Jonathan Latimer – Rote Gardenien

Das geschieht:

Ein neuer Fall für William Crane, der in der Detektivagentur des knurrigen Colonel Black arbeitet. Der Industriemagnat Simeon March will den mysteriösen Tod seines Sohnes aufgeklärt wissen. John March wurde tot in der Garage gefunden, erstickt an den Abgasen seines Wagens, den er angeblich reparieren wollte. Leichtsinn, meint die Polizei, die nicht irritiert, das auch Johns Cousin Richard einem ähnlichen ‚Unfall‘ zum Opfer fiel.

Simeon March scheut den Skandal, den ein Mord in der Familie bedeuten würde. Er verdächtigt Carmel, seine Schwiegertochter, die mit John keine gute Ehe geführt hat. Auch mit Richard war sie sehr vertraut, und jetzt zieht sie die Aufmerksamkeit von Peter, dem jüngeren March-Sohn, auf sich. Zu denken gibt March sr. auch, dass über den Leichen von Richard und John deutlich der Duft von Gardenien schwebte, die in Carmels Lieblingsparfüm reichlich Verwendung finden.

Damit Crane inkognito ermitteln kann, gibt er sich als Werbetexter aus, der für eine der vielen March-Firmen tätig werden soll. Zur Verstärkung stellt ihm Colonel Black seine Nichte, die Detektivin Ann Fortune, zur Seite. Sie gibt sich als Cranes Ehefrau aus und muss in dieser Eigenschaft viel Langmut aufbringen, denn ihr ‚Gatte‘ vermutet nicht zu Unrecht, dass Ann ihn auch kontrollieren soll: Crane ist ein nur mühsam trockener, stets rückfälliger Alkoholiker.

Die Ermittlungen gestalten sich schwierig. Es herrscht wenig Nächstenliebe in der Familie March. Jedes Mitglied hütet Geheimnisse. Dummerweise hat man sich auch die Feindschaft des Nachtclub-Besitzers und Gangsterbosses „Slats“ Donovan zugezogen, den seine stets zu allen Schandtaten bereite Schlägertruppe begleitet. Weitere Mitglieder des March-Clans müssen ihr Leben lassen, und auch auf Crane und Ann werden Anschläge verübt, bis sich der Mörder mit dem Auspuffrohr zu erkennen gibt …

Kriminell gut – und komisch

Raymond Chandler, Dashiell Hammett – sie kennt jede/r, wenn von den ‚harten‘ Detektiven der 1930er Jahre die Rede ist. Darüber hinaus gibt es jedoch eine ganze Reihe ebenso fähiger Autoren, die primär nur den Krimi-Fachleuten bekannt sind. Jonathan Latimer gehört zu ihnen – ein Abseits, das er nicht verdient, wie man weiß, wenn man nur eines seiner Bücher gelesen hat.

Auch „Rote Gardenien“ ist viel mehr als ‚nur‘ ein Krimi. Der Plot ist ein klassischer „Whodunit“, der nach und nach aufgelöst wird. Er erfüllt seinen Zweck, und mehr ist auch nicht nötig. Deshalb sollte man es tunlichst vermeiden, über diverse Details allzu ausgiebig nachzudenken. Der Mord mit Hilfe von Autoabgasen ist so, wie Latimer es beschreibt, ganz und gar nicht perfekt, sondern sogar höchst unwahrscheinlich. Sogar die notorisch trantütige Polizei müsste eigentlich bemerken, dass ein Mann nicht ohne ‚Nachhilfe‘, in seinem Wagen erstickt.

Der Ton macht in diesem Fall die Musik, Realismus ist Nebensache. Intrigen und Mord gibt es reichlich, aber sie werden uns mit geradezu frivoler Leichtigkeit serviert: Zucht und Ordnung sind weitgehend außer Kraft gesetzt in der Welt der Reichen & Schönen, wie sie die Mitglieder der Familie March repräsentieren. Dass sie sich diesen Status eher anmaßen als ihn sich verdient zu haben, passt sehr gut ins zynische Weltbild, dass uns Verfasser Latimer hier vermittelt.

