Larry Niven – Planet der Verlorenen. Ein SF-Roman aus dem Known Space

Robotsonden waren die Entdecker aller besiedelten Welten gewesen. Doch die Sonden hatten einen Fehler. Sie waren nicht wählerisch. Über den Planeten »Paradise« hatten sie Daten zur Erde gefunkt, die diesen Fleck im Weltraum zu einer Welt der Verheißung machten.

Doch nur die schmale Hochfläche des Berges Lookitthat war bewohnbar. Darunter gähnte ein Abgrund, heiß wie ein Schmelzofen, voll brodelnder Nebelschwaden. Und dann kamen die Siedler in Raumschiffen, die nicht mehr zur Erde zurückfliegen konnten. Sie erwarteten ein Paradies und fanden die Hölle. Eine Hölle, in der sich die Zahl der Bewohner nicht vermehren durfte, damit nicht alles menschliche Leben zugrunde ging.

Eines Tages kam eine Fracht von der Erde, die ihnen allen Erlösung versprach. Doch was da von der Erde gekommen war, schien ein Pandorageschenk zu sein. (Verlagsinfo)

Der Autor

Der Mathematiker Larry Niven (*1938) ist einer der wichtigsten Vertreter der naturwissenschaftlich orientierten Science Fiction. Zu seinen wichtigsten Werken gehört der „Ringwelt“ Zyklus (ab 1971) aus dem Known Space, seiner Future History. Seine bekannteste Kooperationsarbeit mit Jerry Pournelle ist der Katastrophenroman „Luzifers Hammer“, aber auch „Der Splitter in Gottes Auge“ ist sehr beliebt. Niven ist ein Spezialist im Austüfteln und Schildern fremder Welten. Seine These: Technischer Erfindergeist erweist sich letztlich als vorteilhaft.

Ringwelt-Zyklus

• The World of Ptavvs (1968)
o Deutsch: Die Welt der Ptavv, auch: Das Doppelhirn. 1977, ISBN 3-404-24279-3.
• A gift from Earth (1968)
o Deutsch: Ein Geschenk der Erde, auch: Planet der Verlorenen. 1972/1977, ISBN 3-404-24284-X.
• Ringworld (1970)
o Deutsch: Ringwelt. 1972, ISBN 3-404-24238-6.
• Protector (1973)
o Deutsch: Der Baum des Lebens, auch: Brennans Legende. 1975, ISBN 3-404-24258-0.
• Planetenträume. 1994, ISBN 3-404-21209-6 (Sammelband).
• A World out of time (1977)
o Deutsch: Wie die Zeit vergeht. 1983, ISBN 3-404-22055-2.
• The Patchwork Girl (1980)
o Deutsch: Ein Mord auf dem Mond. 1983, ISBN 3-404-23028-0.
• The Ringworld Engineers (1980)
o Deutsch: Die Ringwelt Ingenieure. 1982, ISBN 3-404-24239-4.
• The Ringworld-Throne (1987)
o Deutsch: Ringwelt-Thron. 1998, ISBN 3-404-24236-X.
• Ringworld’s Children (2004)
o Deutsch: Hüter der Ringwelt. 2006, ISBN 3-404-24352-8.

Handlung

Man schreibt das Ende des 24. Jahrhunderts. Der Berg Lookitthat auf der Welt „Paradiese“ ist vor mehr als 300 Jahren besiedelt worden, allerdings nur sein Plateau, das halb so groß wie Kalifornien ist. Der Rest des Planeten, der auf halber Strecke zwischen Sol und Tau Ceti liegt, ist für Menschen unbewohnbar. Auf dem großen Plateau haben sich mehrere Gesellschaftsschichten etabliert. Auf Alpha ganz oben herrschen die Piloten der zwei Raumschiffe „Planck“ und „Arthur Clarke“ und ihre direkten Abkömmlinge mithilfe ihrer Vollzugspolizei. Aber auf Beta, der nächsttieferen Ebene, und Gamma leben die von ihnen unterdrückten Bauern und Viehzüchter. Durch Nachlässigkeit ist dort ein Wald aus Obstbäumen entstanden, in dem man sich verstecken kann.

Der Container

Der Chef der Vollzugspolizei Jesus Pietro Castro hat per Funk vor sechs Monaten ein Signal erhalten, dass ein Container von der Erde zu erwarten sei. Was mag wohl diesmal vom Mutterplaneten kommen, fragen sich alle. Die Alphas sind entschlossen, den Betas nichts davon abzugeben. Doch sie haben die Rechnung ohne die Obstbäuerin Polly gemacht, die die Landung des Containers mit ihrer Kamera festhält und die Bilder ihrer Gemeinde zeigt. Was ist dieser durchsichtige Behälter, den der Alpha-Pilot hochhält? Sie müssen es herausfinden.

Polly gehört zur Widerstandsbewegung „Söhne der Erde“, die sich dem Kampf gegen die Tyrannei der Piloten-Kaste verschrieben hat. Deshalb hat Castro sie ständig im Auge. Doch er kann nicht überall sein, und seine Überwachungstechnik ist immer noch auf dem Stand des 20. Jahrhunderts. Auf der Party eines Anführers namens Harry Kane, die in einer Villa an der Abgrundkante stattfindet, lernt Polly neben etlichen anderen Widerständlern, die mit Ohrhörern ausgestattet sind, den völlig ahnungslosen Bergarbeiter Matt Keller kennen. Er soll subtil geprüft werden. Ein Verschwörer namens Hood ist sein alter Klassenkamerad und führt ihn in die scheinbar harmlose Gesellschaft ein. Doch schon bald kommt es zu einer Razzia.

Nach der Razzia

Die meisten werden sofort von Castros Leuten geschnappt und abgeführt. Sie tragen alle Ohrhörer, und über diesen Empfänger sind einige vorgewarnt worden und konnten in den Keller entkommen. Auch sie werden geschnappt. Doch zwei fehlen: eine gewisse Laney Mattson und gewisser Matt Keller. Sie müssen es wohl miteinander getrieben haben, sagt sich Castro in seiner Einsatzzentrale, doch wie konnten sie seinen Leuten entwischen?

Matt Keller ist wie Laney aus dem zerschmetterten Fenster gesprungen und kann in die Nebelbank entschlüpfen, die die Kante des Abgrunds, die das Plateau abschließt, umgibt. Im Abgrund geht es 40 Meilen tief abwärts, deshalb muss er vorsichtig sein. Sobald die Polizisten Castros abgezogen sind, schleicht er zurück und findet im Keller einen Schweber. Es gelingt ihm, das Ding, das ihm unbekannt ist, zu starten, durch die Decke der Garage zu brechen und Richtung Alpha-Ebene zu fliegen.

Er entkommt seinen Verfolgern in den Nebel und gelangt zur Klinik. Wie jeder Siedler auf dem großen Berg weiß er, dass die dort einsitzenden Gefangenen sofort der Organentnahme zugeführt werden: Alle Kriminellen werden recycelt. Ihre Organe verhelfen den Alphas zu einem verlängerten Leben. Alphas wie Millard Parlette, der schon 190 Jahre alt ist.

In der Klinik

Keller verfügt über eine Psi-Kraft, von der er bisher keine Ahnung hatte: Er kann anderen seinen Willen aufzwingen und sie vergessen lassen, dass dies geschehen ist. Das verblüfft ihn, verhilft ihm aber zu der Fähigkeit, alle 98 Gefangenen aus ihrem Stasisschlaf zu befreien. Alle außer Polly, die gerade einer Spezialbehandlung unterzogen wird. Die aufgeweckten Gefangenen, darunter Laney, Hood und Kane, brechen aus und wehren sich gegen die von Juan Pietro Castro alarmierten Wachen der Klinik. Kane übernimmt seine irgendwie natürliche Rolle als Anführer und lässt Matt den Schweber zu einer Villa der Alphas fliegen: Es ist die von Parlettes Enkel.

