Ian Rankin – The Complaints / Ein reines Gewissen (Malcolm Fox 1)


Schotten-Ermittler als schlauer Fuchs

Die Beamten der »Internen Ermittlungen« haben innerhalb der Polizei keinen leichten Stand, schließlich nehmen sie ihre eigenen Kollegen ins Visier. Daher will auch bei Malcolm Fox und seinem Team in Edinburgh keine Feierstimmung aufkommen, als sie wieder einmal einen korrupten Officer überführen konnten.

Auch private Probleme machen Fox das Leben schwer: Sein zunehmend gebrechlicher Vater Mitch lebt in einem Pflegeheim, und Schwester Jude deckt ihren Lebenspartner, der sie vermutlich schlägt. So stürzt sich Fox nur zu gern in den nächsten Fall: Ein Polizist steht unter Verdacht, Kinderpornographie zu verbreiten, und Fox wird auf ihn angesetzt. Doch je näher er dem Mann kommt, desto mehr ist er von dessen Unschuld überzeugt. Und als sich Fox plötzlich mit dem Vorwurf des Mordes konfrontiert sieht, sitzen Jäger und Gejagter im selben Boot … (dt. Verlagsinfo)

Der Autor

Sir Ian Rankin gehört zu den wichtigsten Krimischriftstellern der britischen Insel. Sein Inspektor Rebus macht die schottische Hauptstadt Edinburgh nun schon in zahlreichen Abenteuern sicherer – soweit man ihn lässt!

Für „Die Kinder des Todes“ wurde Rankin mit dem Deutschen Krimipreis 2005 ausgezeichnet. Die englische Königin verlieh ihm für seine Verdienste um die Literatur den „Order of the British Empire“. Der Autor lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Edinburgh. Er schrieb auch andere Romane, u.a. unter dem Pseudonym Jack Harvey. Mehr Info: www.ianrankin.net.

Malcolm Fox Romane

1) Ein reines Gewissen (The Complaints, 2009; dt. 2011)
2) Die Sünden der Gerechten (The Impossible Dead, 2011)

Handlung

Malcolm Fox und sein Team von der Edinburgher „Abteilung für interne Ermittlungen“ werden von CEOP, der Abteilung für Kinderausbeutung und Online-Schutz, gebeten, gegen den Kriminalbeamten Jamie Breck zu ermitteln. Der habe seine Kreditkarte benutzt, um einen australischen Pädophilenservice zu abonnieren. Die Polizeibeamtin Annie Inglis und ihr Kollege DC Gilchrist zeigen ihm einschlägiges Material, das diesen Tatbestand belegen soll. Da Fox gerade den korrupten Beamten Heaton zur Strecke gebracht hat, bekommt er von seinem Vorgesetzten, Abteilungsleiter McEwan, grünes Licht. „Foxy“, wie ihn sein Kumpel Tony Kaye nennt, scheint ja ein fähiger Mann zu sein.

Das ist am Freitag, und am Samstag ruft ihn seine Schwester Judith an, sie habe sich den Arm gebrochen. Sofort verdächtigt Malcolm ihren Lebensgefährten Vince Faulkner, einen Waliser aus London, der auf dem Bau arbeitet, er habe sie verletzt. Ein diskreter Datenabruf im nationalen Vorstrafenregister PNC bestätigt Vinces Gewalttätigkeit. Nach einem Besuch bei seinem Vater Mitch, der im Altersheim betreut wird, macht sich Malcolm am Montag an die Arbeit. Einen Tag später trifft die Info ein, dass Vince Faulkner tot aufgefunden worden sei, auf einer Baustelle des schottischen Unternehmers Charlie Brogan.

Auf Faulkners Fährte

Natürlich interessiert sich Malcolm für den Tod seines beinahe-Schwagers. Der Tod trat offenbar schon in der Nacht vom Samstag zum Sonntag ein. Am Tatort ermittelt bereits die Kripo unter der Leitung von Jamie Breck und dessen Vorgesetztem „Bad Billy“ Giles, einem Freund von Heaton. Naturgemäß ist Giles, ein Bär von einem Kerl, nicht gut auf Fox zu sprechen. Doch Breck gewährt Fox Einblick in gewisse Details, so etwa in die letzten Stunden, die Vince Faulkner bei einer Kneipe und angeblich auch im Kasino „The Oliver“ verbracht hat, das Charlie Brogans Frau Joanne Broughton gehört.

