielen aber auch eine weit geringere Rolle.
Denn obwohl eine Unmenge an Leuten an dieser Geschichte beteiligt ist, spielt sich das meiste zwischen Dun und Grenouille ab. Im ersten Teil wird aus der Sicht Duns erzählt, im zweiten Teil aus Grenouilles Sicht. Dabei laufen in beiden Teilen zwei Zeitebenen parallel.
Dun wird von Viola aufgestöbert, die auf der Suche nach dem alten Kaiserschwert ist. Doch Viola ist nicht die Einzige, die aus der Hauptstadt nach Masalia gekommen ist. Plötzlich begegnet Dun auch alten Bekannten wieder, ehemaligen Generälen, die mit ihm unter dem Kaiser gedient haben. Und der Hand, dem Assassinen des Kaisers. Und während er bei seinen Ausflügen in den Suff Viola immer mehr aus seiner Vergangenheit erzählt und von dem Jungen Grenouille, der für ihn wie ein Sohn war, holt die Vergangenheit die Gegenwart ein.
Ganz anders Grenouille. Im Gegensatz zu Dun hat er nie versucht, der Vergangenheit zu entfliehen, stattdessen trägt er sie unentwegt mit sich herum, sie frisst an ihm. Grenouille ist anders als Dun tatkräftig an der Gestaltung der Gegenwart beteiligt, gleichzeitig offenbaren seine Erinnerungen, warum er sich nicht einfach auf sein eigenes Leben zurückziehen kann.
Da Dun und Grenouille einen großen Teil der Zeit, die Gegenstand der Handlung ist, miteinander verbracht haben, überschneiden sich die Erinnerungen zwangsläufig ein wenig, Antoine Rouaud hat es jedoch geschickt verstanden, sich nur minimal zu wiederholen, selbst wenn er ein und dieselbe Situation schildert. Der unterschiedliche Blickwinkel der beiden Hauptfiguren ist einer der Aspekte, der die Handlung interessant macht. Denn vor allem Grenouilles Erinnerungen offenbaren nicht nur die inneren Zusammenhänge, sondern auch Duns eingeschränkten Blickwinkel auf die Welt als Ganzes.
Leicht zu lesen ist das allerdings nicht immer, zum einen, weil Rückblenden so gut wie nicht gekennzeichnet sind, zum anderen, weil die Übergänge zwischen Gegenwart und Erinnerungen gelegentlich fließend gestaltet sind. Auch entwickelt sich die Handlung zunächst eher langsam, da der Autor sich die Zeit nimmt, Duns wachsende Zuneigung zu Grenouille ebenso wie Grenouilles Weg zum Ritterschlag angemessen langsam zu entwickeln. Hier hat Antoine Rouaud ebenfalls Geschick bewiesen, denn der Weg zum Wendepunkt der Geschichte bietet zwar aus beiden Blickwinkeln nahezu dieselben Stationen, diese sind jedoch aus jeweils unterschiedlichen Gründen wichtig. So setzt sich ganz allmählich aus verschiedenen Mosaiksteinchen ein Bild zusammen, das das Ende eines maroden und schwachen Reiches zeigt, einen Mann, der dem nichts entgegenzusetzen hat und einen, den der Zusammenbruch betrogen hat, der sich damit aber nicht abfinden kann und will.
Wirklich spannend ist das Buch die meiste Zeit über nicht, trotz einiger Actioneinlagen wie Kämpfe gegen wilde Tiere und Drachen oder gelegentliches Schlachtengetümmel. Erst gegen Ende zieht die Spannung an, das Ende ist dann einerseits unerwartet, da die Handlung einen überraschenden Haken schlägt, andererseits auch wieder vorhersehbar, denn schon bei der Vorankündigung des Buches stand fest, dass es eine Fortsetzung geben wird.
Was das Buch weit mehr beherrscht als Action oder Kämpfe ist das allmähliche Aufdröseln von Ursache und Wirkung am Ende einer Epoche sowie der persönliche Umgang der beiden Hauptfiguren mit dem Ergebnis. Das ist allemal interessant genug, um den Leser die gesamte Lektüre über bei der Stange zu halten.
Unterm Strich hat Antoine Rouaud hier einen Roman abgeliefert, der vor allem durch seinen ausgeklügelten Aufbau besticht. Aber auch die Charakterzeichnung weiß zu punkten durch ihre – trotz Zeitdifferenz zwischen Gegenwart und Erinnerung – durchgängige Darstellung der beiden Protagonisten. Der Plot an sich ist eher schlicht gehalten, was aber nicht stört, da die Innenansichten Duns und Grenouilles die Geschichte über weite Strecken hinweg tragen, und der Aufbau bereits stark für Komplexität sorgt.
Für mich persönlich hatte das Buch dennoch einen Haken: Mir fehlte ein wenig die Identifikationsfigur. So interessant, nachvollziehbar und glaubwürdig Dun und Grenouille auch dargestellt waren, so richtig mitfiebern konnte ich mit keinem von beiden. Wirklich sympathisch war mir eigentlich nur Aladzio, der leider erst spät auftaucht und auch dann nur wenig persönlich vorkam. So fand ich das Buch zwar insgesamt interessant, gefesselt oder gar mitgerissen hat es mich jedoch nicht.
Antoine Rouaud dachte sich schon als Kind Geschichten aus, landete aber zunächst beim Radio, wo er unter anderem als Werbetexter tätig war. „Der Pfad des Zorns“ ist sein erster Roman und der erste Band einer Trilogie. Ein Erscheinungstermin für die Fortsetzung ist noch nicht bekannt.
Taschenbuch 638 Seiten
Originaltitel: La Voie De La Colère – Le Livre Et L’Épée 1
Deutsch von Ulrike Werner-Richter
www.heyne.de
Der Autor vergibt: