Joho, wild ist das Piratenleben
Joho! „Ein lustiges und kurzes Leben, das soll mein Motto sein“, soll Bartholomew „Black Bart“ Roberts gesagt haben. Er wurde zu einem der berüchtigsten Seeräuber der Karibik. Im Goldenen Zeitalter der Piraterie zwischen 1690 und 1730 befuhren Tausende von wagemutigen und skrupellosen Seeräubern wie Roberts die Meere und hielten Ausschau nach Schiffen mit wertvoller Ladung, um diese zu plündern.
Diese Burschen sind zwar faszinierend, doch wie ihr Alltag aussah, wie sie kämpften und lebten, das können wir uns nur schwer vorstellen. Und viele Mythen und Legenden spinnen sich um ihr Leben zwischen Freiheit und Todesgefahr.
Anhand von spannenden Sachtexten, gemalten Illustrationen und authentischen Originaldokumenten wird das wilde Seeräuberleben in diesem interaktiven Abenteuerbuch in allen Facetten anschaulich gemacht.
Ein zeitgenössischer Kompass, eine Schatzkarte, ein Wörterbuch zur Piratensprache und die Nachbildung einer originalen Piratenflagge laden ein auf eine spannende Entdeckungsreise und Kaperfahrt. (abgewandlte Verlagsinfo)
Der Autor
Schon in jungen Jahren begeisterte sich der Amerikaner Pat Croce für Piraten, nachdem er den Errol-Flynn-Streifen „Unter Piratenflagge“ gesehen hatte. Nach seinem Studienabschluss in Pittsburgh, PA, plünderte Croce nach eigenen Angaben die Gesundheitsindustrie und gründete ein aus 40 medizinischen Sportzentren bestehendes Imperium, das er Jahre später für eine Galeone voller Gold verkaufte. Als nächstes stürzte er sich in die Welt des Sports und führte die NBA-Mannschaft Philadelphia 76ers in einem Raubzug an, dessen Höhepunkt 2001 der Sieg im NBA-Finale gegen die Los Angeles Lakers darstellte.
Croce ist Autor zahlreicher Bestseller, Fernsehredakteur und Motivationscoach. In dieser Eigenschaft habe ich ihn einmal auf einer amerikanischen Software-Konferenz kennengelernt. Er ist wirklich ein außergewöhnlicher und inspirierender Mensch.
Seiner Leidenschaft für Piraten ist Croce treu geblieben. Er rafft auf seinen Raubzügen alles, was mit Seeräubern zu tun hat, zusammen und stellt es im Museum Pirate Soul auf Key West in Florida aus.
Mehr Info: http://www.piratesoul.com
Inhalte
Schon beim Aufklappen des Buchdeckels wird es interessant. Denn sofort auf der ersten Innenseite entfaltet sich eine Landkarte des nördlichen und südlichen Atlantiks sowie der angrenzenden Meere. Eingezeichnet sind die bevorzugten Reiserouten der Handelsschiffe, deren Fracht zusätzlich angegeben ist. Ihnen lauerten die Piraten mit Vorliebe auf.
Dem abgedruckten Zitat des Amerikaners H. L. Mencken kann ich leider nicht zustimmen: „Jeder normale Mensch spürt gelegentlich die Versuchung, sich in die Hände zu spucken, die schwarze Flagge zu hissen und Kehlen durchzuschneiden.“ Joho! Die Offiziere Seiner Majestät, des englischen Königs, verspürten eher den Drang, die Seeräuber allesamt aufzuknüpfen und ihre Leichen in einen Eisenkäfig zu stecken, bis sie verwest waren.
Das goldene Zeitalter der Piraterie
Die erste richtige Doppelseite bringt einen Übersichtsartikel zum Thema, wird aber flankiert von einem tollen Gemälde, das Edward „Blackbeard“ Teach zeigt – das ist der Typ mit den brennenden Zündschnüren am Hut und im Bart. Links unten grinst uns ein bleicher Totenschädel an. Dahinter stecken das Wörterbuch der Piratensprache sowie ein Steckbrief von 1669 gegen Henry Every. Schon 1605 rief der englische König James I. zum Kampf gegen die Piraterie auf.