Breck scheint ein wirklich sympathischer und hilfreicher Kerl zu sein, der das Online-Rollenspiel Quidnunc liebt. Ein Glück, dass er offenbar nicht weiß, dass ihn Malcolms Team hat überwachen und abhören lassen. Breck lässt Fox sogar bei der Befragung des Poliers auf der Baustelle dabei sein, wobei er bei dieser Gelegenheit Joanne Broughton kennenlernt. „Bad Billy“ Giles ist Brecks genaues Gegenteil: Er stellt Judiths Haus auf den Kopf und beginnt, ihren Garten umgraben zu lassen – eine fiese Einschüchterungsmethode. Offenbar hält Giles Fox für Faulkners Mörder.

Kalt erwischt

Das ruft sofort Fox auf den Plan und bringt ihn in die Schusslinie. Als er sich auch noch die Überwachungsbänder des Kasinos ansehen will, um darauf Vince zu entdecken – vergeblich – erwischt ihn Giles eiskalt und zerrt ihn vor den stellvertretenden Polizeipräsidenten (ACC) des Distrikts Lothian and Border. Malcolms eigener Chef McEwan versteht Malcolms Privatermittlung nicht, aber auch Breck kriegt sein Fett weg: Beide müssen ihre Marke abgeben und einen unfreiwilligen Urlaub antreten.

Was Malcolm jedoch überhaupt nicht verstehen kann, ist die Tatsache, dass nun auch Annie Inglis von ihrem Job abgezogen und die Ermittlung gegen Breck eingestellt werden soll. Stattdessen soll ihr Kollege DC Gilchrist Fox ersetzen. Unfassbar! Dass es die Kollegen aus dem Distrikt Grampian (Aberdeen und Fife) waren, die Fox beschatteten, setzt dem Ganzen die Krone auf.

Brutale Hintermänner

Doch Malcolm Fox legt die Hände nicht in den Schoß, wie Jamie Breck erwartet. Jetzt erst recht – soviel hab ich noch nie für private Ermittlungen gehabt. Die Nachricht von Charlie Brogans angeblichem Selbstmord auf dessen Jacht bringt ihn auf sehr merkwürdige Ideen, denn die Leiche ist unauffindbar. Vielleicht hängt ja alles mit allem zusammen.

Als er sich auf Faulkners Fährte setzt und dessen letzte Stunden rekonstruiert, wird er von hinten niedergeschlagen. Mit gebrochenen Rippen schleppt er sich aufs Revier. Offenbar gibt es ein paar Hintermänner, die seine Schnüffelei satthaben. Ihre Hoffnung, dass er jetzt aufhört, wird jedoch schon bald enttäuscht…

Mein Eindruck

Der Roman ist Ian Rankins Aussage zur Wirtschaftskrise von 2008/09, die auch in Schottland etliche Opfer fand. Immer wieder wird die Royal Bank of Scotland durch den Kakao gezogen, nicht ohne Berechtigung, denn bekanntlich musste der damalige Premierminister, der Schotte Gordon Brown, die RBS mit Steuergeldern aus ihrer milliardenschweren Klemme helfen.

Nun, Charlie Brogan, ein Selfmademan, hat sich wie die RBS gehörig übernommen, indem er in riesige Wohnbauprojekte wie Salamander Point und in wertloses Land investierte. Da ihm die Bank kein Geld mehr geben konnte, wandte er sich an alte Freunde, darunter den alten Gangsterboss Bruce Wampauche. Da der gerade im Knast sitzt, muss sein Sohn das Geld von kleinen, zwielichtigen Investoren zusammenkratzen.

Als Brogan ob der Wucherzinsen in Zahlungsverzug gerät, brennt die Hütte. Er begeht offenbar Selbstmord, indem er über Bord geht. Dass der junge Wampauche vor Wut raucht, erscheint Fox gut vorstellbar. Und nun wird Brogan landesweit gesucht. Fox braucht nur Brogan, der bestimmt noch lebt, nur als erster zu finden, um ein Trumpf-Ass in die Hand zu bekommen…

Wenn man ihn lässt. Denn seine Vorgesetzten unternehmen alles, um ihn und Breck von der Freizeit-Schnüffelei abzuhalten. Wenigstens kann er sich vom Mordverdacht befreien, doch wer hat ihn beschatten lassen, noch bevor Vince Faulkners Leiche am Dienstag gefunden wurde? Irgendeine Intrige auf der höchsten Ebene der schottischen Polizei ist im Gange, um Fox‘ Ermittlungen kaltzustellen.

Spiel oder Leben?

