Lucius Shepard – Das Leben im Krieg

Antikriegsroman: Ein GI in Nicaragua

David Mingolla ist ein durchschnittlicher Soldat, der versucht, die Hölle des mittelamerikanischen Krieges zu überleben. Vollgepumpt mit Drogen und direkt an ihre Hightech-Waffen angeschlossen, gleichen er und seine Kameraden eher Kampfmaschinen als Menschen. (Verlagsinfo)

Dies ist einer der besten Antikriegsromane der achtziger Jahre. Eine Mischung aus Cyberpunk, William Gibson, „Hundert Jahre Einsamkeit“ und Vietnam-Dokumentation. Der erste Teil des Romans, „R&R“ (Abkürzung für „rest & recreation“, aber auch für „Rock & Roll“), erhielt als Novelle mehrere Preise und wurde in der SF kontrovers diskutiert.

Der Autor

Lucius Shepard, geboren 1947, zunächst ein Rockmusiker, Bordellrausschmeißer und Dichter, war in den achtziger Jahren einer der wichtigsten SF-Autoren, der mehrfach mit Preisen des Genres ausgezeichnet wurde. In seinen Erzählungen „Salvador“ (1984) und mit dem Roman „Das Leben im Krieg“ (1987) setzte er sich sehr kritisch und provokativ mit dem Engagement der Vereinigten Statten unter Präsident Reagan in Mittelamerika auseinander. Die CIA, das Pentagon und sicherlich noch andere Behörden des Geheimdienstapparates bildeten Contras aus: Sie sollten in El Salvador und Nicaragua gegen das sozialistische Regime operieren. Die Folge war ein Stellvertreterkrieg, in dem nicht nur Tausende von Zivilisten ums Leben kamen, sondern auch die Iran-Contra-Affäre (Waffenschmuggel) die totale Amoralität der Verantwortlichen im Pentagon offenlegte.

Mit seinen anderen Werken war Shepard nicht so erfolgreich. In „Grüne Augen“ (1984) stellt die CIA illegale Experimente zur Wiederbelebung von Leichen an; in dem Kurzroman „Kalimantan“ wandelt die Hauptfigur auf den Spuren Joseph Conrads. Aber jede Erzählung Shepards hält ein gutes Leseerlebnis bereit, so etwa in „Delta Sly Honey“ (1989) und „Muschelkratzer-Bill“ (1994). Die Fantasy-Story „Der Mann, der den Drachen Griaule malte“ (1984) bildet mit „The Scalehunter’s Beautiful Daughter“ (1988) und „Father of Stones“ (1988) eine schöne Sequenz aus der High Fantasy. Shepard schuf sich seine Nische irgendwo zwischen Joe Haldemans Anti-Kriegs-Romanen und Robert Silverbergs Transzendenz-Epen.

Zuletzt veröffentlichte Edition Phantasia die Kurzromane „Endstation Louisiana“ (siehe meinen Bericht), „Aztech“ und „Ein Handbuch amerikanischer Gebete“ (siehe meine Berichte). „Hobo Nation“ ist teils Reportage, teils Erzählungen.

Handlung

Es geht um kein triviales Thema, sondern um „Apocalypse Now“ in Mittelamerika, im Dschungel von Nicaragua und El Salvador, als die Reagan-Truppen dort die kommunistischen Sandinistas bekämpften. Der Roman ist in fünf Teile aufgeteilt, von denen „R & R“ (= Rest and Recreation) den Anfangsteil bildet.

Teil 1: „R & R“
Teil 2: „Der gute Soldat“
Teil 3: „Frontabschnitt Smaragd“
Teil 4: „Das Durchqueren der Wildnis“
Teil 5: „Sektor Jade“

David Mingolla ist einer der US-amerikanischen Soldaten vom menschlichen Durchschnitt, der versucht, die Hölle des Krieges in Mittelamerika zu überleben. Seine Kumpel versuchen, mit Drogen vollgepumpt und im Direktkontakt mit ihrer Elektronik ihrer Waffen, der Realität zu entkommen, doch sie gleichen eher Kampfmaschinen als Menschen. Die Grenzen zwischen Gut und Böse, zwischen Liebe und Hass und zwischen Mythos und Realität lösen sich auf – alles wird möglich, alles ist relativ.

Was von den Soldaten übrigbleibt, falls sie die sinnlosen Gefechte und die Massaker an der Zivilbevölkerung überleben, sind leergebrannte Zombies. Sie werden nie mehr fähig sein, in ein normales bürgerliches Leben zurückzukehren, es sei denn, sie springen rechtzeitig ab und desertieren.

David Mingolla aber desertiert nicht, sondern schlägt sich durch. Bis er schließlich zu seinem Entsetzen herausfindet, dass der Krieg nur die Fortsetzung einer jahrhundertelangen Blutfehde zweier verfeindeter mittelamerikanischer Familien ist, zwar mit anderen Mitteln, aber immerhin: Die Weltmacht USA ist nun als Handlanger von Provinzfürsten mit privaten Rachegelüsten bloßgestellt. Ob er das wohl der „Lügenpresse“ verraten darf?

Mein Eindruck

Mit diesem Roman etablierte sich Shepard als provokativer und kritischer Autor, doch seine späteren Romane muss man in deutscher Übersetzung zusammensuchen, so etwa bei der Edition Phantasia. Der Roman ist leidenschaftlich, kraftvoll, anschaulich und schön geschrieben, es ist eine reine Freude, die drei Teile zu lesen. Ein Meisterwerk über den Wahnsinn des Krieges, die Abgründe menschlicher Besessenheit und das Herz der Finsternis. Joseph Conrads Roman „Heart of Darkness“, verfilmt als „Apocalypse Now“, lässt schön grüßen.

Shepards Interesse gilt nicht so sehr den (waffen-) technischen, militärischen oder wirtschaftlich-sozialen Aspekten dieses speziellen Krieges, den er schon 1984 in seiner Story „Salvador“ verarbeitete. Es geht um die Psyche, die sich in diesem Hexenkessel verändert – bis zur Unkenntlichkeit. Hier findet der amerikanische Traum sein Ende: im Dschungel, im Drogenrausch, im Kampf mit einem Jaguar, unter dem Einfluß eines Voodoo-Magiers, kurz: im Herzen der Finsternis, wohin sich nur Wahnsinnige oder Verzweifelte hinwagen.

Hinweis

Die deutsche Ausgabe enthält ein informatives Nachwort von Michael Nagula: „Lichtsucher, Schattenjäger. Die tausend Tode des Lucius Shepard“. Darin berücksichtigt er u.a. das Interview, das Shepard 1987 gab und im Heyne Science Fiction Jahrbuch 1989 abgedruckt ist.

Außerdem enthält das Nachwort eine nützliche Bibliografie mit VÖ-Daten von Shepards Romanen und Erzählungen, wovon letztere über mehrere Heyne-Publikationen verstreut sind. Viele davon sind aber im noch unübersetzten Erzählband „The Jaguar Hunter“ zu finden.

Taschenbuch & E-Book: 620 Seiten
Originaltitel: Life During Wartime, 1987
Aus dem Englischen von Irmtraud Kremp & Irene Bonhorst
ISBN-13: 9783453031449

www.heyne.de

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