Isaac Asimov – Falsch korrigiert (Hörspiel)

Wer den Film „I, Robot“ mit Will Smith in der Hauptrolle gesehen hat, bemerkte vielleicht an der Seite des Detektivs die Roboterentwicklerin Dr. Susan Calvin. Diese von Isaac Asimov erfundene kluge Wissenschaftlerin spielt in mehreren Robot-Storys eine wichtige Rolle. Ihr fällt die Aufgabe zu, die bekannten drei Gesetze der Robotik in Form positronischer Schaltkreise umzusetzen. So auch im vorliegenden Hörspiel: Dr. Calvin steht vor Gericht.

Der Autor

Isaac Asimov wurde am 2. Januar 1920, also kurz nach der Oktoberrevolution, im russischen Petrovichi geboren. 1923 wanderte er mit seiner Familie aus Russland, wo Bürgerkrieg herrschte, nach New York City aus und machte 1939 seinen Bachelor of Science an der Columbia University. Im gleichen Jahr erregten seine ersten Storys Aufmerksamkeit im Fandom, aber auch der Magazin-Herausgeber John W. Campbell nahm Asimov unter seine Fittiche. 1939 begann das so genannte „Goldene Zeitalter der Science Fiction“.

Ab 1948 arbeitete Asimov als Biochemie-Lehrer an der Boston University School of Medicine und wurde 1951 zum Assistenz-Professor befördert. 1950 erschien mit „Pebble in the Sky“ sein erster Roman, wenig später die „Foundation“-Trilogie, mit der er berühmt wurde.

Ab 1958 war Asimov freier Schriftsteller, der in seinem Leben fast 500 Bücher publizierte , u. a. auch als Herausgeber von Anthologien. Wenig bekannt ist Asimov für seine zahlreichen Sachbücher, die er für Kinder wie Erwachsene schrieb. Asimov erhielt 1987 einen „Special Nebula Award“ der Vereinigung der Science-Fiction-Schriftsteller der USA, mit dem ihm der Titel eines „Grandmaster of Science Fiction“ verliehen wurde. Nur wenige Autoren können sich dieses Titels rühmen. Asimov starb am 6. April 1992 in New York.

Die Inszenierung des Hörspiels

Die Buchvorlage lieferte die Story „Galley Slave“ (Galeerensklave) aus dem Jahr 1957. Der Süddeutsche Rundfunk (heute SWR) produzierte das Hörspiel im Jahr 1970 unter der Regie von Andreas Weber-Schäfer, einer bis Anfang der neunziger Jahre zentralen Figur in der Hörspiellandschaft Deutschlands.

Die wichtigsten Sprecher:

Dr. Susan Calvin: Melanie de Graaf
Prof. Simon Ninheimer: Charles Regnier
Prof. Goodfellow: Peter Baecker
Diverse Doktoren, Professoren, Anwälte und Zeugen.

Handlung

Vor Gericht klagt Professor Simon Ninheimer von der Universität New Oxford gegen die International Electric Company, kurz IEC. Wir schreiben das Jahr 2038. Dr. Susan Calvin arbeitet bei der IEC als Technikpsychologin, was bedeutet, dass sie sich mit der programmierten Psychologie der Roboter, die IEC herstellt, bestens auskennt. Die drei (Asimovschen) „Gesetze der Robotik“, die das Verhältnis zwischen Menschen und Robotern regeln, kann sie im Schlaf herunterleiern. Sie ist wütend.

Verhandelt wird die Klage gegen den Roboter mit der Bezeichnung E27-3, der an der Uni New Oxford rund ein Jahr lang einwandfrei gearbeitet hatte. Sein Deckname ist „Mooney“. In einer von mehreren Rückblenden erfahren wir, wie Vertreter von IEC das „Gerät“ einem der Uni-Angestellten, Professor Goodfellow, zum Testen gegeben haben. Da Mooney das erste IEC-Modell mit einem Positronengehirn ist, arbeitete er wesentlich schneller und intelligenter als seine Vorgänger. Er las 1200 Seiten eines Lehrbuchs Korrektur, und das in nur 15 Sekunden, wobei er mehrere Fehler fand.

Prof. Goodfellow macht sich natürlich Sorgen, ob der Roboter nicht auf die Menschen losgehen würde, „schließlich hat er ja als Maschine kein Gewissen“. Vertreter Lanning kann ihn wegen der drei Robotikgesetze beruhigen, die seit 2015 gelten. „Kein Roboter darf einen Menschen verletzen“ usw. usf. Man kennt das ja. Und er kostet nur schlappe 1000 Dollar Miete pro Monat. Der Uni-Senat findet diesen Preis geradezu verdächtig niedrig und veranlasst weitere Tests, die allesamt positiv ausfallen. Mooney wird angemietet, wenn auch gegen die Stimme von Prof. Simon Ninheimer.

