Manly Wade Wellman – Der Schattensee


Wirkungsvoller Horror unter Hinterwäldlern

Gander Eye war der erste, der die fremden Schattenwesen sah. Sky Notch, eine verschlafene Kleinstadt in den Appalachen, sollte das Zentrum ihres Schattenreiches werden. Und niemand sollte ihrer Herrschaft entkommen. (Verlagsinfo)

Dieser Bericht basiert auf der Originalausgabe (Taschenbuch von 1989).

Der Autor

Der US-amerikanische Autor Manly Wade Wellman (May 21, 1903 – April 5, 1986) war ein amerikanischer Autor, der in mehreren Genres versiert war. Er schrieb Science-Fiction, Fantasy, Horror und Weird Fiction. In letzterem genre wurde er am bekanntesten durch seine Geschichten, die in den Appalachen spielen. Er selbst lebte in North Carolina und war teils von indianischer Abstammung. Wellman schrieb auch Detektivgeschichten, historische Romane, Western, Jugendbücher und Sachliteratur. Er wurde vielfach geehrt, seine Werke ausgezeichnet. In North Carolina ist ein SF-Literaturpreis nach ihm benannt.

Handlung

Sky Notch ist Ende Mai ein verschlafenes Bergdorf in den Appalachen von Carolina, der nächste größere Ort ist Asheville. Früher gab es hier mal eine Sägemühle, aber die Bäume sind alle gefällt worden und die Company zog weiter. Seitdem geht es mit Sky Notch bergab, darin sind sich die letzten Bewohner einig. Gander Eye Gentry, Bo Fletcher und Duffy Parr von der Tankstelle sitzen beschaulich an der Hauptstraße. Gut, dass es noch junge hübsche Frauen wie Slowly Kimber gibt, bei der die weiblichen Rundungen alle an der richtigen Stelle sitzen, aber ach: Sie will keinen Mann. Sie bewirtet den alten Doc Hannum und führt die Bücher und Chroniken des 250-Seelen-Ortes. Alle Männer sind in sie verliebt, ganz besonders Gander Eye, der die Gitarristin auf seinem Banjo zu begleiten pflegt – wenn er nicht gerade auf der Jagd oder beim Bergsteigen ist.

Der Fremde

Aus all diesen Gründen erregt die Ankunft eines Außenseiters nicht geringes Aufsehen. James Crispin will ins Holzhaus einziehen, das Bürgermeister Ballinger gehört. Da Gander Eye ihm beim Einzug hilft, dauert es nicht lange, bis er herausfindet, was Crispin hier will: Malen. Er hofft, einige schöne Landschaftsmotive zu finden. Die gibt es hier in rauen Mengen, denkt Gander Eye. Zusammen geht er mit Crispin zum alten Doc Hannum, wo Slowly Kimber ihnen Abendessen zubereitet.

Auf dem Weg entdecken Gander Eyes scharfe Augen eine schwarze Gestalt unter den fernen Bäumen, weder ein Schwarzbär noch ein Hirsch, aber glänzend schwarz. Sogleich ist die Gestalt verschwunden. Was kann es bloß gewesen sein, fragt sich Gander Eye. Am gleichen Abend spielt er für einen Tanz auf, an dem die Kimber-Kolonie und -Sekte teilnimmt. Der alte Captain John Kimber, ein Patriarch mit einem weißen Bart, lernt Jim Crispin kennen. Der bittet ihn um die Gelegenheit, einer Taufzeremonie bei Vollmond beiwohnen zu dürfen. Slowly würde ihn zur Kolonie der Kimbers in den Bergen führen. Zu jedermanns Erstaunen willigt Captain John ein.

Der Schattensee

Zwei Nächte später ist es soweit. Da Slowly sein Augapfel ist, folgt Gander Eye ihr und Jim im Dunkel der Vollmondnacht hinauf zum Teich, wo die Taufzeremonie stattfinden soll. Diese Szene will Jim Crispin malen, aber wird er dazu die Erlaubnis erhalten? Das ganze Dorf der Kimber-Sekte hat sich versammelt, erleuchtet die Szene mit Fackeln und singt ein Kirchenlied. Die Szene ist in der Tat feierlich, sagt sich Gander Eye, der aufpassen muss, sich von den Wachen nicht erwischen zu lassen.

Während eine entkleidete junge Frau von Captain dreimal untergetaucht wird wie weiland Jesus von Johannes dem Täufer, entdeckt Gander eine Höhle über dem See, die von einem bläulichen Licht erleuchtet wird. Auf dem Rückweg übergibt ihm eine schwarze Schattengestalt einen heißen Barren Metall, das sich als Gold erweist. Bestechung? Nicht mit Gander Eye Gentry!

Die Bastion

Am nächsten Tag bittet ihn Jim Crispin, ihm Modell für eine erste Skizze seines von Captain John genehmigten Gemäldes zu stehen. Nachdem Gander eingewilligt hat, macht er sich auf den Weg, um die Höhle genauer in Augenschein zu nehmen. Er kommt nur bis zu einer Lichtung oberhalb des Sees: Hier sind Felsen jeder Größe übereinander gestapelt, aber auf eine Weise, dass sie durch einen leichten Druck auf ihre hölzernen Halterungen freigegeben werden können. Sie würden dann hinunter auf die Straße ins Tal poltern und alles auf ihrem Weg zerstören. Teuflisch! Als er Doc Hannum davon erzählt, glaubt dieser an einen Scherz. Gander ist als Spaßvogel à la Till Eulenspiegel bekannt.