Piratenhäfen
Die wichtigsten Piratenhäfen waren Port Royal – jedenfalls bis zu seinem teilweisen Untergang am 7. Juni 1692 -, New Providence, das heutige Nassau auf den Bahamas, sowie Madagaskar. Zu jedem Piratenunterschlupf bieten die kurzen Artikel saftige Anekdoten. Zu den Häfen der gesuchtesten Piraten wie Bartholomew „Black Bart“ Roberts liefern die jeweiligen Biographien die entsprechenden Informationen.
Das Leben auf See
Es gab eine Reihe verschiedener Typen von Piratenschiffen. Die meisten hatten gegenüber ihren Jägern den Vorteil, weniger Tiefgang zu haben und schneller zu sein, so dass sie seichtere Gewässer befahren und flott entkommen konnten. Aber die erfolgreichsten Kapitäne besaßen auch wehrhafte Dreimaster mit entsprechender Mannschaft und Bewaffnung. Die Kapitäne hatten keine Lohnkosten, denn es galt die Devise: „Keine Beute, kein Lohn!“ Zur Mannschaft zählten nicht bloß Verbrecher, sondern auch entlaufene oder freigelassene Sklaven, besonders aber auch abtrünnige Matrosen der Handels- oder Kriegsmarine.
Es war aber nicht so, dass die Matrosen keine Gesetze oder Rechte kannten. Es gab einen Kodex der Piraterie, und das waren nicht bloß Richtlinien, wie in [„Fluch der Karibik“,]http://www.powermetal.de/video/review-369.html sondern Gesetze, die durchgesetzt wurden. Strafen bestanden im Auspeitschen mit der Neunschwänzigen Katze und im Kielholen, ja, mancher musste sogar über die Planke gehen. Eine echte schwarze Feder und eine Imitation der Peitsche stecken in den Seiten dieses Buches.
„Unter Deck“ herrschte drangvolle Enge, die Männer (es gab nur sehr wenige weibliche Seeräuber) aßen Schiffszwieback, spielten mit Karten, wie sie in der Seite stecken, oder tranken Rum. Ein aufklappbares Schaubild beschreibt sämtliche Teile eines Dreimasters. Es gab zwei Kajüten für den Kapitän und den Ersten Offizier. Ob es etwas zu bedeuten hat, dass sich direkt darunter das Waffenlager befand? Die nächste Doppelseite zeigt, mit welch primitiven Instrumenten die Kapitäne damals zu navigieren hatten, um ihre Beute und den sicheren Hafen zu finden. Besonders mit der Bestimmung des Längengrades hatten alle ihre Probleme.
Klar zum Entern!
Piraterie war für die meisten Piraten eine lukrative Sache. Zwei Dokumente mit Beute- und Ladelisten verdeutlichen dies. Der Kapitän bekam natürlich den Löwenanteil, aber wehe ihm, wenn er nicht genug Beute anschleppte. Edward „Blackbeard“ Teach setzte seinen Käptn ab und wurde zu einem der erfolgreichsten Seeräuber der Welt. Vor dem Gefecht setzte er seine Version des „Jolly Roger“: ein Skelett mit Spieß, das auf ein rotes Herz zielt. Es gab also nicht immer den Totenkopf auf der Flagge.
Mit List und Tücke überwältigten die Piraten ihre Beute, danach setzten sie ihre Waffen ein, besonders das vielseitig verwendbare Entermesser. Auf der Seite mit diesem „Handwerkzeug der Piraten“ ist eine Stelle mit schwarzem Sandpapier hinterlegt, um Schwarzpulver zu imitieren.
Wer keinen Erfolg hatte, hatte nicht nur Strafen zu gewärtigen (s. o.), sondern auch den Tod durch den Strang seitens der Kriegsmarine Seiner Majestät. Zwischen Mai 1701 und Juli 1727 wurden nicht weniger als 14 Kapitäne und über hundert ihrer Piraten gehängt, und zwar stets öffentlich zwecks Abschreckung. So manche Leiche baumelte in ihrem Eisenkäfig noch monatelang am Hinrichtungsort. Die Bürger waren gebührend gruselig unterhalten und befriedigt.