Was kostet die Welt!

Es wird getrunken, geraucht, sich amüsiert aus Leibeskräften. Nur zu oft ist die Kluft zwischen „Gut“ und „Böse“ schwer oder gar nicht erkennbar. Gangsterboss Donovan wirkt manchmal wie der einzige Ehrenmann in einer Becken voller intriganter Haifische. Gegen den alten Simeon March ist er ohnehin nur ein kleiner Fisch. Mit dem (gekauften) Gesetz auf seiner Seite rafft dieser geschäftlich und privat an sich, was er begehrt. Da ist es womöglich gar keine so schlechte Idee, wie William Crane den Schnapsspiegel im Blut immer ein wenig über Normalnull zu halten.

Er weiß sich da in guter Gesellschaft. So war Nick Charles, der von Dashiell Hammett geleitet 1934 die unsterblich gewordene „Mordsache Dünner Mann“ („The Thin Man“) aufgeklärt hatte, auch selten nüchtern. Mit Ann Fortune steht Crane seine eigene Nora zur Seite. Latimer leugnet das Vorbild nicht und lässt seine beiden Helden die Parallelen sogar selbst ansprechen. Überhaupt wirkt „Rote Gardenien“ recht filmisch, was nicht verwundern sollte, da Jonathan Latimer ein begehrter und fähiger Drehbuchautor im Hollywood der 1930er Jahre war. Allein in diesem Jahrzehnt wurden drei seiner Crane-Romane verfilmt.

In einer ‚vernünftigen‘ Zeit würde man William Crane zweifellos als hoffnungslosen Alkoholiker bezeichnen. Doch in den 1930er Jahren war der Griff zur Flasche noch gesellschaftlich gestattet, solange der endgültige Absturz ins Delirium im privaten Kämmerlein erfolgte. Außerdem sahen besagte 1930er Jahre die Geburtsstunde der “Screwball Comedy”, jener Komödie, in denen die Protagonisten sich in absurden Situationen mit aberwitzigen Wortattacken beharkten. Da half der Alkohol, die Zungen zu lösen.

Kriminelle und Promille

Dennoch verschweigt uns Verfasser Latimer nicht, dass Crane sich entlang einer gefährlichen Grenze bewegt. Eine recht eindringliche Szene beschreibt, wie er den nach einer Saufnacht heftig zitternden Arm mit einer Krawattenschlinge bändigen muss, um sein Glas mit dem Katerfrühstück Tomatensaft halten zu können. Auch geht das gefährliche Experiment, Whiskey mit Laudanum zu ‚veredeln‘, eindeutig über den Horizont eines Gelegenheitstrinkers hinaus.

Dabei ist Crane kein schlechter Detektiv. Seinen Job beherrscht er besser, als er in der Regel deutlich werden lässt – das Trinken dient ihm auch als Maske. Im Vergleich zu den hartgesottenen Schnüfflern seiner Zeit schneidet Crane freilich schlecht ab. Er trägt selten eine Waffe, verabscheut Verfolgungsjagden und deckt jedem Gauner seine Karten auf, wenn Prügel drohen. Jonathan Latimer spielt hier sichtlich mit den Statuten des „Hard-Boiled“-Thrillers, die er nach eigener Auskunft nie ernst zu nehmen pflegte, weil sie allzu rasch zum Klischee verkamen.

Auch den Frauen ist Crane zugetan. Sie halten kräftig mit in dieser bourbongetränkten Vorkriegsära und wirken überhaupt recht emanzipiert. Cranes Partnerin Ann Fortune ist ihm sogar gleichberechtigt. Was ihr an kriminalistischer Erfahrung noch fehlt, macht sie durch Energie und Einsatzfreude wett. Nicht selten reißt sie sogar den manchmal allzu sehr in Routine erstarrten Kollegen mit.

