Jidi & Ageng – Der freie Vogel fliegt (Band 2)

Inhalt:

Es war einst ein junges Mädchen, das war so gewöhnlich, dass es einem in einer Menschenmenge niemals auffallen würde, sein Name war Lin Xiaolu.

Sie fürchtete sich davor, mit anderen Menschen Umgang zu haben, deshalb errichtete sie um sich herum eine imaginäre kleine Welt, und baute darum herum eine imaginäre Verteidigungsmauer, darin versteckte sie sich und spähe verstohlen in die Welt da draussen hinaus, nichts hätte sie dazu bringen können, ihre Festung zu verlassen.

Aber weil sie insgeheim für einen Jungen an ihrer Schule schwärmte, ungemein in ihn verknallt war, wagte sie schliesslich einen Schritt in die reale Welt hinein. Ihre Verteidigungsmauer stürzte dabei in sich zusammen, ohne dass sie etwas gemerkt hätte.

Sie verfolgte den Jungen heimlich, und er führte sie zu einem seltsamen kleinen Laden, dort lernte sie einen vielgereisten, schrulligen Ladenbesitzer kennen. Sie musste von einer als ungezogene Rowdies und Schulschwänzer berüchtigten Clique von Mitschüler Ohrfeigen einstecken; eine Schülerin, vor der sie sich gefürchtet hatte, wurde zu ihrer Sitznachbarin – und später besten Freundin -, und sie erfuhr unerwartet von deren aller Lebensgeschichten. Die Welt da draussen war also doch nicht so übel, oder? (Verlagsinfo)

Mein Eindruck:

Band 2 von ‚Der freie Vogel fliegt‘ knüpft beinahe nahtlos an den ersten Band an. Wie schon von Kapitel zu Kapitel ist auch zwischen den beiden Bänden etwas Zeit vergangen. Dadurch haben sich einige Dinge verändert, doch viele sind noch wie zuvor.

Lin Xiaolu ist noch immer in Han Che, einen älteren Jungen von ihrer Schule, verliebt. Zwar verfolgt sie ihn in diesem Band nicht so intensiv wie noch in dem ersten – was jedoch nicht bedeutet, dass sie nicht noch immer auf ihn fokussiert ist. Bereits im ersten Band hatte sie es geschafft, Hu Xu, den Besitzer des Ladens, in dem Han Che Stammkunde ist, kennenzulernen und sich quasi mit ihm anzufreunden. Nun darf sie sogar in ihren Ferien in dem kleinen Laden arbeiten und ihn hüten, wenn Hu Xu fort ist. Warum sie dies freiwillig tut? Im Großen und Ganzen aus zwei Gründen: Zum einen besteht schließlich die Möglichkeit, dass Han Che dort auftaucht. Und zum anderen darf sie so die Bücher, die Hu Xu erworben hat, lesen. Und eines hat es ihr ganz besonders angetan: Ein Buch über Antoni Gaudí. Warum ausgerechnet das? Nun, die Antwort lautet wohl mal wieder: Wegen Han Che. Der Junge hatte bereits im ersten Band ein Bild der Sagrada Familia gezeichnet, welches Xiaolu hatte mitgehen lassen – weil es ja von ihrem Schwarm stammte. Jedenfalls ist ab dort ihr Interesse für die Werke Gaudís erwacht, sodass sie nun sogar begonnen hat, jene Werke aus dem Buch selbst abzuzeichnen… so wie es vermutlich auch Han Che getan hat.

Trotz Xiaolus Besessenheit über Han Che spielt dieser Junge in Band 2 eine eher geringe Rolle. Genau genommen, sind Charaktere, die man im ersten Band bereits kennengelernt hat, dieses Mal viel wichtiger. So lernt der Leser Hu Xu direkt am Anfang besser kennen und erfährt einiges über seine Hintergrundgeschichte. Dann wäre da noch Su Yan, ein Mädchen, das im ersten Band zu einer Clique gehört hat, die Xiaolu Ohrfeigen verpassen wollte, weil sie sich in ihren Augen falsch benommen hatte. Nicht dass sie jetzt nicht mehr zu dieser Clique gehören würde, aber die ganzen Beziehungen sind doch komplizierter, als sie auf den ersten Blick erscheinen.

Recht weit zu Anfang des Buches trifft Xiaolu auf Su Yan und Xie Siyao, wegen der unsere Protagonistin im ersten Band Ohrfeigen einstecken musste. An dieser Stelle wird bereits der doch irgendwie sehr unkomplizierte Charakter Xiaolus deutlich. Denn wenn sie nicht nachdenkt – weil das Betriebssystem ihres Hirnes mal wieder abgestürzt ist -, ist sie so locker drauf, dass sie sogar den Mädchen, die sie schikaniert haben, Komplimente macht und ihnen hilft. Auch wenn sie allen Grund gehabt hätte, die beiden Mitschülerinnen zu hassen, wirkt es fast so, als wären sie miteinander befreundet. Und mir nichts, dir nichts ist genau das der Fall. Als Xiaolu und Su Yan nebeneinander sitzen müssen, stellen sie fest, dass sie beide Comics mögen, und freunden sich daraufhin an. Auch mit Siyao versteht Xiaolu sich dadurch besser. Das ist jedoch nicht das letzte Mal, das die Freundschaftsbeziehungen durchgerüttelt werden. Denn auch zwischen Siyao und Su Yan, die vorher fast nur zusammen anzutreffen waren, verändert sich einiges.

Neben Freundschaften spielt jedoch vor allem auch die Liebe eine große Rolle – ausnahmsweise mal nicht wegen Han Che. Der wird zwar in Xiaolus Gedanken nie ganz außen vor gelassen, aber in diesem Band geht es vor allem um die Liebschaften der anderen. So ist Siyao beispielsweise in jemanden verliebt, der in einer Beziehung ist. In Siyao ist jemand verliebt, in den wiederum Su Yan verschossen ist. Und in Su Yan ist wieder ein anderer Kerl aus deren Clique verliebt. Wie sich hier schon abzeichnet, sind auch die Schwärmereien etwas komplizierter und mit viel Herzschmerz verbunden.

Nichtsdestotrotz weiß auch Band 2 mit seinen Dialogen und Zeichnungen zu bestechen. In Band 1 hielt ich die Zeichnungen noch für etwas gewöhnungsbedürftig, doch mittlerweile mag ich diese wirklich gerne. Insbesondere die Zeichnungen, die über eine komplette Seite gehen – wie zum Beispiel die Seiten, die sich zwischen zwei Kapiteln befinden – haben es mir angetan mit ihrer Farbenfreude und Ausdrucksstärke. Allgemein ist auch anzumerken, dass es einen deutlichen Unterschied in der Farbnutzung gibt, abhängig davon, ob das Geschehen gerade in einer chinesischen Stadt, in einer mehr naturumgebenen Gegend oder in Xiaolus Fantasiewelt spielt. Bei den letzten beiden Teilen werden deutlich buntere und hellere Farben verwendet, was dafür sorgt, dass der Leser viel mehr mit diesen Stellen sympathisiert als mit der chinesischen Stadt, die von grauen Blöcken geprägt ist. Doch Xiaolus Fantasie sorgt sogar dafür, dass aus einem Wasserturm die Sagrada Familia – die sie, wie bereits genannt, wegen Han Che sehr fasziniert – und aus hässlichen, grauen Wohnblöcken andere bunte Dinge werden.

In ‚Der freie Vogel fliegt‘ wird der Leser nicht nur als Beobachter mitgenommen, sondern teilweise sogar direkt angesprochen. Diese kleinen Bemerkungen sind manchmal sehr süß, an anderen Stellen auch eher amüsant. Ein Beispiel lautet etwa ‚Bitte nicht nachmachen! Zigarettengenuss ist gesundheitsschädlich!‘, als jemand eine Zigarette raucht.

Gleichzeitig werden Lin Xiaolus erprobte Geheimrezepte des Miteinanders im Dschungel sozialer Beziehungen regelmäßig erwähnt. Wer also Probleme damit hat, mit anderen Menschen umzugehen, wie es bei Xiaolu der Fall ist, kann hier ein paar Tricks lernen… allerdings ohne Gewähr! Denn ob plötzliches, verrücktes Tanzen weniger peinlich ist, als etwas Peinliches zu sagen, lässt sich durchaus in Frage stellen.

Fazit:

Im ersten Band ging es noch mehr um Xiaolus Leben im Allgemeinen und ihr plötzliches Verliebtsein in Han Che. Dagegen scheint es in Band 2 vor allem um Freundschaft und Liebe ihrer Mitmenschen zu gehen. Xiaolu hat die Mauer um sich herum einen Spalt weit geöffnet und erlangt so immer mehr neue Eindrücke. Han Che ist jedoch sehr kurz gekommen in diesem Band – ob er im nächsten wohl wieder eine größere Rolle spielen wird? Eigentlich bin ich kein wirklicher Fan von romantischen Geschichten, aber in diesem Fall frage ich mich, ob Xiaolu irgendwann den Mut zusammennehmen wird, ihrem Schwarm ihre Gefühle zu gestehen. Obwohl diese Geschichte nur das Leben einer (fast) gewöhnlichen Mittelschülerin beschreibt, bleibt es also spannend!

Taschenbuch: 300 Seiten
Originaltitel: Dianjiao zhangwang (踮脚张望2)
Aus dem Chinesischen von Martina Hasse
ISBN-13: 978-3905816730

www.chinabooks.ch

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