Barker, Clive – Bücher des Blutes I-III, Die

_Das Leben der Toten, Dämonen und Verdammten: preisgekrönter Horror_

Nichts für schwache Gemüter und zartbesaitete Seelen – so lautet die Warnung im ursprünglichen Vorwort von Ramsey Campbell, ebenfalls ein renommierter Horrorautor. Für seine „Bücher des Blutes“ bekam Clive Barker 1985 den |World| und den |British Fantasy Award|. Seine Schrecken sind (meist) in der realen Welt angesiedelt, im Hier und Jetzt, oft sogar mitten in der Großstadt.

_Der Autor_

Clive Barker lieferte die literarischen Vorlagen für die Filme „Lord Of Illusions“, „Hellraiser“ (selbst verfilmt), „Cabal“ und „Candyman“. Zu seinen wichtigsten Werken gehören neben den „Büchern des Blutes“ auch „Imagica“, „Weaveworld“ (dt. „Gyre“) und „The Damnation Game“ („Das Spiel des Verderbens“). In den letzten Jahren hat er sich etwas zurückgehalten, doch mit „Coldheart Canyon“, das im September 2004 bei |Heyne| erschienen ist, gelang ihm ein kühner Kommentar auf das Filmbusiness, das er schon so oft aufgegriffen hat. In Kürze soll auch sein neuester Fantasy-Jugendroman „Abarat“ bei |Heyne| erscheinen.

_Storys in Band 1_

„Das Buch des Blutes“, sozusagen der Prolog, erzählt vom 20-jährigen Simon McNeal, der sich als Medium für die Botschaft der Toten ausgibt und seinen Schwindel grausam bezahlen muss. Die Toten und Verdammten schreiben ihre Geschichten auf seine Haut – kein Schwindel …

In „Der Mitternachts-Fleischzug“ verwandelt sich die New Yorker U-Bahn in einen Transporter zum Schlachthof, der die unterirdischen, wahren Herrscher Amerikas mit köstlichem Menschenfleisch versorgt.

„Das Geyatter und Jack“ ist auch als illustriertes Comic-Book unter dem Titel „Ein höllischer Gast“ erschienen. Hier legt sich ein englischer Importeur von Gewürzgurken namens Jack Polo mit einem Sendboten der Hölle an, der die Aufgabe hat, Jack in die Klauen des Wahnsinns zu treiben, um seine Seele der Hölle zu überantworten. Mal sehen, wer den Kürzeren zieht.

In „Schweineblut-Blues“ verwandelt sich ein Heim für schwer erziehbare Jugendliche zum Wallfahrtsort für eine Mastsau, die allem Anschein nach die Reinkarnation eines ehemaligen Insassen des Heims ist. Hier bekommen alle Beteiligten den Blues.

In „Sex, Tod und Starglanz“ gibt ein Theater und dessen Truppe (Barker schrieb eine Menge erfolgreicher Theaterstücke) eine letzte Abschiedsvorstellung mit Shakespeares „Was ihr wollt“ vor dem fachkundigen Publikum des halbverwesten örtlichen Friedhofs. Hier wird das alte Motiv des „Phantoms in der Oper“ neu und überraschend variiert.

Die letzte Geschichte im Band ist auch die eindrucksvollste und haarsträubendste. „Im Bergland: Agonie der Städte“ ist ein außergewöhnliches Schauspiel, das zwei homosexuelle Engländer in Jugoslawien (als es das noch gab) erleben. Die Einwohner zweier verfeindeter Städte (‚Agonie‘ bedeutet Todeskampf) haben sich jeweils an einem Gerüst zu einem Riesen zusammengebunden. Diese beiden Riesen marschieren nun aufeinander zu. Was folgt, muss man selbst gelesen haben.

_Fazit zu Band 1:_

Um mit Barker zu sprechen: „Am besten macht man sich auf das Schlimmste gefasst, und ratsam ist es, erst einmal die Gangart zu erlernen, ehe einem die Luft für immer wegbleibt.“ Jede der Geschichten für sich allein weckt selbst beim abgebrühtesten Leser einen ganz speziellen Schauder, den nur wirklich gute Horrorstorys erzeugen können. Die Übersetzungen von Peter Kobbe sind zumindest hier noch sehr gut. Viele dieser Storys wurden verfilmt, und als Klassiker gehört „Das erste Buch des Blutes“ in die Sammlung jeden Horrorfans.

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Auch im zweiten Band der Serie steht Clive Barker auf der Seite der Monster. Bei ihm sterben Sympathiepersonen, und das Gute wird nicht immer belohnt. Das macht ihn so ungewöhnlich. „Keine Wonne kommt der des Grauens gleich – solange es nicht das eigene ist“, schreibt der Autor in seiner ersten Geschichte hier.

