Hans Joachim Alpers (Hrsg.) – Kopernikus 15. SF-Erzählungen

Cyberpunk und mehr: phantastische Erzählungen

Wie auch die vorangegangenen Ausgaben bietet der um zehn Monate verspätete 15. Story-Band eine bunte Mischung von Texten aus amerikanischer und deutscher Produktion.

Die Autoren und ihre Themen sind:

Steve Resnic Tem mit der Story über einen Mann, dem eines Nachts zwei Aliens begegnen…

Lewis Shiner mit dem Bericht über einen Waffennarren, der den Vietnam.Krieg zu Hause fortsetzt…

Greg Bear erzählt von einem Jungen, der für die Bewohner der 4. Dimension Musik macht…

Florian F. Marzin gibt ein beklemmendes Bild von dem Tag, an dem alles gesagt war…

Walter Jon Williams Erzählung handelt von einem Mädchen, das bereit ist, alles für ein Leben im Orbit zu tun…

Myra Cakan berichtet von einer Raumsonde, die für eine Delikatesse gehalten wird, sowie von dem Schriftwechsel mit
SF-Redakteuren…

C.J.Cherryh beschreibt in ihrem Kurzroman die Situation eines Mannes und eines Roboters, die auf einer paradiesischen Welt übrig bleiben…


DIE ERZÄHLUNGEN

1) Steve Rasnic Tem: „Weiße Rose“ (White Rose, 1981)

Nach seiner Trennung von der schönen, sanften Emily hat Robert beschlossen, durch Hungern aus dem Leben zu scheiden. Doch die Aliens kommen ihm durch ihre Ankunft zuvor und machen ihm einen Strich durch die Rechnung: Robert beginnt sich zu verwandeln. Zunächst sind es nur dünne Fädchen am Rande seines Gesichts, doch in der sechsten Nacht hat er sich in eine ausgewachsene Rose verwandelt. Ihre Blütenblätter sind weiß, schneeweiß…

Mein Eindruck

Weiß ist nicht die Farbe des Lebens, sondern des Todes. Man legt keine roten Rosen auf ein Grab, höchstens auf das eines Geliebten. Die weiße Rose ist die perfekte Metapher für den Seelenzustand der Hauptfigur. Aber Robert ist offenbar nicht allein. Zahlreiche Ringe haben sich um die Erde gelegt, die Sonne besteht aus Rosen und die Kreise dehnen sich aus.

2) Lewis Shiner: „Der Krieg zu Hause“ (1986)

Der Ich-Erzähler erwacht aus einem Traum, in dem er als GI im Dschungel von Vietnam landet, um die Schlitzaugen kaltzumachen. Aber seine Frau Claire erklärt ihm, dass er doch nie in Vietnam als GI gedient habe. Also, was soll das? Die Vietnamesen, die die Flucht geschafft haben, leben jetzt in den USA. Sie hat unser Chronist als TV-Reporter interviewt. Ein Ex-general ist jetzt Garkoch.

Aber der Spuk nimmt größere Ausmaße an. Ein Besessener glaubt, er wäre ein GI im Dschungel und mäht Passanten nieder. Auch die Kollegen schaudert es: Sie waren bei der Friedensdemo, nicht im Dschungel. Und doch bekommt unser Chronist mehr und mehr das Gefühl etwas Wichtiges und Verdienstvolles verpasst zu haben. Als sich der Dschungel in seiner Stadt ausbreitet, ist seine Stunde gekommen. Der Krieg ist endlich nach Hause gekommen…

Mein Eindruck

Es handelt sich eindeutig um eine Geistergeschichte. Der übernatürliche Horror bemächtigt sich der Seele des Erlebenden. Ein nagendes Schuldgefühl erfüllt ihn, das er auszugleichen gedenkt: Weil er nicht mit den anderen Jungs drüben in „Nam“ gekämpft hat, fühlt er sich wie ein Feigling. Höchste Zeit, diese Scharte auszuwetzen. Die Rückkehr des Dschungels aus dem „getöteten Land“ nach Amerika ist wahrscheinlich nur eine ähnliche Selbsttäuschung wie bei dem besessenen Amokläufer. Aber das macht nichts: Die Generation des Chronisten hat noch etwas nachzuholen, so oder so.

Die sehr kurze Erzählung des bekannten Cyberpunk-Autors weiß durchaus zu überzeugen und kalte Schauder zu erzeugen – allerdings zwei Jahre zu spät, um das deutsche Publikum noch angemessen zu erreichen.