Carmel March gibt die typische femme fatale. Hochelegant und mysteriös ist sie, begehrenswert aber latent gefährlich weil undurchschaubar, vielleicht sogar eine Lügnerin und Mörderin. In dieser Rolle verdreht sie Crane den Kopf, der sich letztlich natürlich von den Spinnweben in seinem Hirn befreien und die Wahrheit ans Licht bringen kann.

Der March-Clan ist Latimer gut gelungen in ihrer ganzen Verlogenheit. Der Schein ist alles für diese Sippe, die der alte Simeon unter seiner eisernen Knute hält. Ehebruch, Faulheit, Lügen sind keine Sünden im Hause March, solange die Öffentlichkeit nichts erfährt. Liebe ist ein Fremdwort bzw. wird sorgfältig verborgen ausgelebt, gilt sie doch als Zeichen von Schwäche. Dass der alte March nicht die Polizei mit dem Verdacht konfrontiert, sein Sohn sei ermordet worden, sondern Privatdetektive anheuert, passt da gut ins Bild: Er ist nicht nur der Herr, sondern auch der Rächer seiner Familie, der wie selbstverständlich das Gesetz in die eigene Hand nimmt.

Das ist ebenso bitterböse wie unter Latimers Feder unterhaltsam und macht Appetit auf weitere unkonventionelle Kriminalromane dieses Verfassers. Sein vergleichsweise schmales Werk ist hierzulande glücklicherweise gut übersetzt und problemfrei antiquarisch greifbar.

Autor

Jonathan Wyatt Latimer wurde 1906 in Chicago, Illinois, geboren. Er wuchs in Arizona und Illinois auf. Ins Berufsleben trat er als Reporter des „Chicago Herald Examiner“, bevor er sich als Schriftsteller versuchte. Schon mit seinem ersten Roman „Murder in the Madhouse“ – gleichzeitig William Cranes Debüt – fand er 1935 sein Erfolgsrezept: Latimer schrieb „Hardboiled Screwball Comedies“, wobei er sich deutlich von Dashiell Hammetts Vorfahres-Erfolg „The Thin Man“ (dt. „Mordsache Dünner Mann“) inspirieren ließ. Noch viermal ließ er William Crane gutgetränkt auf Schurkenjagd gehen, dann hatte er genug von dieser Figur. 1941 gelang Latimer mit „Solomon’s Vineyard“ ein echter Klassiker des Genres. Der leichte Ton war verflogen, grauer und grausamer Verbrecheralltag prägte die Szene, die Privatdetektiv Karl Craven betrat.

Zwischen 1942 und 1945 diente Latimer in der US-Navy. Nach seiner Rückkehr fand er umgehend den Anschluss zur Filmbranche wieder. Schon in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre war es Latimer gelungen, in Hollywood Fuß zu fassen. Wo andere Schriftstellerkollegen (wie sein Freund Raymond Chandler) scheiterten, passte er sich rasch an und wurde zu einem begehrten Schreiber. Zu Latimers etwa zwanzig verfilmten Arbeiten gehören die Drehbücher zu Hollywood-Perlen wie „The Glass Key“ (1942, nach Dashiell Hammett) und „The Big Clock“ (1947). Latimer schrieb auch für zeitgenössische Serien wie „Lone Wolf“ und „Charlie Chan“.

Als das US-Kino in den 1960er Jahren seinen Niedergang erlebte, wechselte Latimer zum Fernsehen. Schnell setzte er sich auch dort durch und wurde u. a. 1960 bis 1965 zu einem der wichtigsten Script-Lieferanten für die erfolgreiche „Perry-Mason“-Serie. Seine Tätigkeit für das Fernsehen setzte Jonathan Latimer bis zu seinem Tod am 23. Juni 1983 fort. Als Schriftsteller war er seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr tätig gewesen.

Taschenbuch: 264 Seiten
Originaltitel: Red Gardenias (New York : Doubleday, Inc. 1939)
Übersetzung: Walter Kolbenhoff
http://www.diogenes.de

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