Lucas Vogelsang – Heimaterde

Heimat leuchtet:

Vietnamesen, die Zuwanderern Deutsch beibringen, Türken, die auf die Mittagsruhe pochen, Iraner, die ihre Gartenzwerge bemalen, oder ein Politiker mit palästinensischen Wurzeln, der dem Stammtisch erklärt, was Deutschsein heute bedeutet. Lucas Vogelsang fährt vom Berliner Wedding aus quer durch die Bundesrepublik und trifft Menschen, die von Herkunft und Identität erzählen.
In Pforzheim, Rostock – Lichtenhagen oder Castrop-Rauxel. So reist er hinein in die Gegenwart unseres Landes – „Heimaterde“ stellt sich der großen Frage, wer wir sind.(Verlagsinfo)

Inhalt und Einrücke:

Lucas Vogelsang begibt sich auf eine „Weltreise durch Deutschland“. Vom Berliner Stadtteil Wedding aus, in dem der Journalist selbst wohnt, besucht er Orte in ganz unterschiedlichen Regionen der Bundesrepublik, um Menschen zu treffen, deren Geschichten er erzählen möchte. Auch der Ausgangsort selbst ist ein Kapitel wert: haben hier doch beinahe 50% der Bewohner einen Migrationshintergrund. Wie fühlt es sich eigentlich an, als „richtiger“ Deutscher hier mittendrin zu leben? Auf seiner Suche nach Antworten lernt der Autor interessante Menschen kennen – alle Altersklassen und viele verschiedene Nationen sind darunter.

Ein Kommunalpolitiker, ein Youtube-Star, ein breakdancender Steuerberater – so unterschiedlich die porträtierten Menschen sein mögen, eines ist ihnen dennoch gemeinsam: sie alle haben ihre Wurzeln irgendwo in der Fremde und eine ganz eigene Auffassung von Heimat und dem Leben in Deutschland. Vogelsang hat aus den Begegnungen mit diesen Menschen elf zum Teil berührende Geschichten gemacht, indem er sie aus ihrem Leben erzählen lässt. Gefühlt sind es sogar weitaus mehr als nur diese Episoden, die zum Teil sogar ineinander greifen.

Den früheren Fußballnationalspieler Jimmy Hartwig besucht er etwa im beschaulichen Inning am Ammersee. Während die Generation des Autors längst schon vertraut ist mit Namen wie Boateng und Khedira in der deutschen Fußballnationalmannschaft, kann man Hartwig getrost als Vorreiter dafür bezeichnen. Als farbiges Kind, hineingeboren in eine deutsche Nachkriegswelt mit faschistischen Vorbehalten und Vorurteilen. Indem er Hartwig seine Geschichte erzählen lässt, skizziert der Autor ein authentisches und feinfühliges Porträt eines Menschen, der sich offenbar immer beweisen musste. Die richtige Sportart, aber die falsche Hautfarbe. Jemand, der eindeutig noch viel mehr auf dem Kasten hat und auch das ständig aufs Neue unter Beweis stellen wollte.

Es geht um Identität, Verwurzelung und Anerkennung, während das Schicksal es nicht immer gut meinte und ständig neue Herausforderungen bereit hielt. Das ist im Übrigen etwas, das sich durch die Geschichten zieht: Während Vogelsang eigentlich nicht mehr macht, als die Geschichten der Einzelnen anzuhören und authentisch wiederzugeben, entdeckt der Leser immer wieder Parallelen zwischen den Charakteren.und ihren Werdegängen, obwohl diese unterschiedlicher nicht sein könnten. Auch einen AfD-Politiker beispielsweise lässt der Autor zu Wort kommen. Interessanterweise ist dieser selbst ursprünglich aus Kasachstan gekommen und hat entsprechend eine ganz eigene Sichtweise auf aktuelle Politik in seiner Heimat Deutschland.

Vogelsangs Schreibstil ist so eigenwillig wie die von ihm gewählten Protagonisten, aber dabei manchmal urkomisch und schräg, zum Kaputtlachen und ungeheuer lebendig.

Mein Fazit:

„Heimaterde“ in nur wenigen Sätzen zusammenzufassen, fällt schwer. Ist es doch so etwas wie ein modernes Gesellschaftslesebuch mit zum Teil vollkommen unerwarteten Geschichten und derart vielen Denkanstößen, dass die Lektüre deutlich nachhallt. In Zeiten, in denen die Schlagworte Zuwanderung, Migration, Integration und Parallelgesellschaft für zum Teil hitzige Debatten und Diskussionen in scheinbar allen Teilen unserer Gesellschaft sorgen, trifft Lucas Vogelsang mit seiner Reise durch eben dieses Deutschland den Nagel auf den Kopf.

Der Leser sieht die Welt sprichwörtlich durch die Augen der Anderen und damit ist das Prinzip so einfach wie auch genial – schließlich ist es genau das, was zur Vermeidung von Fremdenfeindlichkeit beitragen kann. Erst wenn wir uns gegenseitig verstehen, können wir akzeptieren und Ängste gegenüber dem Fremden ablegen. Vogelsang kommt vollständig ohne erhobenen Zeigefinger aus und schafft hier sogar ein überaus unterhaltsames und streckenweise atemloses Gegenwartsporträt eines Landes, das zur Heimat so vieler unterschiedlicher Menschen wurde. Ohne Weichzeichnerei bleibt es dicht an der Realität und schafft einen absolut lesenswerten Blick über den berühmten Tellerrand!

Gebundene Ausgabe: 330 Seiten
ISBN-13: 978-3351036713

www.aufbau-verlag.de

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