Maeve Binchy – Wiedersehen bei Brenda (Lesung)

Dubliner Geschichten

Das Quentins ist in Dublin eine Institution. Hier isst man nicht nur gut, hier trifft man sich, wenn man ungestört sein will, und fühlt sich unter den liebevollen Blicken der Besitzer Patrick und Brenda Brennan gut aufgehoben.
Jedes Mitglied des Personals hat seine eigene Geschichte zu erzählen und kann von Zeiten berichten, in denen es dem Quentins gar nicht so glänzend ging – und von anderen, in denen der Ruhm des Restaurants die Stadtgrenzen
weit überschritt.

Die junge Ella Brady bekommt den Auftrag, einen Dokumentarfilm über diese Dubliner Institution zu machen, und lernt dabei Menschen kennen, die ihr unvergesslich bleiben werden: Monica, die stets fröhliche australische Kellnerin, und Blouse, Patricks Bruder, hinter dessen scheinbarer Schlichtheit sich ein wacher Geist und ein Herz aus Gold verbergen. Und Ella begegnet Menschen, die dem Leser aus früheren Binchy Romanen wohlvertraut sind:
die vorwitzigen Zwillinge aus Cathys Traum oder die Signora aus der Irischen Signora. Am Ende stellt sich Ella die Frage, ob es wirklich so eine gute Idee ist, die Geschichten aus dem Quentins zu verfilmen. Denn manche Geschichten
bleiben eben besser unerzählt … (Verlagsinfo)

Die Autorin

Maeve Binchy wurde in Dublin/Irland geboren, studierte Geschichte und arbeitete als Lehrerin. 1969 ging sie als Kolumnistin zur „Irish Times“. Sie hat zahlreiche Romane, Kurzgeschichten und Theaterstücke geschrieben. Viele ihrer Romane wurden in England, den USA und in Deutschland zu Bestsellern.

Die Sprecherin

Franziska Pigulla, die deutsche Stimme von Akte-X-Star Gillian Anderson („Scully“), hat bereits mit Joachim Kerzel Ken Folletts Hörbuch „Die Leopardin“ gesprochen. Ihre Tonaufnahme ist von erstaunlicher Präsenz und sehr klar. Sie verfügt über ein beeindruckendes Gespür für Dramatik: Ganz gleich, ob sie sanft und weich Liebeserklärungen haucht, mit knurrendem Grollen droht oder mit größter Lautstärke Befehle oder Flüche brüllt – stets kommt sie völlig glaubwürdig und lebendig herüber.

Handlung

In das Dubliner Restaurant „Quentin’s“ kommen eine Menge Einwohner mit ihren Sorgen und Freuden. Bei Brenda, der liebenswerten Chefin, hat schon so mancher und vor allem so manche ihr Herz ausgeschüttet. Dazu gehört auch Ella Brady, die das Restaurant schon von Kindesbeinen an kennt, weil ihre Eltern hier gerne gespeist haben. Diese Geschichte dreht sich daher nicht nur um Ella, sondern auch um die Betreiber und den Gründer und Inhaber, eben Quentin.

Ella kommt aus gutem Hause: Ihr Vater Jim ist Anwalt, seine Frau Barbara ist Anwaltssekretärin. Ella selbst ist Lehrerin für Naturwissenschaften an einer Dubliner Schule. Ihre Freundinnen Nuala (sprich: nuhla) und Deirdre (sprich: ‚diadra) freuen sich zunächst, als ein gewisser Don Richardson beginnt, Ella den Hof zu machen, wie man das wohl traditionell nennt. Doch sein Beruf, den er als „Finanzberater“ angibt, könnte auch von der windigen Sorte sein, deshalb ist Ella vorsichtig, auf Dons Avancen einzugehen. Durch ihre Kontakte zu einem Filmteam gelingt es ihr sogar, Dons „Arbeit“ im „Quentin’s unbemerkt zu beobachten: Er bespricht sich mit jedem der betuchten Gäste bei einer Parteiveranstaltung. Dummerweise ist er verheiratet.

Aufgrund seiner Beteuerungen aufrichtiger Liebe willigt sie ein, wird seine Geliebte und mit Blumen überschüttet. Nach einem Streit vertraut sie ihm endgültig, er nennt sie seinen „Engel“. Nach einer Weile nimmt er sie mit nach Spanien, wo er offenbar weitere Geschäfte abwickeln muss (klar: bei Steuerflüchtlingen). Ella bekommt heraus, dass auch Dons Frau Marjorie, die er angeblich nicht liebt, in Spanien weilt. Bei ihrer Rückkehr steht Ellas Foto in der Zeitung. Da steht auch, dass Dons Investmentfirma in Schwierigkeiten sei. Die vertrauensselige Ella sitzt wenig später alleine im Quentin’s und wartet vergeblich auf Don, der sich nach Spanien abgesetzt hat.

Nun muss Ella durch ein Jammertal, ebenso wie ihre Familie: Denn Vater Jim hat das Geld seiner Klienten und eigenes an den windigen Betrüger Don verloren. Er ist ruiniert. Nun muss Ella auch für ihre Eltern schuften. Doch eines ist merkwürdig: Sie hat immer noch Dons Aktentasche und seinen Laptop, will sie aber nicht dem Betrugsdezernat der Polizei übergeben. Natürlich suchen schon bald Dons „Freunde“ nach diesen wichtigen Unterlagen.

