Ian McDonald – Sternenträume. Phantastische Erzählungen

Originelle und stilsichere Erzählungen

Bevor dieser erfolgreiche nordirische Autor mit Romanen wie „Chaga“ und „Kirinja“ weithin bekannt wurde, war er bereits als origineller, engagierter und stilsicherer Autor von Erzählungen und Novellen anerkannt. Hier sind seine besten Arbeiten bis 1988 versammelt, wenn auch ohne die Chaga-Novelle „Toward Kilimanjaro“, die erst 1990 erschien.

Die Story-Sammlung enthält die Erzählungen:

Sternenträume
Szenen aus einem Schattenspiel
Christian
König der Dämmerung, Königin des Lichts
Das Rad der Katharina
Van Goghs unvollendetes Porträt des Königs der Schmerzen
Die Insel der Toten
Radio Marrakesch
Reisen in einzigartige Städte
Vivaldi.

Der Autor

Der 1960 geborene Nordire Ian McDonald schreibt seit 1982 erfolgreich Science Fiction und Fantasy. In „Rebellin des Glücks“ (Out on blue six“, 1989) ist McDonald in diesem, seinem zweiten Roman noch reichlich epigonal, ebenso wie in Roman Nr. 1 – „Straße der Verlassenheit“ (Desolation Road, 1988; dt. bei Bastei) und Nr. 4, „Herzen, Hände und Stimmen“ (Hearts, Hands and Voices, 1992; dt. bei Heyne als Nr. 06/5009, 1993).

Lediglich der Fantasyroman „King of Morning, Queen of Day“ (1991, dt. bei Bastei-Lübbe) ist völlig eigenständig gelungen, ähnlich wie seine jüngsten Erfolge „Chaga oder das Ufer der Evolution“ (1995) und dessen Fortsetzung „Kirinja“ (1998, dt. 2000). Seine letzten bei uns veröffentlichten Romane waren „Narrenopfer“ (Sacrifice of Fools, 1996, Heyne Nr. 06/5981, 11/1998) und „Necroville“ (1994, Heyne 1996 als Nr. 06/5461).

Wem „Chaga“ und dessen Fortsetzung „Kirinja“ gefallen haben, der sollte auch den Kurzroman „Tendeléos Geschichte“ lesen, die in der Anthologie „Unendliche Grenzen“ von Peter Crowther enthalten ist (Bastei-Lübbe, 2002). Tendeléo erzählt vom Chaga in den Jahren 2010 bis 2015.

1) Strasse der Verlassenheit (1988)
2) Rebellin des Glücks (1989)
3) König der Dämmerung, Königin des Lichts (1991)
4) Herzen, Hände und Stimmen (1992)
5) Necroville (1994)
6) Chaga oder das Ufer der Evolution (1995)
7) Narrenopfer (1996)
8) Kirinja (1998)
9) Cyberabad
10) Die LUNA-Trilogie

„Viele Romane und Geschichten sind vom Nordirlandkonflikt geprägt, sehr häufig werden Interessengegensätze und Auseinandersetzungen zwischen Volksgruppen geschildert, die sich in Herkunft oder Religion unterscheiden. Beispielsweise handelt sein Roman „Narrenopfer“ von einem Konflikt zwischen Menschen und als Flüchtlingen eingewanderten Außerirdischen. In „Herzen, Hände und Stimmen“ prallen zwei Lebensweisen aufeinander, eine biologisch verwurzelte und eine technisch orientierte, wobei es angesichts der Frage, welche besser sei, keine Antwort gibt. Ein weiteres wiederkehrendes Thema bei McDonald ist der Konflikt zwischen High-Tech-Entwicklungen und den Verhältnissen in Entwicklungsländern.

Der Chaga-Zyklus (bislang bestehend aus der Kurzgeschichte „Zum Kilimandscharo“, den Romanen „Chaga“ und „Kirinya“ sowie der Novelle „Tendeléo’s Story“) schildert, wie biologische Pakete auf der Erde einschlagen und Zonen eines wild wuchernden fremden Lebens entstehen lassen, in denen die irdische Ökologie komplett absorbiert wird. Die Art und Weise, wie Menschen und Staaten damit umgehen, ob sie die Alien-Biologie als tödliche Bedrohung sehen oder als Chance für ein AIDS-Heilmittel begreifen, interessiert den Autor sehr. Die Reaktionen verraten viel über soziale Strukturen, Macht und Diskriminierung.

In dem Roman „River of Gods“ schildert McDonald ein in Einzelstaaten zersplittertes Indien des Jahres 2047, in dem Künstliche Intelligenzen auf Techno-Hinduismus treffen. Auch die Texte des Erzählungsbandes „Cyberabad Days“ spielen in dieser Welt.“ (Wikipedia.de)

Die Erzählungen

Bevor dieser nordirische Autor mit Romanen wie „Chaga“ weithin bekannt wurde, war er bereits als origineller, engagierter und stilsicherer Autor von Erzählungen und Novellen anerkannt. Hier sind seine besten Arbeiten bis 1988 versammelt, wenn auch ohne die Chaga-Novelle „Toward Kilimanjaro“ (1990).

