Jasper Fforde – Der Fall Jane Eyre (Lesung)

Der weibliche James Bond der Literatur

Super-LiteraturAgentin Thursday Next jagt den Erzschurken Acheron Hades, der droht, viel geliebte Gestalten der Weltliteratur aus dem Gedächtnis der Menschheit zu tilgen. Er visiert Charlotte Brontës berühmtesten Roman an. Nur Thursday kann Jane Eyre retten – und verändert deren Leben entscheidend … Eine rasante, witzige, intelligente Mischung aus Science-Fiction, Krimi, Abenteuer. Ein Spiel mit der Literatur, ein fabelhaftes Hirngespinst. (Verlagsinfo)

Der Autor

Jasper Fforde, Jahrgang 1961, hatte schon 1981 den Fall Jane Eyre im Kopf, das Manuskript wurde 76 Mal abgelehnt, erschien 2001 endlich in Großbritannien – seitdem ist Fforde nicht nur dort zum Kultautor avanciert. (Verlagsinfo)

Thursday-Next-Reihe

The Eyre Affair. 2001. (deutsch: Der Fall Jane Eyre. dtv, München 2004, ISBN 3-423-24379-1)
Lost in a Good Book. 2002. (deutsch: In einem anderen Buch. dtv, München 2004, ISBN 3-423-24430-5)
The Well of Lost Plots. 2003. (deutsch: Im Brunnen der Manuskripte. dtv, München 2005, ISBN 3-423-24464-X)
Something Rotten. 2004. (deutsch: Es ist was faul. dtv, München 2006, ISBN 3-423-24568-9)
First Among Sequels. 2007. (deutsch: Irgendwo ganz anders. dtv, München 2009, ISBN 978-3-423-24758-0)
One of Our Thursdays is Missing. 2011. (deutsch: Wo ist Thursday Next? dtv, München 2012, ISBN 978-3-423-24915-7)
The Woman Who Died a Lot. Hodder & Stoughton, 2012, ISBN 978-0-340-96311-1.[1]
Nursery-Crimes-Reihe

The Big Over Easy. 2005.
The Fourth Bear. 2006.

Eddie-Russett-Reihe

Shades of Grey – The Road to High Saffron 2009. (deutsch: Grau. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main. 2011, ISBN 978-3-8218-6140-1)

Dragonslayer-Reihe

The Last Dragonslayer. Hodder & Stoughton, 2010, ISBN 978-1-4447-0717-5. (deutsch: Die letzte Drachentöterin Bastei Lübbe Verlag, 2015, ISBN 978-3-8466-0005-4)
The Song of the Quarkbeast. Hodder & Stoughton, 2011, ISBN 978-1-4447-0725-0. (deutsch: Das Lied des Quarktiers Bastei Lübbe Verlag, 2016, ISBN 978-3-8466-0023-8)
The Eye of Zoltar. Harcourt Brace and Company, 2014, ISBN 978-0-547-73849-9. (deutsch: Das Auge des Zoltars Bastei Lübbe Verlag, 2017, ISBN 978-3-8466-0045-0)
The Great Troll War. Hodder & Stoughton, 2021, ISBN 978-1-4447-9993-4.
Sonstige

Early Riser Hodder & Stoughton, 2018, ISBN 978-1-4447-6359-1. (deutsch: Eiswelt Heyne, 2018, ISBN 978-3-453-31969-1)
The Constant Rabbit Hodder & Stoughton, 2020, ISBN 978-1-4447-6362-1. (Quelle: Wikipedia.de)

Die Sprecherin

Andrea Sawatzki, Jahrgang 1963, reizen extreme Figuren, ihr Spiel kann in Sekundenschnelle von zarter Verlorenheit zu handfester Vitalität überspringen (FAZ). Für ihre Darstellung der „Tatort“-Kommissarin Charlotte Sänger wurde sie u. a. mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet. (Verlagsinfo) Sie spielte u. a. in Oliver Hirschbiegels „Das Experiment“ neben Moritz Bleibtreu sehr eindrucksvoll die Rolle einer Verhaltensforscherin, die vergewaltigt wird. Diese Szene wird in TV-Ausstrahlungen stets unterdrückt. Der ganze Film geht an die Nieren, aber diese Szene besonders.

