Edward Berry – Das geheime Tor (Die schönste Geschichte aller Zeiten 2)

Degenfechter-Abenteuer mit den Musketieren

Mit Unterstützung ihrer Tante Bea, die zu einer geheimen Gilde von Buchhändlern gehört, des Literaturkritikers Leo Gutenberg und des klugen, aber ziemlich chaotischen Tintengeists Nero, bestehen Alba und Diego ein neues Abenteuer in der Welt der Bücher.

Diesmal führt sie der Weg nach Paris, zur Buchhandlung Shakespeare and Company und zu den unzertrennlichen Musketieren, den Helden von Alexandre Dumas. Der Medienmogul Mr. Zargo gibt nicht auf: Er hat sein zerstörerisches Werk gegen die Literatur fortgesetzt und in den Klassiker „Die drei Musketiere“ einen Zwerg hineinschmuggeln lassen, der nun dort sein Unwesen treibt.

Beatriz Castells, Buchhändlerin in Barcelona und Tante der beiden Leseratten Alba und Diego, bietet ihrer Kollegin Sylvia Paganel von Shakespeare & Co. an, die Kinder zu ihr zu schicken: Sie sollen auch dieser Hüterin der unsterblichen Geschichten helfen, einen der berühmtesten Romane der Weltliteratur zu retten. Bea und Sylvia schmieden mit den Kindern den Plan, im Roman als Wächter Kardinal Richelieus zu fungieren. Wird es Alba & Diego nach gefährlichen Intrigen und Fechtkämpfen gelingen, die Musketiere aus der Bastille zu befreien und den Zwerg durch das geheime Finis-Tor zu schleusen?… (gekürzte Verlagsinfo)

Der Autor

Hinter dem Pseudonym „Edward Berry“ verbirgt sich das Schriftstellerduo Pierdomenico Baccalario und Eduardo Jàuregui, ersterer der italienische Autor der bekannten Jugendbuchreihe „Ulysses Moore“. Auch in dieser Reihe spielen Türen, die das Reisen in vergangene Zeiten und an andere Orte ermöglichen eine entscheidende Rolle.

Eduardo Jàuregui ist in England geboren, aber in Spanien aufgewachsen, wo er auch heute noch lebt und als Dozent an der Universität von Madrid arbeitet. Bekannt ist der auf Humor und Positive Psychologie spezialisierte Wissenschaftler inzwischen für seinen einfühlsamen Roman „Gespräch mit meiner Katze“. Das lässt vermuten, dass er besonders zum feinen, hintergründigen Humor der Geschichte beiträgt. (Quelle: Corinna Hein auf Buchwurm.org)

Die Reihe “ Die schönste Geschichte aller Zeiten “

1) Das verschwundene Buch („Peter Pan“)
2) Das geheime Tor („Die drei Musketiere“)
3) Der verrückte Ritter („Don Quijote“)

Vorgeschichte

Die Geschwister Diego und Alba lassen ihre Phantasie freien Lauf, wenn sie nach der Schule ihre schöne Heimatstadt Barcelona durchstreifen. Tante Beatriz, die Buchhändlerin ihres Vertrauens, hat ihnen je ein Exemplar von „Die schönste Geschichte aller Zeiten“ versprochen.

Ihre Bestürzung ist groß, als sie den Buchladen erreichen, der von zahlreichen Leseratten belagert wird. Tante Bea ist dabei, die Exemplare des angekündigten Buches von – wie hieß sie noch gleich? – zu entfernen. Als sie ihre Nichte und ihren Neffen eingelassen hat, zeigt sie ihnen, was damit nicht stimmt: Bis auf die Seitenzahlen und and andere unwichtige Details fehlt der Text! Doch das ist nur die Hälfte der Katastrophe. Man sehe sich nur den Kinderbuchklassiker „Peter Pan“ an: Captain Hook bedroht den fliegenden Helden der Kinderzimmer mit einer neumodischen Laserpistole und – festhalten, Kinder! – befördert diesen sogar ins Jenseits!