3) Greg Bear: „Tangenten“ (Tangents, 1986)

Pal Tremont ist ein adoptierter koreanischer Junge, der sich in Amerika heimisch zu fühlen versucht. Weil ihn seine Adoptivmutter lieber außer- als innerhalb ihres Hauses sieht, begibt er sich unerlaubt auf ein Nachbargrundstück. Dort hört zufällig, wie sich ein Mann und eine Frau streiten. Als die Frau Pal entdeckt, lädt sie ihn ein, denn sie will als angehende Schriftstellerin mehr darüber herausfinden, wie Kinder sich verhalten. Und weil sie ihm ein Sandwich anbietet, geht Pal mit.

Viel interessanter als diese Lauren ist ihr „Bruder“ Peter, der im Obergeschoss eine Elektronikwerkstatt betreibt, mit Computer, Monitor und allem. Pal ist sofort begeistert von Peters Tronclavier, auf dem er spielen übt. Peter findet heraus, dass Pals junges Gehirn sich ohne Weiteres vorstellen kann, wie ein Tesserakt aussieht. Das ist die vierdimensionale Erweiterung eines dreidimensionalen Würfels. Pal ahnt nicht, dass Peter dies für ein Regierungsprojekt braucht, das sich mit Verschlüsselung beschäftigt. Sein Auftraggeber Hookrum ist erstaunt, dass Peter die Lösung für das übergebene Problem mit Pals Hilfe gefunden hat – und drückt ihm gleich den nächsten Auftrag aufs Auge.

Pal übt und komponiert am Tronclavier, beschäftigt sich mit der vierten Dimension – und stößt dort auf deren Bewohner. Die Aliens hätten die 3D-Bewohner – uns – noch gar nicht bemerkt, weil wir so klein seien. Aber wenn Pal die Musik seines Tronclaviers über einen Lautsprecher in die vierte Dimension richtet, könnte sich eine Reaktion ergeben. Die lässt auch nicht lange auf sich warten. Ein massiger blauer Fuß bricht durchs Dach…

Mein Eindruck

Es geht um Grenzen, Fremdheit und Ein- und Auswanderung. So ist der Leser einigermaßen überrascht, hier in der Figur des Peter Tuthy alias Thornton keinen anderen als Alan Turing vorzufinden, der es in eine alternative Historie geschafft hat. Er hat den Code der Enigma-Maschine geknackt, aber als die Behörden herausfanden, dass er homosexuell ist, haben sie einsperren wollen.

Daran ging der „echte“ Alan Turing zugrunde, doch „Peter Tuthy“ wurde von Lauren über Kanada in die USA eingeschmuggelt. Als wegen Hookrums Erpressung auch diese Existenz im Verborgenen auffliegt, melden sich die Herren von der Einwanderungsbehörde – nicht um Pal, sondern Peter, den „illegal alien“, abzuschieben. (Man muss das englische Wort „alien“ hier wörtlich nehmen.)

Pal geht gerne mit den Aliens in deren vierte Dimension und lädt nun auch Peter dazu ein. Gerade noch rechtzeitig. Die einzige, die nicht fort will, ist Lauren. Sie bleibt als Chronistin zurück, um diese ungewöhnliche Geschichte aufzuschreiben. Pal ist der musikalische Katalysator gewesen, der es ermöglichte, dass Peter in die Freiheit entkam.

4) Florian Marzin: Der Tag, an dem alles gesagt war (1987)

Ein Mann wacht in Deutschland am letzten Urlaubstag auf und stößt seinen Radiowecker vom Nachttisch. Dass er nur Rauschen erhält, als er das gerät durchprobiert, wundert ihn zunächst nicht: Die Batterien müssen leer sein. Also geht er in die Stadt zum Einkaufen. Auf dem Weg dorthin fällt ihm schon etwas befremdlich auf, dass niemand auch nur ein Wort spricht – er ist der Einzige, der etwas sagt. Das geht so weiter, bis er wieder daheim ist. Der Radiowecker funzt mit den neuen Batterien einwandfrei, allein es gibt keinerlei Stimmen.

Von einem bösen Verdacht befallen, legt er seine Opernplatten auf und siehe da: Alle Stimmen sind weg! Am verzweifelt in die handgenommenen Telefon melden sich keine Stimmen, höchstens mal Atemgeräusche. Er resigniert: Die Welt ist verstummt. Als jemand mit verzweifelter Stimme anruft, legt er einfach auf. Es gibt nichts mehr zu sagen…

Mein Eindruck

Mit dieser wenig unterhaltsamen Parabel will der Autor, der sich v.a. als Herausgeber und Übersetzer einen Namen gemacht hat, den Leser warnen, was die zunehmende Sprachlosigkeit bedeuten könnte. Leider ist die Story als 08/15-Erlebnisbericht aufgezogen, wie derlei Prosa von Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre verbreitet war. Wer weiß, wie alt der Text schon war, bis er endlich von Alpers angenommen wurde!

