Dorothy Dunnett – Spiel der Skorpione (Das Haus Niccolò 3)

Das Haus Niccolò 1: „Niccolòs Aufstieg“
Das Haus Niccolò 2: „Frühling des Widders“

Nicholas‘ triumphale Rückkehr aus der Levante hat einen kräftigen Dämpfer erhalten, kaum dass er venezianischen Boden betreten hat: Seine Frau Marian de Charetty ist tot. Und entgegen der Vermutung seiner Umwelt hat ihn dieser Verlust tief getroffen. In einem Zustand der Ziellosigkeit und Niedergeschlagenheit trifft er auf Charlotte von Zypern, die unbedingt seine Söldnertruppe unter Vertrag nehmen will. Bereits in Venedig hat er ihren Gesandten zurückgewiesen, ebenso wie den ihres Bruders und Gegners Jakob. Doch Charlotte lässt nicht locker und schickt ihm eine ihrer Hofdamen auf den Hals, die Kurtisane Primaflora. Nicholas „flieht“ zu Astorre in den Krieg um Neapel – nur um sich nach der Entscheidungsschlacht in einer völlig fremden Umgebung wiederzufinden …

_Die geopolitische Lage_

Der Leser kann von Glück sagen, dass das [Kaiserreich Trapezunt]http://de.wikipedia.org/wiki/Kaiserreich__Trapezunt und die damit verbundenen Verwicklungen durch die Eroberung der Osmanen größtenteils ein Ende gefunden haben, sonst wäre die Fortsetzung des Zyklus womöglich aus allen Nähten geplatzt.

1461

Machtwechsel in England: Eduard IV. besteigt nach einer siegreichen Schlacht gegen die Truppen des im Grunde längst entmachteten Heinrich VI. den englischen Thron. Die Gemahlin des inhaftierten Heinrich, Königin Margaret, geht mit ihrem Sohn Eduard ins Exil nach Schottland, aber geschlagen gibt sie sich nicht. Die [Rosenkriege]http://de.wikipedia.org/wiki/Rosenkriege sind noch lange nicht vorbei.

Machtwechseln auch in Frankreich: [Ludwig XI.]http://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig__XI.__%28Frankreich%29 ist seinem Vater Karl VII. auf den französischen Thron gefolgt und macht sich unmittelbar daran, die Machtbefugnisse der Großen des französischen Adels zu beschneiden.

Das betrifft auch das Herzogtum von Burgund, in das Ludwig sich nach dem Zerwürfnis mit seinem Vater zurückgezogen hatte. Doch [Philipp der Gute]http://de.wikipedia.org/wiki/Philipp__III.__%28Burgund%29 ist nicht mehr der Jüngste und auch nicht mehr der Gesündeste.

[Venedig]http://de.wikipedia.org/wiki/Republik__Venedig kämpft derweil verbissen darum, seinen Einfluss in der Levante gegen das Osmanische Reich zu behaupten. Aus Konstantinopel werden die Venezianer vertrieben. Umso wichtiger ist es ihnen, den Kampf um Zypern zu gewinnen. Denn dort wächst einer der begehrtesten Rohstoffe der damaligen Welt: Zuckerrohr!

Die rechtmäßige Königin [Zyperns]http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte__Zyperns ist Charlotte Lusignan. Allerdings hat sie – trotz Unterstützung durch die Johanniter und die Genuesen – zu diesem Zeitpunkt bereits den größten Teil der Insel verloren. Behauptet haben sich lediglich die Stadt Kyrenia und Famagusta, der Hauptstützpunkt der Genuesen.

Bestritten wird Charlottes Anspruch auf den Thron von ihrem Halbbruder Jakob, genannt Zacco. Der Liebling seines Vaters hat nicht nur europäische Söldner zur Unterstützung auf die Insel geholt, sondern auch ein Kontingent [Mamelucken]http://de.wikipedia.org/wiki/Mamelucken aus Ägypten, dem Zypern tributpflichtig ist.

Der ägyptische Sultan Khushkadam wiederum kämpft nicht nur mit massiven wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Die Herrschaft der Mameluken-Sultane ist eine höchst instabile, die Hälfte von ihnen wird nach kurzer Zeit wieder abgesetzt. Das Bündnis mit den [Osmanen]http://de.wikipedia.org/wiki/Osmanisches__Reich ist in die Brüche gegangen, jetzt fühlt sich Ägypten – gar nicht zu Unrecht – in seiner Unabhängigkeit bedroht. Und dann sind da noch die Turkmenen, allen voran Uzun Hassan.