Für den guten Ton sorgte Nikolaus Esche vom „studiowort“, Berlin. Die Regie führte Felix Partenzi. Der Verlag schreibt: „Für dieses Hörbuch haben wir die von Jasper Fforde autorisierte Kurzfassung etwas erweitert.“ Viel war das aber nicht, denn im Vergleich zum Buch fehlt mehr als die Hälfte Text.

Vorgeschichte: „Jane Eyre“

Jane Eyre tritt auf dem düsteren Landsitz von Edward Rochester eine Stelle als Erzieherin von dessen Mündel an, verliebt sich in den eigenwilligen Tyrannen und muss am Tage ihrer Hochzeit feststellen, dass Rochester bereits verheiratet ist. Wie ein wildes Tier wird seine wahnsinnige Frau auf dem Dachboden gehalten – die entsetzte Jane verlässt den geliebten Mann. „Ich bin kein Vogel, und kein Netz umgarnt mich, ich bin ein freier Mensch mit einem freien Willen – das werde ich zeigen, indem ich Sie verlasse.“ Erst nach einem furchtbaren Unglück finden die beiden Liebenden zueinander.

Doch in Thursday Nexts Welt ist das Glück nicht von Dauer, vielmehr beschließt Jane, den Missionar St. John Rivers, bei dem sie Zuflucht gefunden hatte, zu heiraten und nach Indien zu gehen.

Die Geschichte der Waise, die allen Widrigkeiten zum Trotz zur selbstbewussten Persönlichkeit heranreift und am Ende das Glück in der Liebe findet, ist millionenfach gedruckt, in fast alle Sprachen übersetzt, mehrfach verfilmt und von Lesergenerationen verschlungen worden. (Verlagsinfo) 1845 veröffentlichte Charlotte Brontë ihren Roman unter dem männlich klingenden Pseudonym „Currer Bell“.

Hintergrund

Am besten fange ich nicht wie die Geschichte in der Mitte an, sondern am Anfang. Die geschilderte Welt ist nicht unsere, sondern eine, die einen alternativen Geschichtsverlauf erlebt hat. Dennoch gibt es etliche Dinge, die uns irgendwie bekannt vorkommen.

England im Jahr 1985. Der Krimkrieg gegen das zaristische Russland wütet seit rund 130 Jahren, nämlich seit 1853. Wales ist seit den 1960er Jahren eine Volksrepublik und schloss seine Grenzen im Jahr 1967. Die Wissenschaft vollbringt Wunderdinge wie etwa das Klonen von Dodos, aber das beliebteste Luftgefährt ist immer noch der Zeppelin. Viele Leute sind ganz vernarrt in die Literatur, weiß der Geier warum, aber man legt sich gerne den Namen eines großen Schriftstellers zu. Am beliebtesten ist John Milton, aber es stiftet auch Verwirrung, wenn bei einer Prügelei alle Aldfred Tennyson heißen. Ein neues Gesetz schreibt die Nummerierung solcher Namensträger vor.

Auch sonst sind einige ungewöhnliche Phänomene zu verzeichnen, mit denen der Leser Bekanntschaft macht. Es gibt die „Mächte der Finsternis“, und so kommt es zu dem Auftreten von Werwölfen – gerne als „Lykanthropen“ umschrieben – und Vampiren. Beiden rückt man am effektivsten mit einem Pflock durch den Leib zu, ähem, Leibe. Auch sonst ist die Wirklichkeit etwas unwirklich. Die Zeitreise ist erfunden worden, und das gibt Anlass zu allerlei Besorgnissen um die Stabilität der Abfolge von Ursache und Wirkung.

Immerhin ist die Regierung (vermutlich Seiner oder Ihrer Majestät) nicht von gestern, sondern hat das Special Operations Network, kurz: SpecOps, eingerichtet. Jede Abteilung wird mit SO abgekürzt. SO17 beispielsweise kümmert sich um den Schutz vor Vampiren und Chimären (Mischwesen), SO9 ist die Antiterroreinheit und SO12 die Chronogarde, welche die Zeit schützt. Für uns nun am bedeutendsten ist die SO27, Sektion LiteraturAgenten oder LitAgs (im Original: Literary Detectives oder LiteraTecs).