Solche Fehler finden sich in so vielen weiteren Kinderbuchklassikern, dass es das Trio schaudert. Auch ihr Literaturlehrer fällt vor Schreck in Ohnmacht. Die Regierung lässt Buchhandlungen im ganzen Land absperren: Die Buchinhalte sind viel zu gefährlich. Stattdessen soll an der Schule eine Software für Gehirntraining eingeführt, die die Firma eines gewissen Mr. Zargo vertreibt. Diego, der Maler, hat Probleme mit öden Zahlen und ist niedergeschmettert, als seine Punktzahl im Gehirntraining unter den Durchschnitt fällt, wohingegen Alba, die Sprachkünstlerin, brilliert. Wenn er wüsste, dass Mr. Zargo hinter den manipulierten Büchern steht, wäre Diego nicht so trübselig.

Doch Tante Beatrix hat einen kühnen Plan, für den sie das Geschwisterpaar gewinnen kann. Sie verfügt über Zauberkräfte, die ihr der altägyptische Schreiber-Gott Thot verliehen hat, und damit will sie Diego und Alba in das jeweilige Kinderbuch versetzen, damit sie alles wieder ins gewohnte Lot bringen…

Trotz anfänglicher Zweifel erklären sich Alba und Diego aus Liebe zu den Kinderbüchern und aus Vertrauen zu Tante Bea bereit, sich in die Buch-Welt versetzen zu lassen. Eine kleine Beigabe werde ihnen ermöglichen, wieder in die hiesige Welt zurückzukehren. Doch wie diese „kleine Beigabe“ einzusetzen ist, werden sie erst herausfinden, als es schon fast zu spät ist…

Handlung

Zur Freude Beas und der Kinder ist die Laserpistole aus „Peter Pan“ verschwunden, doch das Buch „Die schönste Geschichte der Welt“ ist immer noch weitgehend leer. Sie müssen etwas unternehmen und ein weiteres manipuliertes Kinderbuch „retten“. Tante Bea ruft in Paris bei ihrer Kollegin Sylvia an. Die führt die renommierte Buchhandlung Shakespeare and Company. Hier wacht sie über das Originalmanuskript des Klassikers „Die drei Musketiere“ von Alexandre Dumas. Doch auch diese Geschichte wurde manipuliert: Die Musketiere können nicht zusammenkommen, und die Königin, Anna von Österreich, schützen, weil ein Zwerg namens Gumpo gegen sie intrigiert.

Am Nordpol

Wieder einmal hat Gustav Wart, das fiese Faktotum von Mr. Zargo, der die Weltherrschaft will, zugeschlagen. Zwar macht die Korrektur von „Peter Pan“ seinen Dienstherrn wütend, doch Gustav verspricht, alles wieder einzurenken und den Wächtern der Bücher einen Rückschlag zu versetzen. Doch wegen seiner kulturellen Rückständigkeit gelingt ihm beim Abhören des Telefongesprächs zwischen Beatriz und Sylvia nur, ein paar aus dem Zusammenhang gerissene Wörter aufzuschnappen: „Spitzbergen… Svalbard…Polarkreis…Reise…“ und dergleichen. Er beschließt, nach Spitzbergen zu reisen und den Wächtern dort eins auszuwischen.

Doch Spitzbergen liegt nicht weit vom Nordpol entfernt und wird erstens von klirrender Kälte und zweitens von hungrigen Eisbären beherrscht. Gustav gelingt zwar, in die Museumsbuchhandlung von Svalbard einzudringen, doch von den Buchwächtern ist nichts zu sehen. Als er sich dem Ausgang zuwendet, versperrt ihm ein großer weißer Eisbär den Weg hinaus…

Paris 1625

Wieder einmal gelingt es Tante Bea mit Thots Hilfe, die beiden Geschwister in ein Buch zu hexen, diesmal in „Die drei Musketiere“. Sie haben sich vorgenommen, es diesmal schlauer anzustellen und sich gleich den Schurken des Buches zu nähern. Dies wäre natürlich Kardinal Richelieu und seiner Garde, die von Lt. Rochefort angeführt wird. Sie geben sich als Degas (Diego) und Albeaux (Alba) aus, was den schönen Effekt hat, dass sich das Mädchen Alba als junger Mann verkleiden muss. Sonst würde sie ja nicht in die Garde aufgenommen werden. Die Mission ist klar: den Zwerg Gumpo, der nicht hierhergehört, in ein FINIS-Tor zu locken…

Sofort treten Schwierigkeiten auf. Wo sind beispielsweise die drei bzw. Musketiere, deren Beistand sie bei ihrer Mission gut gebrauchen können? Die schockierende Wahrheit ist: Sie wurden in die Bastille, das berüchtigte Stadtgefängnis, geworfen und schmachten im Kerker! Noch schlimmer: Der Kardinal hat die im Buch beschriebene Intrige in Gang gesetzt, die zum Ziel hat, die Königin bloßzustellen und so den König zu schwächen.