1) Sternenträume (Bodenkontrolle an Major Tom) (1985)

Catherine Semple ist die Witwe eines Polizisten in Belfast, der bei einem Bombenattentat getötet wurde. Möglicherweise, so vermutet Dr. Montgomery, ist dies der psychosomatische Auslöser für Tom, ihren Sohn gewesen, der nun mit Leukämie in der Klinik liegt. Dr. Montgomery hat Catherine die Behandlung mit dem Tiefträumen vorgeschlagen. Durch eine programmierbare Schnittstelle, die er „Mindbox“ nennt, spielt er dem im Koma liegenden Jungen Träume in die entsprechenden Gehirnzellen. Die Träume füllt Tom mit eigener Dynamik. Weil er mit dem großen Major Tom gegen die feindlichen Zygonen fliegt, nennt er sich Kleiner Major Tom. Die presse nennt ihn der Einfachheit halber „Luke Skywalker“.

Die Fortschritte halten sich in Grenzen, doch Catherine wacht jeden Tag am bett ihres Sohnes. Auf einem Flug von London nach Belfast lernt Dr. Montgomery eine krebskranke Mutter von drei Kindern kennen. Sie fragt ihn, ob Kinder ihren Eltern jemals vergeben können, dass diese sterben. Er weiß es nicht, aber als er die Frage mit seiner Programmiererin Roz bespricht, hat sie einen riskanten Vorschlag: Tom soll Major Tom töten…

Mein Eindruck

Die Kurzgeschichte verarbeitet die Vorlagen von „Star Wars“ zum Zwecke der psychologischen Behandlung eines traumatisierten Jungen. Wie in „Star Wars“ steht der Konflikt zwischen Vater (Major Tom) und Sohn (Little Tom) im Mittelpunkt. Während die Außenwelt in Aufruhr gerät und Catherine Semple und Dr. Montgomery viele kritiker abwehren müssen, sieht sich Little Tom auf einmal in einem Konflikt, als Major Toms Auto explodiert (genau wie das seines richtigen Vaters). Little Tom muss sich der Realität stellen – und schreit wie ein Baby, als er erwacht…

2) Szenen aus einem Schattenspiel (1985)

In einer Stadt der Zukunft, die viel Ähnlichkeit mit Venedig aufweist, ist Lord Perellen ein Meister der Komposition. Er bewegt sich in den Kreisen der Mächtigen und Schönen, bis er eines Tages die Schmach erleiden muss, von der begehrten Schönheit Serenade abserviert und durch einen anderen ersetzt zu werden. Er schwört sich, sich an ihr und ihrem neuen Liebhaber, Lord Mereveth, seinem Ex-Patron, zu rächen. Während sogenannte „Raser“, die Opfer einer außerirdischen Carniphagen-Seuche, die Stadt und ihre Kanäle unsicher machen, bestellt er bei den Gebrüdern Ho, den Bastard-Klonen seines Vaters, ein paar ganz speziell angefertigte, mechanische Mäuse: Spielzeuge für die Kinder des Lord Mervellen. Mit einer klitzekleinen Spezialausstattung…

Nach dem bedauerlichen Tod des Lords sucht Perellen nach Serenade, um die Früchte seiner Tat einzuheimsen. Doch sie scheint nirgendwo auf den Bällen und Dinner-Tees zu finden zu sein, was seine Laune auf einen Tiefpunkt sinken lässt. Auf dem Heimweg von einer solchen Feier muss er zu Fuß nach Hause gehen und gerät in eine üble Gegend. prompt greift ihn ein Raser an und versucht seine Zähne in perellens Fleisch zu schlagen. Der Schuss eines Wächters erledigt die Kreatur. Wie als Belohnung erscheint Serenade in seinem palazzo, herbeigerufen durch ein grandioses Freiluftkonzert, das er geschaffen hat. Zu spät merkt er beim Liebesspiel, dass sie ihre Zähne in sein Fleisch schlägt, um ihn mit der Raser-Pest zu infizieren. Bevor er den Verstand verliert, offenbart ihm noch die Firmensignatur in ihren Pupillen ihr Geheimnis: „Hergestellt von den Gebrüdern Ho, Präparatoren“…

Mein Eindruck

Edgar Allan Poe, der Meister der Rachegeschichte, hätte seine helle Freude an dieser stimmungsvollen Erzählung aus eineer Endzeit-Stadt gehabt. Eine begehrte Schöne, ein rachsüchtiger Liebhaber und Künstler, mechanische Menschen (wie Van Kempelens Schachspieler) und andere Kreaturen – all dies kannte schon Poe, und vor ihm schon E.T.A. Hoffmann, der mit Olimpia die wohl erste weibliche Automate erfand (in „Der Sandmann“). McDonald fügt diesem soliden Fundament noch ein paar eigene Motive hinzu, so etwa die vampirhaften „Raser“, die von einem außerirdischen, von interstellaren Händlern eingeschleppten Virus zu Fleischfressern verwandelt worden sind. Wie bei Vampiren ist ihr Biss infektiös und verwandelt das Opfer ebenfalls in einen Raser.

Wie man sieht, ist der Einfallsreichtum begrenzt, aber die Pointe mutet sehr ironisch an. Perellen glaubt, er sei der maßgebliche Akteur in seinem Rachespiel, dabei wird er nur benutzt, damit er sein Erbe an die unehelichen und verachteten Gebrüder Ho verliert. Die künstliche Frau Serenade spielt dabei nur den Köder in der Falle. Sehr liebevoll sind die kleinen Killer-Mäuse geschildert, deren Beschreibung dem Autor offenkundig viel Freude bereitet hat – um ihr Treiben danach umso blutiger zu schildern.