_Entwicklung der Charaktere_

Nicholas will mit all diesem Gezänk zunächst nichts zu tun haben. In seinem momentanen Zustand interessiert ihn eigentlich rein gar nichts. Also ergreifen die Venezianer die Initiative. Nicholas muss erkennen, dass ihm keine Wahl bleibt. Und wenn er schon gezwungen ist, bei diesem Spiel mitzumachen, dann richtig. Nachdem er erst einmal aufgerüttelt ist, arbeitet sein Verstand auf Hochtouren. Und tatsächlich hat er all seinen Verstand nötig!

Der aufmüpfige und deshalb von Khushkadam nach Zypern strafversetzte Emir Tzani Bey al-Ablak, mit dem Nicholas sich gleich von der ersten Begegnung an in eine Fehde stürzt, ist noch die geringste Sorge. Der Bey ist vor allem grausam und eitel; ein guter Kämpfer, der Nicholas als Rivalen empfindet und ihn am liebsten einen Kopf kürzer machen würde, sich aber vorerst mit bösartigen Sticheleien begnügen muss, da ihm durch die Umstände die Hände gebunden sind.

Auch Zacco verlangt Nicholas einiges ab. Der schöne junge Mann besitzt zwar Charisma, ist aber auch verwöhnt, unbeständig und jähzornig. Außerdem hat er ein Auge geworfen auf den jungen Flamen, den er Nikko nennt, und Nicholas hat Mühe, ihn sich vom Leib zu halten, ohne sein Leben zu riskieren.

Noch gefährlicher ist Zaccos Mutter. Die „Nasenlose“, wie sie genannt wird, kennt keinerlei Skrupel, wenn es darum geht, den Interessen ihres Sohnes zu dienen, ganz gleich, ob es sich dabei um Macht oder um Liebschaften handelt. Dabei ist sie für eine Intrigantin manchmal geradezu überraschend offen, wobei ihre Offenheit hauptsächlich darin besteht, sich in verächtlicher und verletzender Weise über die Anwesenden zu äußern.

Trotzdem wird sie noch übertroffen von der jungen Primaflora. Denn im Gegensatz zur „Nasenlosen“ kann man bei ihr niemals sicher sein, auf wessen Seite sie steht. Dass Nicholas sich der Anziehungskraft schöner Frauen nicht erwehren kann, macht die Sache zusätzlich brisant. Immerhin scheint sie Nicholas wirklich zu mögen. Das hindert sie aber nicht daran, jederzeit ihre eigenen Ziele zu verfolgen.

Endgültig kompliziert wird es, als Nicholas auf Rhodos Katelina van Borselen trifft, die Ehefrau seines Erzfeindes Simon de St. Pol. Denn Katelina, die seit der Zurückweisung durch Claes geradezu von Hass und Rache besessen ist, wird durch ihre Bemühungen, Nicholas zu schaden, sofort zum Spielball sämtlicher beteiligter Parteien, und Nicholas, der der jungen Frau nie etwas Böses wollte, ist ständig damit beschäftigt, sie vor dem Schlimmsten zu bewahren.

_Gesamteindrücke & epischer Kontext_

Die Entwicklung der Personen war diesmal nicht so deutlich ausgeprägt wie im Vorgängerband. Allein Katelina und ihr Neffe Diniz zeigen eine Veränderung in ihrem Denken, was man allerdings nicht als charakterliche Entwicklung bezeichnen kann. Unabhängig davon war die Ausarbeitung der einzelnen Figuren auch diesmal wieder ausgesprochen lebensecht und eigenständig, angefangen bei Zacco über Charlotte und Tzani Bey bis hin zu den Nebenfiguren wie dem arabischen Arzt Abul Ismail.

Mit der Insel Zypern hat die Autorin erneut einen Schauplatz für ihre Geschichte gewählt, der ein ausgefallenes Ambiente bietet. Unter der Ägide des römisch-katholischen Herrschers und der Präsenz der muslimischen Mameluken atmet immer noch die Erinnerung an hellenisch-heidnische Götter, allen voran Aphrodite, die an der Küste Zyperns dem Meeresschaum entstiegen sein soll, aus dem sie geboren wurde; ein unterschwelliger Hauch von Erotik, gemischt mit den Impressionen einer fruchtbaren Natur. Auf ganz andere, natürlichere Weise ist Zypern genauso üppig wie das überladene, bombastische Trapezunt.

