Band 1: „Symphonie der Stille“
Band 2: in Vorbereitung
Luctu ist erst zwölf, als er sein Zuhause verlässt. Er will in die Stadt Nóruhi, um sich dort dem Musiker Alerio anzuschließen. Denn seit der Molch Cudu, der die Welt in der Realität verankert, eingeschlafen ist, wandelt sich alles um Cudus Höhle herum in eine Traumwelt, die für intelligente Wesen tödlich ist, und diese Traumzone weitet sich mit jedem Vollmond weiter aus.
Luctu will Alerio dabei helfen, Cudu mittels Musik wieder aufzuwecken. Allerdings ist Luctu nicht nur ein Kind, er ist auch von Geburt an taub!
Der Klappentext sprach von anspruchsvoller, ungewöhnlicher Fantasy, sowie einem bildhaften und greifbaren Erzählstil. Das klang wirklich vielversprechend. Einen Tauben als Hauptfigur in einem Roman über Musik hat man tatsächlich nicht alle Tage.
Leider stellte sich beim Lesen heraus, dass Musik in dieser Geschichte kaum eine Rolle spielt. Ja, ein Violinspieler namens Estis hat Cudu mit seiner Musik in den Schlaf gespielt. Und das Lied des Tauben soll Cudu laut einer … – ja, was eigentlich? Einer Prophezeiung? Dem Forschungsergebnis eines Gelehrten, der auf der Suche nach einer Lösung ganze Bibliotheken durchforstet hat? Der Leser erfährt es nicht! – Jedenfalls soll dieses Lied Cudu wieder aufwecken. Erstaunlicherweise gibt es sogar Noten zu diesem Lied! Woher irgendjemand weiß, wie das Lied eines Tauben klingt? Wird nicht erwähnt!
Stellt sich bloß die Frage, warum es so wichtig ist, Cudu wieder aufzuwecken. Denn bei genauem Hinsehen ist nicht Cudu das Problem, sondern Estis‘ Lied! Ja, Cudus Traum verändert die Welt, aber obwohl es in dieser Traumwelt gefährliche Geschöpfe gibt, sind die nicht wirklich existenzbedrohend für die Menschen. Das Problem ist das Lied, das in der Traumzone ununterbrochen zu hören ist und die Menschen entweder tötet oder wahnsinnig macht.
Klingt, als wäre Musik doch wichtig. Ist sie auch, oder besser, sie könnte es sein, gäbe es da nicht ein Gerät namens Kompensator, das jegliches Geräusch innerhalb eines begrenzten Gebietes vollkommen eliminieren kann. Damit ist der Aspekt der Musik von einem Teil des Geschehens zu einem Teil des Settings degradiert. Im Grunde wäre nicht einmal mehr ein besonderer, in diesem Fall tauber Held nötig. Denn mit eingeschaltetem Kompensator sind alle anderen genauso taub wie der Held.
Trotzdem sind sich alle einig, dass ein Tauber beim Aufwecken des Molches eine wichtige Rolle spielt, und außerdem sind sich ebenfalls alle einig, dass Luctu dieser Taube ist.
Tatsächlich ist Luctu ein besonderes Kind. Obwohl er wirklich überhaupt nichts hört, kann er offenbar nahezu akzentfrei sprechen. Die Worte anderer Leute liest er von den Lippen ab, ebenfalls fehlerfrei. Das ist tatsächlich eine ungewöhnliche Leistung. Schade nur, dass man von Luctu ansonsten nur erfährt, dass er ziemlich gut klettern kann.
Ähnlich oberflächlich sind die weiteren Charaktere geraten. Der Bauer Famin, der Luctu nach Nóruhi mitnimmt, ist hauptsächlich misstrauisch und aufbrausend, Desis ist die Leibwache der Könige – von denen es gleich drei gibt – und abgesehen von ihrem Pflichtbewusstsein in Famin verliebt, König Laspergam ist ein guter Taktiker, und Magnifa der alte Wissenschaftler, der den Kompensator erfunden hat.
Die einzige wirklich interessante Person in dieser Geschichte ist Edolas, ebenfalls ein Wissenschaftler. Obwohl man über ihn nicht mehr erfährt als über alle anderen Personen in dieser Geschichte, macht er den Leser neugierig. Denn Edolas ist so gefühlskalt, dass man einfach wissen will, was diesen Kerl eigentlich antreibt! Als Sympathieträger ist er allerdings völlig ungeeignet. Seine Experimente erinnern an Mengele, außerdem ist er offenbar größenwahnsinnig!