Die tödliche Intrige

Der Plan des Kardinals ist in der Buchvorlage skizziert: Die verschlagene Gräfin de Winter hat mit einem englischen Spion, dem Herzog von Buckingham angebandelt und zwölf Edelsteine aus dem Schmuck der Königin an sich gebracht. Fehlt auch nur eine dieser Diamanten beim nächsten Ball des Königs im Schmuck der Königin, ist König Ludwig XIII., der ihr den Schmuck schenkte, beleidigt und muss Maßnahmen gegen sie ergreifen. Maßnahmen, die ihr Leben in Gefahr bringen könnten. Das würde Frankreich gegenüber seinem Erzfeind England schwächen und die Position des Kardinals stärken. (Schließlich tobt in Europa gerade der Dreißigjährige Krieg.)

Der Zwerg des Teufels

Als wäre dies nicht genug für zwei Kinder, ist da noch Gumpo, der seltsame Zwerg, der ihnen das Leben schwer macht und verhindert, dass die Musketiere ihnen helfen. Der hinterlistige Kerl ist ein kühner Degenfechter und besiegt Hauptmann Rochefort, der sich auf sein Landschloss zurückziehen muss. Da er nun der neue Favorit des Kardinals ist, kann sich der Zwerg an den köstlichen Speisen des Prälatenhofes gütlich tun: Er ist so verfressen, dass er jeder Neuheit seine größte Aufmerksamkeit schenkt. Das bringt die Geschwister auf eine gewagte Idee: Sie wollen ihn mit heißer Schokolade zum FINIS-Tor locken, das sie im Keller gezeichnet haben. Ein Schritt hinein bedeutet für Gumpo „Game over“!

Als der Weg immer tiefer hinab in den Keller führt und keine neue Schokolade in Sicht kommt, wird Gumpo zunehmend misstrauisch. Der geniale Plan scheitert, und sie sind die Gelackmeierten. Da kommt Hilfe von unerwarteter Seite. Aber haben sie noch genug Zeit, um den Kopf der Königin vor dem Schwert des Henkers zu bewahren?

Mein Eindruck

Zwar gelingt es den beiden, wieder die Freiheit zu erlangen und in einer sehr spannenden Szene sogar die Musketiere zu befreien, doch wie sollen sie es zu sechst mit der Garde des Kardinals und diesem degenschwingenden Zwerg aufnehmen? Es gibt nur eine Antwort, die zu schnellen Ergebnissen führt: Sie brauchen kompetente Hilfe. Und die bietet ihnen nur Hauptmann Rochefort, der in Ungnade gefallen ist. In einer sehr lustigen und kitzligen Szene bieten die Geschwister ihr musikalisches Können auf, um die Gunst des Hauptmanns zu gewinnen.

Furioses Finale

Zusammen müssen Rochefort, die Kinder und die Musketiere rechtzeitig nach Paris ins Rathaus gelangen, um die Bloßstellung der Königin durch den Kardinal und die Gräfin de Winter zu vereiteln. Es kommt zu einem überaus turbulenten, aber dennoch folgerichtig inszenierten Finale, in dem nicht nur die Fechtkünste gefragt sind, sondern auch Köpfchen und Mut. In dieser Hinsicht ergänzen sich Alba alias Albeaux und ihr „Kumpan“ Degas bestens. Besser konnte ich mir den Höhepunkt der Geschichte nicht vorstellen – ein himmelweiter Unterschied zu dem nur halb geglückten Auftaktband.

Kontraste

Außerdem brauchen junge Leser keinerlei Vorkenntnisse über das Buch mitzubringen – ebenfalls ein bedeutender Unterschied zur Peter-Pan-Handlung. Alle Details und Figuren werden genau erklärt, so dass alles einen nachvollziehbaren Sinn ergibt. Als Kontrastprogramm dient Gustavs Eisbären-Abenteuer auf Spitzbergen. Natürlich wissen Kenner der Kinderbuchklassiker, dass dort in Svalbard Philip Pullmans fabelhafte Geschichte „Der goldene Kompass“ spielt. Aber sprechenden Bären in Panzerrüstung begegnet Gustav dennoch nicht. Er sehnt sich nach seinem virtuellen Kater Kafka…

Die Übersetzung

Das Buch bietet neben einem dreidimensionalen Titelmotiv (siehe Abbildung) auch etliche Zeichnungen. Das Finale wird mit einer Doppelseite gewürdigt. Auf der Innenseite des vorderen Einbands werden auf der Doppelseite die zentralen Figuren mit Namen, Bild und Eigenschaften vorgestellt.