3) Christian (1984)

Der junge Fraser ist ein Strandläufer und erträumt sich am Ufer neue Welten. Eines Tages stößt er in der Nähe einer verfallenen Konservenfabrik (Fische gibt es hier schon lange nicht mehr genug) auf einen Wohnwagen. Der ist vollgepackt mit Winddrachen, und manchmal segeln hoch droben drei Drachen gleichzeitig. Der Bewohner dieses Trailers ist der alte Christian, und bald schließen sie einen Pakt der Freundschaft. Christian bringt Fraser das Drachenfliegen bei und dafür muss sich Fraser Christians Geschichte anhören.

Wie Fraser bei Anblick des gekerbten Stabs, dessen Enden mit Silber beschlagen sind, sogleich begriffen hat, ist Christian ein Lotse. Aber nicht irgendeiner: Er hat Raumschiffe zum Cape Infinity geleitet, wo sie durch das Wurmloch im Innern eines Schwarzen Lochs segelten. Bis es eines Tages zu einer Liebesgeschichte, einer Rivalität und einer Katastrophe kam. Seitdem sind Lotsen durch intelligente Maschinen ersetzt worden, lernt Fraser.

Er braucht aber noch einen Tag, um die nötige Schlussfolgerung daraus zu ziehen: Dass nämlich auch Christian ein Roboter ist. Für diese Erkenntnis ist eine weitere Katastrophe nötig: Fraser hat Christians heiligen schwarzen Drachen aus Versehen zerbrochen und gestohlen…

Mein Eindruck

In eine stimmungsvolle und einfühlsame Jungengeschichte, die mich an Iain Banks‘ Roman „Die Wespenfabrik“ erinnerte, hat der Autor eine tragische Liebesgeschichte über Raumschifflotsen eingebettet. Seine Freundschaft ist zur Liebe gar nicht so verschieden: Fraser zerstört das in ihn gesetzte Vertrauen und Christian, sein Freund, reagiert unangemessen aggressiv. Frasers Familie und ihre Freunde wollen für Gerechtigkeit sorgen. Im Verlauf der Krise kommt es zur Katastrophe, in der alle Träume – die Drachen – verbrennen und die hässliche Wahrheit zum Vorschein kommt.

4) König der Dämmerung, Königin des Lichts (1988)

Diese Novelle ist Vorlage für den Fantasy-Roman „König der Dämmerung, Königin des Lichts“ (Bastei-Lübbe 1992, siehe meinen Bericht). Der Roman ist eine verzweigte, poetische Geschichte von drei wunderbaren Frauen. Sie beginnt 1913, als die junge Emily mythische Figuren zum Leben erweckt, die möglicherweise zu ihrer Vergewaltigung führen.

Emily dringt in das dunkle, lebendig gewordene Reich ihres pubertären Unterbewusstseins ein, das ihre reale, hektische Welt des 20. Jahrhunderts überlagert und verändert: Ihr Vater, ein Astronom, will ein Sternenschiff beobachtet haben und baut eine riesige Signalvorrichtung in der Bucht von Sligo – sie ruiniert ihn, und Emilys Vergewaltigung ruiniert seinen guten Ruf.

Er muss sein feudales Anwesen verkaufen, auch wegen religiöser (Protestanten vs. Katholiken) und politischer Differenzen. Denn Irland will unabhängig werden, seit durch die Poesie eines William Butler Yeats und der gälischen Renaissance der irische Nationalismus erweckt worden ist, dem auch Mr. Desmonds Frau Caroline, Emilys Mutter, anhängt…

Mein Eindruck

Emilys Feenbegeisterung erfolgt also genau auf der Bruchlinie zwischen schwärmerischer Romantik (Emily) einerseits, nationaler Renaissance (ihre Mutter) andererseits und schließlich der wissenschaftlichen Weltanschauung (ihr Vater). Fehlt nur noch der Bankrott, um ihre Welt zusammenbrechen zu lassen.

Doch es kommt anders: Emilys Vergewaltigung hat keinen – sichtbaren! – Urheber, was die Polizei an der Glaubwürdigkeit ihrer Aussagen zweifeln lässt. Und als sie am sagenumwobenen Brautstein an Waldesrand entdeckt wird und erneut den Polizisten entflieht, ereignet sich der Übergang in ihre Anderswelt, so das Ende des ersten Romanteils. In der Novelle verbringt Emily ihre weiteren Tage in der Obhut der Nonnen der Klosterschule.

Der Autor vermengt all dies auf eine bezaubernde und höchstwahrscheinlich ziemlich ironisch gemeinte Weise. Aber alle Figuren behalten ihre Würde und berichten immer nur aus dem eigenen Blickwinkel (Tagebuch, Interview, Zeitungsartikel, Rede usw.), so dass am Schluss das Urteil, was denn nun „eigentlich“ passiert sei, dem Leser überlassen bleibt.

5) Das Rad der Katharina (Unsere liebe Frau von Tharsis) (1983)

Es ist die letzte Fahrt des Ares-Express. Der Mars ist von der ROTECH Company terraformiert worden, und weil seit kurzem Maschinen wie die Fluggleiter den Reiseverkehr bedienen, sind Züge überflüssig geworden. Doch der Ares-Express hat eine glorreiche Vergangenheit, wie der staunende junge naon Asiim von seinem Großvater, dem Maschinisten Taam, erfährt. Die Lokomotive des mit Fusionsantrieb versehenen Zuges ist nicht ohne Grund nach der Heiligen Katharina von Tharsis benannt worden. Denn nichts weniger als ein Wunder ist dem Zug einst widerfahren…

Kathy Haan ist bei ROTECH auf der Erde angestellt, um mit ihrem geist die zahlreichen Maschinen, die für die Terraformung notwendig sind, zu steuern. Ein Mensch-Maschine-Interface macht es möglich, ihren Geist Millionen Kilometer weit bis zur Raumstation, zu den Solarspiegeln und vielen anderen Einrichtungen zu schicken. Und zu gewissen Zügen. Doch wie lästig ist doch so ein Körper, noch dazu ein weiblicher mit seinen monatlichen Beschwerden! Entschlossen, die Vergeistigung zu erreichen, bittet Kathy ihren Freund Patrick ihr das Mittel zu verschaffen, um ihren Körper unwiderruflich verlassen zu können…

Mein Eindruck

Obwohl der Kathy-Erzählstrang zwischen den Ares-Express-Erzählstrang geschoben ist, so läuft er doch zeitlich weitaus früher ab. Das ergibt sich einfach aus der inhaltlichen Beziehung zwischen der vergeistigten Kathy, die als heilige Katharina von Tharsis die Maschinen so steuern kann, dass sie den Ares-Express vor einer Katastrophe bewahren kann. Der kleine Naon Asiim fragt seinen Großvater: Bedeutet das also, dass die hl. Katharina eine Heilige der Menschen oder eine der Maschinen ist? Diese knifflige Frage ist der Kern der Erzählung. Und das, was der Maschinist antwortet, gefällt Naon Asiim nicht wirklich. Und so muss jede Generation die gleiche Frage beantworten, wem der Geist in der Maschine wirklich dient.

Diese Story ist ein Bindeglied zwischen dem Mars-Roman „Strasse der Verlassenheit“ (dt. bei Bastei-Lübbe) und der Fortsetzung „Ares Express“. Im Kathy-Erzählstrang erweist sich der Autor als scharfer Kritiker: Der Grund, warum die Menschen der Erde bzw. Realität entfliehen wollen, ist nämlich, dass politische Meinungsäußerung auch Mord und Terrorismus mit einschließt. Der Leser darf dies getrost auf die politische Situation in der nordirischen Heimat des Autors beziehen.

6) Van Goghs unvollendetes Porträt des Königs der Schmerzen (Unfinished Portrait of the King of Pain by Vincent Van Gogh, 1988)

Vincent ist um 1888 aus dem kühlen Flandern in die Provence gekommen, um in Arles eine Künstlerkolonie zu gründen. Jeden zweiten Tag schreibt er seinem Bruder Theo, doch endlich Paul Gauguin, der in der Bretagne weilt, zu bewegen, ebenfalls nach Arles zu kommen. Doch Paul bleibt aus, und Vincent, der die Nächte durchzecht, bis das Café schließt, verändert sich. Die Sonne des Südens ist mittlerweile sein Gott, und er bekniet Theo, ihm mehr Gelb zu schicken.

Doch eines Tages begegnet er dem König der Schmerzen. Mitten in der Provence steht am Ufer des Meers der Ewigkeit ein Baum, der gleichzeitig blüht und Früchte trägt, der zugleich grün wie im Frühjahr und braun wie im Herbst ist. Darunter liegt ein Mann, der sagt, sein Name sei Jean-Michel Rey, ein Mechaniker, von seiner Arbeitsstelle von den Hohen und Strahlenden der Zukunft hinweggeholt, um als ihr Agent zu dienen: als König der Schmerzen. Und er, Vincent, sei auserwählt, sein Porträt zu malen.

Der König, so erfährt der ungläubige Vincent, gebiete durch die allmächtigen Maschinen der Zukunft über jede Zeit. Die Aufgabe der Maschinen sei es, den Schmerz aus der Welt zu entfernen, ihn zu unterdrücken und ihn durch Frieden, Unversehrtheit und Zufriedenheit zu ersetzen. Im nächsten Stadium seiner Beziehung zu Vincent macht der König der Schmerzen seinem Porträtisten zum Lohn ein Geschenk: Schmerzfreiheit.

Fortan ist Vincents Leben unbeschwert und nur noch der Feier der Farben gewidmet. Doch dann trifft Paul Gauguin im düsteren Oktober ein, und was Vincent offenbar, erfüllt ihn mit Grauen. Denn Paul versteht die Natur und Größe des Geschenks nicht. Vincent schneidet sich als Beweis das untere Drittel seines Ohrs ab, was Paul nur noch mehr verängstigt, so dass er alsbald Reißaus nimmt. Vincent wird eingewiesen, darf aber weiterhin malen.

Erst in der zweiten Anstalt wird er verstanden. Dr. Gachet ist selbst ein etwas verschrobener Charakter und verfolgt eigene Theorien: Was soll die Kunst, was darf sie, was nicht? Und dergleichen. Ihm eröffnet Vincent die Existenz des Königs der Schmerzen. Gachet verurteilt diese elende Kreatur, denn sie wisse nichts vom Menschsein. Falls Vincent ihr noch einmal begegne, solle er ihr Bescheid stoßen, was von ihr zu halten sei. Fortan bewaffnet sich Vincent mit einem Gewehr.

Tatsächlich begegnet er dem König der Schmerzen 1891 ein letztes Mal. Es war abzusehen gewesen, denn die schwarzen Vögel versammelten sich über den korngelben Feldern wie schwarze Mäntel aus Schmerz. Als Vincent sie malt, nähert sich die Figur des Königs auf dem roten Weg, der sich durch Felder schlängelt. Da er Herr der Zeit ist und es geschrieben steht, weiß der König der Schmerzen von Vincent bevorstehendem Tod – aber nicht von seinem eigenen. Als der rechte Moment gekommen ist, holt Vincent sein Gewehr hervor, zielt und feuert…

Mein Eindruck

Geradezu surreal und metaphysisch wird es in dieser Künstlernovelle, die 1988, genau hundert Jahre nach der Ankunft Vincents in Arles, veröffentlicht wurde. Hier bietet der Autor eine Erklärung für die grauenerregenden letzten Bilder des Malers: die unheilvollen Krähen über dem Kornfeld, die delirösen Sternenlichter im Nachthimmel.

Science Fiction ist dies, weil eine künftige Weltregierung vorgestellt wird, in der intelligente Maschinen, die in jedem Menschen einen kleinen Ableger besitzen, die Menschheit steuern. Es ist ein Vision, die George Orwell nicht schlimmer hätte zeichnen können, denn die Menschen hören auf, menschlich zu sein und verhalten sich maschinenhaft. Das erkennt sogar Dr. Gachet in seiner Weisheit.

Wer sich nun fragt, wer dieser ominöse „König der Schmerzen“ sein soll, der findet die Antwort alsbald in Vincent selbst. Drei Tage nach dem Schuss erliegt der Schwerverletzte seinen Wunden. Und es wird wahr, was der König ihm prophezeite: Zu Lebzeiten verkaufte der Maler nur ein einziges Bild (Theo jubiliert schreibend), aber im Nachleben erzielten seine Bilder höchste Preise.

7) Die Inseln der Toten (1982)

Es ist mal wieder Halloween, und die Toten kommen aus ihren Grüften, um mit den Lebenden zu tanzen. Diese Grüfte liegen auf einer griechischen Insel mit einer alten venezianischen Festung, die von einer Firma, die Unsterblichkeit garantiert, in „Thanos“ umbenannt worden ist. Der Fluss, der die Insel der Toten vom Festland trennt, heißt natürlich Acheron und der Fährmann Charon, ganz wie in alten Zeiten.

Doch unser Chronist hat keine Chancen, jemals wie weiland Orpheus seine Eurydike aus der Unterwelt der simulierten Ewigkeit zurück ins Leben zu holen. Als er die Überfahrt bewältigt hat und seine Einladung bei der Kontrolleurin vorweisen muss, weiß er, dass nur an diesem Abend eine Chance besteht, seine vor einem Jahr „verstorbene“ Frau wiederzusehen. Ohne seine Einwilligung hatte sie sich von der Thanos-Betreiberfirma einen Scannerschuss in den Kopf verpassen lassen; damit diese ihr Bewusstsein konserviert und transferiert.

Als ihr Ex-Mann sie nun innerhalb der Festungsmauern sucht, weiß er, dass ihr Geist jede Gestalt als Wirt benutzen kann. Da! Eine Frau im grünen Kleid! Das muss sie sein. Er jagt ihr nach, doch die vermeintliche Gesuchte entpuppt sich als eine andere Dame, die ein ähnliches Schicksal erlitten hat: Ihr todkranker Bruder, der Gründer der gemeinsamen Firma, hatte sich scannen und hierher transferieren lassen. Doch wie merkwürdig: Nach einer anfänglichen Zeit der intensiven Kommunikation ließ er bald nichts mehr von sich hören, weshalb sie sich auf die Reise machte. Und als sie ihn heute traf, erkannte er sie nicht einmal. Die Toten, so erfährt der Chronist, haben ihre eigene Art von Zeitvertreib, beispielsweise Schädelreihen in Beinhäusern.

Da erkennt unser Chronist, was aus der Liebe wird, wenn sie zwischen Gespenstern und Lebenden fortdauern soll…

Mein Eindruck

Die Anlehnung an den Orpheus-Mythos wird hier mit der alten keltisch-irischen Samhain-Überlieferung von der Durchlässigkeit der Grenze zwischen der Welt der Lebenden und der der Geister verknüpft, welche bis heute in den Halloween-Bräuchen fortdauert. Das Vergnügen der friedlichen Begegnung zwischen Lebenden und Toten dauert auf der Thanos-Insel (thanatos = Tod) hier wie dort jeweils nur bis Mitternacht. Dann müssen die Geister wieder zurück in ihre jeweilige Gruft, wo sie ihre zeitweilige körperliche Hülle abstreifen, um im Computerspeicher weiterleben zu können.

