Stephen King – Brennen muss Salem

In einer neuenglischen Kleinstadt nistet sich ein uralter Vampir ein. Nur eine kleine Gruppe verängstigter Menschen bietet ihm Paroli, doch das Monster ist stark und schlau … – Stephen Kings moderner Vampir-Klassiker erscheint hier ungekürzt und ergänzt um zwei Erzählungen. Im Mittelpunkt steht weiterhin der Roman, der ungeachtet seines Alters eine höllisch spannende Geschichte erzählt und eindrucksvoll belegt, wieso King sich seit Jahrzehnten in den Bestsellerlisten hält.

Das geschieht:

Brennen muss Salem (Salem‘s Lot, 1975): Im Herbst des Jahres 1975 kommt Schriftsteller Ben Mears zurück nach Jerusalem‘s Lot. In dieser Kleinstadt im US-Staat Maine hat er seine Kindheit verbracht, hier hofft er auf einen Neuanfang, nachdem er seine Lebensgefährtin bei einem Unfall verlor. Außerdem arbeitet Mears an einem neuen Buch: Über Salem‘s Lot brütet das alte Marsten-Haus, erbaut im frühen 20. Jahrhundert vom Gangster und Alkoholschmuggler Hubert Marsten, dessen Geist dort noch umgehen soll und dem jungen Ben Mears den Schock seines jungen Lebens verschafft hatte. Der erwachsene Schriftsteller findet Hinweise darauf, dass Marsten darüber hinaus ein Serienmörder und Satanist gewesen ist. Eine spannende Story wartet also auf ihn, die Bürger nehmen ihn freundlich auf, und er lernt die junge Susan Norton kennen, die ihm mehr als freundschaftliches Interesse entgegenbringt.

Das Marsten-Haus ist seit kurzem wieder bewohnt. Der mysteriöse Mr. Straker hat es gemietet. Mit seinem nie in Erscheinung tretenden Kompagnon Mr. Barlow plant er angeblich ein Antiquitätengeschäft in Salem‘s Lot zu eröffnen. Das Interesse der Bürger wird indes abgelenkt: Kinder verschwinden in der Nacht, ein Hund wird grausam getötet. Ben Mears vermutet den Ursprung des Übels im Marsten-Haus. Ein alternder Lehrer, ein junger Arzt, ein zweifelnder Priester, ein kleiner Junge und Susan schließen sich ihm an, nachdem sie die unglaubliche Wahrheit akzeptieren müssen: Barlow ist ein Vampir, der seit Urzeiten von Ort zu Ort zieht und seine Bluternte einfährt. Straker dient ihm als menschlicher Gehilfe, denn als Vampir kann sich sein Meister nur des Nachts zeigen.

Die Gefährten beschließen Barlow auszuschalten. Doch längst hat dieser damit begonnen, die Bürger von Salem‘s Lot in seine untoten Diener zu verwandeln. Sie schirmen ihren Meister ab, der in aller Ruhe finstere Pläne schmieden und seinen wenigen Gegnern grausame Fallen stellen kann …

Eins für unterwegs (One for the Road, 1977): Zwei Jahre sind seit dem großen Brand in Salem‘s Lot vergangen. Die Bewohner der umliegenden Orte wissen, dass sich in den Ruinen weiterhin Unheimliches tummelt und man sich tunlichst nach Einbruch der Dunkelheit fernhält. Leider gibt es Ereignisse, die es erforderlich machen, gegen dieses Gebot zu verstoßen. Dann warten die ‚Bürger‘ von Salem‘s Lot auf jene, die sich zu ihnen verirren …

Jerusalem‘s Lot (Jerusalem‘s Lot, 1978): Im Jahr 1850 zieht ein junger Mann in das einsam gelegene Haus seines bei der Bevölkerung verhassten aber verstorbenen Großvaters. Interesse hegt er für ein nahe gelegenes, von seinen Bewohnern verlassenes Dörflein namens Jerusalem‘s Lot. Dadurch weckt er uraltes Grauen, das auf ihn schon gewartet hat …

Vampire sind zeitlos gruselig

Phantastische Romane, in denen Vampire ihr Unwesen treiben, gab es schon, bevor Bram Stoker 1897 seinen „Dracula“ auf die Leser losließ, und es gab sie danach natürlich umso zahlreicher. In der Regel ist diesen Werken eines gemeinsam: Sie sind miserabel. Auch „Dracula“ ist kein ‚gutes‘ Buch im literarischen Sinn. Doch Stoker gelang etwas, das den meisten Epigonen abging: Er schuf einen mitreißenden Roman, der reizvoll den Zeitgeist konservierte, sowie einen – zudem negativen – Helden schuf, der sich als ideale Projektionsfläche für diverse Ängste, aber auch für ‚verbotene‘ Wunschvorstellungen eignete – eine echte Kultfigur, lange bevor dieser Begriff von den Medien inflationär missbraucht wurde.

Mit „Brennen muss Salem“ gelang Stephen King achtzig Jahre später ein ähnliches Meisterstück. Auch hier wäre es zu viel der Ehre, von einem Meisterwerk zu sprechen, denn die Story ist weder raffiniert noch der Stil geschliffen. Eine ganz einfache Geschichte erzählt der Verfasser, wie er es immer zu tun vorgibt. Das kann er famos, denn er spricht er die Sprache des lesenden Volkes. Trotz seines Alters wirkt „Brennen muss Salem“ nie altmodisch, die Story funktioniert, ohne dass sich Stirnrunzeln und Irritationen über die Abwesenheit von Handys und Laptops, GPS oder CSI einstellen.

„Brennen muss Salem“ spielt in einer dieser kleinen Ortschaften in der US-Provinz, die kaum ein Schriftsteller so gut wie King dreidimensional vor unserem geistigen Auge erschaffen kann. Er nimmt sich viel Zeit, zeichnet mit Worten eine Karte von Salem’s Lot, stellt uns zahlreiche Bewohner prägnant vor: Salem‘s Lot wird zu einer Stätte, die uns nicht gleichgültig lässt, wenn sich das Böse einzuschleichen beginnt.

Nimm dir Zeit, sei unerbittlich

Auch das geschieht fast unmerklich. King spielt auf der Klaviatur des Grauens, mischt Andeutungen mit kurzen, grellen Splattereffekten. „Brennen muss Salem“ ist kein reiner Vampir-Roman, sondern enthält auch Elemente des Spukhaus-Geschichte sowie der „ghost story“. Die Historie des Marsten-Hauses ist ungewöhnlich lang. Hier bringt King einen Aspekt zur Sprache, der im weiteren Verlauf nie wirklich aufgelöst wird. Was er sich anscheinend vorstellte, macht die Story „Jerusalem‘s Lot“ – eine Reminiszenz an H. P. Lovecrafts „Cthulhu“-Universum – deutlich: Das Masten-Haus ist quasi die Manifestation eines Ortes, der schon schlimmere Bewohner als einen Serienmörder oder einen Vampir gesehen hat.

Sind die Würfel erst einmal gefallen, zieht das Tempo stetig an, gibt es keine Pausen mehr. Die Zeit läuft in und für Salem‘s Lot ab. Erneut findet King für den Untergang ebenso einfache wie eindrucksvolle Bilder und Worte. Das Böse, so macht er klar, ist weder elegant noch attraktiv, sondern schrecklich banal. Was dies im Detail heißt, dekliniert er recht drastisch durch. (Die „gestrichenen Szenen“ zeigen, dass er sich in dieser Hinsicht Anno 1975 ein wenig Zurückhaltung auferlegen lassen musste.)

Die Illusion der Gemeinschaft

Freilich ist das Böse eigentlich schon längst vor Ort präsent. King übertrifft sich selbst, wenn er ein Loblied auf die Kleinstadt singt, das immer wieder nahtlos in ihre Verfluchung übergeht. Salem‘s Lot ist keine Gemeinschaft bescheidener, genügsamer, vergnügter Landleute. Es gibt einen Slum, es gibt verdrängtes aber existierendes Elend, Trunksucht, familiäre Gewalt, Korruption, Rachsucht, Gleichgültigkeit. Vor allem beschreibt King, wie die endlose Eintönigkeit des kleinstädtischen Lebens die Bürger von Salem‘s Lot schon vor der Ankunft Barlows in Untote verwandelt hat, die wie Maschinen ihrem Tagwerk nachgehen und ihre Abende in der Kneipe oder vor dem Fernseher verdämmern.

Dies ist die Welt, die einen Barlow begünstigt. Er schätzt Gemeinschaften, die nur zusammen wohnen aber nicht zusammen leben. Heimlich schleicht er sich ein, nutzt vorhandene Schwachstellen, vergrößert unmerklich die Lücken im sozialen Gefüge, reißt seine Opfer dort aus den Reihen ihrer Mitmenschen, wo es so lange nicht auffällt, bis es zu spät ist und seine selbst zu Vampiren gewordenen Diener über die kleine Schar der Verbliebenen herfallen.

Entschlossenheit gleicht Schwäche aus

Die Dramatik der Geschichte erfordert es, dass die Verteidiger dem Angreifer zunächst hoffnungslos unterlegen erscheinen. King schafft es auch hier, diesen alten Kniff nicht gar zu offensichtlich werden zu lassen, indem er nicht nur Figuren, sondern gut charakterisierte Individuen auftreten lasst. Da ist zunächst Ben Mears, ein weiteres Glied in der langen Kette Kingscher Hauptfiguren, die sich ihr Brot als Schriftsteller verdienen – redlich und hart, darauf legt Mears in Vertretung seines geistigen Vaters mehrfach großen Wert! Mears strebt nicht nach hehrer Kunst, er ist mehr ein literarischer Handwerker, der auf seine Weise versucht die Menschen und ihre Schattenseiten zu verstehen. In Salem‘s Lot ist er ein Außenseiter, psychisch außerdem angeschlagen nach dem tragischen Tod seiner Frau.

Nicht eindrucksvoller präsentiert sich die kleine Schar seiner Gefährten. Um sie alle bangen wir, denn King hat sie uns in großen und kleinen Kapiteln und Episoden vorgestellt. Hier zieht kein gesichtsloses Kanonenfutter in seinen wegen der Schwäche seiner Streiter umso heroischeren Kampf gegen das Böse!

Der Vampir als Respektsperson

Das kommt finster und mächtig daher. Welche Kraft dem Vampir als Horror-Gestalt grundsätzlich innenwohnt, geht im aktuellen Zeitalter zahnlos & schlappschwänzig um Rühr-mich-nicht-an-Jungfern buhlender Blutsauger-Surrogate viel zu oft unter. Ein ‚echter‘ Vampir wie Barlow ist nicht unbedingt intelligent, aber uralt und aus Erfahrung schlau geworden, denn nur so konnte er überleben in einer Welt, die ihm trotz seiner Stärke viele Beschränkungen auferlegt. Ganz klassisch muss er die Sonne und einen Holzpflock durchs Herz fürchten, seltsamerweise aber auch Silber, Weihwasser oder das Kruzifix; dabei sagt er selbst, er sei viel älter als das Christentum. Wieso hat es dann soviel Macht über ihn? Hier schweigt sich King aus, obwohl er ansonsten viele vampirische Fähigkeiten beinahe wissenschaftlich erklärt.

In der technisierten Welt des 20. Jahrhunderts benötigt Barlow die Hilfe eines Menschen, der ihn während des Tages quasi vertritt und schützt. Barlows Renfield heißt Straker, verderbt, doch durch und durch bei Sinnen. Auch hier bleibt unklar, was ihn umtreibt oder wieso sein Herr ihm traut. King deutet an, dass die Beziehung zwischen Barlow und Straker eigentlich eine Dreiecksbeziehung ist: Im Marsten-Haus haben satanische Rituale stattgefunden, die wohl nicht ohne Antwort und Erfolg geblieben sind.

Hässlich und raffiniert, satt und selbstzufrieden

Barlow als Vampir beschreibt King klassisch als kraftvollen, alten Mann mit slavischen Gesichtszügen und altmodischen Manieren, der mit der steigenden Literzahl abgezapften Blutes jünger und stärker wird. Immerhin verwandelt er sich in ein Furcht erregendes Ungeheuer, wenn der Durst über ihn kommt. In diesem Punkt kann King jedoch nicht mit der ansonsten wenig eindrucksvollen Verfilmung seines Romans von 1978 mithalten: Der unvergleichliche Reggie Nalder spielt Barlow als grandiose, nagezahnige, fledermausige Schreckenskreatur, deren Maske sich eng am bemerkenswerten Auftreten von Max Schreck in Friedrich Wilhelm Murnaus bahnbrechendem Stummfilmklassiker „Nosferatu“ (1921) orientiert. (Leider sieht er offenbar immer so aus, was wenig logisch erscheint und erst recht in die Nacht verbannt. Wenigstens gibt es so mehr Raum für den großartigen James Mason, der zwar dem Straker aus Kings Buch ebenfalls nicht ähnelt, aber der Figur seinen ganz eigenen Charakter aufprägt.)

Was Barlow letztlich fallen lässt, ist nicht unbedingt die Kampfkraft seiner Widersacher, sondern sein Ego. King-typisch hat auch das Böse seine Achillesferse, und wenn der Autor gut aufgelegt ist, findet er eine, die den Sieg in letzter Sekunde überzeugend wirken lässt. Barlow hat sich zu sehr daran gewöhnt, dass alles klappt bei seinen Raubzügen, und vernachlässigt seine Deckung – so kriegen sie ihn. Damit ist nicht plötzlich alles gut: Die meisten Gefährten sind tot, die Überlebenden haben alles verloren, die Vampire lösen sich nach dem Tod ihres Meisters mitnichten in Wohlgefallen bzw. Staub auf. Zwar kehren Mears und Mark nach Salem‘s Lot zurück, um ihr Werk zu vollenden, doch die Kurzgeschichte „Eins für unterwegs“ macht deutlich, dass sie auch dieses Mal scheitern.

Exkurs: Vampire in des Lesers Brieftasche

Vermutlich musste es so kommen, denn schließlich basiert das Geschäftsleben seit jeher auf Ideen, die der Steigerung des Verdienstes dienen. Leistungsfähige Speichermedien bieten die Möglichkeit, den Filmfreund zum neuerlichen Zücken seiner Börse zu bewegen, indem ihm lockendes Zusatzmaterial geboten wird: Da gibt es „Director‘s Cuts“ und „Extended Editions“, die jene Filmminuten präsentieren, die zuvor die Zensur aus dem Werk gebissen hatte. Hinzu kommen „Features“: Blicke hinter die Kulissen, Kommentare des Regisseurs, der Schauspieler: Specials, die – oft sogar auf eigene Scheiben gepresst – als zusätzlicher Kaufanreiz dienen.

Kein Wunder, dass andere Medien unruhig und aufmerksam wurden. Wie das Literaturgeschäft reagierte, macht „Brennen muss Salem“ in dieser Inkarnation deutlich. Stephen King veröffentlichte sein Buch 1975. In dieser ursprünglichen Fassung verkaufte es sich drei Jahrzehnte gut. 2005 kam eine edle Luxusausgabe in den Handel. Der Inhalt: „Brennen muss Salem“, der Roman, den es schon lange gab, plus zwei Erzählungen, die sich um den verfluchten Ort ranken aber ebenfalls längst veröffentlicht waren. Hinzu kamen diverse Vor- und Nachworte des Verfassers, dazu jene Passagen, die King in den 1970er Jahren zwar geschrieben, aus dem fertigen Roman jedoch entfernt doch klugerweise nicht in den Papierkorb geworfen hatte. Zum Kunstwerk adeln sollten diese Ausgabe diverse Fotografien von Jerry N. Uelsmann, die nach Auskunft von Kritikern und Experten eine unheimliche Grundstimmung verbreiten; der Leser mag man sich dem anschließen, muss es aber nicht.

Deutscher „Salem“-Wirrwarr

Hierzulande nahm die Veröffentlichungsgeschichte einen etwas anderen Verlauf. Als „Brennen muss Salem“ 1979 erstmals im Zsolnay-Verlag erschien, war diese Fassung gekürzt. Warum dies geschah, sei hier ausgeklammert, doch Fakt ist, dass auch die ersten Taschenbuch-Auflagen im Heyne-Verlag diese Übersetzung übernahmen. 1995 brachte der Zsolnay-Verlag selbst eine neue, dieses Mal ungekürzte Fassung heraus, die später von Heyne übernommen wurde. Der Leser, der heute zur preiswerten Taschenbuchausgabe greift, kommt also in den Genuss der ‚richtigen‘ Version. Auch die Storys „Eins auf den Weg“ und „Jerusalem’s Lot“ sind längst in Deutschland bekannt, weil enthalten in der King-Sammlung „Nachtschicht“, die kaum jemals vergriffen gewesen ist.

Bleiben also höchstens die „gestrichenen Szenen“, die dem Fan wirklich Neues bieten können. Bei näherer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, dass es gute Gründe gab, sie aus dem Roman zu eliminieren. Eine Bereicherung kann man sie jedenfalls nicht nennen. So bleibt „Salem’s Lot – The Illustrated Edition“ auch in seiner deutschen Inkarnation eher ein Liebhaberstück.

Autor

Normalerweise lasse ich an dieser Stelle ein Autorenporträt folgen. Wenn ich ein Werk von Stephen King vorstelle, pflege ich dies zu unterlassen, wie man auch keine Eulen nach Athen trägt. Der überaus beliebte Schriftsteller ist im Internet umfassend vertreten. Nur zwei Websites – die eine aus den USA, die andere aus Deutschland – seien stellvertretend genannt: diese und diese bieten aktuelle Informationen, viel Background und zahlreiche Links.

Taschenbuch: 736 Seiten
Originaltitel: Salem’s Lot – The Illustrated Edition (New York : Doubleday 2005)
Übersetzung: Peter Robert u. Silvia Morawetz
http://www.randomhouse.de/heyne

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