Beschreibung:

Über die Reihe Der freie Vogel fliegt von Jidi und Ageng:

Jidi 寂地und Ageng 阿梗 gehören in China zu den wichtigsten Comic-Künstlerinnen ihrer Generation. Für die Reihe Dianjiao zhangwang 踮脚张望, die unter dem Titel „Der freie Vogel fliegt“ bei Chinabooks.ch in einer Übersetzung von Martina Hasse in deutscher Sprache erscheint, spannen die beiden im Team zusammen: Jidi als Szenaristin, von Ageng stammen die Bilder.

In Der freie Vogel fliegt erzählt Jidi über die zentrale Figur in der Geschichte, ihr fiktives Alter Ego der Lin Xiaolu, eine semi-autobiographische Geschichte über das Heranwachsen einer Gruppe von Jugendlichen in der westchinesischen Stadt Chengdu in den 90er Jahren.

Die Reihe hat in China, Japan und Korea die wichtigsten Auszeichnungen im Bereich Comic/Graphic Novel erhalten, u.a. den Japan International Manga Award, den ICC Comic Award aus Südkorea und den China Animation & Comic Competition Golden Dragon Award.

Sehr realistisch erfährt man in der Reihe von den seelischen Nöten und Sorgen chinesischer Heranwachsender. Die Autorinnen greifen auch schwierige Themen auf, wie Aufwachsen als Scheidungskind, Mobbing in der Schule, massiver Schuldruck und Prüfungsstress, die manchmal in Suiziden enden, die Entfremdung zwischen den Jugendlichen und den Erwachsenen, in der chinesischen Gesellschaft tabuisierte frühe Liebesbeziehungen zwischen Jugendlichen, der erste große Liebeskummer, heimliche Abtreibungen.

Trotz der Schwere mancher Themen spürt man die Lebenslust und den Lebenshunger der Jugendlichen. Lin Xiaolu sammelt Lebenserfahrungen und entwickelt sich im Verlauf der Geschichte von einer Außenseiterin und grauen Maus zu einer reifen Persönlichkeit, die ihr Leben selbst in die Hand nimmt. (Verlagsinfo)

Mein Eindruck:

Nachdem ich mich im ersten Band von ‚Der freie Vogel fliegt‘ erst mal an die Zeichnungen gewöhnen musste, im zweiten Band dann einige schon sehr schön fand, finde ich sie in diesem Band sogar noch schöner. Noch bevor die Geschichte eigentlich weiterging, habe ich mich in die ersten drei Bilder (Cover, Vor-Kapitel- und Kapitel-Bild) verliebt, die allein schon aufgrund der Farben und verwendeten Motive wunderschön sind.

Aber nun zum Inhalt: Xiaolu bleibt ein Mädchen mit interessanten Gedankengängen. Woran denkt sie, wenn sie ein Mädchen in ihrer Schuluniform im Regen ohne Regenschirm laufen sieht? Natürlich an ein Schulgespenst. Was auch sonst. Doch im Gegensatz zu den ersten beiden Bänden bleibt es hier nicht dabei, dass Lin Xiaolu als naiv und etwas anders dargestellt wird. Erstmals wird ein tatsächlicher Einblick in ihre Gefühlswelt gegeben. So wirkt sie weniger wie ein naives, unbeschwertes Kind. Stattdessen erkennt der Leser, dass sie eine tiefe Trauer und Angst in sich trägt und eigentlich sogar den Glauben an die Liebe verloren hatte. Indem sie die Mauer um sich herum etwas heruntergelassen hat, hat sie Menschen in ihr Leben gelassen, die ihr Stück für Stück mehr zeigen, dass sie nicht alleine und die Liebe nicht falsch ist. Sie hat sich also nicht nur insgesamt ihrer Umgebung weiter geöffnet, sondern nun auch dem Leser.