Der Mann scheint ja ein echtes Problem mit Robotern zu haben, wer weiß, warum. Dr. Susan Calvin ist wütend auf ihn, weil er es nicht zugelassen hat, dass „Mooney“ vor Gericht als Zeuge auftritt. So ein armer Irrer! Doch allmählich, als Ninheimer berichtet, beschleicht sie ein schlimmer Verdacht.

Denn Ninheimer berichtet von seinem ersten Dialog mit Mooney und dessen ersten Arbeitsergebnissen. Die Maschine hat in einem Probekapitel von Ninheimers neuem monumentalem Lehrbuch über Soziologie, an dem er acht Jahre geschrieben hat, die Wörter „anscheinend“ und „scheinbar“ vertauscht. Diese stilistische Korrektur beanstandete Ninheimer nicht, was, wie er später zugibt, wohl ein Fehler war. Er ließ jedenfalls Mooney den Rest des Lehrbuchs korrekturlesen und sogar ohne vorherige Prüfung in Druck geben. Das findet nicht nur Dr. Calvin verwunderlich. Woher dieses plötzliche Vertrauen des Professors?

Jedenfalls ließ die Katastrophe, die zur Klage führte, nicht lange auf sich warten. Die von Ninheimer zitierten Kollegen beschweren sich lauthals bei ihm, welche sinnentstellenden Wortverdrehungen er sich erlaubt habe und verklagen ihn. Tatsächlich sind die nachzulesenden Passagen über Homosexualität und Euthanasie nicht ganz unbedenklich, um nicht zu sagen skandalös. Ninheimers anklagender Finger zeigt auf E27-3: „Er ist schuld!“

Dr. Calvin ist klar, dass die Maschine von sich aus gar nicht zu so etwas Verwerflichem fähig wäre. Ninheimer muss sie manipuliert haben, wie sie IECs Verteidiger Kent sagt. Und sie hat auch schon einen Plan, wie sie Ninheimer entlarven kann. Sie muss nur irgendwie E27-3 auftreten lassen …

Mein Eindruck

Die Konstellation ist in fast allen Robotergeschichten Isaac Asimovs – etwa in dem verfilmten „200-Jahre-Mann“ – die gleiche: Die Ankunft der Roboter stellt die Eigenheiten und Werte der Menschen in Frage. Der Soziologieprofessor Ninheimer hat dies klar erkannt und seine Konsequenzen gezogen. Leider hat er einen fiesen Trick angewandt, um den Roboter E27-3 aufs Kreuz zu legen.

Dr. Calvin versichert Ninheimer, dass ihm das beim nächsten Model E28-1 nicht mehr gelingen werde. Dieser Robot würde die Bücher gleich selber schreiben, statt bloß die anderer Autoren korrekturzulesen. Als ob Ninheimer das nicht vorausgesehen hätte. Er hat nur versucht, den Anfängen zu wehren, mit einer zugegeben groben Methode.

Spannende Fragen

Ich fand das Hörspiel sehr geschickt aufgebaut, um maximale Spannung zu erzeugen. Erstens wird lange Zeit nicht klar, um welches Verbrechen es geht. Zweitens darf der Angeklagte bzw. Hauptzeuge „Mooney“ erst ganz am Schluss auftreten. Drittens bleibt die Methode, wie Ninheimer den Roboter außer Gefecht setzte, im Dunkeln. Diese Zurückhaltung mag einem seltsam vorkommen, hat aber eine durchschlagende Wirkung: Der Zuhörer bleibt bei der Sache, weil er unbedingt erfahren will, was es denn nun eigentlich mit diesen drei Dingen auf sich hat.

Keine Ironie

Anders als bei Lems Hörspielen spielen Roboter in dieser Story keine selbständige Rolle, führen daher auch keine ironischen Effekte herbei, die die Menschen und ihr Verhalten humorvoll kommentieren. So etwas wie Ironie scheint Asimov (wie viele Autoren in den USA) gar nicht zu kennen. Ihm geht es darum, die gesellschaftlichen und psychologischen Auswirkungen einer technischen Neuerung zu verdeutlichen.

Sicherlich konnte er dabei auf eigene Erfahrungen im akademischen Milieu zurückgreifen, um Professoren wie Ninheimer zu charakterisieren. Er weiß auch genau, wie wichtig die Kritik durch Kollegen ist. Nur durch diese Intersubjektivität kann die Wissenschaft arbeiten, sonst kann man sie nämlich gleich zur Religion erheben, zur allein selig machenden Lehre.