Das Geschehen selbst hat allerdings nicht viel Ähnlichkeit mit dem im trägen, schläfrigen Kaiserreich. Hier ist es nicht nur ein einzelner Störenfried wie Pagano Doria, der immer wieder Unruhe stiftet. Stattdessen sind alle Parteien ständig mit List und Tücke oder auch offener Drohung und roher Gewalt beschäftigt. Der Handlungsverlauf ist deshalb weit weniger geradlinig geraten als in „Frühling des Widders“, wo Nicholas zunächst einen Tiefschlag nach dem anderen einsteckt, ehe er den Spieß umdreht. In „Spiel der Skorpione“ wechseln Vorteil und Rückschlag ständig ab, und am Ende geht Nicholas weit weniger eindeutig als Sieger hervor als beim letzten Spiel. Tatsächlich hat der Verlauf der Ereignisse etwas vom Kampf zwischen zwei Skorpionen, die ständig hin- und hertänzeln und gelegentlich blitzschnell mit dem Giftstachel zuschlagen. Nicholas‘ Erlebnisse in Zypern sind deutlich unruhiger ausgefallen als die in Trapezunt.

Sogar die Anlaufzeit ist kürzer geraten als im Vorgängerband. Nach einem kurzen Abstecher, den die Autorin eingeschoben hat, um den Bezug zur großen Weltgeschichte und zur Ursprungshandlung um Brügge und das Haus Charetty nicht zu verlieren, kommt sie ziemlich schnell zur Sache und bringt Nicholas gleich in eine so vertrackte Situation, dass der Druck nicht nur ausreicht, ihren Helden aus seiner Lethargie zu wecken, sondern auch, den Leser in den Bann zu ziehen.

Außerdem muss an dieser Stelle einmal die ausgezeichnete Recherche der Autorin im Hinblick auf ihren historischen Hintergrund lobend erwähnt werden. Gerade bei Gebieten wie Trapezunt und Zypern, deren Historie eher Randereignisse der großen Weltgeschichte darstellen, ist es gar nicht so einfach, die genauen Beziehungen, Abhängigkeiten und Verflechtungen herauszufinden, aufgrund derer das Geschehen den Verlauf genommen hat, der historisch überliefert ist. Denn auch wenn nicht alles, was auf der Welt geschah, unbedingt immer von der Tragweite bedeutender Umwälzungen gewesen sein muss, heißt das nicht unbedingt, dass derlei in diesen Fällen auf einem weniger komplexen Zusammenspiel von Ursache und Wirkung beruht hätte.

_So ist es der Autorin gelungen_, eine Fortsetzung zu schreiben, die zwar auf dieselbe faszinierende und fesselnde Weise hintergründig und verwickelt ist wie ihre Vorgänger, sich aber trotzdem von Ablauf und innerer Stimmung her so stark von ihnen unterscheidet, dass es genauso gut eine ganz andere, eigenständige Geschichte sein könnte, und das, ohne aus dem Gesamtkontext des Zyklus herauszufallen. Dorothy Dunnett war eine echte Könnerin, und |Das Haus Niccolò| ist für jeden Freund von historischen Romanen ein wahrer Leckerbissen.

_Dorothy Dunnett_ stammte aus Schottland und studierte in Edinburgh und Glasgow. Ihr erster Roman „Das Königsspiel“, Teil I der |Lymond Chronicles|, erschien interessanterweise zuerst in den USA, da das Manuskript von britischen Verlagen abgelehnt wurde. Letztlich wuchs der Zyklus auf sechs Bände an. Zu ihren Werken zählen neben den |Lymond Chronicles| und |Das Haus Niccolò| vor allem „The King Hereafter“, ein Roman über den historischen Macbeth, sowie eine Reihe von Kriminalromanen. Dorothy Dunnet starb 2001 78-jährig in Dunfermline.

http://www.dorothydunnett.de
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Originaltitel: The house of Niccolò, Race of Scorpions
Aus dem Englischen von Britta Mümmler und
Mechtild Sandberg-Ciletti
816 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 2 Karten, 3 Abbildungen, Personenverzeichnis, Schutzumschlag innen bedruckt mit unveröffentlichten Briefen über Niccolò