Auf der Innenseite des HINTEREN Einbands ist ein Bücherregal abgebildet, doch auf einem Lesepodest liegt der Klassiker, um des in diesem Auftaktband geht: „Die drei Musketiere – Paris 1625“. In einer Buchlücke ist der Tintengeist NERO zu sehen.

Der an Kunstleder erinnernde Einband schmeichelt dem Tastsinn, denn die Buchstaben und Figuren sind erhaben eingeprägt. Ein weiterer Bonus: Wer die Seiten schnell durchblättert, kann unten rechts das Daumenkino bewundern, das zeigt, wie der kleine Tintengeist NERO wächst und schrumpft.

Fehlerliste

S. 68: „Zu dem Geschenk, das[s] sie ihm aus Liebe überreicht hatte…“: Weil das Relativpronomen „das“ gemeint ist, reicht ein S völlig aus.

S. 80: „Sylvia klatsch[t]e in die Hände.“ Das T fehlt.

S. 127:>> „So gefällt [mir] das schon besser“, sagte Gumpo.<< Hier fehlt m.E. ein ganzes Wort.

S. 239: „Ihr müsst[e] erst gesund werden…“ Das E ist überflüssig.

Unterm Strich

Kinderbücher bzw. deren Gelesenwerden sind in Gefahr. Daher kümmern sich Buchwächterinnen und ein deutscher Literaturkritiker darum, dass sich dieser bedauerliche Zustand ändert. Leseratten werden ebenso angesprochen wie Leser, die eine spannende, aber fantasievolle Geschichte lieben.

Auch im zweiten Band dieser Reihe um „Die schönste Geschichte aller Zeiten“ gibt es wieder etwas zu lernen, nämlich über das alte Paris des 17. Jahrhunderts. Aber auch über Gefahren, Abenteuer und den schwierigen Weg hin zu einem guten Ausgang dieser Abenteuer. Der Wert von Freundschaft und Teamwork wird als optimaler Weg demonstriert, um den Intrigen des Bösen entgegenzuwirken. Das Buch kombiniert als eine Zeitreise mit einer inneren Entwicklung der Helden. Am Schluss sind Alba und Diego ein wenig erwachsener als zu Beginn.

Die Botschaft

Über Nutzer von Z-Phones macht sich der „Autor“ lustig, ebenso über Gehirntraining-Software, die nur Zahlen und Geometrie abfragt. Es sind in einem übertragenen Sinn diese phantasielosen Menschen, die daran schuld sind, dass Buchtexte verschwinden oder entstellt werden. Das ist der kritische Ansatz des Buches.

Doch diese Kritik ist keineswegs neu, denn der Autor Jasper Fforde macht seit Jahrzehnten nichts anderes, als seine Buchdetektivin Thursday Next nach solchen Fehlern fahnden zu lassen, sehr zum Vergnügen der Kenner der entsprechenden Buchklassiker. Wo Fforde seine Sache gut macht, muss „Edward Berry“ (s.o.) noch viel dazulernen.

Die Zielgruppe

Ob das Buch ab neun Jahren schon verstanden wird, ist fraglich (s.o.), denn die Vokabeln sind doch recht schwierig. Ob es aber ab 12 Jahren NOCH gelesen wird, ist ebenso zweifelhaft: So ein Z-Phone ist einfach viel interessanter, nicht wahr? Dem Buch bleibt also nur ein sehr kurzer Lebensabschnitt als Leserschaft. Doch was ihm wirklich fehlt, ist das interaktive Element. Deutsche Verlage haben sich hinsichtlich Interaktivität schon sehr viel einfallen lassen, so etwa bei den ???-Krimis. Sanssouci sollte sich daran ein Beispiel nehmen.

Hardcover: 256 Seiten
Originaltitel: El cuento mas maravilloso jamas escrito – Los cuatro Mosqueteros y Medio, 2015
Aus dem Spanischen von Anja Rüdiger und Ben Thannisch
ISBN-13: 9783990560433

Hanser-Verlage

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