_Storys in Band 2_

In „Moloch Angst“ lernen wir einen Psychopathen kennen, der mit allen Mitteln versucht, die Ängste seiner Zeitgenossen zu brechen. So sperrt er etwa eine Vegetarierin mit einem Stück Fleisch in eine Kammer ein, bis sie darüber herfällt. Im Verhalten, das seine Gefangenen an den Tag legen, sucht er den Schlüssel zu seiner eigenen Angst. Der Schluss der Story ist leider schon frühzeitig zu erahnen.

Auch die Grundidee von „Das Höllenrennen“ wirkt etwas an den Haaren herbeigezogen: Die Hölle macht einen Marathon mit (Merke: Die Briten sind große Läufer!). Unter der Hand jedoch geht es um nichts weniger als den Fortbestand der Welt, wie wir sie kennen. Barker greift zwar mit allen Stilmitteln in die Vollen, doch Spannung will nicht so recht aufkommen.

Da lob ich mir doch die folgende Geschichte (ah, wohlige Schauder!) – sie wird immer wieder in Anthologien aufgenommen, zu Recht ein literarisches Juwel: „Jacqueline Ess: ihr Wille, ihr Vermächtnis“. Jacqueline entdeckt ihre Fähigkeit der Telekinese und damit die Möglichkeit, per Gedankenkraft den Körper eines anderen Menschen zu zerstören. In einem Wutanfall vernichtet sie ihren widerlichen Ehemann und knetet seinen Kadaver zu einem Klumpen zusammen. Danach irrt sie ziellos durch die Welt, auf der Suche nach jemandem, der ihr hilft, ihre Furcht erregenden Fähigkeiten in den Griff zu bekommen …

Diese Erzählung ist eine schmerzhafte Elegie voll Sex und Sinnlichkeit, die stetig auf einen ungeheuren Höhepunkt zustrebt und deren Ende einer ungehemmten Explosion gleichkommt – mit Abstand die beste Story dieses Bandes.

In „Wüstenväter“ tummeln sich fleischige Dämonen in der Wüste, ein schießwütiger Sheriff macht mit seiner Gemeinde Jagd auf sie. Spannende Situationen und eine bizarre Spannung schaffen eine Stimmung, wie man sie selten in einer Story findet.

Wie eine Verbeugung vor dem Vater der Horror- und Detektivgeschichten, Edgar Allan Poe, klingt der Titel der abschließenden Erzählung: „Neue Morde in der Rue Morgue“. Wieder einmal ist ein mordender Affe der Täter. Er hat von seinem mittlerweile in Haft sitzenden Besitzer gewisse ‚menschliche‘ Züge anerzogen bekommen. Nun, da der Meister nicht mehr präsent ist, dreht er durch und betätigt sich als ‚Jack the Ripper‘ an Prostituierten. Ein cleverer Detektiv-Verschnitt kommt ihm auf die Spur, kann aber angesichts dieses Elends nicht handeln und zieht sich durch Selbstmord aus der Affäre. Anstatt dass Barker den Affen stilecht über den Jordan gehen lässt, darf der Bösewicht weiterleben, in seinem Anzug nur schwer zu unterscheiden von einem Betrunkenen in der Nacht …

_Fazit zu Band 2_

Auch „Das zweite Buch des Blutes“ bietet eine nicht immer gelungene Mischung aus völlig unterschiedlichen Storys, die teilsweise innovativ und rundherum erfrischend wirken. Insbesondere „Jaqueline Ess – ihr Wille und Vermächtnis“ ist unbedingt Pflichtlektüre für Horrorfans.

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Waren die ersten beiden Bände erstklassiger Stoff, so fallen im dritten Buch sowohl das Niveau der Einfälle als auch die Spannung in den fünf Erzählungen ziemlich ab.

_Die Storys in Band 3_

Schon die erste Story „Rohkopf Rex“ ist bezeichnend für diese Kollektion. Ein riesiges, Menschenfleisch fressendes Monster liegt unter einem großen Stein auf einem brachliegenden Feld begraben. Als der Bauer in mühsamer Arbeit den Stein wegräumt, kommt auch der Titel gebende Rohkopf frei und beginnt nun mordend die Protagonisten aufzufressen, bis ihm ein Familienoberhaupt eine Fruchtbarkeitsgöttin an den Kopf wirft. Das Resultat ist reichlich unappetitlich.