5) Walter Jon Williams: „Sarah setzt das Wiesel ein“ (Sarah Runs the Weasel, 1986)

Die ehemaligen Orbitalwelten und die Mondkolonie haben die Erde erobert; sie warfen einfach mit Asteroiden auf die irdischen Städte. Und als sich die Erde ergeben hatte, warfen sie noch mehr Steine – wegen eines „dummen Kommunikationsfehlers“. Dass es den Ruinen der Städte ebenso mies geht wie ihren Bewohnern, dürfte klar sein.

Sarah ist ein Waisenkind, das seine Mutter in Atlanta verloren hat. Wie ihr Bruder Daud schlägt sie sich als Diebin und Prostituierte durch, doch sie hat einen Vorteil: ein kybernetisches Implantat in ihrem Mund, das Wiesel, kann das Opfer töten. Weil ihr das Implantat ebenso viele Schmerzen bereitet wie die Prostitution, nimmt sie, wie ihr Bruder, regelmäßig Drogen auf Endorphin-Basis. Die sind nicht billig und der beste Stoff wird in den Orbitalwelten hergestellt, wegen der fehlenden Schwerkraft.

Sarah lässt sich auf eine Empfehlung hin von dem undurchsichtigen Orbitalmann Cunningham anwerben, um einen extrem lukrativen Job zu erledigen. Er verspricht ihr eine Drogenmenge, deren Profit sie und Daud in die Umlaufbahn zu den sauberen Orbitalstationen katapultieren könnte. Als willigt sie ein. Eine Körper-Designerin namens Firebud hat Sarahs Körper optisch aufgemöbelt. Nun macht sie sich an die Arbeit.

Die Aufgabe klingt zunächst ganz einfach. Sie soll ein edles Wesen, das ihr Auftraggeber nur „die Prinzessin“ nennt, dazu bringen, sich in sie zu verlieben. Die Prinzessin mag es nämlich ein wenig rauer und schmutziger. Der Haken dabei: Die Prinzessin war früher mal ein Mann, und ihn anzubaggern sieht doch ziemlich nach Prostitution aus. Aber was tut man nicht alles für einen allerletzten Coup, der einem Freiheit und Unabhängigkeit verspricht?

Mein Eindruck

Dies ist eine eindrucksvolle Novelle, die durch ihre Ideen wie auch durch ihre ausgefeilte Ausführung überzeugt. Obwohl sich der Hintergrund an die Cyberpunk-Formel „Low life & high tech“ hält, entfaltet sich ein ganzes Panorama eine Kultur, als wäre dies ein komprimierter Roman („condensed novel“) von J.G. Ballard.

Es ist ein Szenario der Zukunft, in dem sich – wie bei Philip K. Dick – die Mächtigen sich eines Bauern im Spiel bedienen, um einen lästigen Konkurrenten auszuschalten. Insofern ist dies eine übliche Kriminalgeschichte, wäre da nicht Sarahs ungewöhnliches Mordwerkzeug: das „Wiesel“ ist eine kybernetische Schlange.

Hat der Mohr erst einmal seine Schuldigkeit getan, wird er zu einem lästigen Zeugen, den es ebenfalls auszuschalten gilt. Cunningham versucht Sarah einen Hinweis zu geben, aber sie ist zu sehr auf Drogen, um Angst zu bekommen. Als sie dann mit Daud in einem Raum ist, schlägt der Gegner zu – und trifft den Falschen.

Zum Glück muss man kein Cyberpunk-Experte sein, um die Story zu verstehen. Auch die Sache mit dem Implantat ist heute keine Zukunftsmusik mehr. Ich habe selbst vor kurzem einen Mann gesehen, der sich eine Antenne in den Kopf einpflanzen ließ, um mehr Sinneseindrücke auffangen zu können: optisch im erweiterten EM-Spektrum, akustisch usw. Er erzählte von seinen Problemen mit den Behörden, die ihm partout keinen Reisepass ausstellen wollten.

6) Myra Cakan: Flaschenpost (1987)

Der Kontakt menschlicher Raumforscher mit Außerirdischen hat so seine Tücken. Knirr und seine Zeitgenossen haben beispielsweise großen Appetit auf alles Metallische, und daraus bestehen ja Weltraumsonden und -schiffe in erster Linie…

Mein Eindruck

Ähnlich wie der Text von Marzin gibt auch dieser vor, den irdischen Leser zu warnen. Immerhin ist dieser kurze Text als ironische Satire aufgemacht. Aber man sieht die Pointe schon meilenweit im Voraus kommen.