Auch wenn Xiaolu zuvor nicht mit anderen Menschen hat umgehen können und sich eigentlich lieber von diesen ferngehalten hat, nutzt sie nun sogar ihre Fantasie, um anderen Menschen zu helfen – und sei es, um sie durch kleine Lügen aufzuheitern. Schon dadurch erscheint das junge Mädchen wie ein ausgesprochen liebes und süßes Kind, was durch ihre äußerst romantischen Ansichten über Liebesbeziehungen noch einmal verstärkt wird. So ist sie zum Beispiel der Ansicht, dass Liebe auch über Entfernungen hinweg bestehen kann, was ihre Freundin Su Yan zu neuen Überzeugungen verhilft.

Indem sie anderen hilft, lernt man diese Leute ebenfalls besser kennen. Gu Xuerui, die im letzten Band von dem Kerl verlassen worden ist, in den Siyao verliebt war und mit dem sie daraufhin zusammengekommen ist, wirkt normalerweise äußerst gefasst und regelrecht unnahbar. Durch Xiaolus zunehmend offene Art (und einen Regenschirm) brechen die Gefühle jedoch aus ihr heraus, weswegen man auch dieses Mädchen etwas besser kennenlernt.

Allgemein werden auch in diesem Band wieder kleine Lebensweisheiten eingebaut, wie zum Beispiel, dass man mit der Vergangenheit erst abschließen und damit weitermachen kann, nach dem eigenen Glück zu streben, wenn man anderen verziehen hat. Gleichzeitig werden viele Weisheiten an Eltern gerichtet, damit diese erkennen, was ihre Worte und Taten anrichten können. Denn im Gegensatz zu den vorherigen Bänden geht es in diesem Teil nicht nur um Themen wie Liebe und Freundschaft, sondern auch um dunklere Seiten des Lebens, wie zum Beispiel den Leistungsdruck der Schüler, der bereits öfters zutage getreten ist, sich jetzt aber grausam hervorgetan hat.

Es sind also einige neue Dinge geschehen. Und was ist mit Han Che, Xiaolus heimlichem Schwarm? Der taucht gerade am Anfang dieses Bandes sogar sehr oft auf – selbst in Frauenkleidern, weil Xiaolu sich sein Gesicht einfach auf alle sichtbaren Personen denkt. Spätestens ab Mitte dieses Bandes spielt der junge Mann jedoch keine große Rolle mehr, da er die Schule abgeschlossen hat und Xiaolu ihn somit nicht oft zu Gesicht bekommt. Nichtsdestotrotz hofft sie darauf, ihn wiederzusehen und zu erfahren, welche Universität er besucht.

Fazit:

In den ersten beiden Bänden hatte ich bereits den Eindruck gewonnen, dass diese Reihe nicht nur für junge Menschen in dem Alter von Xiaolu und CO interessant sein könnte, sondern auch für alle anderen. Insbesondere für Eltern könnte diese Reihe – und gerade Band 3 – relevant sein, damit sie erkennen, was zum Beispiel der Leistungsdruck und die erste große Liebe mit ihren Kindern machen.

Doch auch wenn die Erwachsenen die Kinder und andersherum nicht verstehen, ist die Botschaft, dass die Kinder einander haben und sich aufeinander verlassen können, sehr rührend.

Anders als zu den doch eher schwärmenden und fantasievollen Momenten von Band 1 und 2, greift Band 3 selbst Themen wie Suizid, Prügeleien und ungewollte Schwangerschaft auf. Denn auch dies sind Seiten des Alltages, auch wenn man sie nicht gerne wahrhat. Dass sie jedoch jetzt zum Vorschein kommen, liegt wohl auch daran, dass Xiaolu ihre Fantasiewelt immer weiter hinter sich zurücklässt und mehr in ihrer eigentlichen Welt lebt.

Gerade wegen der vielen kleinen Weisheiten ist Band 3 äußerst empfehlenswert. Er gibt nicht nur einen Überblick über das chinesische Alltagsleben, sondern geht sogar weiter in die Tiefe, was ihn zwar dunkler, aber gewissermaßen auch ansprechender macht.

Taschenbuch: 284 Seiten
Originaltitel: Dianjiao zhangwang (踮脚张望3)
Aus dem Chinesischen von Martina Hasse
ISBN-13: 978-3905816747
www.chinabooks.ch

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