Immerhin hätte das Buch zumindest eine spannende Abenteuergeschichte werden können. Die Darstellung der Traumzone und ihrer Geschöpfe zeugt vom Einfallsreichtum des Autors. Mit ein wenig mehr Einsatz hätte dieser Ort durch die Erklärungen von Mors und Finn völlig für ein abwechslungsreiches und turbulentes Abenteuer ausgereicht. Wenn der Autor sich denn allein darauf konzentriert hätte. Statt dessen hat er versucht, nicht nur eine abenteuerliche Queste, sondern vorher auch noch einen Schlacht mit anschließender Völkeraussöhnung zu erzählen, wobei der Schluss der letzteren klingt wie „wenn sie nicht gestorben sind …“ Bis Luctu endlich aufbricht um das zu tun, worum es bei der ganzen Sache geht, nämlich etwas gegen Estis‘ Lied zu unternehmen, sind fast zwei Drittel des Buches gelesen. Und kaum etwas von dem, was in diesen zwei Dritteln geschehen ist, scheint im letzten Drittel noch besonders relevant zu sein. Die einzige Verbindung zwischen den Ereignissen in Nóruhi und denen in der Traumzone scheint der Mann mit dem Federkopfschmuck zu sein. Was es mit diesem Kerl auf sich hat, erfährt der Leser aber nicht.
Vielleicht ist an all dem auch die sprachliche Gestaltung schuld. An manchen Stellen formuliert der Autor tatsächlich sehr gekonnt. In dem Märchen über König Aer legt er dem Aswang Worte in den Mund, die in ihrer altmodischen, aber korrekten Ausdrucksweise nicht passender hätten gewählt sein können. Umso unverständlicher, dass die restliche Konversation, egal zwischen welchen Charakteren, so hölzern und steif geraten ist. Die mangelnde Tiefe der Figuren ist zum Teil auch den unnatürlichen Dialogen geschuldet.
Außerdem finden sich immer wieder Formulierungen, bei denen ich nur den Kopf schütteln konnte. Worte wie „grobschrötig“ sind nicht bildhaft, sondern vermitteln eher den Eindruck, als könnte der Autor sich nicht zwischen „grobschlächtig“ und „vierschrötig“ entscheiden. Auch andere Wendungen sind auf diese Weise zusammengestückelt, zum Beispiel „Rast halten“. Und Worte wie „Klamotten“ sollten in so einem Setting überhaupt nicht vorkommen!
Unterm Strich war das eine äußerst mühselige Lektüre. Schon dass die Musik, die eigentlich der Clou des Plots hätte sein sollen, eine so geringe Rolle spielt, war eine herbe Enttäuschung. Ich hatte auf wirklich ungewöhnliche Fantasy gehofft, nämlich dass zur Abwechslung mal Harfen und Lauten wichtiger wären als Schwerter und Äxte. Nun, wer einem Klappentext glaubt, ist eigentlich selber schuld.
Trotzdem, auch als gewöhnliche Fantasy hätte das noch ein tolles Buch werden können. Aber so einfallsreich die Darstellung der Traumzone und ihrer Geschöpfe auch war, konnte sie mich nicht darüber hinwegtrösten, dass der Rest der Geschichte einfach keine runde Sache ergeben wollte. Vor allem fehlte mir der innere Zusammenhang. Die Reise nach Nóruhi, die Sache mit Adelio, das Bündnis mit den Dryaden, die Schlacht, all das wirkte, als hätte jemand beim Weben sowohl Schuss- als auch Kettfäden durchhängen lassen: irgendwie labbrig. Das Prinzip von Ursache und Wirkung ist in diesem Buch nirgendwo erkennbar.
Dafür gab es logische Fragezeichen: EINE Leibwache für DREI Könige? Ernsthaft? Wenn Desis nicht über bisher verborgene, übermenschliche Fähigkeiten verfügt, kann ihren Schutzbefohlenen genauso gut gleich selbst die Kehle durchschneiden!
Das Fehlen eines Sympathieträgers sorgte zudem dafür, dass zu keiner Zeit so etwas wie Spannung aufkam, weder während der Schlacht, noch bei einem der Scharmützel, die sich über die Seiten verteilt sonst noch so finden. Und die sprachliche Gestaltung verhinderte das Eintauchen in die Geschichte, weil ich immer wieder über irgendwelche kruden Formulierungen stolperte. Wofür gibt es nochmal Lektoren?
Kurz und gut: Dieses Buch ist weder anspruchsvoll noch ungewöhnlich, der Sprachstil weder bildhaft noch besonders greifbar. Es ist wirklich schade um das Potenzial, aber lesen soll Spaß machen, und dafür war mir diese Story einfach zu durchwachsen und zäh. Den zweiten Band werde ich nicht lesen.
Manuel Hirner schrieb schon als Kind eigene Geschichten, hat aber zunächst in Richtung Naturwissenschaften studiert, und sich nebenher in Schreibforen betätigt. Inzwischen arbeitet er als Schriftsteller, Musiker und Gitarrenlehrer.
Taschenbuch 368 Seiten
ISBN-13: 978-3-944-77130-4
https://manuelhirner.wordpress.com/index.html
https://a-fritz-verlag.de/
Der Autor vergibt: