Lawhead, Stephen – Taliesin (Pendragon 1)

Hier beginnt Lawhead auf geniale Weise seinen bekannten |Pendragon|-Zyklus: Es beginnt alles im sagenhaften Atlantis. Und natürlich mit dem gewaltigen Untergang dieses Inselkontinents.

Der Brite Stephen Lawhead, geboren 1950 in Neuengland, war hierzulande durch seinen Zyklus „Das Lied von Albion“ und ein paar SF-Romane bekannt geworden. Seinen Durchbruch erlebte er erst mit dem Pendragon-Zyklus, der schon 1987/88 entstand. Bislang sind bei |Piper| die ersten vier Bände inklusive „Pendragon“ erhältlich, der im Original 1994 erschien.

Der Zyklus verschmilzt unterschiedliche Sagenstoffe aus der Ursprungszeit des englischen Frühmittelalters, mit dem Schwerpunkt im 4. bis 5. Jahrhundert, der Zeit der Sachseninvasion. Der Bogen, den Lawhead spannt, reicht von Atlantis über die keltischen Barden und Druiden (Taliesin) bis zur Merlin- und Artussage, die uns vertraut ist.

Dabei belässt es der bekennende Christ Lawhead nicht bei einer Nacherzählung von Liebes- und Heldengeschichten, wie das minder begabte Autoren gerne tun. Vielmehr betrachtet er die Zeit, in der Englands größte Barden, Taliesin und Merlin, lebten, als die Periode des Übergangs von der alten keltischen zur neuen römisch-christlichen Religion und Kultur, oder mythologisch ausgedrückt: die Zeit des Zwielichts nach den keltischen bzw. römischen Göttern und vor der Durchsetzung des christlichen Glaubens auf den britischen Inseln, bedroht von der Dunkelheit, die von den Invasionen der Pikten, Angeln und Sachsen ausgeht.

|Der Pendragon-Zyklus|

– Taliesin (1988)
– Merlin (1988)
– Artus (1989)
– Pendragon (1994)
– Grail (1997)

_Handlung_

„Taliesin“ erzählt zunächst parallel zwei Lebensgeschichten, nämlich die der Chronistin, Prinzessin Charis‘ von Atlantis, der Tochter König Avallachs – und die von Taliesin und seinem Pflegevater Elphin, der das Findelkind aus einer Fischreuse rettet. Prinzessin Charis wächst zunächst unbeschwert in einer luxuriösen Umgebung auf, wie sie z. B. an einem antiken griechischen Königshof zu finden gewesen wäre, erzogen im Glauben an die Götter und die Weissagungen der Priestermagier.

Doch schon bald taucht ein Prophet aus der Wildnis auf, der den baldigen Untergang des Inselkontinents verkündet. Niemand hört auf ihn, doch als Teilerfüllung seiner Weissagung bricht Streit zwischen den Atlanter-Königen aus, der Hochkönig fällt einem Attentat zum Opfer, und Krieg bricht aus. In dessen Verlauf stirbt Charis’ Mutter, ihr Vater Avallach wird schwer verwundet. Charis, die unter der Schuldzuweisung ihres Vaters – sie sei schuld am Tod ihrer Mutter – leidet, sucht den Tod in der Stiertänzerarena. Wer einmal das Wandfresko im Königspalast von Knossos gesehen hat, weiß, was gemeint ist: Eine Truppe von Tänzern springt auf den Rücken und oft sogar auf die Hörner eines heranstürmenden Bullen, nur um dann einen doppelten oder gar dreifachen Salto zu vollführen. Die hinreißende Kühnheit und Akrobatik einer solchen Vorführung darzustellen, gelingt Lawhead ausgezeichnet.

Charis hört nach ihrem größten und gefährlichsten Tanz auf und kehrt nach Hause zurück, in ein Heim, so desolat und
hoffnungslos, dass sie nicht lange wartet und alles in Gang setzt, um ihr Volk von der dem Untergang geweihten Insel zu bringen. Sie hatte auf der Heimreise den Propheten aus der Wildnis erneut getroffen und die Bestätigung seiner ersten Weissagung erhalten: Der Boden unter ihren Füßen bebt zunehmend öfter.

Wenigen tausend Atlantern gelingt es, dem vollständigen Untergang der Insel zu entkommen und nach vier Monaten Irrfahrt in Cornwall zu landen, wo sie ein neues Königreich, Llyonesse, errichten. Dort trifft Charis Taliesin.