Die LitAgs haben jede Menge zu tun, so etwa das Aufspüren gefälschter Shakespeare-Manuskripte und die Beobachtung radikaler Dichter-Anhänger.

Unsere Heldin Thursday Next ist so eine LitAg. Sie war früher bei der Polizei von Swindon, wo der Großteil der Handlung spielt, und nahm am Krimkrieg teil, wo sie ihren Bruder Anton verlor. Er nahm an der von Alfred Lord Tennyson, dem Hofdichter, geführten „Attacke der Leichten (Panzer-) Brigade“ teil. Von über 550 Soldaten überlebte nur ein Zehntel. Was aber viel schlimmer ist: Ihrem Bruder gab ein bestimmter Mann die Schuld an dem Scheitern des Angriffs. Und dieser Mann, der Schriftsteller Landen Parke-Laine, ist Thurday Nexts Ex. Kein Wunder, dass sie seinen Annäherungsversuchen einen Riegel vorschiebt.

Im Hintergrund agiert ständig die Goliath Corporation, die in allen Wirtschaftsbranchen eine Monopolstellung innehat und mit allen Behörden zusammenarbeitet. Goliath (GC) bietet vom Toaster bis zur Massenvernichtungswaffe alles an. So ähnlich wie General Electric (GE). Neueste Erfindung: das Plasmagewehr. Funktioniert (noch) nicht.

Handlung

Aus einer Vitrine im Museum wurde das Originalmanuskrit von Charles Dickens Roman „Martin Chuzzlewit“ geklaut. Eigentlich sollte Thurday Next für SO27 den Fall bearbeiten, aber wegen Dringlichkeit wirbt SO5-Einsatzleiter Tamworth sie ab. Sein Verdacht gilt dem Erzschurken Englands, Acheron Hades, der 360 Opfer auf dem Gewissen hat. Es gibt an dieser Theorie nur einen Haken: Hades ist angeblich seit 1982 tot. Hat seinen Tod vorgetäuscht, wendet Tamworth ein und karrt Thursday ins Londoner East End. Dort wird das Haus observiert, in dem sich Hades mit seinem Bruder Styx aufhalten soll.

Als Next und Tamworth in das Haus eindringen, kommt es zu einer seltsamen, um nicht zu sagen: tragischen Verkettung unglücklicher Umstände. Kurz und gut: Tamworth stirbt, als Hades ausbricht, und Next wird zweimal von Schüssen getroffen. Nur ein Exemplar von „Jane Eyre“, das sie in der Innentasche ihres Mantel trug, rettete ihr das Leben. Seitdem liegt ihr dieses Buch buchstäblich am Herzen. Hades kann entkommen, baut aber auf der Ausfallstraße einen Unfall, woraufhin der Wagen explodiert. Ob es ihn diesmal erwischt hat? Next glaubt nicht so recht daran. Das gesuchte Manuskript wurde nämlich gefunden. Sie ärgert sich, als sie herausfindet, dass ihr ein „unbeteiligter Passant“ namens Landen Parke-Laine das Leben gerettet hat, als sie blutend am Boden lag.

Zwei seltsame Begegnungen veranlassen sie, sich nach Swindon versetzen zu lassen. Erstens schaut eine Kopie ihrer selbst vorbei, die aus einer anderen Zeit stammt; zweitens erscheint ihr Mr. Rochester, die männliche Hauptfigur in „Jane Eyre“ (siehe oben). Hat sie ihn bloß geträumt? Wahrscheinlich ist an ihm ein wenig mehr dran.

Onkel Mycroft Next hat eine wunderbare Erfindung gemacht: das Prosa-Portal. Damit kann man sich selbst in die fiktionale Dimension eines gewünschten Werkes versetzen. Er hat vor, seine Frau Polly in das Gedicht „Narzissen“ von William Wordswortzh hineinzuversetzen, das mit den bekannten schönen Worten „I wandered lonely as a cloud“ beginnt. Mycroft entspricht der Figur des Agenten „Q“ aus den James-Bond-Filmen. Kein Wunder, dass sich die Goliath Corp. für seine Erfindungen interessiert. Ihr Vertreter Jack Schitt steht ständig bei Thursdays neuem Boss Braxton Hicks auf der Matte.

Brisant wird der Fall „Martin Chuzzlewit“, als die Leiche einer Figur aus dem Roman tot aufgefunden wird: Es ist Mr. Quaverley. Infolgedessen ändert sich der Wortlaut und Verlauf aller von diesem Manuskript abgeleiteten Ausgaben. Was natürlich unter den Lesern weltweit nicht unbemerkt bleibt. Der Druck aus London steigt. In einer Drohbotschaft an Thursday verlangt Acheron Hades 10 Mio. Pfund und ein Gemälde. Nach der Übergabe, bei der der Zugriff vermasselt wird, verlangt er noch mehr Geld oder die Hauptfigur werde getötet. Nun wird es eng für Thursday & Co.

Doch das ist erst der Anfang. Die LitAgs können zwar diesen Dickens retten, doch als nächstes schnappt sich der Erzbösewicht eines der Juwelen englischer Dichtkunst: „Jane Eyre“ selbst. Und das ist für Thursday eine Angelegenheit der persönlichen Ehre. Die Spur führt ins Ausland: in die Volksrepublik Wales …

Mein Eindruck

Die Engländer hatten schon immer eine Vorliebe für alternative Geschichtsverläufe, und schon Churchill überlegte sich, wie die Geschichte verlaufen wäre, wenn dieser oder jener diese oder jene Schlacht verloren oder gewonnen hätte. Englische Literaten wie Keith Roberts („Die Ermordung Königin Elisabeths I.„) oder Historiker wie Arnold Toynbee dachten sich ebenfalls Varianten aus. In der Anthologie „Hiroshima soll leben!“ versammelte der deutsche Autor Karl Michael Armer ausgezeichnete Beispiele für erzählerische Experimente in Sachen Weltgeschichte.

Jasper Fforde treibt den Schabernack aber noch eine ganze Ecke weiter. Zwar erwähnt auch er einen ad infinitum fortgesetzten Krimkrieg, dessen „Kurzversion“ es von 1863 bis 1856 wirklich gab, doch sein Augenmerk gilt den Möglichkeiten, die Geschichte auch in Kleinigkeiten zu verändern. Was wäre, wenn zum Beispiel Oliver Twist aus dem gleichnamigen Roman Charles Dickens verschwände? Offenbar ein Fall für die Behörden – aber für welche? Also musste er die SpecOps schaffen, die auf allen Ebenen der Überwachung und des Gesetzeshüterei nach dem Rechten sehen sollen, aber leider manchmal dabei kläglich versagen.

James Bond der Literatur

Deshalb muss es so unkonventionelle Leute wie Thursday Next geben, die sich nicht um Dienstvorschriften und Gesetzesparagrafen schert, sondern tut, was notwendig ist. Auch wenn es sie dabei fast Kopf und Kragen kostet. Das nenne ich Einsatz! Dass sie außer bei der Polizei auch beim Militär auf der Krim war, lässt sie in unserer Achtung noch mehr steigen. Sie ist ein James Bond der Literatur. Und wir dürfen hoffen, dass sie sich nicht nur in Romanen (wie „Jane Eyre“) zurechtfindet, sondern auch in allen möglichen Epochen.

Zeitreise – ein kniffliges Thema, falls man es so ernst nimmt wie der Autor. Und ein vielfältiges, das alle möglichen Plot-Tricksereien erlaubt. Hier fängt es an, für den Leser bzw. Hörer etwas schwieriges Terrain zu werden, denn unsere Heldin hüpft im letzten Drittel dieses Buches von einer Zeitebene zur nächsten – aber wenigstens meist in der gleichen Gegend. Dass sie sich dabei auch selbst begegnet, ist kein katastrophales Paradox der Kausalität, das es für andere Schriftsteller wäre, sondern ein Anlass, gute Informationen von ihrer Doppelgängerin zu erhalten. Hier ist meines Erachtens Jasper Fforde ein wenig zu sorglos mit seinem Material umgegangen.

Aber was heißt schon „sorglos“ oder nicht? Der Autor wirbelt so viele Elemente, die wir für selbstverständlich halten, durcheinander, dass es eine Gaudi ist. Diesen Spaß zu empfinden, setzt natürlich ein wenig voraus, dass der Leser bzw. Hörer all diese Elemente, die der Autor manipuliert hat, überhaupt kennt. Dafür gibt es die Informationen im Booklet …

Das Booklet

Die 16 Seiten des Booklets sind randvoll mit Text voll gestopft, aber ein Bildchen gibt’s auch – es zeigt eine lächelnde Sawatzki. Ihre Biografie steht noch vor der des Autors, was ich etwas unhöflich finde. Mir ist der Autor etwas wichtiger als sein Interpret. Den Biografien gehen die Kapitelbezeichnungen und Credits voraus.

Den Biografien folgen die Kapitel „Tatort des ‚Falls Jane Eyre'“, „Agenten, Familie, Freunde & Verbrecher“ und schließlich „Noch mehr handelnde Personen und weitere Anmerkungen“. Man sieht also, dass hinsichtlich der Aufklärung des Hörers nicht gespart wurde, und das ist natürlich sehr willkommen. Tatsächlich würde ich so weit gehen, dem Hörer zu raten, diese Kapitel noch vor dem Anhören des Hörbuchs zu lesen, um danach umso besser zu verstehen, wer da eigentlich auftritt und was daran, bitteschön, das Besondere sein soll.

So tritt im bunten Schlusskapitel ein Herr Präfekt Lavoisier auf: Er spricht französisch, und die Sprecherin folglich auch (und zwar astrein). Diese Sätze werden ebenso wenig übersetzt wie Lavoisier vorgestellt. Das erfolgt erst im Booklet. Dort erfahren wir, dass Préfet Lavoisier der frz. Chemiker Antoine Laurent de Lavoisier sein dürfte, der von 1743 bis 1794 lebte, mithin also im Jahr 1986, als „Der Fall Jane Eyre“ spielt, schon fast 200 Jahre tot ist (übrigens hingerichtet mit der Guillotine).

Ein Hinweis auf die Fortsetzung findet sich als letzter Eintrag dieses Mini-Lexikons. In „Lost in a good book“ (2002; dt. Titel „In einem anderen Buch“) wird Thursday Next untertauchen, in einem kafkaesken Prozess angeklagt werden, Miss Havisham aus „Große Erwartungen“ von Dickens treffen und verhindern, dass die Welt am 12. Dezember untergeht.

Die Sprecherin

Andrea Sawatzki ist kein große Sprechkünstlerin, aber ihr gelingt der fast fehlerlose und recht flotte Vortrag dieses Textes auf eine Weise, dass wenig Unklarheiten bleiben – sofern man das Glossar im Booklet gelesen hat (s. o.). Sie legt keinen Wert auf Sentimentalitäten oder den Ausdruck von Kurzatmigkeit, Seufzen usw. Es ist ihr wichtiger, eine Figur durch die eigentümliche Sprechweise zu charakterisieren. Als beispielsweise der Vampir Frampton seine Beißerchen ausfährt, beginnt er zu lispeln – das erscheint nur logisch. Dass der Erzschurke Acheron Hades höhnisch seine Überheblichkeit kundtut, versteht sich fast von selbst.

Ebenso kennzeichnend werden Soundeffekte eingesetzt. Jedem Kapitel ist ein Zitat aus einem schriftlichen Dokument, das von einer der Figuren verfasst wurde, vorangestellt. Das Zitat dieses kurzen Textes ist so verzerrt, als käme es aus einem alten Lautsprecher. Das gibt ihm einen inhumanen, maschinenhaften, unpersönlichen Anstrich. Offizielle Bekanntmachungen in der Erlebniswelt von Thursday, etwa in der VR Wales, sind mit Hall unterlegt. Das verblüfft zunächst und könnte etwas zu viel des Guten sein.

Am besten gefielen mir die „Bücherwürmer“. Das sind von Mycroft Next erfundene kleine Maden, die die Funktion eines Synonymwörterbuchs oder Thesaurus erfüllen. Sie sprechen so hoch und klingen so künstlich, dass Sawatzki ihre Stimme sicherlich durch einen Filter verzerren musste.

Kulturell befindet sich der Leser mit Thursday Nexts Welt in einer Mischung aus Viktorianischem Zeitalter und 1980er Jahren. Daher kommen unheimliche viele urenglische und literarische Namen vor, so etwa Martin Chuzzlewit. Sawatzki spricht sie alle korrekt aus, auch die französischen Sätze von Préfet Lavoisier.

Nur bei dem griechischen Namen Acheron Hades hatte ich meine Zweifel und schaute in meinen Wörterbüchern nach. Siehe da: „hades“ wird nicht wie von Sawatzki „hejds“ ausgesprochen, sondern „hejdi:s“. (Es gibt auch einen Donovan-Song, in dem das Wort vorkommt.) Ob die Aussprache „ejkr(e)n“ für Acheron korrekt ist, wage ich ebenfalls zu bezweifeln, kann aber nicht das Gegenteil belegen, denn in meinen Wörterbüchern ist der Name dieses Flusses der griechischen Unterwelt nicht vorhanden, weil er so selten ist – im Gegensatz etwa zu dem Bruderfluss Styx (ausgesprochen „stiks“).

Unterm Strich

Thursday Next als James Bond der Literatur ist eine feine Erfindung, die für eine Menge Abenteuer sorgt. Dass Literatur überhaupt ein (durchaus auch romantisches) Abenteuer sein kann – wenn es noch eines Marketingfeldzuges dafür bedurft hätte, so ist sie nun überflüssig, allein durch die Bücher, die Fforde mittlerweile in aller Welt verkauft hat. Für lehrreiche, ironische Unterhaltung und actionreiche Spannung ist also gesorgt.

Aber die Ambitionen des Autors reichen weiter. Thursday will auch den Krimkrieg beenden, der ihrer Familie so viel Leid verursacht hat, und die Kriegstreiber stoppen. Das gelingt ihr, aber ihre feurige Rede à la Bertha Suttner ist erst dann überzeugend, als sie die Wahrheit über die Goliath Corporation enthüllen kann, auf die sie im Verlauf ihrer Ermittlung gestoßen ist. Jack Schitt, der fiese Vertreter der Goliath, hat seinen Namen ebenso verdient wie sein Schicksal – in einem Buch verschollen zu sein.

Dass Fforde überhaupt das weite Feld literarischer Universen als Betätigungsfeld für Agenten erschlossen hat, ist vielleicht sein größtes Verdienst. Statt es wie seine Kollegen Terry Pratchett, Tom Holt oder wie der Deutsche Gerd Scherm zu machen und literarische wie legendäre Figuren durch alle möglichen Fährnisse zu lotsen, stellt Fforde die Relevanz dieser Bücher für uns in der Gegenwart heraus.

Was wäre, wenn Oliver Twist wirklich auf Nimmerwiedersehen aus dem Originalmanuskript verschwände? Würden dann nicht auch alle Verfilmungen verändert werden und zwar bis zur Lächerlichkeit, weil der Titelheld fehlt?! Man merkt also, dass unsere Kultur auch und vor allem eine Kultur der Geschichte(n) ist. Bücher und ihre Geschichten gehören nun einmal zu dieser Kultursubstanz dazu – ohne sie fehlt uns was.

Das Hörbuch

Man merkt es dem Text des Hörbuchs deutlich an, dass er massiv gekürzt wurde – es ist die ein wenig erweiterte „autorisierte Kurzfassung“ des Romans. Ich verglich den gehörten mit dem Text des Originals. Weite Strecken wurden gestrichen, aber dafür kein einziges der Zitate, die jeweils den Kapiteln vorangestellt sind. Die Handlung konzentriert sich nun sehr stark auf den roten Faden, in dem Thursday Next den Erzschurken Acheron Hades jagt.

Nur selten werden Kapitel eingestreut, die Nebenfiguren vorstellen, die später wieder auftauchen, also eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Dafür kommt dann aber die romantische Lovestory zwischen Landen Parke-Laine und Thursday etwas zu kurz, und man wundert sich am Schluss ein wenig, wie (und vor allem warum) es ihr gelingen sollte, den reuigen Sünder als Bräutigam vor den Altar zu zerren.

Wer mehr Spaß an dieser Story, an einer gewissen Ausgewogenheit der Erzählstränge, an einer gewissen Plausibilität hat, der lese unbedingt das Buch – am besten im Original. Denn dort erscheinen all die vielen seltsamen Namen wie Parke-Laine (= Parklane aus „Monopoly“!) doch etwas selbstverständlicher.

226 Minuten auf 3 CDs
ISBN-13: 978-3491911918

www.patmos.de

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