Was die Erzählung stets relevant macht, ist das Thema, die hier erkundet wird. Kann es noch Liebe geben, wenn der eine Teil der Partnerschaft zwar physisch, aber nicht mehr seelisch anwesend sein kann? Die toten Augen verraten den Unterschied. Als der Chronist und seine neue Bekanntschaft das Leben feiern, wird auch klar, dass Liebe zwischen Lebenden einfach unersetzlich ist. Denn die Lebenden brauchen ebenfalls ihren eigenen Zeitvertreib, um sich lebendig zu fühlen.

8) Radio Marrakesch (1989)

Sheridan Morrison hat sich vor dem Wehrdienstdienst gedrückt, indem er nach Marokko getrampt ist. Als Sprachlehrer getarnt, schmuggelt er für das diplomatische Corps von Tanger Drogen aus einem Geheimlabor im Rif-Gebirge nach Gibraltar und Algeciras. Seine Freundin Ruthie verfügt über eine geerbte goldene Kreditkarte und jede Menge Kontakte. Daher ist sie in der Lage, für den Eintritt in den Rififi-Club zu zahlen. Hier tritt eine Ultra-Improvisationskünstlerin auf: Hannah Tellender. Sie ist eine Poetin und nimmt Wünsche aus dem Publikum entgegen. Ruthie wünscht sich den Titel „Radio Marrakesch“.

Kaum ist Hannahs eindrucksvoller Auftritt beendet, dringen islamistische Terroristen in den westlich geprägten Klub ein und werfen eine Blendgranate, bevor sie mit Säbeln und Messern eindringen. Hannah blendet die Angreifer ihrerseits mit ihren Laserpistolen und rettet so Morisseys leben. Sie erkennen ihre Bindung und werden Liebende. Aber sie stammen aus verschiedenen Welten: Sie ist eine von Psychodrogen aufgemotzte Ultra, er ein „Flatlifer“ ohne Upgrade, ein „Flachwesen“. Sie erlaubt ihm mit anzusehen, wie eine Ultra-Frau fix und fertig aus einer Lehmform „geboren“ wird, wie ein Golem, doch mit menschlichem Körper.

Doch kein Zauber währt ewig: Hannah merkt, dass es mit ihr zu Ende geht. Die Droge DPMA, die ihr in den USA von einem Quacksalber injiziert worden ist, hat ihren Hormonhaushalt zwar aufgemotzt, aber auch aus dem Gleichgewicht gebracht. Der Arzt aus dem Geheimlabor in den Bergen erklärt es dem wütenden und frustrierten Morrisey: Hannahs Tod sei unausweichlich. Wie sich zeigt, bleiben ihr nur noch etwa drei Monate, und mit jedem Tag altert ihr Körper rapide…

Mein Eindruck

Es ist eine tragische Liebesgeschichte, wie sie im Buch steht. Die Liebe zu einer genialen Künstlerin, die einem kleinen Gauner ohne Perspektive zufällt, ist auch nicht gerade die neueste Idee. Dennoch gelingt es dem Autor, dieser Handlung einer paar faszinierende Gefühlsmomente abzugewinnen, so dass der Leser am Schluss wirklich mitfühlt, wenn es mit Hannah, der Superfrau, zu Ende geht.

Was das alles mit „Radio Marrakesch“ zu tun hat? Wohl eher nichts. Aber der Leser weiß sofort, in welchem Land die Geschichte spielt – und assoziiert vielleicht sogar den CSNY-Song „Marrakesh Express“. Und CSNY schrieben diesen Song, weil Marokko für westliche Aussteiger, wie etwa William S. Burroughs, schon immer dasjenige Land war, in dem es billig Drogen zu kaufen gab, ähnlich wie in Nepal. Letzten Endes verbirgt sich in diesem Text eine Kritik an Drogen und allem, was damit zu tun hat. Die Hoffnung, die sie versprechen, erweist sich früher oder später als trügerisch.

9) Reisen in einzigartige Städte (ohne Jahresangabe)

Fünf Männer sitzen am Lagerfeuer und erzählen sich Geschichten über Reisen in Städte, die wirklich sonderbar sind. Der erste erzählt von einer Stadt, die in das Wort verliebt ist respektive davon besessen ist: die „Stadt von Logos und Rhema„. Je mehr gesprochen und geschrieben wird, desto besser. Sie stellt das „Buch der glänzenden Dinge“ wie das Allerheiligste aus und zeigt pro Tag jeweils nur eine Doppelseite der prächtigen Inkunabel. Andere Bücher werden zwar nie gelesen, aber dennoch in Grund und Boden verdammt, weil sein Autor einen Fehler begangen hat. Und dann gibt es noch Bücher, in denen man sein eigenes Todesdatum finden kann…

In der „Stadt der Totenherrschaft“ bestimmt die Verehrung der Toten die Existenz der Lebenden. Ein patriotischer Tod ist das höchste, das ein Mann erstreben kann. In den Häuser gibt es eine für die Toten reservierte Abteilung, wo sie auch Speis und Trank sowie Totenrosen erhalten. Der Besucher nimmt an der Aussegnung eines geehrten Toten teil, die in einer Straßenbahn stattfindet. Diese fährt direkt zum Friedhof, gefüllt mit feiernden Trauergästen. Der Besucher ist froh, wenn der Regen den Gestank der welken Totenrosen wegwäscht.

