David Gemmell – Der silberne Bogen (Troja 1)

Liebe und Action: Verrat in der goldenen Stadt

Der erste Band der Trilogie um Aeneas und Troja erzählt von Aeneas’ Ankunft in der mächtigsten Stadt des Mittelmeers, seiner Liebe zu der Amazone Andromache und seinem tapferen Verteidigungskampf gegen die Mykener Agamemnons. Die Fortsetzung trägt den Titel „Der Donnerschild“, vermutlich eine Anspielung auf den von Homer detailliert beschriebenen Schild des Helden Achilles. Aeneas hingegen ist der „Herr des silbernen Bogens“. Den Abschluss bildet der Roman „Königssturz“.

Der Autor

David Gemmell (1948-2006), früher selbst einmal Soldat und Journalist, ist der führende britische Autor (wenn nicht sogar weltweit) von Fantasy-Action-Romanen. Besonders bekannt wurde ab 1984 er mit der Drenai-Saga, in der kernige Helden wie „Druss die Legende“ in einem untergehenden mittelalterlichen Reich schier aussichtslose Kämpfe ausfechten.

Seine zweite Romansequenz drehte sich um die magischen Sipstrassi-Steine (1987-94). Dazu gehören auch einige Romane, die in einer Post-Holocaust-Zukunft angesiedelt sind („The Jerusalem Man“). Ein dritter Romankomplex umfasst die historischen Fantasien um Alexander den Großen: „Der Löwe von Makedonien“ und „Der dunkle Prinz“ (1990/91). Die Falkenkönigin-Duologie dreht sich um eine heldenhafte Kriegerin: „Eisenhands Tochter“ und „Die Keltenkriege“. Es handelt sich eindeutig um Heroic Fantasy.

Mit „Morningstar“ schrieb Gemmell Jugend-Fantasy und unter dem Pseudonym „Ross Harding“ mit „White Knight, Black Swan“ einen Gangster-Thriller. Zuletzt war er mit dem vierteiligen Rigante-Zyklus und einem neuen begonnenen Damned-Zyklus („White Wolf“, „The Swords of Night and Day“) erfolgreich. Er starb im Sommer 2006 nach einer Herzoperation.

Die Rigante-Saga:

Band 1: „Sword in the Storm“ (1998; dt. als „Die steinerne Armee„)
Band 2: „Midnight Falcon“ (1999, dt. als „Die Nacht des Falken”)
Band 3: „Ravenheart“ (2000, dt. als „Rabenherz”)
Band 4: „Stormrider“ (2001, dt. als „Sturmreiter„)

Handlung

Es ist ein schöner Tag im östlichen Mittelmeer, der Großen Grünen. Ein auf neuartige Weise gebautes Schiff sticht von Kypros, der Kupferinsel, in See, um Waren und Passagiere nach Troja zu bringen. Das Schiff „Xanthos“ gehört dem „Goldenen“: Helikaon, einem Edelmann aus dem Königreich Dardania, das in Trojas Nachbarschaft liegt. Helikaon jedoch ist auf der Hut. Weniger die unberechenbaren Stürme machen ihm Sorgen als vielmehr die mykenischen Piraten, die die Ägäis von Samothrake bis Kypros unsicher machen. Kürzlich hat er den Anführer der Piraten, Alektruon, getötet, der sein Schiff angegriffen hatte. Nun hassen ihn alle Mykener, aber er ahnt nicht, dass deren König Agamemnon von einem Seher vor einem großen Pferd gewarnt worden ist. Und genau ein solches Pferd schmückt Helikaons großes Segel …

Mit an Bord des „Xanthos“ ist der zwölfjährige Xander, der sich alles ganz genau ansieht. Noch zu schwach zum Rudern und zum Führen einer Waffe, darf er als „Mädchen für alles“ dienen. Argwöhnisch beobachtet er die zwei mykenischen Krieger Argurios und Glaukos auf dem Achterdeck, die unverhohlen ihren Hass auf alles, was ihre Augen sehen, zum Ausdruck bringen, ganz besonders aber, wenn sie Helikaon ansehen. Das kann ja heiter werden, denkt sich Xander. Er ist überrascht, als ihm der Mykener Argurios in einem üblen Sturm das Leben rettet.