Er ist ein Seher und Weiser und hat die Gabe des mitreißenden Gesangs. So schaut er unter anderem seine eigene Zukunft: Die „Dame vom See“ ist Charis, der Schöpfer mit dem blendend weißen Gesicht ist der Christengott. Lawhead macht von vornherein klar, dass Taliesin die wichtigste Figur des Buches ist – neben Charis – und dass der Verlauf der ganzen Handlung auf ihn zugeschnitten ist. Im Folgenden wird klar, warum.

Durch die Angriffe der wilden Pikten, Skoten und Sachsen gerät die Heimat Taliesins in höchste Gefahr, und sein Clan kann sich schließlich nur retten, indem er zu König Avallachs Palast, der „Insel aus Glas“, flieht. Dort wird den Kelten Asyl gewährt und schließlich sogar ein Stück Land gegeben.

In die wachsende Liebe zwischen Taliesin und Charis mischen sich jedoch die zauberische Morgian (= Morgaine) und der eifersüchtige atlantische Seher Annubi ein. Beide bringen viel Leid über das Liebespaar, so dass die beiden nach heimlicher Heirat nach Wales wegziehen, wo Charis ein Kind zur Welt bringt, das bei der Geburt fast stirbt, würde ihm nicht Taliesin seinen zauberkräftigen Lebensatem einhauchen: Merlin – so benannt nach einem kleinen verletzten Falken, den Charis gesund gepflegt hatte. Taliesin, nicht wenig stolz, verkündet den benachbarten Adligen, dass sein Sohn einst ihr König und zudem der Retter der Welt sein würde.

Nach einer falschen Aufforderung zur Rückkehr von Charis‘ Vater, die aber offenbar von Morgian kam, wird Taliesin auf der Heimreise von einem Pfeil getötet. Charis verfasst die Chronik Taliesins, doch dem Leser ist klar, dass noch einiges zwischen Merlin und der verschwundenen Morgian geschehen wird. Wer die Artuslegende kennt, weiß, dass die Zauberin auch für Artus einiges in petto hat.

Lawhead gelingt es, die Romangestalten in ihrer geistig-kulturellen Umgebung lebendig und uns ihre Beweggründe begreiflich zu machen. Leider ist er nicht sonderlich gut darin, intensive Gefühle aus tieferen Schichten der Charaktere darzustellen, so dass er zuweilen oberflächlich wirkt. Die Trauer um Taliesins Tod jedoch geht wirklich zu Herzen. Der atheistisch eingestellte Leser findet die Wandlung Taliesins zum Christen und die Darstellung der ersten Mönche sowie Taliesins Vision von Gottes Königreich auf Erden wohl etwas missionarisch eingefärbt. Wer jedoch sowieso gläubiger Christ ist, dem könnte dies sogar überzogen erscheinen, denn Artus wird als die christliche Licht- und Rettergestalt hingestellt.

_Fazit_

Der „Pendragon“-Zyklus ist eine lebendige, farbige Schilderung einer Epoche des Übergangs und vermittelt auf spannende Weise ein Bild vom chaotischen Anfang der Kultur des Abendlandes. Dabei konzentriert sich Lawhead völlig auf die Ereignisse auf der britischen Insel, auch mit eindeutig nationalistischen Tönen – die er den diversen Berichterstattern in den Mund legen kann. Nebenbei ist der Zyklus eine Studie, wie man unterschiedlichste Sagenstoffe – Atlantis, die Artus-Legende, die Epen des keltischen Mabinogion – erfolgreich miteinander verschmelzen kann.

Der Übersetzer mochte zwar über das altertümelnde Englisch des Originals unglücklich sein, das dem heutigen deutschen Leser schwer zu vermitteln ist, aber er löst seine Aufgabe mit Bravour: So könnten deutsche Erzähler zu Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts geschrieben haben – mit Pathos. Am ehesten erträglich ist dieser Ton im ersten Band, „Taliesin“, und im Bericht Bedwyrs in „Artus“. Das |Piper|-Lektorat hat mehrere Fehler übersehen, so etwa „Mabigonen“ statt „Mabinogi“ in „Artus“. Und mehrere Ortsangaben können so nicht stimmen. Bedauerlich ist auch das Fehlen der Originalangaben über die Aussprache der zahlreichen keltischen Namen. Nur Eingeweihte können daher halbwegs Namen wie Myrddin (= Merlin) halbwegs korrekt aussprechen.