Die „Stadt des pulsierenden Lebens“ hält zwar, wie der dritte Mann erzählt, viele Freuden bereit, aber auch einige Tücken. Er konnte zwar viel erleben, musste aber nach einer durchzechten Nacht feststellen, dass er seine Erinnerung verloren hatte. Und ohne Erinnerung war er ein Niemand, mit dem andere tun und lassen konnten, was sie wollten.

Die „Stadt der göttlichen Liebe“ Groß-Theosophilus ist erfüllt von Gläubigen, die den ganzen Tag lang die Glocken der unzähligen Kirchenbauten zu hören bekommen. Folglich beten sie entweder oder handeln mit Reliquien: Splitter, Fingerknochen, Vorhäute. Und Heilige gibt es genug, sogar die hl. Mandy. Und mit den Reliquien, die vom Kreuz Christi stammen, könnte man eineinhalb Kapellen erbauen. Die Botschaft, die die Glocken verbreiten, lautet Unwandelbarkeit. Aber ist das so?

Über der Stadt hängt stets eine graue Wolkenschicht, die die göttliche Sonnen verdeckt. Über ihre Natur und den Grund ihrer Existenz gibt es drei Theorien: Zum einen habe es Gott in seiner Allmacht beliebt, sein Antlitz zu verhüllen; zum anderen bestehen die Wolke in Wahrheit aus sämtlichen Äußerungen der Gläubigen. Doch die ketzerische dritte Meinung lautet, sie bestehe aus Aberglauben.

Der fünfte Reisende am Lagerfeuer ist zugleich älteste und weiseste. Er erklärt alle Aspekte der „Stadt des Menschen“ gehörten zur universellen Stadt, weshalb die jeweiligen Erkenntnisse über diese Stadt nur jeweils einen Bruchteil des Gesamtwissens ausmachten, und selbst das Gesamtwissen über die Stadt des Menschen nur einen winzigen Bruchteil über das, was man über das Universum wissen kann. Desillusioniert verlassen ihn die anderen.

Mein Eindruck

Dieser Text enthält keine Handlung, fängt aber zahlreiche Aspekte, Erlebnisse und Erkenntnisse ein. Insofern ist er keine Zeitverschwendung. Eine der genannten Städte, die Stadt des pulsierenden Lebens, erinnert stark an Dublin. Denn dort wird ein gar wunderliches dunkelbraunes Bier gebraut. Bei diesem handelt es sich zweifellos um Guiness. Das mittelalterlich anmutende Ambiente aber ist wohl schön längst verschwunden, selbst aus dem Bezirk Temple Bar, wo die Statue von James Joyce steht.

10) Vivaldi (dito, 1989)

Z minus 62, Abstand 44.000 km: In 62 Tagen wird die Raumsonde „Vivaldi“ auf das Schwarze Loch treffen, das auf den schönen Namen „Nemesis“ hört. Es liegt in der Oortschen Wolke, über 2 Billionen km entfernt und doch ungemütlich nahe. Es ist eine ESA-Mission, und Dr. Hugh Mac Michaels hat sie von seinem älteren Partner Prof. Vorderman buchstäblich geerbt, per Testament. Vor 21 Jahren war das Projekt nur ein Traum in ihren Köpfen, 13 Monate später wurde „Vivaldis“ Trägerschiff mit seinem Ionenantrieb auf die Reise geschickt.

Hugh trauert seiner geliebten Tochter Gemma nach, die sechs Monate zuvor bei einem Autounfall in Neu-Schottland ums Leben gekommen ist. Gemma liebte das Vivaldi-Projekt und die Vorstellung, dass die Sonde zu einem Geisterstern, einer früheren Sonne, unterwegs sei. Wenige Wochen nach dem Begräbnis entdeckte er, dass seine ihm entfremdete Frau Moira ein holografisches Simulacrum von Gemma hat erschaffen lassen, das spricht und aussieht wie die echte Gemma. Hugh hat sich übergeben müssen.

Jubel bricht im Kontrollzentrum aus: „Vivaldi“ scheint trotz der gewaltigen Anziehungskraft des Schwarzen Lochs gerade noch die Kurve zu kriegen. Sie schrammt am Ereignishorizont entlang, entfernt sich – da kommt ihr ein zerborstener Komet in die Quere. Die Computer korrigieren automatisch den Ausweichkurs, doch in die falsche Richtung. Jetzt gibt es kein Entrinnen mehr.

Wenige Minuten später (nach einer entsprechenden Übertragungsverzögerung über 0,5 Lichtjahre hinweg) stellt die Fernmessstation den Ausfall aller Übertragungen fest. In diesem Moment wird Hugh klar, was er wegen des Gemma-Simulacrums unternehmen muss…

Mein Eindruck

Vordergründig handelt es sich um die Erkundung eines Kollapsars, der zu einem Schwarzen Loch geworden ist, und um das astronomische Abenteuer, das damit verbunden ist. Doch in Wahrheit macht der Autor eine kluge Aussage darüber, wie man mit den Erinnerungen an einen geliebten Menschen, den man verloren hat, umgehen sollte. Soll man ihn wirklich wiedererschaffen, selbst wenn es die technische Möglichkeit dazu gäbe? Hugh Mac Michaels kommt zu einem anderen Schluss – und entzündet ein Streichholz…

Die Übersetzung

Vielfach bin ich in der Lübbe-Übersetzung auf Fehler gestoßen, ja, sogar auf sinnentstellende Formulierungen. Glücklicherweise lagen mir die Übersetzung in den Heyne Ausgaben vor. Diese dienten der Klärung, waren aber mitunter ebenfalls irreführend. In der Kombination der beiden Übersetzungen ergab sich dann der gültige Sinn.