In der Unterredung mit den drei Rebellen, die sich „Söhne der Erde“ nennen, erkennt Matt endlich, dass er über eine besondere Superkraft verfügt: Indem er mit Gedanken, die aus Furcht gespeist werden, den Sehnerv seines Gegenübers manipuliert, vermag er sich quasi „unsichtbar“ zu machen. Das eröffnet natürlich eine menge Möglichkeiten. Als erstes will Matt die Rebellin Polly befreien, doch das ist leichter getan als gesagt: Sie wird schwer bewacht, denn Castro hat alle Wachen verdoppelt und obendrein betäubendes Gas in die Klinik geleitet…

Mein Eindruck

Es geht um Revolution, um Rebellen aus der Arbeiter- und Siedlerklasse, die gegen privilegierte Piloten und deren Nachkömmlinge aufbegehren. Die fünf verschiedenen Höhenebenen sind ein klarer Ausdruck dieser Hierarchie. Und es geht um begrenzte Ressourcen auf einem hohen Berg, der nur eine begrenzte Anzahl von Menschen ernähren kann. Während jedoch die Piloten quasi unsterblich sind, weil sie sich junge Organe einpflanzen lassen, müssen die übrigen Siedler, die von der Polizei der Piloten rasch zu Kriminellen gemacht werden, ihre Organe opfern. Die Abhängigkeit der beiden Lager ist also physisch und handfest.

Mehrere Faktoren verändern nun das ungerechte Gleichgewicht: Der Inhalt des von der Erde geschickten Containers macht Organverpflanzung überflüssig. Mithilfe einer neuartigen Substanz können Organe und andere Körperteile einfach wieder neu nachwachsen. Das demonstriert Willard Parlette den Rebellen, die ihn am liebsten auf der Stelle töten würden. Er weiß, dass dies die Gesellschaft von Grund auf ändert und will die Verfassung ändern.

Der zweite Faktor besteht in der scheinbaren Unsichtbarkeit von Matt Keller. Er durchdringt alle Abwehr- und Vorsichtmaßnahmen der Polizei und dringt sogar in Castros Büro selbst vor. Was er dort tut, lässt Castro sehr vorsichtig werden und spaltet die Polizei in zwei Lager: die Konservativen und die Reformwilligen. Wie dieser Kampf ausgeht, wird in der zensierten Übersetzung nur angedeutet.

Nun sollte man meinen, dass zwei riesige Raumschiffe, die direkt an die Klinik angegliedert sind, zu irgendetwas gut sein müssen. Diesen bewegenden Spezialeffekt hat sich der Autor natürlich für das letzte Viertel seiner Handlung aufgespart. Als Polly in eines der Raumschiffe eindringt und den Antrieb startet, verwüstet die „Planck“ die Klinik zu einem großen Teil, bevor sie in die Abgrund stürzt: großartig!

Die Übersetzung

Die erste deutsche Übersetzung erschien bei Bastei-Lübbe im Jahr 1972. Dementsprechend minderwertig ist sie auch ausgefallen. Weil es damals noch Vorgaben für den Umfang von Taschenbüchern gab (160, 192 usw.), musste der Text der Vorlage offenbar stark gekürzt werden. Bei einer kleineren Schrifttype hätte der Text dann auf rund 160 Seiten gepasst.

Die Sternchen zwischen den Abschnitten wurden nachträglich in der Ausgabe von 1982 eingefügt, um den Umfang zu erhöhen, aber leider nicht konsequent. So muss sich der Leser seinen Weg durch diese Textruine bahnen, damit sie einen Sinn ergibt.

Es gibt eine Sexszene zwischen Matt und Polly, aber sie wurde auf Seite 177 so gut versteckt, dass sie kaum zu entdecken ist. Wer weiß, welche Szenen – etwa auf der Party auf S. 36 – noch zensiert wurden, damit das Buch durch die Zensur von 1972 kommt? Das erreichte Textniveau dürfte also durchaus für Achtjährige verständlich sein.

S. 24: „war eben wir ein Brett“: Statt „wir“ sollte es „wie“ heißen.

S. 27: „gegen sie Söhne der Erde“: Statt „sie“ sollte es „die“ heißen.

S. 33: „Wer[t] hat als letzter die Party verlassen?“ Das T ist überflüssig.

S. 36: Nach der Zeile „griff nach ihr“ folgt ein Szenen- und Abschnittswechsel, der nicht gekennzeichnet ist.

S. 52: Ein Wort fehlt: „Vielleicht war auch [ein] Asteroid den Feuertod gestorben:“

S. 68: „Her[z]schlag“: Das Z fehlt.

S. 102: Vor der Zeile „Keller, nimm’s Gyrosk..“, erfolgt ein Szenen- und Abschnittswechsel, der nicht gekennzeichnet ist. Dieser Fehler tritt häufig auf.

S. 110: „Sie benehmen sich so…“: Weil aber der ganze Text im Präteritum steht, muss dies auch für „benehmen“ gelten, also: „benahmen“.

S. 127: „Tötlich“ statt „tödlich“.

S. 146: „ang[e]wiesen“: Das E fehlt.

S. 159: „Gesetzte“ statt „Gesetze“.

S. 177: Die erwähnte „Sexszene“:
„Matt ließ sich auf sie rollen. Das weiche, dünne Material ihres Anzugs zerriss wie Papier…
„Nun bin ich also doch wirklich“, flüsterte Polly nach einer Ewigkeit.“

S. 178: „Bist du wirklich gekommen, um [m]ich zu retten?“ Das M fehlt.

S. 183: „kalt wie in Plutos Höhle“: Welcher Pluto der Autor hiermit meint, ist unklar. Der Kleinplanet Pluto hat keine Höhlen, soweit bekannt, und der mythische römische Gott der Unterwelt ist eher für Hitze als für Kälte bekannt.

S. 188: „Planc“ statt „Planck“ – ein typischer Druckfehler.

S. 192: „Jesus Pietro dräng[t]e sich an ihm vorbei“: Das T fehlt.

S. 193: “Wie er sich fühlt[e]?“ Das E fehlt.

Unterm Strich

Im Ringwelt-Universum des Autors nimmt dieser Roman nur einen Nebenplatz ein, und dies sollte er auch im Regal des Niven-Fans tun. Nicht, weil die Handlung rein gar nichts mit der Ringwelt, mit ihren Erbauern und Entdeckern zu tun hat. Sondern weil die deutsche Übersetzung so stark gekürzt worden ist, dass man die ursprüngliche Handlung nur noch erahnen kann. Es gibt beispielsweise zwei Sexszenen, deren Inhalt der Leser jedoch nur noch aus den Rudimenten erahnen kann, die die Übersetzerin übriggelassen hat.

Anhand der Überbleibsel lässt sich sagen, dass der Plot das klassische amerikanische Thema aufgreift: das Abschütteln einer ungerechten Herrschaft. Die Siedler und Arbeiter werden bis dato von der Klasse der Piloten mithilfe der Polizei unterdrückt. Wer aufmuckt wird zum Organspender degradiert. Das Thema „Organverpflanzung“, ob freiwillig oder unfreiwillig hat der Autor Ende der sechziger Jahre in Stories wie „The Jigsaw“ und dem Roman „The Patchwork Girl“ mehrfach verarbeitet. Das ist also nichts Neues, wohl aber nun eine vollständig ausgearbeitete Romanhandlung.

Matt Keller ist der ahnungslose Underdog, der nicht weiß, dass er über eine Superkraft verfügt: Unsichtbarkeit. Dieses Motiv stammt aus den 1930er und 1940er Jahren, als Übermenschen massenhaft in Comics auftauchten. Keller wird zum Zünglein an der Waage im Machtgleichgewicht zwischen Piloten, Siedlern und Polizei. Ohne ihn wird künftig alles aus dem Ruder laufen. Ist das nicht ein schönes Gefühl, das der Leser dem Leser vermittelt?

Die Übersetzung

Wie schon gesagt, ist diese Übersetzung nur ein Schatten des Originals, noch dazu mit Druckfehlern gespickt. Nicht selten dachte ich, dies müsse in Wahrheit die stark gekürzte Romanfassung eines Comic-Originals sein, das für Achtjährige – no sex, please! – zurechtgestutzt worden sei.

Taschenbuch: 201 Seiten.
O-Titel: A Gift From Earth, 1968
Aus dem Englischen von Luise Stach.
ISBN-13: 9783404230082

www.luebbe.de

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