Mr. Struve

Crispin hat auch von Slowly die Erlaubnis bekommen, sie zu porträtieren, zumindest ihren entblößten Oberkörper – sie stellt ja das Taufkind dar. Als Gander davon erfährt, ist er alles andere als begeistert, aber es ist schließlich Slowlys Entscheidung. Bei seinem dritten Besuch am Schattensee und der Höhle stellt sich ihm ziemlich behaarter Kerl in den Weg. Er empfiehlt Gander, sie eher wie ein Hund als wie ein Wolf zu verhalten, denn eine große „wohltätige“ Veränderung werde über das Dorf kommen. Als Gander sieht, dass Struve von drei Schattengestalten begleitet wird, erklärt ihm Gander unumwunden, er solle sich zum Teufel scheren.

Die Beyonders GmbH

Doch Struve ist offenbar mit Crispin im Bunde, und wenn Gander daran denkt, dass sich seine liebe Slowly für diesen Halunken entblößt, wird er richtig wütend. Doch die Dörfler denken nur daran, welche Wohltaten die Firma namens Beyonders GmbH über Sky Notch bringen werde, von der Mr. Struve und Mr. Crispin gesprochen haben. Was aber, wenn sich diesen Beyonders jemand in den Weg stellt?

Mein Eindruck

Dieser Roman ist in der „Horror-Bibliothek“ des Bastei-Lübbe-Verlags veröffentlicht worden. Zweifel an dieser Einordnung sind indes berechtigt. Denn das Element des Übernatürlichen fehlt vollständig, weil es sich bei den schwarzen Gestalten offenkundig um Astronauten handelt: Sie stecken in metallischen Anzügen und atmen in ihren Helmen eine künstliche Atmosphäre. Wie sie auf der Erde bzw. in den Carolina-Bergen gelandet sind, wird ebenfalls völlig rational und halbwegs plausibel erklärt; Ihr eigenes Universum hat sich mit unserem überschnitten und von all den Myriaden Planeten da draußen hat es ausgerechnet die Erde erwischt.

Das war schon vor einem Jahrhundert. Dass sie und ihre fünfte Kolonne, die Kimbers und ihre Helfer in aller Welt, in den Augen von Gander & Co. nicht willkommen sind, liegt auf der Hand. Aber es gibt eine ganz andere, positive Seite ihrer Anwesenheit in Sky Notch. Wie schon Gander gleich bei Crispins Einzug bemerkte, lassen die Beyonders Blumen sprießen und Saaten gedeihen – deshalb kümmern sich die Kimbers aus dem Bergtal um die Felder der Leute aus dem Tal, auch um das von Gander. Das ist einer der Gründe, warum Gander nicht sofort zu den Kimbers geht: Stecken sie mit den Beyonders unter einer Decke?

In hundert Jahren haben die Kimbers eine Art soziale Symbiose mit den Beyonders aus der Höhle entwickelt: Beide Seiten profitieren voneinander. Aber dies geht über Partnerschaft hinaus: Die Beyonders werden als eine Art Gottheit verehrt, was wiederum erklärt, warum sich die Kimbers schon vor langen Jahren von der christlichen Kirche losgesagt haben und nun frühchristliche oder gar heidnische Rituale wie die Taufe im Schattensee praktizieren. Das Finale zeigt, dass diese Verehrung, wenn sie enttäuscht und der Gott als Lüge enttarnt wird, sehr leicht in Hass umschlagen kann – und in Vergeltung.

Es gibt also keineswegs ein Schwarzweiß-Schema, wie man es in Horror-Romanen traditioneller Machart findet. Schon bei Lovecraft, in dessen Dunstkreis Wellman anfing, gibt es Diener des Bösen wie Nekromanten, Wiedergänger und Jünger der Großen Alten, die von den Sternen kommen. Lovecrafts Muster ist ziemlich deutlich in „Schattensee“ wiederzuerkennen. Dazu gehört auch die kritik an asozial praktizierter Wissenschaft, die sich für menschliche Schicksale nicht im geringsten interessiert.

Zudem hat es Wellman, im Gegensatz zu Lovecraft, geschafft, dem Horror-Garn eine sehr leutselige Stimme zu verleihen und die Figuren als glaubwürdige, absolut bodenständige Charaktere zu zeichnen. Das macht den Roman sehr abwechslungsreich und anschaulich, ja, es weckt im Leser sofort Sympathie und Mitgefühl für die in Gefahr geratenen Figuren wie Gander und Slowly. Im Original reden die Figuren ein schauderhaftes Kauderwelsch, wie es eben nur Hinterwäldler ohne Schulbildung reden würden – in Sky Notch gibt es schon lange keine Lehrerin mehr. Wie das in der Übersetzung aussieht, wage ich mir nicht vorzustellen.

Unterm Strich

Ich habe das spannende und lustige Buch in nur zwei Tagen gelesen. Es hat mich bestens unterhalten, selbst wenn die astronomischen Erklärungen mich nicht so überzeugten. Die menschliche Seite ist gespickt mit bodenständigem Humor und erstaunlich viel Erotik. Ganders Ermittlung wird zunehmend spannend und riskant.

Schließlich mündet alles, wie nicht anders zu erwarten, in einem gewaltigen Showdown und Shootout, fast wie in einem Western. Mehrere Geheimnisse werden gelüftet und Rätsel gelöst, unter anderem jenes um Slowly alias Celola Kimber: Liebt sie nun Gander oder liebt sie ihn nicht? Man sieht: Dieses Buch wendet sich auch an ein weibliches Publikum.

Taschenbuch: 190 SEiten
Info: The Beyonders, 1977
Aus dem US-Englischen von Eva Schwarz
www.luebbe.de

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