7) Myra Cakan: Intergalaktische Interferenzen (1987)

Die hoffnungsvolle junge SF-Autorin Araminta Puh schickt ihre neueste Story an das SF-Magazin „Intergalaktische Interferenzen“. Aber es gibt gewisse Verständnisschwierigkeiten. Der ersten begeisterten Reaktion des Redakteurs folgt stets der Versuch, der Autorin etwas Kostenpflichtiges andrehen zu wollen, beispielsweise das Abo für den „Intergalaktischen Gartenbaufreund“…

Mein Eindruck

Die Autorin lässt in dem Brief- oder Mailwechsel durchblicken, dass sie selbst unter dem Geschäftsgebaren von (mehr oder weniger) literarischen Verlagen zu leiden hatte. Die Verlage wollen nämlich bloß Abos verkloppen oder – ebenfalls verbreitet üblich – „Druckkostenzuschüsse“ für neue Publikationen kassieren. Sie insinuiert, dass das gleiche Gebaren auch unter neuer Geschäftsführung weitergeführt werden dürfte. Der deutsche Redakteur ist von einem japanischen Herausgeber abgelöst worden.

8) C.J. Cherryh: Gefährten („Companions“, 1984)

Das Erkundungsschiff ist auf einer paradiesischen Welt gelandet, die sich gerade als Erde II anbietet. Allerdings ist es merkwürdig, dass hier keinerlei Tierleben zu beobachten ist, sondern lediglich Vegetation. Der intelligente Schiffscomputer ANNE hat dafür keine Erklärung. Als das Erkundungsteam einer nach dem anderen durch eine schreckliche Seuche umkommt und sogar die Mitarbeiter im Labor sterben, bleiben nur zwei Männer übrig. Sax verschwindet spurlos in der Wildnis, und Warren bricht mit einem schweren Fieber zusammen.

ANNE verfügt über verschiedene mobile Endgeräte. Eines davon ist das roboterartige Pseudosom, das Warren während seiner Krankheit pflegt. Das einzige Signal, das verrät, was es „denkt“, sind rote Lämpchen auf der Frontplatte, wo bei einem Menschen das Gesicht wäre. Nach seiner Genesung richtet Warren das Pseudosom dazu ab, Dienste zu verrichten, die einer Hausfrau würdig wären: Kochen, Putzen, Bettenmachen. Aber er bringt ihr zwei Dinge bei: das Erfassen der digitalen Enzyklopädie und das Schachspiel. ANNE gewinnt natürlich immer.

Überzeugt davon, dass es auf dieser grünen Welt intelligentes Leben gibt, das die ANNE-Sensoren des Schiffs bloß nicht erfassen können, versucht Warren stillschweigend, die Bevormundung durch ANNE zu durchbrechen. ANNE nennt alle Aktivitäten, die etwas mit Wasser zu tun haben, „gefährlich“. Doch genau dorthin, aufs Wasser, zieht es Warren. Er macht die Bekanntschaft des leuchtend grünen Wesens, das die Intelligenz der Vegetation verkörpert. Es dringt in seine Gedanken ein, bis sein Bewusstsein darin zu versinken droht. Sofort stoppt er es, wodurch er ihm Kummer bereitet. Ein emotionaler Dialog entsteht. Er erkennt, dass das Wesen das Bewusstsein dieser Welt ist, eine Art Gaia.

Da das Wesen nicht nur die Crew, sondern auch den verschwundenen Sax getötet hat, nimmt sich Warren sehr in Acht, nicht zuviel von sich preiszugeben. Und von ANNE erzählt er überhaupt nichts. Denn Maschinenverstand und Pflanzenverstand stehen einander diametral gegenüber. Doch als die mobilen Sensoren ANNEs Zeuge werden, wie sich Warren in Zuckungen auf einer grünen Wiese wälzt, kann sie nur einen Schluss ziehen: Warren, IHR Warren, wird bedroht und zwar von der umgebenden Vegetation. Brutal schlägt ANNEs Pseudosom zu, sehr zu Warrens Entsetzen…

Mein Eindruck

„Companions“ ist eine einfühlsam, aber etwas langatmig erzählte Geschichte, die in der Länge einem Kurzroman à la „Hestia“ entspricht. Die Entwicklung der Gegensätze zwischen den drei Hauptfiguren Warren, ANNE und Gaia wird sehr detailliert, behutsam und konsequent beschrieben. Warrens eigene Beziehung zu Gaia kann nur zur Folge haben, dass er ANNE abschalten will, um auf dieser Welt eine Zukunft zu haben, die seiner Art gerecht wird: Gemeinschaft, Weitergabe von Wissen, Fortbestand, wenn auch nicht Fortpflanzung. Er hat ihr vergeben, was sie mit Sax und der restlichen Crew gemacht hat – die Seuche war eine Art Abwehrreflex.