„Bekenntnisse eines (Pornographen-) Leichentuchs“ ist auch nicht viel besser. Ein Spießbürger arbeitet als Buchhalter für einen Pornoverkäufer, ohne über die delikate Ware im Bilde zu sein. Als er in der Zeitung damit in Verbindung gebracht wird, sucht er Rache, wird aber umgelegt. Sein Geist schlüpft in sein eigenes Leichentuch und formt daraus einen auf Vergeltung sinnenden Körper.

„Der Zelluloidsohn“ wurde in Barkers Interviews immer als recht interessant angesprochen, erfüllt aber nicht die Erwartungen. Ein an Krebs erkrankter Verbrecher schleppt sich mit letzter Kraft in ein Kino und stirbt dort. Fortan spukt es im Kinosaal, und John Wayne (selbst an Krebs gestorben) und Marilyn Monroe (brachte sich um) sorgen für Tod und Sex. Dahinter steckt der lebende Krebs. Eine reizvolle Idee, deren Ausführung aber als nicht gerade gelungen zu bezeichnen ist.

„Sündenböcke“ ist eindeutig die beste Story des Bandes. Hier strandet ein Boot auf einer nicht in den Karten verzeichneten Insel, unter der die Toten des Meeres ruhen. Natürlich wird diese Ruhe heftig gestört. Der Leser ahnt in diesem Text am ehesten die Wort- und Ideengewalt des |enfant terrible| der Horrorliteratur.

„Menschliche Überreste“ wurden in einem Grab aus der Zeit des römischen Britanniens gefunden, die Skulptur eines Standartenträgers namens Flavius, wie seine Grabinschrift besagt. Nun tauchen sie in der Badewanne des Archäologen Kenneth wieder auf und wollen nur eines: Leben! Doch diese Story wird aus der Sicht von Flavius‘ nichts ahnendem Opfer erzählt, des wunderschönen Londoner Strichers Gavin. Und der hält gar nichts davon, dass er einen Doppelgänger hat, der sich das körperliche Leben von seinen Mordopfern zurückholt – genau wie Frank in Barkers Film „Hellraiser 1“. Doch Flavius will nicht nur Gavins Körper, sondern braucht auch Gavins Seele, um wieder ein kompletter Mensch zu werden …

Leider ist die Idee des Doppelgängers, der sein Original vernichten will, schon reichlich abgedroschen. Barkers Ansatz daher: Schauplatz ist das Strichermilieu, denn da scheint er sich gut auszukennen.

_Fazit zu Band 3_

Alle Geschichten dieses dritten Bandes kranken daran, dass der Fortgang der Handlung und vor allem das Ende recht schnell abzusehen sind. Das mindert doch den Spaß am Lesen ein wenig.

_Unterm Strich_

Der Horrorfan ist dankbar, dass es endlich diese essenzielle Lektüre wieder zu einem vernünftigen, um nicht zu sagen: günstigen Preis gibt. Denn häufig gingen die Preise, die für die Taschenbuch- und erst recht für die gebundenen Ausgaben des |Knaur|-Verlags in Online-Auktionen usw. verlangt wurden, doch schon hart an die Grenze des Vertretbaren. Das gilt in erhöhtem Maße für die Bände 4 bis 6.

Die Ausgabe selbst kommt völlig ohne Schnickschnack aus: ohne Vorwort oder Nachwort, ohne Glossar oder sonst irgendetwas.Lediglich die Rückseite des Einbandes enthält das unvermeidliche lobende Zitat von Stephen King, das man sattsam kennt. Inzwischen handelt es sich bereits um „Kultbücher“, tönt der Verlag, und natürlich sind sie „nichts für zartbesaitete Gemüter“. Das kann ich nur unterstreichen. Die Storys sind ebenso grausig wie wortgewaltig, einfallsreich, unheimlich und sogar wollüstig – ein Element, das in Horrorstorys allzu oft unterdrückt wird.

Hintergrund für Clive Barker war das alte |Grand Guignol|-Theater, das billige Horroreffekte auf die Spitze trieb, um die Dosis, die es dem proletarischen Publikum verpassen wollte, ständig zu erhöhen. Mittlerweile sind auch wir, Barkers Publikum, durch seine und gegenüber seinen Storys etwas abgestumpft. Daher kommen uns die hier gesammelten Erzählungen mitunter recht zahm oder gar abstrus vor.

Ich jedenfalls verschlang sie Mitte der achtziger Jahre, als sie auf den deutschen Markt kamen, mit Haut und Haaren. An so manche, wie etwa „Jaqueline Ess“ kann ich mich immer noch erinnern – ganz einfach, weil sie einem immer noch die gleiche Dosis, den gleichen Schock verpassen können. Doch die Dosis ist bekanntlich bei jedem Leser unterschiedlich …