Andreas Eschbach – Der Letzte seiner Art (Lesung)

Ein ganz anderer Terminator

Es gibt eine ganze Reihe von Standardmotiven in der spekulativen Literatur, und eines davon ist der Kyborg. Die Abkürzung ist aus dem 1960 geprägten Begriff „kybernetischer Organismus“ abgeleitet. James Camerons „Terminator“ ist wohl der bekannteste Cyborg, aber vorher gab es schon den „Six Million Dollar Man“ in einer TV-Serie.

Regelmäßig finden die Cyborgs einen gewaltsamen Tod, ganz gleich, ob sie gut sind oder böse. Dass das Ende eines Terminators auch ganz anders aussehen kann, belegt Andreas Eschbach in seinem Roman „Der Letzte seiner Art“, der nun auch im Hörbuch vorliegt.

Der Autor

Andreas Eschbach, Jahrgang 1959, studierte in Stuttgart Luft- und Raumfahrttechnik, bevor er als Software-Entwickler und Berater arbeitete. Schon als Junge schrieb er seine eigenen Perry-Rhodan-Storys, bevor er mit „Die Haarteppichknüpfer“ 1984 seine erste Zeitschriftenveröffentlichung landen konnte.

Danach dauerte es noch elf Jahre bis zur Romanfassung von „Die Haarteppichknüpfer“, danach folgten der Actionthriller „Solarstation“, die Komödie „Kelwitts Stern“ und der Megaseller „Das Jesus-Video“, der mit dem renommierten Kurd-Laßwitz-Preis für den besten deutschsprachigen Science-Fiction-Roman des Jahres 1998 ausgezeichnet wurde. Mit „Eine Billion Dollar“ machte der Autor die FAZ auf sich aufmerksam, für deren Sonntagsausgabe er den Fortsetzungsroman „Exponentialdrift“ schrieb.

Im September 2003 erschien der Roman „Der Letzte seiner Art“ bei Lübbe. Den gibt es seit März 2004 als Hörbuch. Zuletzt veröffentlichte der Arena-Verlag, Würzburg, den Jugendroman „Die seltene Gabe“. Ein weiterer Jugendroman, „Das Marsprojekt“, soll verfilmt werden, und der Ausbau zur Trilogie ist schon in Arbeit.

Der Sprecher

Martin May, 1961 in Coburg geboren, wurde bereits mit 18 Jahren von Rudolf Noelte als Schauspieler entdeckt. Es folgten über hundert weitere Rollen bei Film, Fernsehen und Theater, unter anderem in Wolfgang Petersens Welterfolg „Das Boot“. May lebt mit seiner Familie bei Hamburg.

Handlung

Duane Fitzgerald lebt zurückgezogen in einem Häuschen vor den Toren des irischen Hafenstädtchens Dingle. Hier an der Westküste sprechen die Leute sogar noch Gälisch, die alte Sprache der keltischen Ureinwohner. Er hat sich gut eingerichtet, liest fleißig Bücher, philosophiert mit Seneca, dem antiken Römer. Jede Woche geht er zur Post, um ein Paket mit Nahrungskonzentrat, das aus den USA geschickt wurde, beim Postbeamten Billy Trant abzuholen. Und dann ist da noch Bridget Keane, auf die er ein Auge geworfen hat. Sie führt das Hotel Brennan, das alle Fremden beherbergt, die nach Dingle kommen. In letzter Zeit werden es immer mehr…

Duane ist ein Mann in den besten Jahren, wie man so sagt, und bezieht eine Pension, die wie sein Nahrungskonzentrat auch aus den USA geschickt wird. Doch er kann sie nicht so recht genießen. Da er ist, was er ist, weiß er, dass er nie wieder normales Essen zu sich nehmen und nie mehr eine Frau lieben kann. Doch es gibt einen Ausgleich. Er besitzt Fähigkeiten, um die ihn manche Menschen beneiden würden. Er ist das Ergebnis eines geheimen Projekts der amerikanischen Regierung, eines Projekts, das fehlgeschlagen ist.

Man wollte den Supersoldaten erschaffen, eine Verbindung aus Mensch und Maschine, so etwas wie einen Terminator. Und tatsächlich hatte sich Duane freiwillig vom Marine Corps für das Projekt „Steel Man“ gemeldet, um seinem Idol, dem „Terminator“, nachzueifern. Die USA hatten auch Verwendung für ihn und die kleine Gruppe von Seinesgleichen: im Golfkrieg 1990/91. Sie sollten eine autonom agierende spezielle Einsatztruppe bilden, um Punktziele hinter den feindlichen Linien anzugreifen.