Hard Science Fiction

Dass er dabei auf Seiten der Roboter steht, stand ihm 1957 gut zu Gesicht, denn dadurch wurde er zum Befürworter des Fortschritts – immer noch (aber vielleicht nicht mehr lange) eine hoch angesehene Position, die in den 50er Jahren sogar vom Lesepublikum gefordert wurde. Dass der Widersacher der Roboter ein Soziologe ist, stellt einen Vorgriff auf die kommenden sechziger Jahre dar, als „weiche“ Wissenschaften wie Soziologie, Psychologie den „harten“ Naturwissenschaften Konkurrenz machten. (Noch heute sprechen Science-Fiction-Fans von „Hard SF“, wenn sie ein Buch beschreiben, in dem naturwissenschaftliche Ideen auf ernst zu nehmende Weise verarbeitet werden.)

You, Robot!

Diesen Ansatz, den Asimov hier verfolgte, findet der Filmfan heute noch in dem Thriller „I, Robot“. Eine neue Generation Roboter löst die alte, recht harmlos dreinschauende ab. Dummerweise haben die neuen Robots eine eigene Agenda: Sie errichten eine Diktatur. Zum Glück gibt es einen schlauen Detektiv, eine ebenso kluge Dr. Susan Calvin und einen rebellischen Robot, die zusammenarbeiten und dem Unheil Einhalt gebieten werden.

Die Inszenierung des Hörspiels

Während in der ersten Hälfte des Hörspiel geklärt wird, worum es eigentlich geht, kommt man in der zweiten endlich zum harten Kern des Problems. Erst im Finale kommt die Wahrheit ans Licht. So muss es sein, und dadurch funktioniert das Hörspiel auf dieser Ebene ausgezeichnet wie ein Gerichtskrimi. Gelegentliche Unklarheiten wie die Robotergesetze werden allesamt erläutert. Es bleiben keine Fragen offen. Natürlich sollte man Verständnis dafür haben, wie bedeutsam das Korrekturlesen von Lehrbüchern ist. Wem das Verständnis dafür fehlt, der braucht gar nicht erst anfangen.

Der Kläger

Die wichtigsten Rollen haben eindeutig Melanie de Graaf als Dr. Susan Calvin – sie sitzt quasi auf der Anklagebank – und ihr indirekter Gegenspieler, der Kläger, Professor Simon Ninheimer. Diese Figur erweckt Charles Regnier ausgezeichnet zum Leben. Seine Stimme verfügt einerseits über genügend Autorität, um eine feste, scheinbar (nicht „anscheinend“!) unangreifbare Position verfechten zu können. Und zum zweiten bringt er durch seinen spöttischen Tonfall Dr. Calvin spielend auf die Palme. Sie würde ihm am liebsten an die Gurgel gehen, um den arroganten Kerl Mores zu lehren.

Die Maschine

Zum Glück ist sie zugleich auch genügend Vernunftmensch, um solch kindisches Verhalten zu unterdrücken und ihren Verteidiger Kent sprechen zu lassen. Eine entscheidende Rolle kommt auch dem Auftritt von E27-3 „Mooney“ zu. Er darf weder als lächerliches Kinderspielzeug erscheinen noch als unzurechnungsfähiges Frankensteinmonster – solche Ängste hatte ja auch Prof. Goodfellow.

Mooney hat eine tiefe Stimme, die uns von seiner völligen Integrität überzeugt, und redet in einem vernünftigen Tonfall, wobei er sich keineswegs aufspielt, sondern stets untertänig erscheint. Von ihm geht offenbar keine Gefahr aus. Außer durch seine bloße Existenz!

Eine Schwäche

Das Einzige, was uns heute merkwürdig vorkommt, sind die genannten Geldsummen. Wenn Ninheimer 750.000 Dollar als Schadensersatz verlangt, so erscheint uns dies heute geradezu lachhaft wenig. Mit einer Dreiviertelmillion will der Prof seinen Lebensabend bestreiten? Wohl kaum. Angesichts solcher Beträge müssen wir uns an die Entstehungszeit der Story erinnern: 1957. Damals war der Dollar wirklich noch etwas wert, nämlich rund vier Deutsche Mark, wenn ich mich recht entsinne. Später stieg er sogar auf 4,20 DM. Und die Lebenshaltungskosten waren damals nicht mit unseren heutigen zu vergleichen. Die tausend Dollar Monatsmiete verlangt heute ein Robotik-Entwickler als Tageslohn.

Das Design des Titelbildes kommt ziemlich billig daher, ist es doch anscheinend (nicht scheinbar!) mit einer billigen alten Maschine aus den Siebzigern gedruckt worden. Jeder einzelne Punkt ist genau erkennbar. So hat die erste Generation von Nadeldruckern und Faxgeräten gedruckt. Hoffentlich lässt sich niemand davon abschrecken, das gute Hörspiel zu kaufen.

Unterm Strich

Ich fand das Hörspiel spannend gemacht, sauber produziert und von echten Könnern gesprochen. Man merkt ihm sein Alter von über dreißig Jahren kaum an. Und die Problematik ist heute immer noch aktuell.

Umfang: 58 Minuten auf 1 CD