Ed McBain – Die Greifer

McBain Greifer 1968 kleinMit einem perfiden Plan kehrt der „Taube“ auf die Bühne des Verbrechens zurück und spielt mit den Polizeibeamten des 87. Reviers erneut sein bitterböses Spiel … – Der 22. Band der Serie um das genannte Polizeirevier ist besonders gut gelungen: raffiniert geplottet, schnell und witzig findet die Handlung eine furiose Auflösung.

Das geschieht:

In diesen Märztagen werden die Beamten des 87. Polizeireviers der Metropole Isola noch stärker als sonst auf die Probe gestellt. Zur Flut der üblichen Verbrechen, die bearbeitet bzw. aufgeklärt werden wollen, kommt die eigentlich längst überfällige Renovierung des Bereitschaftsraumes. Die Arbeit der Beamten wird durch die wenig kooperationsbereiten Handwerker empfindlich gestört.

Ausgerechnet jetzt schlägt der „Taube“ wieder zu. Vor acht Jahren hatte er sich dem 87. Revier nachdrücklich vorgestellt. Nach einem spektakulären Finale glaubten ihn die Beamten tot, doch der ebenso paranoide wie intelligente und rücksichtslose Kapitalverbrecher hat überlebt. Nun plant er einen neuen Coup – und die Schlappe, die er den Männern vom 87ten verdankt, hat er nicht vergessen! Profit und Rache in einen narrensicheren Plan zu vereinen – das ist eine Herausforderung, die so recht nach dem Geschmack des Tauben ist!

Ein anonymer Anruf erreicht Detective Meyer Meyer im 87. Revier. Angekündigt wird der Mord am Gartenbauinspektor Cowper, den nur die Zahlung eines Lösegelds von 5000 Dollar verhindern könne. Die Summe ist lächerlich gering, die Übergabe dilettantisch organisiert. Doch als die Beamten am nächsten Tag die Geldübergabe überwachen, fällt ihnen nur ein Bote, der nichts weiß, in die Hände. Wenig später fällt der bedrohte Cowper wie angekündigt einem Anschlag zum Opfer.

Kurze darauf kündigt der Taube den Mord an Bürgermeister Scanlon an. Die Lösegeld-Forderung beträgt 50000 Dollar! Auch dieses Mal triumphiert der Taube; aber was hat er wirklich vor? Die Beamten vom 87. Revier sind ratlos. Eine Kette unglücklicher Zufälle lässt gleich mehrere Kollegen ausfallen. Gleichzeitig hat die Ermordung zweier hoher Würdenträger der Stadtverwaltung die Aufmerksamkeit der Presse erregt. Der Polizeipräsident sitzt den Männern im Nacken. So scheint die Rechnung des Tauben aufzugehen: Während er die Polizei durch spektakuläre Attentate in Atem hält und ablenkt wird, setzt er seinen eigentlichen Coup in Gang.

Die Rache an den Männern des 87. Reviers vergisst der Taube darüber nicht. Doch er wird mit der Macht des Zufalls konfrontiert, der seinen Plan nachhaltig durcheinanderbringt: Als ein Schneesturm Isola heimsucht, treffen alle Beteiligten völlig unverhofft aufeinander – in einem buchstäblich explosiven Finale, das nur wenige Beteiligte überleben werden …

Routine ohne Langeweile

Ed McBain ist ein von Kritik und Leserschaft gleichermaßen anerkannter und verehrter Großmeister des modernen Polizei-Romans. Er hat ihn zwar nicht erfunden aber entwickelt und dabei die Latte auf eine Höhe gelegt, die bis heute nur wenige Autoren überspringen konnten. McBain verdanken wir es, dass Polizisten aus eindimensionalen Gutmenschen, tumben Handlangern genialer Privatdetektive oder uniformierten Erfüllungsgehilfen korrupter Politiker und skrupelloser Geschäftsleute zu Menschen wurden, die als eingespieltes Team einem schwierigen und gefährlichen Job nachgehen.

Die Serie um das 87. Polizeirevier gehört nicht nur zu den erfolgreichsten, sondern auch zu den langlebigsten des Krimi-Genres. „Die Greifer“ ist der 22. Band und bot 1968 die für McBain typische Mischung aus liebgewonnener Routine und unverhofften, aber umso lieber zur Kenntnis genommenen Überraschungen. Die Männer vom 87ten (erst später kamen auch einige Frauen hinzu – McBains Polizei-Romane waren immer auch ein Stück soziale Chronik ihrer Entstehungszeit) sind ihren Lesern längst ans Herz gewachsen.

Das heißt nicht, dass ihnen ihr geistiger Vater eine (positive wie negative) Entwicklung oder gar ein gewaltsames Ende verweigern bzw. ersparen würde. In der alltäglichen Hölle von Isola ist alles möglich, und Ed McBain sorgt dafür, dass dies seinen Lesern nie in Vergessenheit gerät.

Bösewicht aus dem Bilderbuch

Der wahre Könner zeigt sich in der Beständigkeit seines Werkes. Da McBain in dieser Hinsicht selten Schwächen zeigte, ist es kaum verwunderlich, dass er auch brilliert, wenn er aus früheren Romanen Bekanntes noch einmal ins Spiel bringt. Mit dem „Tauben“ ist ihm ohnehin eine bemerkenswerte und erinnerungswürdige Figur gelungen. Dabei erinnert der Taube mit seiner diabolischen, scheinbar übermenschlichen Intelligenz und dem quasi filmtauglichen Gebrechen zunächst (allzu) sehr an klassische Science-Fiction/Mad Scientist-Gestalten wie Dr. Mabuse oder Dr. No.

