„Vampirblut“, das ist der zweite Teil von Brian Lumleys Mammut-Vampirsaga „Necroscope“. Während im ersten Teil, [„Das Erwachen“, 779 hauptsächlich Figuren und Settings eingeführt wurden, geht in „Vampirblut“ nun endlich die Handlung los. Zunächst werden die Erzählungen der beiden Gegenspieler wieder aufgegriffen. Da wäre auf der einen Seite der Engländer Harry Keogh. Er selbst bezeichnet sich als Necroscope – als jemand, der mit den Toten reden kann. Da er weltweit offensichtlich der einzige Lebende mit dieser Gabe ist, sind die Toten geradezu wild darauf, mit ihm zu reden. Sie bezeichnen ihn als Freund und versuchen, ihm in schwierigen Situationen zu helfen. Demgegenüber steht der für den russischen Geheimdienst arbeitende Nekromant Boris Dragosani. Seit seiner Kindheit hat er einen außergewöhnlichen Mentor, nämlich den in seinem rumänischen Grab gefangenen Vampir Thibor Ferenczy. Dessen Weltübernahmepläne fangen langsam an auf seinen Schützling abzufärben, sodass Dragosani beschließt, seinen Vorgesetzten Borowitz aus dem Weg zu räumen, um das sowjetische E-Dezernat (eine geheime Einrichtung zur Spionage mittels übersinnlicher Fähigkeiten) selbst zu übernehmen.
Während im ersten Band die Geschichten um Keogh und Dragosani noch nebeneinander herliefen und keine Berührungspunkte aufwiesen, so wird dieser Makel in „Vampirblut“ mehr als behoben. Lumley flicht nämlich ein kompliziertes Netz von Beziehungen und Abhängigkeiten zwischen den englischen und sowjetischen Geheimdiensten und gibt der gerade startenden Handlung damit Pepp und Potenzial. Keogh beschließt, seinen Stiefvater Viktor Shukshin zu töten, der für den Tod von Harrys Mutter verantwortlich ist. Um diesen Mord nach seinen Wünschen ausführen zu können, trainiert er hart und wird während seiner Vorbereitung vom englischen E-Dezernat kontaktiert. Dessen Chef, Keenan Gormley, möchte Harry anwerben, da dessen Fähigkeiten einzigartig und herausragend sind.
Doch nun fängt der sowjetische Geheimdienst an dazwischenzufunken. Dragosani und sein neuer Partner Max Batu werden nach England geschickt. Sie sollen ebenfalls Shukshin elegant um die Ecke bringen, da es sich bei ihm um einen getürmten sowjetischen Spion handelt. Bei dieser Aktion stoßen sie allerdings unfreiwillig mit Harry Keogh zusammen, der somit die Aufmerksamkeit des sowjetischen E-Dezernats auf sich zieht. Als Dragosani dann auch noch Gormley beseitigen lässt, fühlt sich Harry persönlich beleidigt und beschließt, etwas gegen die sowjetischen Angriffe zu unternehmen …
„Vampirblut“ bietet für jeden etwas. Liebhaber von Spionage-Romanen werden hier geeignetes Lesefutter finden. Lumley verwebt englischen und sowjetischen Geheimdienst auf interessante Weise und die Beziehungen und Animositäten zwischen beiden werden in den zukünftigen Bänden sicher noch anwachsen. Mit der Idee des E-Dezernats gibt er den Geheimdiensten einen übersinnlichen Touch, um seine Figuren exotischer und abwechslungsreicher gestalten zu können.
Auch Fans des klassischen Horrors kommen auf ihre Kosten. In „Das Erwachen“ war von Vampiren ja noch nicht viel zu sehen, doch das ändert sich hier schlagartig. Thibor Ferenczy wird als Charakter weiter ausgebaut und Dragosani trifft auf einen rumänischen Vampirexperten, der Licht auf die Unklarheiten wirft, die der erste Band aufgeworfen hat. Lumley gelingt es, einen völlig entromantisierten Vampir zu präsentieren, indem er Vampirismus zu einer medizinischen Pathologie macht. Der Vampir selbst ist ein Parasit, ein ekliges Ding, das in seinem Wirt Eier legt und daraufhin im menschlichen Körper komplett neue innere Organe ausbildet. Diese Vorstellung ist gewöhnungsbedürftig, aber gleichzeitig originell. Vor allem führt sie auch dazu, dass man Thibor als Charakter kaum einschätzen kann. Lügt er Dragosani ständig an? Oder hat er vor, seine Versprechen zu halten?
Der dritte große Themenkomplex, der in „Das Erwachen“ ebenfalls nur angedeutet wurde, sind Mathematik und Physik. Harry scheint ein besonderes Interesse für Formeln und Zahlen zu besitzen und so macht er sich auf zum Grab des Mathematikers Möbius, um von ihm das Teleportieren zu lernen. Wie man dies mit Zahlen und Schleifen erreichen kann, wird zwar irgendwie erklärt, der Sinn hinter diesen Ausführungen wird den meisten Lesern aber sicherlich verborgen bleiben. Für Mathe-Analphabethen sind diese Passagen von „Vampirblut“ unverständlich und damit langatmig. Sie bringen die ansonsten spannende und zügige Handlung zu einem Stillstand und führen zu einigen Hängern in der Story.
Doch trotzdem kann man sich von „Vampirblut“ gut unterhalten lassen. Lumleys Erzählung gewinnt im zweiten Teil auffallend an Fahrt und Komplexität, was Hör-Spannung garantiert und für zukünftige Bände hoffen lässt. Natürlich verdankt das Hörbuch auch dem Sprecher Helmut Krauss, dass es beim Hörer den beabsichtigten Grusel erzeugt. Krauss ist unter anderem als deutsche Stimme von Marlon Brando bekannt und seine maskuline und selbstbewusste Stimme gibt dem Text andere Akzente als es sein Vorgänger in „Das Erwachen“ tat (dort sprach Joachim Kerzel). Gerade Thibor Ferenczy ist hier eher ein zweideutiger Charakter denn ein geradliniger Bösewicht. Auf die markanten und beunruhigenden Ausrufe Thibors („Ahhhhhh, Dragosaaaaani!“), die Joachim Kerzel im ersten Teil mit Spaß auf den Silberling brachte, hofft man hier allerdings vergebens. Ebenfalls trägt die Musik von Andy Matern zur Atmosphäre bei, der ein Thema auf immer wieder neue Weise variiert. Gut gelungen!
„Vampirblut“ ist der eigentliche Anfang der Serie um Harry Keogh, denn erst hier setzt die Handlung richtig ein. Die Story ist flott erzählt (der Roman wurde für die Hörbuchfassung leicht gekürzt) und endet mit einem echten Paukenschlag, der sofort Lust macht, sich den dritten Band vorzunehmen.