Allerdings wurden die Experimente und Organersetzungen an den „Steel Men“, wie die kybernetischen Organismen, die Cyborgs, genannt wurden, überhastet durchgeführt. Viele Cyborgs starben an den Komplikationen. Der erste Projektleiter Prof. Nathan Stewart trat 1988 zurück, und weniger Befähigte folgten ihm. Das Projekt wurde gestoppt, die Supermänner in den Ruhestand geschickt, ehe sie zum Einsatz kamen. Für ihren Einsatz erhielten sie die Freiheit, dort zu leben, wo sie wollten. Dafür mussten sie versprechen zu schweigen. Duane wählte die Heimat seiner Vorfahren: Irland.

Alles wird anders – und gefährlich

Aber nun hat das Schweigen ein Ende: Ein amerikanischer Bürgerrechtsanwalt, Harold Itsumi aus San Francisco, sucht fieberhaft nach Duane. Als er ihn findet, bietet er ihm an, ihn in einem Schadensersatzprozess gegen die US-Regierung zu vertreten. Es geht um Millionen, wenn nicht sogar mehr. Wenig später besucht Duane im Hotel Brennan Itsumi, um sich dessen angeblich geheime Unterlagen über „Steel Man“ zeigen zu lassen. Ein Schuss fällt, Duane wechselt in den Kampfmodus, jagt seine 150 Kilo die Treppen hoch und in Itsumis Zimmer: zu spät. Der Mörder kann entkommen.

Die Unterlagen sind verschwunden, die Duane mehr über sich hätten verraten können. Und mit ihnen die junge Wirtin, Bridget Keane, über die er erfährt, dass sie Verbindungen zur IRA habe. Die örtliche Polizei befragt Duane als einzigen Zeugen, und die unbekannten Fremden, die mit Handys herumlaufen und ihn beobachten, nehmen an Zahl zu. Da wird sein Arzt, Dr. O’Shea ermordet. Und wenige Tage später fischt man einen toten Amerikaner aus dem Hafenbecken.

Die Lage wird brenzlig für Duane, als seine Nahrungslieferungen ausbleiben. Und selbst ein Cyborg kann es nicht mit den Geheimdiensten der Amerikaner und Iren aufnehmen. Außerdem weiß er nicht alles über sich: Er findet einen Mikrochip, den ihm Dr. O’Shea entfernt hat: Es ist ein Abschaltmechanismus für einen Cyborg. Er ahnt, dass in ihm auch ein Peilempfänger installiert sein könnte, mit dem sie ihn überall auf der Welt aufspüren können.

Nach einem Geheimtreffen mit Bridget Keane muss sich Duane entscheiden: Was ist ihm der Eid noch wert, den er auf die US-Fahne geschworen hat? Und was die Freiheit, wenn er damit doch nur zum Spielball der Geheimdienste wird und alle in tödliche Gefahr bringt, die ihm nahe stehen?

Mein Eindruck

Wie leicht hätte Eschbach aus diesem Plot einen technizistischen Actionthriller machen können! All die Super-Gadgets, die in Duanes Eine-Milliarde-Dollar-Körper eingebaut sind! Doch dieser Techno-Thriller hätte nur wie ein Abklatsch von Camerons „Terminator“-Filmen gewirkt. Und wir wissen ja, wie ein gealterter Terminator aussieht und wirkt – siehe den dritten Teil.

Auch die Parallen zum Plot von „Rambo“ boten sich an und sind auch zum Teil realisiert: Lt. Colonel George Reilly spielt die Rolle des Übervaters der „Steel Men“ genau so, wie Richard McCrenna sie für Stallones „Rambo“ spielte. Doch mit dem Ende des Projekts „Steel Man“ ist auch Reilly überflüssig geworden. Und genauso wie die Cyborgs werden „sie“ wohl auch ihn beseitigen, auf dass es keine weiteren Anwälte à la Harold Itsumi mehr geben kann.

Eine Kampfmaschine also auf dem Abstellgleis: Duane wähnt sich sicher, doch der Schein trügt, als das Gleichgewicht seiner Welt durch einen einzigen Mann zerstört wird. Die Zwielichtwelt der Geheimdienste und Top-Secret-Projekte kann Publicity nicht gebrauchen. Bridget bietet Duane an, ihn zu einem Ärztekongress nach Dublin, bei dem es um Biotechnik geht, zu bringen. Sein Auftritt dort wäre der Todesstoß für alle Mitarbeiter am Projekt „Steel Man“ und sein Nachfolgeprojekt „Dragon Blood“.

Aber wie Duane erkennt, wäre das auch der Tod für alle, die sich in seiner Begleitung befinden. Er ist der „Letzte seiner Art“ – James Fenimoore Coopers Roman „Der letzte Mohikaner“ lässt grüßen – und will der Letzte bleiben, der getötet wird.