Nach dem Sturm rettet sich das Schiff in die Blaueulenbucht. Dieser Hafen gehört dem König von Lykien (in der heutigen Südtürkei). Während sich die Seeleute erholen, freut sich Helikaon unbändig, seinen Ziehvater und Mentor Odysseus, den König von Ithaka, wiederzusehen. Odysseus ist ein meisterhafter Geschichtenerzähler und wie nicht anders zu erwarten, kommen uns einige seiner Geschichten recht bekannt vor, so etwa jene vom einäugigen Riesen.

Im Hafen begegnet Helikaon erstmals Andromache. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Doch erstens ist Andromache (ihr Name bedeutet „Männerkämpferin“) eine lesbische Tempeljungfrau und zweitens ist sie dem Thronfolger Trojas als Braut versprochen: dem Helden Hektor. Ihre Heirat soll Troja mit dem Königreich Thebe am Plakos verbinden. Dennoch verbindet den Seefahrer fortan etwas mit der hochgewachsenen, rothaarigen Schönheit, und wie sich später zeigt, weiß sie die Kunst des Bogenschießens auch im Kampf tödlich einzusetzen. Andromache ist keine Zimperliese oder falsche Schlange, wie so manche der Prinzessinnen, die sie in Troja kennen lernen wird. Als Odysseus sie zu einem Seher bringt, sagt dieser ihr voraus, sie werde drei Männer lieben, doch viel Leid erfahren.

Seltsame Dinge gehen in der Blaueulenbucht vor sich. Denn auch drei Schiff mykenischer Piraten sind an einem der Strände zu sehen. Das bedeutet nie etwas Gutes, denkt sich Helikaon. Zu seiner Überraschung rät ihm Odysseus, nicht nur seinen Freund Zidantes zur Königsburg mitzunehmen, sondern auch die beiden Mykener Argurios und Glaukos. Das stellt sich als schlauer Schachzug heraus, denn Helikaon, der nun Gastrecht genießt, wird von Argurios gegen mykenische Wegelagerer verteidigt, die Helikaon auflauern. Offenbar hat König Agamemnon eine Belohnung auf seinen Kopf ausgesetzt.

Die Audienz beim König verläuft friedlich, doch als der König Helikaons Schwert bewundert, muss er es ihm überlassen, will er den königlichen Gastgeber nicht beleidigen. Nunmehr waffenlos und ohne Begleitung – die anderen sind vorausgegangen –, überlegt sich der Gast, wie er unbeschadet den Rückweg überstehen soll. Er lässt sich eine List einfallen. Sie gelingt ihm auch, doch der Schrecken bei seiner Ankunft im Hafen ist groß. Die Mykener haben seinen Freund Zidantes gefoltert und ihn anschließend geköpft …

Schier außer sich vor Schmerz, kündigt Helikaon, der in Troja auch unter dem Namen Aeneas bekannt ist, dem König die Handelspartnerschaft auf: Dieser hat offensichtlich den Verrat der Mykener gebilligt und das heilige Gastrecht verletzt. Odysseus zieht aus Solidarität ebenfalls seine Schiffe ab. Beides zusammen bedeutet für den König einen erheblichen wirtschaftlichen Verlust. Wer hätte gedacht, dass Helikaon drei Anschläge an einem Abend überleben würde?

Er muss mit ansehen, wie Helikaon seine drei Schiffe mit geheimnisvollen Apparaten ausrüstet und damit in See sticht. Vor der Bucht warten schon die drei mykenischen Galeeren, um seine Schiffe in Grund und Boden zu rammen. Die Schlacht beginnt, doch niemand hätte ihren schrecklichen Ausgang vorherzusagen gewagt …

Mein Eindruck

Die meisten Leser, die eine Geschichte über den Trojanischen Krieg im 13. Jahrhundert vor Christus erwarten, denken entweder an Homers „Ilias“ oder Wolfgang Petersens Verfilmung, die alle Götter außen vor lässt. Doch es gibt noch eine dritte Erzählung über dieses epochale Ereignis in der Bronzezeit: Vergils „Aeneis“. Sie entstand in römischer Zeit, und Vergil (70-19 v. Chr.) schuf in in diesem Epos den Gründungsmythos Roms, um Kaiser Augustus einen göttlichen Herrschaftsanspruch zu verleihen. Der Dichter zeichnet Aeneas, wie er das brennende Troja mit seinem Sohn Askanius am Arm und seinem Vater Anchises auf dem Rücken flieht und sodann nach mehrjähriger Odyssee – via Karthago und die Unterwelt – an der italischen Küste Latiums landet.

Die Kindheit des Helden

Während Vergils Schilderung mit einem Ende beginnt, geht Gemmell noch viel weiter zurück. In zahlreichen Rückblenden erfahren wir von Kindheit und Jugend des Knaben Aeneas. Das Bild, das Anchises hier abgibt, ist ganz anders: Der König liebt den nachdenklichen Jungen nicht, verbannt ihn immer weiter aus seinem Kreis, und als die neue Königin einen weiteren Sohn gebiert, Diomedes, da ist Aeneas seines Lebens nicht mehr sicher.

Odysseus sagt es dem Jungen zwar nicht, aber Anchises hat ihm den Auftrag gegeben, Aeneas zu beseitigen, etwa durch einen „Unfall“, damit der neue Erbe nicht gefährdet sei. Odysseus gelingt es, Aeneas zu einem heldenhaften Sprung von einer Klippe zu verlocken, und nimmt ihn mit auf zahllose Fahrten in der Ägäis. Doch die Schatten der Vergangenheit werden Aeneas, der sich nun Helikaon nennt, wieder einholen. Denn die Mykener haben seinen Vater ermorden lassen. Diomedes ist nun ebenfalls seines Lebens nicht mehr sicher.

Goldenes Troja?

Auch das Bild, das der Autor uns von Troja liefert, entspricht nicht den homerischen Vorgaben. Priamos ist ein ausbeuterischer Sexprotz und Sklavenhalter, seine Prinzen hassen ihn fast alle, Hektor kämpf in Palästina gegen Pharao Ramses II. und die Damenwelt –ojemine! Die Königin Hekabe liegt krebskrank in ihrem Sommerpalast. Es fallen Andeutungen, dass Andromaches Vorgängerin, ihre Schwester Paleste, einem Giftanschlag der Königin zum Opfer gefallen sein könnte. Ihr Sohn Paris lebt bei ihr, interessiert sich allerdings weder für Frauen noch für Göttinnen, sondern nur für die Wissenschaft. Helena, die spartanische Prinzessin, taucht auf, doch über ihrer Zukunft hängen düstere Wolken: Ihr Vater Menelaos dürfte den Krieg gegen Mykene verlieren, und dann wird sie dem Sieger als Beute gehören.

Prinzessin Kreusa ist ein hinterhältiges Miststück, wie Andromache erfährt, und ihre Schwester Laodike hat ein gebrochenes Herz. Die elfjährige Kassandra hingegen hat seit einem Hirnfieber seltsame Vorahnungen und spricht obendrein mit den Delfinen. Wo ist Andromache da nur hineingeraten? Bloß gut, dass Odysseus und Helikaon ihr helfen. Und auch Argurios, der verletzte Mykener von der „Xanthos“, entwickelt sich zu einem loyalen Freund. Dass er sich in Laodike verlieben würde, hätte er selbst nicht gedacht.

Finale furioso

Doch auch in Troja, der prächtigen Festungsstadt mit den golden strahlenden Dächern, lauert der Verrat, den die Mykener überall säen, wohin ihre Sendboten gelangen. Und so kommt es nicht nur zu mehreren Attentaten, sondern schließlich zu einem Kampf im Palast, den ich als den krönenden Abschluss dieses Bandes in Erinnerung behalten werden. Wie in den meisten epischen Romanen Gemmells sind die Verteidiger den Angreifern erheblich unterlegen und werden dennoch am Ende obsiegen. Aber die Gründe für diesen Triumph sind häufig unerwartet und in den seltensten Fällen die gleichen.

In jedem Fall ist das letzte Drittel des Romans kaum an Spannung und Dramatik zu überbieten, und wer sich tragische Szenen erhofft, wird nicht enttäuscht werden. Aber es sei vor einigen blutigen Szenen gewarnt, denn so war nun mal das Leben in der Bronzezeit: Blut war eine Währung, und sie wurde stets teuer bezahlt.

Seltsame Helden

Aeneas ist kein strahlender Held, obwohl er vielleicht eine schimmernde Rüstung trägt. In mehreren Fällen bricht sein düsteres Wesen wieder durch, und er rächt sich fürchterlich an jenen, die ihm Unrecht angetan haben. Selbst seinen Freunden, Odysseus und Andromache, graut es zuweilen vor ihm. Verkehrte Welt: Während der Held feindselige Züge annimmt, verwandelt sich der nominelle Feind, der Mykener Argurios, zu einem Kämpfer an Helikaons Seite. Und wo ist der strahlende Hektor, von dem wir stets in der „Ilias“ hören? Er gilt zunächst als verschollen, dann wird er offiziell für tot erklärt, schließlich taucht er wieder auf. Wie man sieht, wartet der Autor mit jeder Menge Überraschungen auf.

Die Götter kommen bei Petersen nicht vor, wie gesagt, bei Gemmell tun sie dies in persona auch nicht, wohl aber in Symbolen. Die Götter sind stets in den Köpfen und Herzen der Figuren, und in zahllosen Symbolen manifestieren sie sich, sei es in einem Zug Schwäne, in einem Sonnenuntergang oder auch in einem Sturm auf dem Meer. Athene, die ansonsten von Homer so hochverehrt dargestellt wird (und Schutzherrin des Odysseus ist), ist jedoch ironischerweise eine alte Priesterin zugewiesen, die ihre Gottesanbeterinnen schier zu Tode langweilt. Es ist dies einer der Momente, bei denen bei Gemmell so etwas wie Humor aufblitzt. Man muss feine Antennen haben, um ihn zu erkennen.

Die Übersetzung

… finde ich sehr gelungen, denn Michael Koseler gelingt ein Ton, der zwischen heldenhaftem Drama und grimmigem, mitunter romantischem Alltagsrealismus liegt. Es ist dies der typische Gemmell-Ton. Die deutsche Ausgabe informiert den Leser durch eine Landkarte, die die wichtigsten Schauplätze der Erzählung darstellt, soweit sie zwischen Ithaka und Zypern liegen. Eine Personalliste gibt es nicht, denn offenbar setzt man die Kenntnis der Akteure schon voraus. Ein Glossar fehlt ebenso, aber das ist in Ordnung, denn alle neuen Ausdrücke wie etwa „Megaron“ werden erklärt.

Nur über das Titelbild habe ich mir fast einen Ast gelacht. Es gibt ein verräterisches Detail in der Darstellung des Kriegers, das die Ahnungslosigkeit des Zeichners verrät. Der Mann hält seinen Speer, wie ich eine Zeltstange halten würde, nämlich oberhändig (Finger oberhalb des Schaftes). Ein Speer, der zu werfen ist, muss jedoch unterhändig (Finger unterhalb des Schaftes) gehalten werden. Vielleicht geht der Krieger ja gerade zu einem Picknick am See?

Unterm Strich

Ich habe die knapp 640 Seiten in nur wenigen Tagen gelesen. Erstens ist das Buch groß gedruckt und besteht zweitens fast nur aus Dialogen. Drittens ist es sehr anschaulich und lebendig geschildert (hier wurde sauber recherchiert), und viertens lässt die Spannung, die über Troja liegt, nichts an zunehmender Dramatik zu wünschen übrig.

Außerdem stellt diese Erzählung kein frommes Nachbeten altbekannter Mären aus dem Altertum dar, sondern Gemmell betritt Neuland in seiner Darstellung der Helden, ihrer Kultur und ihres Verhaltens. Allein schon die zwielichtigen, aber realistischen Figuren von Aeneas, Odysseus, Argurios und Priamos wecken genügend Interesse, um den Leser bei der Stange zu halten, von den romantischen Geschichten um Andromache und Laodike ganz zu schweigen.

Die Männerkämpferin Andromache hat es nicht nur Aeneas angetan, sondern auch mir. Wenn eine Frau den Bogen wie Odysseus spannen kann, so haben wir noch einiges von ihr zu erwarten. Ich bin daher schon sehr gespannt auf den Fortgang der unheilvoll eingeleiteten Ereignisse in der goldenen Stadt – Troja.

Taschenbuch: 638 Seiten
Originaltitel: Lord of the Silver Bow, 2005
Aus dem Englischen von Michael Koseler
ISBN-13: 9783453531956

www.heyne.de