Legendäre Schurken: Berühmte Piraten
Diese Sektion ist mit Abstand der umfangreichste und sogar unterhaltsamste Teil des Buches. Viele klingende Namen sind unter diesen Biografien versammelt. Zu ihren Porträts ist stets auch ihr Jolly Roger abgebildet:
1) Sir Francis Drake
2) Sir Henry Morgan
3) Kapitän William Kidd (Wo ist sein Schatz vergraben? Es gibt zu Kidd gleich drei Zusatzdokumente in einer Einstecktasche.)
4) Henry Every
5) Thomas Tew (mit Karte von Madagaskar)
6) Benjamin Hornigold (Pirat und später Piratenjäger; Achtung: Dokument in Einstecktasche nicht übersehen!)
7) Edward „Blackbeard“ Teach, der meistgefürchtete Pirat aller Zeiten (hinter der Landkarte verbirgt sich ein weiterer Text!)
8) Charles Vane, Pirat von 1716 bis 1721
9) „Calico“ Jack Rackham, Anne Bonny und Mary Read: ein schicksalhaft miteinander verknüpftes Trio. Anne und Mary waren die einzigen Piratenkapitäninnen.
10) Major Stede Bonnet
11) George Lowther
12) Edward Low
13) Bartholomew „Black Bart“ Roberts (eingeheftet sind ausklappbare Dokumente, z. B. das Todesurteil gegen seine Leute 1722; er selbst war schon getötet worden)
Das Vermächtnis: „Schatzinsel und Popkultur“
Die vorletzte Doppelseite fasst zusammen, wie das heutige, recht romantische Bild von den Seeräubern entstand und welche Werke dazu in besonderem Maße beitrugen, so etwa R. L. Stevensons Roman „Die Schatzinsel“. Die Seite vor dem hinteren Buchdeckel ist dem Autor gewidmet. Im Buchdeckel sind ein Kompass integriert sowie eine Piratenflagge eingesteckt. Klappt man das Buch zu, kann man es mit Hilfe eines Klettverschlusses sicher zusammenhalten, damit nichts herausfällt.
Mein Eindruck
Eigentlich müsste man über Piraten ein ganzes Lexikon, eine multimediale Enzyklopädie schreiben. Ein kleiner Versuch ist ja schon mit den Biografien gemacht worden, aber da ist ja noch so viel mehr: ein ganzes Universum. Der Megaerfolg des Films „Fluch der Karibik“ hat es Millionen von Zuschauern erlaubt, die Luft, die Piraten atmen, quasi zu schmecken, ihre seltsame Redeweise zu hören und ihren verwegenen Taten zuzuschauen. Nichts von diesem lebendigen Abenteuer findet sich in dem vorliegenden Buch.
Oh ja, wir bekommen schon einiges an Illustrationen, Erklärungen und zahllosen Dokumenten geboten. Der Autor ist sicherlich sehr stolz auf die Faksimiles seltener und alter Pergamente von anno Asbach, und für den wahren Fan mögen diese historischen Memorabilien wahre Schätze sein. Allein, es fehlt ihnen der Hauch des Lebendigen, des Abenteuers selbst. Zudem sind alle Dokumente selbstredend in englischer oder französischer Sprache und somit für den jungen Leser erst einmal übersetzungsbedürftig. Anders verhält es sich mit den aufklappbaren Bildern von Navigationsinstrumenten und dergleichen. Auch die Feder, die Flagge und die Peitschenimitation sind recht putzig anzusehen.
Der Kern der Sache: Geschichten
Dies ist kein Bilderbuch, jedenfalls kein gewöhnliches, sondern vielmehr ein als Bilderbuch verkleidetes Sachbuch über das Phänomen der Seeräuberei im 17. und 18. Jahrhundert. Als Sachbuch besteht es jedoch in der Hauptsache aus Text. Diese Texte sind folgerichtig und intelligent dargeboten, erschließen das Thema vom Allgemeinen hin zum Speziellen und finden im Individuellen der Biografien ihre Krönung.
Auf dieser untersten und persönlichsten Ebene findet der Piratenfreund endlich die saftigen Geschichten, nach denen sein Herz lechzt. Hier werden die Gestalten lebendig, da finden wir heraus, warum sich Blackbeard Zündschnüre unter den Hut steckte und warum Calico Jack die zwei bekanntesten Piratinnen zum Verhängnis wurden. Wo ist der Schatz des Kapitäns Kidds abgeblieben, der ein so unrühmliches Ende fand, nachdem er seinen Hehlern in Neuengland Unsummen an Profiten eingefahren hatte?
Und warum erinnern sich Generationen von Schülern an das bekannte Lied: „Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord“? Einfache Antwort: Auf Madagaskar hatten die Piraten einen oder mehrere Stützpunkte errichtet, um die Indienfahrer Englands abzufangen. Dass es auf den Stützpunkten mit öffentlicher Hygiene nicht eben zum Besten stand, ist wohl zu erwarten. Da kann es schon mal zum Ausbruch der Pest gekommen sein. In diesem Buch ist davon jedoch nichts verzeichnet, denn dafür hat der Platz nicht gereicht.
Nicht nur von den Seeräubern erzählt das Buch, sondern auch von ihren Gegnern, den Kapitänen der Kriegsmarine. Diese Burschen mussten sich wirklich etwas einfallen lassen, um den Schrecken der Meere das Handwerk zu legen. Auch hier sind geniale, spannende Geschichten zu lesen. Leider sind sie auf ein Minimum zusammengestutzt worden. Ein guter Erzähler könnte daraus Dutzende Romane hervorbringen.
Wenn man alles gelesen hat, bleiben nur noch zwei Dinge zu tun: die Piratenflagge aufhängen und das Buch ins Regal stellen. Und dann kann das Träumen beginnen.
Unterm Strich
Das einzige Manko dieses prächtig ausgestatteten Buches besteht darin, dass es nicht ein Werk der Kunst näherbringt, wie es etwa ein Entdeckungsband über die „Spiderwick-Geheimnisse“ tut, sondern es die historische Realität beschreibt. Sein Problem besteht darin, etwas schildern zu wollen, das unvergleichlich viel größer und umfangreicher ist als jedes Kunst-Werk. Ein solcher Band muss in diesem Unterfangen immer etwas limitiert erscheinen. Erstens ist er nur zweidimensional in Text und Bild, zweitens statisch.
Von Interaktion kann nur insofern die Rede sein, dass der Leser ein paar Fensterchen, Umschläge, Einsteckschlitze usw. öffnen darf. Das ist wenig befriedigend für einen Piratenfan, der eigentlich den Duft der Freiheit schnuppern möchte. Am ehesten kommen ihm hierbei noch die richtig wilden Geschichten über die berühmtesten Piraten entgegen. Witzig wäre es gewesen, diese alten historischen Schauplätze abzuklappern und sie mit der Gegenwart zu vergleichen. Hier und da mag es noch Gedenkplaketten geben und die eine oder andere Lagune, die einst Seeräubern Unterschlupf bot. Port Royal liegt immer noch auf Jamaika, aber wo lag eigentlich Tortuga?
Alles in allem bleibt wohl nichts anderes als die Erkenntnis übrig, dass man um den Besuch eines Piratenmuseums wie dem von Pat Croce nicht herumkommt. So eine multimediale Installation ist sicher aufregender als das vorliegende Buch, das dafür gute Werbung macht. Und dadurch erübrigt sich auch der Beitritt zu den Piraten von Somalia oder Malaysia, die heutzutage die Meere unsicher machen.
Für wen sich das Buch eignet
Es ist ein traurige, aber unumstößliche Tatsache, dass die Seeräuberei eine reine Männersache war. Zwei Kapitäninnen schaffen dazu leider keinen Ausgleich. Sicher mag es unter jungen Leserinnen die eine oder andere Seeräuber-Jenny in spe geben, aber ich fürchte, dass sich hauptsächlich Jungs von diesem Thema angesprochen fühlen. Die Texte sind nicht ganz anspruchslos, und ich tippe mal auf ein Lesealter zwischen zehn und zwölf Jahren. Das betrifft natürlich nicht die englischsprachigen Dokumente, die nochmal eine weitere Stufe der Sprachkenntnis voraussetzen.
Fazit: volle Punktzahl und ’ne Buddel voll Rum!
Gebunden: 46 Seiten
Originaltitel: Pirate Soul – A Swashbuckling Journey through the Golden Age of Pirates, 2006
Aus dem US-Englischen von Cornelia Panzacchi
ISBN-13: 978-3-570-13434-4