Daher liegt über der Story ein Hauch von Melancholie, die sich auch nicht durch das sich steigernde existenzielle Drama verdrängen lässt, in das Duane gerät, als ihm die Nahrung und die Optionen ausgehen. Nicht einmal die Liebe zu Bridget Keane ist mehr eine Option – siehe oben – doch er kann ihr noch ein letztes Geschenk machen. Da hilft Seneca mit seinen tröstlichen Gedanken doch sehr.

Sehr schön fand ich, dass es Eschbach gelingt, den Schauplatz des Geschehens genau und stimmig einzufangen und darzustellen. Ich war selbst 1980 in der Gegend von Dingle, genauer: im größeren Städtchen Tralee, und denke, dass sowohl die Landschaft als auch die Bewohner der Dingle-Halbinsel gut getroffen sind. Ob allerdings in jedem Bewohner ein verkappter IRA-Sympathisant steckt, wage ich eher zu bezweifeln. Ich lasse mich aber gerne eines Besseren belehren.

Unterschiede zum Buch

Ich habe beim Anhören des Audiobooks das Buch auf den Knien gehabt und konnte so die gedruckte mit der gesprochenen Fassung vergleichen. Kürzungen sind vor allem in der zweiten Hälfte festzustellen. Eine erotische Szene über Duanes „erstes Mal“ wurde gestrichen. Ebenso aber auch große Teile der sogenannten Backstory, in denen viele seiner Kameraden auftauchen und geschildert wird, wie Duane ihren Tod erlebt und damit umgeht. Dadurch wird klar, dass das Ende des Lebens nichts Fremdes für ihn ist, sondern ein Bestandteil seiner Existenz als Cyborg.

Diese Einstellung wird durch seine Lektüre Senecas noch untermauert: Alle Seneca-Zitate, die den Kapiteln vorangestellt sind, fehlen jedoch. Nur die wichtigsten, die im Text auftauchen und eine Funktion haben, blieben stehen. Dadurch konzentriert sich der Text mehr auf die tatsächliche Handlung, die „Action“, doch die Figur des Cyborg wird dadurch nicht unbedingt verständlicher. Er ist nun eine Figur wie Rambo oder der Terminator, doch im Buch ist er eine runde Persönlichkeit, deren finale Entscheidung verständlich und akzeptabel wird. Der Zuhörer muss entscheiden, was er vorzieht.

Der Sprecher & die Inszenierung

Martin May ist offensichtlicher Routinier in Sachen Sprechen und Vortrag. Seine Lesung, die nicht mit Musik oder Sound unterlegt ist (außer am Schluss), überzeugt durch eine deutliche Aussprache, hervorhebende Pausen und eine sympathische Satzmelodie. Es gibt Sprecher, die ihren Text einfach herunternudeln, ohne auf Betonung und Pausen zu achten. May gehört zum Glück nicht dazu.

Allerdings hat sich May nicht über die Aussprache irischer Namen informiert. Daher wundert sich der Kenner doch ein wenig über die englisch geprägte Aussprache von irischen Namen wie O’Shea und Seamus. Statt [scheijm(a)s] hören wir nun [si:m(a)s], und statt [o’shej] sagt May [o’shi(a)]. Das (a) ist ein abgeschwächtes A, ähnlich wie in (Britney) Spears.

Unterm Strich

So könnte man sich das Ende eines echten Terminators vorstellen. Irgendwo in Irland, in einem sonst verschlafenen Nest, endet seine Idylle als Pensionär jäh und verwandelt sich in eine Treibjagd, die zu einer Mordserie führt. Nicht nur der Cyborg selbst fasziniert durch seine eingebauten Superfähigkeiten, sondern auch seine Aktionen, wenn er versucht, die Mordserie aufzuklären. Dabei gerät er aber vom Regen in die Traufe, und er sieht seine ultimative Abschaltung kommen. Doch es gibt immer eine letzte Möglichkeit, auch für einen Terminator: Seine Geschichte an die Welt weiterzugeben und diese Welt vor sich zu schützen.

Das Hörbuch kürzt die Hintergrundstory ebenso gnadenlos zusammen, wie alle erotischen Szenen gestrichen wurden. Der Verlust an Persönlichkeitsbeschreibung kommt dem Schwung zugute, mit dem die Handlung voranschreitet. Wer also mehr Tiefgang möchte, sollte unbedingt zum Buch greifen, das es hoffentlich in einem Jahr auch als Taschenbuch geben wird (leider definitiv nicht vor dem Mai 2005).

Umfang: 345 Minuten auf 5 CDs
ISBN-13: 9783785713952
https://www.luebbe-audio.de

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