Tatsächlich ist der Taube ein Glücksfall als ein Bösewicht, der nicht nur überzeugt, sondern dessen Wiedersehen echte Freude bereitet. Wir und die Männer vom 87. Revier werden ihn jedenfalls auch nach „Die Greifer“ mehrfach wiedersehen, bevor er endgültig untertaucht, ohne jemals gefasst zu werden. (McBain hat ihn jedoch nie aus den Augen verloren; er erwähnt ihn in „Big Bad City“, den 49ten Band der Serie, nach langer Zeit noch einmal.)

Auch sonst kann „Die Greifer“ über die volle Distanz unterhalten. Mit dem für ihn typischen Können mischt McBain die aufregende Jagd auf den Tauben mit dem üblichen Polizeialltag, der durch Routine, Mühsal, Frustration und vor allem durch Pannen gekennzeichnet wird. Auf der anderen Seite stoßen die Beamten auf Verbrecher, die – anders als der Taube – eher durch Brutalität als durch Klugheit auffallen. Ein besonderes Kabinettstück ist McBain mit der Schilderung der beiden All-American-Boys gelungen, die sich ihre Zeit damit vertreiben, des Nachts Obdachlose in Brand zu stecken – für einen Roman, der 1968 erschienen ist, eine erstaunlich hellsichtiger Vorgriff auf eine gnadenlose Zukunft!

Handwerker und andere Schrecken

„Fuzz“, der zunächst unverständliche Originaltitel des vorliegenden Romans, stellt einen typischen Ed McBain-Scherz dar: „Flöckchen“ oder „Spritzer“ von Farbe hinterlassen die Maler, die das 87. Revier terrorisieren und den Beamten zum Romanschluss eine ganz besondere Überraschung bescheren. Sie symbolisieren gleichzeitig die scheinbar unwichtigen, gern übersehenen Kleinigkeiten, an denen noch der beste Plan scheitern kann, wie der Taube zu seinem Leidwesen erfahren muss.

„Die Greifer“ gehört zu den vergleichsweise wenigen McBain-Romanen um das 87. Polizeirevier, die auch verfilmt wurden. „Auf leisen Sohlen kommt der Tod“ („Fuzz“) entstand 1971 nach McBains Drehbuch unter der Regie des Routiniers Richard A. Colla und gibt die eigentümliche Mischung aus Spannung, Tragik und Humor der Vorlage sehr gut wieder. Ihren Teil tragen dazu auch die fabelhaft aufspielenden Schauspieler bei: Burt Reynolds (!) als Steve Carella, Raquel Welch als Eileen McHenry sowie ein noch sehr junger Tom Skerritt als Bert Kling.

Sie alle werden an die Wand gespielt vom als Schauspieler viel zu oft unterschätzten Yul Brunner, der den Tauben mit der ihm eigenen, hier wunderbar zur Rolle passenden Mischung aus Größenwahn und Unberechenbarkeit verkörpert. Dies versöhnt damit, dass „Fuzz“, der Film, sich nicht nur aus dem gleichnamigen Roman, sondern auch aus „April, April!“ („The Heckler“, 1960), der das Debüt des Tauben markiert, großzügig bedient.

Autor

Ed McBain wurde als Salvatore Albert Lombino am 15. Oktober 1926 geboren. Dies war in den USA in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg kein Name, der einem ehrgeizigen Nachwuchsschriftsteller hilfreich gewesen wäre. Also ‚amerikanisierte‘ sich Lombino 1952 zu Evan Hunter und schrieb Literatur mit Botschaft und Anspruch, darüber hinaus Kinderbücher und Drehbücher.

Da sich der Erfolg in Grenzen hielt, wählte Vollprofi Hunter ein neues Pseudonym und verfasste als „Ed McBain“ den ersten der von Anfang an als Serie konzipierten Kriminalromane um das 87. Polizeirevier. Schnelles Geld sollten sie bringen und ohne großen Aufwand zu recherchieren sein. Deshalb ist Isola mehr oder weniger das Spiegelbild von New York, wo Lombino im italienischen Ghetto East Harlems groß wurde. Aber Hunter bzw. McBain kochte nicht alte Erfolgsrezepte auf Er schuf ein neues Konzept, ließ realistisch gezeichnete Polizisten im Team auf ‚echten‘ Straßen ihren Job erledigen. Das „police procedural“ hat er nicht erfunden aber entscheidend geprägt.

1956 erschien „Cop Hater“ (dt. „Polizisten leben gefährlich“). Schnell kam der Erfolg, es folgten bis 2005 54 weitere Folgen dieser Serie, der McBain niemals überdrüssig wurde, obwohl er weiter als Evan Hunter publizierte und als McBain die 13-teilige Serie um den Anwalt Matthew Hope verfasste. Mehr als 100 Romane umfasste das Gesamtwerk schließlich – solides Handwerk, oft genug Überdurchschnittliches, geradlinig und gern fast dokumentarisch in Szene gesetzt, immer lesenswert –, als der Verfasser am 6. Juli 2005 einem Krebsleiden erlag.

Website

Taschenbuch: 158 Seiten
Originaltitel: Fuzz (New York : Doubleday & Company 1968)
Übersetzung: Will Helm
www.ullsteinbuchverlage.de

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