Bo R. Holmberg – Schneegrab

In der nordschwedischen Provinz kommt es im Winter des Jahres 1849 zum tödlichen Streit zwischen zwei Landstreichern. Der mit den Ermittlungen in diesem Routinefall beauftragte Polizeiamtmann kommt vor Ort zufällig einem ganz anderen, wesentlich schlimmeren Verbrechen auf die Spur … – Lesenswerter skandinavischer Historienkrimi der besonders düsteren Art. Ohne falsche Nostalgie schildert der Verfasser eine kalte, karge Landschaft, deren Bewohner von Pflicht und Tradition in ihrem harten Alltagstrott gefangen werden, bis sie dem Druck nicht mehr standhalten und sich – mit oft tödlichen Folgen – Luft verschaffen.

Das geschieht:

Im Ångermanland kommt es im schwedischen Spätwinter 1849 zwischen den Landstreichern und Gelegenheitsdieben Isak Villander und Grels Persson zum Streit um gestohlenes Geld. In Notwehr muss Persson seinen Partner töten. Da dies ohne Zeugen geschah, glaubt der misstrauische und obrigkeitsfeindliche Mann sich nicht verantworten zu müssen und versteckt die Leiche in einer Schneewehe, wo sie erst einige Wochen später gefunden wird.

Die Spur ist buchstäblich kalt, als Harald Morell, der in seiner Funktion als Amtmann die ausgedehnte Pfarrei Anundsjö auch polizeilich beaufsichtigt, und sein Gehilfe Johan Anundsson an den Ort der Bluttat gerufen werden. Weder Opfer noch Täter wurden gesehen, was die Ermittlungen schwierig macht. Pflichtbewusst befragen Morell und Anundsson trotzdem die Bauern, Knecht und Mägde, die in der dünn besiedelten Gegend ihr karges Auskommen fristen.

Im Armenhaus von Anundsjö keimt in der Pflegerin Greta Sigurdsdotter inzwischen ein schrecklicher Verdacht auf. Die Zahl der Insassen hat sich in diesem harten Winter stark erhöht, was der neue Hilfspfarrer Erik Sondelius wegen der damit einhergehenden Steigerung der Unterhaltskosten mit Missfallen zur Kenntnis nimmt. Gleichzeitig wütet unter den Alten und Kranken eine seltsame Seuche, die sowohl tödlich endet als auch primär dann auftritt, wenn der Herr Hilfspfarrer das Abendmahl austeilt.

Die Anwesenheit des Amtmanns ist für Greta wie ein Wink mit dem Zaunpfahl. Bevor sie sich allerdings ein Herz gefasst und Morell informiert hat, liegt sie erstochen im Schnee. Bis Morrell selbst endlich begreift, was sich in Anundjsö abspielt, bleibt genug Zeit für weitere Verbrechen aus ökonomischer Logik & Leidenschaft …

Alte Zeiten waren schwere Zeiten

Ein Historienkrimi, der zudem in Skandinavien spielt: Auf dem deutschen Buchmarkt muss diese Kombination wie eine doppelt sichere Bank wirken. Was aus dem hohen Norden kommt und mit Verbrechen zu tun hat, wird in Deutschland zuverlässig gelesen. Dieses Vertrauen ist erfreulich oft gerechtfertigt; auch in diesem Fall ist es so. „Schneegrab“ ist ein spannendes Buch, das zudem in seinem historischen Umfeld funktioniert.

Allzu oft machen sich die Verfasser von Geschichten, die in der Vergangenheit spielen, ihre Sache einfach und nutzen die Geschichte als reine Folie für eine ansonsten simpel gestrickte Handlung. Wird das übertrieben, bemerkt sogar der Laie die daraus resultierenden Misstöne und ist verstimmt. Bigotter Kirchenmann – schöne Rittertochter – tapferer Handwerksbursche – geiler Landvogt: Zwischen den Eckpunkten dieses Klischee-Quadrats spielen sich solche Geschichten häufig ab.

„Schneegrab“ präsentiert einen düsteren Blick auf das historische Landleben. Von fröhlich verschmitzten, naiven Bauersleuten fehlt hier jede Spur. Das Leben ist einfach und entbehrungsreich. Die Sprache unterstreicht es: Holmberg erzählt in sehr kurzen Sätzen.

Frage – Antwort oder Prügel

Das Verbrechen kommt ebenfalls schnörkellos daher. Raffinierte Mordgeschichten finden keinen Platz in dieser Umgebung. Dem steht eine noch rudimentäre Kriminalistik gegenüber, die komplexen Ermittlungen nicht gewachsen ist. Morell vertritt in erster Linie das Gesetz in seinem Amtsbezirk. Muss er ihm Genüge verschaffen, ist es nötig auf Bauern zurückzugreifen, die sich in der kalten Jahreszeit als Hilfsgendarmen ein finanzielles Zubrot verdienen. Unter solchen Umständen sind keine kriminologischen Meisterleistungen à la Sherlock Holmes zu erwarten. Stattdessen ersetzen ganz selbstverständlich Drohungen und Prügel ausgefeilte Verhörmethoden.

Mit seinen Figuren macht es Bo Holmberg sich und seinem Publikum generell nicht einfach. Kompromisslos platziert er „Schneegrab“ in eine Landschaft und unter Menschen, die gleichermaßen unzugänglich und abweisend sind. Die Pfarrei Amundsjö gilt sogar im Jahre 1849 als zivilisationsferner Ort. Die Menschen bleiben unter sich; jede/r kennt jede/n aber jede/r kontrolliert jede/n auch. Seit Jahrhunderten verläuft das Leben in seinem Trott. Wer geboren ist, weiß bereits, wie er oder sie leben und sterben wird: nämlich wie seine oder ihre Ahnen und nach vielen Jahren harter Arbeit.

Die Menschen sind in ein festes Netz wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Verpflichtungen eingebunden. Kinder setzt man in die Welt, damit sie einem im Arbeitsalltag zur Hand gehen und im Alter versorgen. Frauen heiraten früh, führen den Haushalt, werden Mütter. Zu sagen haben sie wenig, zu arbeiten umso mehr.

Eigener Herd als Mühlstein am Hals

Man wird in seinen Stand geboren, und man wird in ihm sterben; ein Aufstieg ist unwahrscheinlich. Ebenso unmöglich ist es der eigenen Familie zu entkommen. Lisbet Zackrisdotter wünscht sich ein selbst bestimmtes Leben, das sie in bescheidenen Verhältnissen als Magd oder Zofe führen müsste. Stattdessen sieht sie sich an den pflegebedürftigen Vater gefesselt; für ihn und für die Menschen in Lisbeths Umgebung ist dies eine absolute Selbstverständlichkeit. Sie selbst traut sich nur in ihrem stillen Kämmerlein an Ausbruch zu denken. Selbst als der alte Zackris dann tot ist und Lisbet ziehen kann, bleibt ihr ein schlechtes Gewissen.

Auch Johan Amundsson könnte sich ein Leben vorstellen, das nicht wie das seines Vaters und seiner Vatersväter als Bauer verlaufen müsste. Doch Johan ist außerstande, dies zu artikulieren; seine Eltern bleiben ahnungslos; es ist wohl auch besser so, da sie aus allen Wolken fallen würden. Seine Verlobte Annika leidet unter den Nachstellungen ihres ehemaligen Liebhabers Daniel Persson. Dieser kann einfach nicht begreifen, dass er seine ‚Rechte‘ auf die Frau verwirkt hat. In dieser Welt entscheiden die Männer, wen ‚ihre‘ Frauen zu lieben bzw. wem sie zu gehorchen haben.

Fort mit den Schwachen & Nutzlosen!

Ein Leben gegen die geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze und Normen birgt das hohe Risiko in sich ausgeschlossen zu werden, was in dieser Zeit und in diesem harten Land durchaus ein Todesurteil sein kann. Not und Elend sind nur allzu reale Drohungen, denn ein soziales Netz gibt es nicht bzw. nur in Ansätzen; wer nur einigermaßen bei Kräften ist, lebt lieber auf der Straße als sich in eines der wenigen, überfüllten, schmutzigen Armenhäuser zu begeben. Dort hausen die Alten, die Kranken, die Schwachen. Sie, die ganz unten auf der gesellschaftlichen Leiter stehen und auf Almosen angewiesen sind, vegetieren als lästig gewordene Mitesser vor sich hin.

Vor diesem Hintergrund gewinnt das Verbrechen von Amundsjö aktuelle Bedeutung: Wer jene mordet, die zu versorgen nur noch Pflicht ist, bleibt unbemerkt und wähnt sich sogar in dem Irrglauben ein nützliches Werk zu tun. Auch hier fällt der Mörder schließlich nur auf, weil er sich zu sicher fühlt und jegliche Zurückhaltung fahren lässt.

2002 veröffentlichte Holmberg „Liemannen“ (dt. „Rabenseelen“) den ersten historischen Krimi um Harald Morell, den „länsman“ von Anundsjö, der von komplexen Kriminalrätseln ebenso überfordert wird wie von seinem schwierigen Privatleben. Er gewann mit diesem Roman die „Flintyxan 2002“ für den besten Historienkrimi des Jahres und setzte die Reihe fort. Für deutsche Leser war er anscheinend ein wenig zu realistisch in der Beschreibung einer eher lebensfeindlichen Vergangenheit: Nur die ersten drei Bände wurden übersetzt.

Autor

Bo Roland Holmberg wurde am 5. Februar 1945 im nordschwedischen Ådalen geboren. 1965 machte er sein Abitur und studierte dann in Uppsala. Nach dem Militärdienst heiratete er 1975 und zog nach Bredbyn ins Ångermanland, wo er als Lehrer in der Oberstufe Schwedisch und Englisch lehrte.

In den frühen 1980er Jahren begann Holmberg zu schreiben. Er entwickelte sich rasch zu einem höchst produktiven Autor, der inzwischen mehr als zwanzig Romane, Kinderbücher, Theaterstücke und Filmdrehbücher verfasst hat. Trotzdem blieb er seinem Lehrerjob treu, auch wenn er nach einem Umzug seit 1995 nur mehr halbtags tätig war, bis er 2010 pensioniert wurde.

Autor im Internet

Taschenbuch: 350 Seiten
Originaltitel: Snögrav (Stockholm : Alfabeta bokförlag 2003)
Übersetzung: Sigrid Engeler
http://www.randomhouse.de/heyne

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