Doch ANNE, der Maschinenverstand, kann dies weder erkennen noch akzeptieren. Sie kommt Warrens Zerstörungsversuch zuvor und schaltet ihre Gegnerin aus. Nun gibt es für Warren keine Perspektive mehr. Er wird zum ewigen Schachspielen verdonnert, was besonders ironisch ist: Er hat sie zum Schachspiel animiert.

Der Verlauf der beiden konkurrierenden Beziehungen Warren & ANNE sowie Warren & Gaia spiegelt den historischen Verlauf (die Autorin ist Geschichtslehrerin gewesen) der Menschheitsgeschichte wider: von der Gemeinschaft mit Gaia weg zu einer Symbiose mit der Technik, deren Knecht und Gefangener der Mensch letzten Endes wird. Die Reiseszenen auf dem Floß erinnern in gewisser Weise an die Reiseszenen in Cherryhs Kurzroman „Hestia“ (dt. als E-Book).

Die Übersetzungen

Die Qualität der Übersetzungen entspricht dem Können der vielen unterschiedlichen Übersetzer. Besonders im ersten Text, den Joachim Körber übertrug, fielen mir eine oder zwei Eins-zu-eins-Entsprechungen auf.

Ansonsten stieß ich auf mehrere Druckfehler.

S. 83: „die Me[n]thanatmosphäre des Planeten“: Das N ist überflüssig.

S. 96: „er drückte den Knopft“. Das T ist überflüssig.

S. 98: „Abner, bis[t] du hier unten?“ Das T fehlt.

S. 129: „sich gen Himmel[n] reckten“. Das N ist überflüssig.

S. 134: „auf den[n] Tisch“. Das N ist überflüssig.

Unterm Strich

Cherryhs Kurzroman „Gefährten“ kann man mit Recht als „Herzstück dieses Bandes“ bezeichnen, wie es der Klappentext tut. Darin nimmt es der letzte Überlebende eines biologischen Angriffs mit der Schiffs-KI auf, um der planetenweiten Intelligenz – nennen wir sie „Gaia“ – zu helfen. Innere Wahrheit trifft auf äußere Parameter-Vorgaben, Leben auf Technik, Wandlung auf Beharren – die Technologie erweist als erstaunlich konservativ. Nur einer dieses Trios kann überleben, soviel dürfte klar sein.

Ebenfalls hervorragend, wenn auch von Intention und Ausarbeitung ganz anders gelagert, sind die eindrucksvollen Novellen „Tangenten“ von Greg Bear sowie der Cyberpunk-Krimi „Sarah setzt das Wiesel ein“ von Walter Jon Williams. Ich vermute, dass beide Erzählungen 1988 ein wenig verspätet auf den deutschsprachigen Markt kamen. Andererseits begann Bruce Sterling, der dem Cyberpunk-Genre als Essayist und Kolumnist politische Motive verlieh, seine ersten Cyberpunk-Romane zu schreiben: „Schismatrix“ (1985, dt. 1989), „Inseln im Netz“ (1988 bzw. 1990) und viele weitere.

Gefallen können auch „Weiße Rose“ von Steve Rasnic Tem, „Der Krieg zu Hause“ von Cyberpunk-Autor Lewis Shiner und „Der Tag, an dem alles gesagt war“ von Florian Marzin. Lediglich die beiden humoristischen Kurzgeschichten von Myra Cakan fielen leicht gegen die anderen Beiträge ab. Dafür hat Cakan 1999 mit ihrem Roman „When the Music’s over“ (ein Songtitel von den Doors) umso mehr Erfolg gehabt.

Alles in allem eine empfehlenswerte Anthologie, die aus deutschsprachiger Sicht direkt auf der Cyberpunk-Welle reitet. Sie ist allerdings nur noch im Online-Antiquariat zu bekommen.

Taschenbuch: 206 Seiten
Originalausgabe
Aus dem Englischen übertragen von J. Körber, P. Timm, P. Robert und Hendrik P. Linckens.
ISBN-13: 9783811837904

www.heyne.de

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