Der Autor ist ein gewiefter Routinier. Er suggeriert dem Leser, Malcolm sei als Cop und als Mensch ein Leichtgewicht. Allein schon die Tatsache, dass Malcolm um die 40 Jahre alt und füllig ist sowie Hosenträger verwendet, verhindert, dass man ihn für voll nimmt. Das ergeht auch dem zwölf Jahre jüngeren Jamie Breck so. Der behauptet, das Spiel von keulenschwingenden Helden in „Quidnunc“ habe ihn zu einem aktiven, zupackenden Charakter geformt.

Im Verlauf der Ermittlung erweist sich jedoch das genaue Gegenteil: Breck weicht vor Autoritätsfiguren wie dem ACC – und erst recht dessem Boss – willig zurück, um seine Senkrechtstarterkarriere nicht zu gefährden. Malcolm Fox scheint hingegen nichts mehr zu verlieren zu haben und schnüffelt unerschrocken in der oberen Hierarchie des Polizeiapparats. Auch sonst wirkt er in der zweiten Hälfte des Romans als aktiv und überlegen, ja, sogar als unerschütterlich. Er weiß sich der Unterstützung seiner Mitarbeiter Tony Kaye und Joe Naysmith immer gewiss. Er entwickelt sogar einen Verdacht gegen die attraktive, alleinerziehende Mutter Annie Inglis. Ist er jetzt paranoid geworden?

Showdown

Der Showdown mit Wampauche wird sorgfältig vorbereitet. Fox und Breck haben etwas, das der Gangsterboss von Dundee zu gerne in die Finger bekommen würde: Charlie Brogan. Doch Fox will zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen – er will nicht nur Wampauche in eine Falle locken, sondern auch den Mörder von Vince Faulkner hinter Gitter bringen. Allerdings ist Terry Vass ein Elefant von einem Leibwächter. Deshalb muss Fox Wampauche dazu bringen, Vass fallenzulassen…

Unterm Strich

Der erste Auftritt von Malcom Fox als internem Ermittler ist äußerst sorgfältig erzählt. Offenbar hatte der Autor vor, John Rebus abzulegen und durch Fox zu ersetzen, daher musste er Fox mit allen relevanten Facetten zum Leben erwecken: familiäre, soziale, berufliche Beziehungen sind ausformuliert, ebenso die Tatsachen, dass Fox heterosexuell und ein geschiedener Mann ohne Kinder ist. Leider hat der Plan nicht so geklappt, wie es sich Rankin wünschte: John Rebus ermittelt seit 2012 wieder, mit anhaltendem Erfolg, und Fox verschwand in der Versenkung.

Was wirklich schade und unfair ist, denn Rankin gab sich in der Fortsetzung „The Impossible Dead“ größte Mühe, das langsame Tempo von „The Complaints“ durch hohe Dynamik und das Eliminieren langsamer Passagen zu erhöhen. So liest sich der Folgeband fast schon wie ein amerikanischer Thriller der Oberklasse, etwa von Michael Connelly.

Trotz des moderaten Tempos und der nervenden Undurchsichtigkeit der Intrige gegen Fox habe ich das Buch regelrecht verschlungen. Das liegt sowohl an der gut ausgearbeiteten Hauptfigur als auch an der Thematik: die Weltwirtschaftskrise von 2009 erwischt auch Schottland eiskalt und trifft alle Banken und Investoren bis ins Mark. Arnaldur Indridason erzählte anno 2009 mit „Abgründe“ (O-Titel „Svörtuloft“) für Island seine Version des Casino-Kapitalismus, Rankin tut hier das Gleiche für die Schotten.

Allerdings ist in Island (meines Wissens) keine alteingesessene Mafia an Verbrecherfamilien vorhanden – jeder kennt jeden der anderen 299.999 Menschen auf der Insel. Eine dieser schottischen Familien hat Polizeipräsidenten und Politiker ebenso in der Hand wie Investoren. So kommt es, dass man von oberster Stelle Fox, dem furchtlosen Spürhund, jede Menge Steine in den Weg legt. Seine Paranoia erweist sich als absolut berechtigt, doch er kann sich auf seine engsten Mitarbeiter verlassen, als wären sie eine verschworene Gemeinschaft.

Dass er deshalb dennoch eine Abreibung über sich ergehen lassen muss, dürfte also nicht überraschen – sie kommt nur so unvermittelt, dass es den Leser regelrecht durchrüttelt. Ich hätte mir mehr Action von dieser Sorte gewünscht. Einen weiteren Mord wie den an Vince Faulkner erhofft man ebenfalls vergeblich. Das gibt Punktabzug.

Taschenbuch: 452 Seiten
Sprache: Englisch
ISBN 9781409103479

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