Es war einmal vor nicht allzu langer Zeit, dass der Heyne Verlag einen Schreibwettbewerb ins Leben rief: „Schreiben Sie einen magischen Bestseller“ hieß der Slogan und gesucht waren Manuskripte zu den Themen Fantasy, Mystery und Science Fiction. Mit über 1400 eingereichten Manuskripten wurde der Verlag praktisch erschlagen – und mehrere Büros sicher bis an die Schmerzgrenze zugemüllt. Doch nach heroischer Sichtung der Papierberge wurden fünf Finalisten ausgewählt. Oliver Dierssen mit seinem Roman „Fledermausland“ war einer davon.
Heyne hat nun eben diesen Roman mit einer putzig-trotteligen Fledermaus auf dem Cover (und fast schon in Großdruck – die Brillenträger der Republik bedanken sich herzlich) herausgebracht und bewirbt ihn als den „definitiven Vampirroman für die Generation Praktikum“. Das klingt zwar lustig, aber macht auch misstrauisch – schließlich führen die Superlative von Verlagswerbesprüchen in der Regel immer zu Enttäuschungen. Und tatsächlich stellt sich bei der Lektüre heraus, dass „Fledermausland“ nicht wirklich ein Vampirroman ist. Und ein Praktikum macht auch niemand.
_Stattdessen geht es_ um Basti. Man könnte ihn als sympathischen Loser bezeichnen, denn er hängt ein bisschen in den Seilen. Seinen Zivildienst hat er in einem Otterzentrum absolviert und eigentlich sollte er sich jetzt für einen Studienplatz bewerben. Doch so richtig bekommt er das nicht auf die Reihe, denn die Bewerbungen stauben in seiner Nachttischschublade einfach so vor sich hin. Immerhin wohnt er nicht mehr zu Hause, aber das auch nur, weil seine Eltern ihm monatlich Geld zukommen lassen, von dem er die Miete seiner bescheidenen Bleibe bestreiten kann. Ansonsten arbeitet er in einem Asiashop – Integration mal umgekehrt. In seiner Freizeit ist er in Kim verknallt, doch die hat sich gerade von Andi getrennt und ist dementsprechend spröde. Sie widersetzt sich Bastis tolpatschigen Annäherungsversuchen ein ums andere Mal, obwohl Basti praktisch seine ganzen Ersparnisse auf den Kopf haut, um sie wiederholt ins Kino ausführen zu können. Und zu allem Überfluss lebt er auch noch in Hannover. Hannover! Was soll da schon Spannendes passieren?
So einiges, wie Basti bald feststellen soll. Nachdem nämlich eines Nachts eine Fledermaus durch sein geöffnetes Schlafzimmerfenster fliegt und ihm Panikattacken beschert, nehmen die Dinge ihren Lauf. Als er einen Notruf absetzt („Hilfe! Fledermaus in meinem Zimmer!“) erscheint nicht das DRK, sondern der MAD. Einige Tage später ist plötzlich seine Wohnung blitzblank und ein russischer Hausgeist nistet sich unter der Spüle ein. Die GEZ in Form dreier Kampfzwerge verhört ihn wegen seinem Kontakt zu Kim (und natürlich wegen seiner unangemeldeten Rundfunkgeräte). Und ja, es gibt Vampire, Uno spielende Zombies und am Schluss ein Happy End.
Als dann aber Kim plötzlich verschwindet und klar wird, dass sie wegen Kontakts mit einem Hominiden vor Gericht gestellt wird, macht sich Basti auf, um seine Kim heldenhaft zurück zu gewinnen.
_Das klingt alles_ nach ziemlich viel Buch, gerade für einen Debutroman. Tatsächlich hat man auf den 500 Seiten jedoch kaum Gelegenheit, sich zu langweilen. Das liegt zum Einen am Ich-Erzähler Basti und den Gedanken und Beobachtungen, die Dierssen ihm in den Mund legt. Das liest sich alles flüssig, unglaublich kurzweilig und stellenweise flapsig. Kurzum: Dierssens Stil macht einfach Spaß, vor allem, weil er trotz des betont umgangssprachlichen Erzähltons präzise Beobachtungen und überraschende Details in seine Handlung einfließen lässt.
Und zum Anderen liegt es ganz einfach daran, dass Dierssen sich bei allerlei Mythen bedient und diese augenzwinkernd neuinterpretiert. Denn Basti lebt zunächst in unserer „ganz normalen“ Welt, bis Vampire, Zwerge und Dämonenkatzen in diese wohlbekannte Realität einbrechen. Er wehrt sich lange gegen die Erkenntnis, dass es solcherlei Dinge tatsächlich geben könnte und daraus erwächst die Komik des Romans. Klar, thematisch liegt das irgendwo zwischen [„American Gods“ 1396 und „Neverwhere“ (Dierssen lässt einen Charakter sogar „Willkommen in der Unterwelt“ sagen). Der Roman ist allerdings stark auf deutsche Befindlichkeiten zugeschnitten. Das geht bei der GEZ los und hört bei der Bielefeld-Verschwörung auf.
Für einen Erstlingsroman liest sich „Fledermausland“ erstaunlich flüssig. Sicher, ein paar Szenen hätten gekürzt (oder gelöscht) werden können – so führt beispielsweise der obligatorische Elternbesuch in Bastis Wohnung nirgendwohin. Doch lässt sich nicht leugnen, dass Dierssen ein begabter Erzähler ist, dem es gelingt, humorige Fantastik für den deutschen Sprachraum mit originellen oder gar kauzigen Charakteren auf die Beine zu stellen. Einzig Kim bleibt etwas blass und erscheint mehr und mehr wie ein ferner Schwarm und nicht wie die unsterblich Geliebte, für die Basti mehr schlecht als recht Kopf und Kragen riskiert (er ist eben kein geborener Held).
_Bleibt zu hoffen_, dass Dierssen auch in Zukunft mit so guten Romanideen gesegnet ist!
|Taschenbuch: 448 Seiten
ISBN-13: 978-3453266636|