S. 48: „jeder nur denkbaren Spezies, die mit Armbrust… nachgestellt werden kann.“ Dieser Dativ fordert auch den passenden bestimmten Artikel, nämlich „der“ statt „die“.

S. 54: „Sie nehmen ihre programmierten Plätze[n] ein.“ Das N ist unnötig.

S. 136: „auf einem… Fundament aufbauen kann, dass Sie … geschaffen haben.“ Statt „dass“ muss hier „das“ stehen, also das Relativpronomen.

S. 137: „Queen of Dag“ statt „Queen of Day“.

S. 147: „fündhundert Meter“: Es sollte fünfhundert“ heißen.

S. 148: „Terraforn“ statt „Terraform“.

S. 164: „der sie Seele von Kathy Haan erhält“: Statt „sie“ muss es „die“ heißen.

S. 235: „Hinderteil“ statt „Hinterteil“.

S. 238: „auf einer zerschlagenen Tonstelle“: Gemeint ist eine Tonstele.

S. 240: „Endzeit des [z]wanzigsten Jahrhunderts“: Das Z fehlt.

S. 258: „In ganzen Lebensspannen mönchischer Ergebenheit waren darauf verwendet worden…“ Wenn man „in“ weglässt, wird ein Schuh draus.

S. 261: „verot[t]ete Glieder“. Das 2. T fehlt.

S. 266: „Stadt des p[u]lsierenden Lebens“: Das U fehlt.

S. 273: Hier fehlt ein ganzes Wort. „Auch wenn die Körper der Heiligen zerstückelt und … verteilt sein [mögen], so verbeugen sich doch…“

Unterm Strich

Diese zehn Erzählungen und Novellen gehören mit zum Besten, was die Science Fiction bzw. das phantastische Genre Ende der achtziger Jahre zu bieten hatte. Diese erste Story-Sammlung eines mittlerweile etablierten SF-Autors ist für Leser*innen ein idealer Einstieg, der den Einfallreichtum und die literarische Ausgereiftheit moderner Vertreter des Genres widerspiegelt.

Themen

Natürlich sind die Autor*innen des Genres 33 Jahre später inhaltlich und stilistisch schon wesentlich weiter, aber zu McDonalds Zeiten anno 1988 gab es weder eine MeToo-Bewegung noch globalen Terror oder gar eine Pandemie. Er verarbeitet aber immerhin schon den Cyberspace und andere Simulationen (ohne dem Cyberpunk zu huldigen), feiert das Ende der Kolonisierung des Sonnensystems (mit dem Ende des Ares Express). Etliche Male beschäftigt er sich mit dem Ende des Lebens, so etwa in „Die Insel der Toten“, „Radio Marrakesch“, „Vivaldi“ und Van Gogh“.

Irland

Immer wieder greift McDonald irische Themen und Motive auf, so etwa die irische Mythologie der alten Kelten (in „König der Dämmerung…“), die Bombenattentate der IRA (in „Sternenträume“) und die „Religionskriege“ zwischen Nordirland und Irland. Die Übersetzung ist nicht immer imstande, diese Verweise aufzuzeigen. Auch irische Figuren wie etwa James Joyce tauchen auf, und der Leser ist gut beraten, sich ein kleines bisschen mit der irischen Literaturgeschichte auszukennen. So gehört etwa das „Buch der glänzenden Dinge“ zweifellos zu den größten Kulturschätzen, das die irische Geschichte retten konnte: The Book of Kells. Es gibt sogar einen Zeichentrickfilm, der seine wechselvolle Geschichte erzählt. Es ist im Trinity College ausgestellt und ja: Jeden Tag wird eine weitere Doppelseite aufgeschlagen. Ich habe es selbst in seinem klimatisierten, abgedunkelten Ausstellungsraum gesehen.

Frauen

Sehr sympathisch finde ich indes, dass häufig Frauenfiguren die Handlung tragen, so etwa Emily in „König der Dämmerung“, Kathy haan in „Das Rad der Katharina“ sowie Hannah Tellender in „Radio Marrakesch“. Bemerkenswert ist jedoch, dass alle drei auf ihre eigene Weise scheitern und so beim männlichen Leser Mitgefühl hervorrufen. Es scheitern aber auch einige der männlichen Figuren, denn auch sie müssen sich mit Umbrüchen im Zuge eines Wandels der conditio humana behaupten. So sind Tote nach wie vor unerreichbar, und ein kreativer Höhenflug wie der von Hannah Tellender ist selten von Dauer.

Fazit: 4,5

Taschenbuch: 318 Seiten
Originaltitel: Empire Dreams, 1988
Aus dem Englischen von Karin Koch u.a.
ISBN-13: 9783404241668

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