Unterdessen hat Ella durch ihre Filmfreunde Gelegenheit, einen Film über das „Quentin’s“ zu drehen (dessen ungewöhnliche Entstehungsgeschichte wir zuvor erfahren haben), und braucht noch einen amerikanischen Geldgeber. Derry King scheint der richtige Mann zu sein, aber Ella stellt sich so dusselig an, dass sie ihn mehr durch Mitleid gewinnt als durch Geschäftssinn. Als zu allem Überfluss auch noch die nachricht von Dons Selbstmord in Spanien eintrifft, klappt Ella vor Derrys verwunderten Augen zusammen. Doch es gibt auch gute Nachrichten: Don hat ihr und ihren Eltern Geld in einem Postfach hinterlegt, und Derry King will ihren Film beauftragen.

Eigentlich heißt er ja Jim Kennedy und stammt aus Dublin. Leider hat er sich mit seinem Vater überworfen und stellt sich seinen Cousins erstmal nur inkognito vor. Unterdessen lässt Don wieder von sich hören, obwohl er totgeglaubt wurde. Er will natürlich seine Unterlagen wiederhaben. Und Ella. Doch mit Derry Kings Hilfe hat Ella endlich das Passwort des Computers knacken können und ist die Dateien durchgegangen: Don ist der einzige Verantwortliche. Und so kommt Don ein ganz klein wenig zu spät, als er Ella im Park treffen will.

Schließlich renkt sich alles wieder ein, die Zukunft winkt mit einem Silberstreif: auch für Ella und Derry. Nur aus dem Film über das Restaurant wird leider nichts.

Mein Eindruck

Im Grunde ist an der Geschichte der Ella Brady ist allzu viel Neues zu entdecken. Dass eine Frau einem Betrüger auf den Leim geht – wie viele andere ihrer Heimatstadt auch -, gehört zum Standardrepertoire für romantische Geschichten. Was nichts heißen soll, dass solches nicht jeden Tag geschieht. Dass der windige Finanzhai sein Domizil in Spanien, kommt uns aus „Sexy Beast“ schon vertraut vor.

Interessanter ist da schon der Schauplatz für die wichtigsten Begegnungen: das Quentin’s. Es gehört einem Mann, der sich von der Pike hinaufgearbeitet hat und der obendrein noch homosexuell ist, wie sich herausstellt. Für das erzkatholische Irland ein skanadlöses Fehlverhalten. Kurz vor seinem Tod vermacht er das Lokal seinen Wirtschaftern, Brenda und ihrem Mann Patrick – Grund genug für ausgiebiges Feiern für die beiden.

Die Autorin charakterisiert die Dubliner Gesellschaft mit dem Auge der Zeitungs-Kolumnistin, die sie eine ganze Weile war: mal mit einem kritischen, mal mit einem liebe- und verständnisvollen Blick. Dabei lässt sich nicht nur weibliche herzen höher schlagen, sondern sorgt auch für zwei Spannungsbögen: Ist Don wirklich der Schweinehund, für den ihn alle Welt außer Ella, sein „Engel“, hält? Und wird Derry King unserer Heldin helfen, aus dem Sumpf, in den Don sie stieß, wieder herauszufinden? Die Antworten auf diese Fragen verrät die Autorin klugerweise erst am Schluss ihrer weitverzweigten Geschichte.

Die Sprecherin

Franziska Pigulla erweist sich wieder mal als die optimale Sprecherin für Geschichten, die sich an ein weibliches Publikum wenden. Da kann sie auch mal zögern, seufzen, ächzen und was nicht alles – Hauptsache, es kommt von Herzen. Nur auf diese Weise erscheinen allerdings Szenen plausibel, in denen sich zwischenmenschliche Beziehungen an einem Wendepunkt befinden. Das trifft beispielsweise für den ersten heftigen Streit zwischen Don und Ella zu, weil sie ihm nicht hundertprozentig vertraut (womit sie Recht hat). Dann aber auch für die diversen Begegnungen mit Derry King, Ellas zukünftigem. Eine Szene wie Ellas Ohnmachtsanfall könnte sehr leicht lächerlich und effekthascherisch wirken. Pigulla bewältigt das souverän.

Unterm Strich

Das Hörbuch ist natürlich die gekürzte Fassung des Romans und insofern auf bestimmte Aspekte der Geschichte zugeschnitten. Während sich das romantische Element in grenzen hält, hat man die Spannungselemente herausgearbeitet, so dass es gar nicht so leicht ist, sich von der Geschichte abzuwenden. Die einzige Gefahr, die ich sehe, ist die, dass man sich die Vielzahl der auftretenden Figuren nicht merken kann – immerhin rund ein Dutzend.

Mir selbst gefiel zwar Pigullas Vortrag, aber die Geschichte war mir nicht spannend genug, sondern noch immer viel zu sehr mit der Dynamik zwischenmenschlicher Beziehungen – vulgo „Romantik“ – angereichert. Allerdings ist es gerade dieses Moment, das unsere Heldin voranbringt und ihr wieder eine Zukunft beschert.

Von den Gästen im Quentin’s, die laut Klappentext dem Hörer bekannt vorkommen sollen, hab ich keinen erkannt. Dazu bin ich nicht Dubliner genug, schätze ich.

431 Minuten auf 6 CDs.
Originaltitel: Quentins, 2002.
Aus dem Englischen von Gabriela Schönberger
ISBN-13: 9783785713624

www.heyne.de

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