Matt Basanisi & Gerd Schneider – Skorpion. Thriller (David Keller01)

Aufrüttelnder Doku-Fiction-Thriller

Sommer 2002: In Palermo wird ein Priester erschossen, in Antwerpen stellen Ermittler drei Tonnen Kokain sicher, in Zürich begeht ein Pilot Selbstmord. Drei scheinbar isolierte Vorfälle. Doch bei der Schweizer Bundeskriminalpolizei verdichten sich die Hinweise, dass alle mit dem Ex-Banker Baumann zu tun haben, der in Diensten südamerikanischer Narcos steht. David Keller, Bundesermittler und Mafia-Experte, wird auf den vermeintlichen Routinefall angesetzt. Schnell wird klar, dass er es mit einer internationalen Verschwörung zu tun hat, die alles bedroht, woran er je geglaubt hat – und seine Gegner ihm vertrauter sind, als er ahnen kann … (Verlagsinfo)

Diese Besprechung hat mit der freundlichen Hilfe der beiden Autoren ein Update erhalten.


Die Autoren

Matt Basanisi, geboren 1966, wuchs als Kind einer deutschen Mutter und eines italienischen Vaters am Bodensee in der Schweiz auf. Basanisi ist ausgebildeter Polizist und Kriminologe. Im Anschluss an einen Militäreinsatz für die Schweizer Armee im Kosovokrieg zur Jahrtausendwende trat Basanisi der Abteilung Organisierte Kriminalität der Schweizer Bundeskriminalpolizei bei, 2005 dann dem internen Ermittlungsdienst der Vereinten Nationen. Matt Basanisi ist heute als Berater für Sendeunternehmen im Bereich der digitalen Piraterie tätig und zudem Absolvent der Masterclass Autor / Schriftsteller der Buch Akademie Berlin.

Gerd Schneider kam 1974 als jüngstes Kind eines Polizisten und einer Küsterin zur Welt. Er studierte Katholische Theologie in Bonn und Wien und bereitete sich auf das Priesteramt vor. Nach dem Diplom begann er ein Regiestudium an der Filmakademie Baden-Württemberg. Sein Spielfilmdebüt »Verfehlung« über den Umgang der katholischen Kirche mit sexuellem Missbrauch feierte 2015 seine Kinopremiere und gewann zahlreiche nationale und internationale Preise. Gerd Schneider dreht TV-Filme wie den Tatort oder die Tragikomödie »Now or Never« und arbeitet derzeit an mehreren neuen Filmprojekten.

Matt Basanisi & Gerd Schneider: „Ein Ex-Mafiaermittler und ein Filmemacher treffen sich in einer schmucken Osteria an Roms Tiberufer und entdecken ihre gemeinsame Liebe nicht nur für gutes Essen und guten Wein, sondern ebenso für packende wie wahre Geschichten. Und selbstredend die Liebe zur Literatur. Aus dieser zufälligen Begegnung wird eine Freundschaft, und irgendwann gemeinsames Schreiben. Heute, sieben Jahre später, können wir Ihnen unseren ersten Roman vorstellen.“ (Verlagsinfo)

Handlung

Palermo, 2003

David Keller von der Schweizer Bundeskriminalpolizei in Bern trifft sich heimlich mit Carabinieri-Hauptmann Andrea Monti von der Antimafia-Brigade DIA in einer Kirche in der Altstadt von Palermo. Wie passend, denn wenig später taucht unvermittelt ein Mönch auf: Pater Alfonso ist ihr Informant. Kaum hat er ihnen in der Sakristei brisantes Material übergeben, wird er auf dem Vorplatz von Kugeln durchsiebt. Die Mafia hat ihre Augen, Ohren und Pistolen überall.

Was ist so brisant an den Unterlagen, dass sie ein Menschenleben wert sind, fragt sich Keller. Die Fotos zeigen einen Schweizer Bankkaufmann zweifelhaften Rufes, der sich Walter Baumann nennt. Er scheint laut Unterlagen schon seit 1984 für die sizilianische Mafia und womöglich sogar für die neapolitanische Camorra Geld in großem Maßstab zu waschen. Aber wie? Zu diesem Zeitpunkt wird Keller von seinem Vorgesetzten Pius Moser von den Al-Kaida-Ermittlungen abgezogen und auf Baumann angesetzt. Der Grund: Baumanns Name tauchte im Zusammenhang mit dem größten Kokainfund auf, der den niederländischen Drogenbekämpfern je gelungen ist: über drei Tonnen reinstes Kokain, direkt aus Venezuela! Natürlich haben sich die Holländer sofort direkt an ihre Schweizer Kollegen gewandt, doch die sind erst einmal ratlos. Walter wer?

Bern, 2003

Bei der Bundesanwaltschaft in Bern existiert eine alte Akte, die sich zum Unglauben von Keller und Moser erst als gesperrt und dann nach der Freigabe durch eine Bundesanwältin als manipuliert erweist: Seitenweise fehlen Unterlagen. Die Bundesanwältin erklärt ihnen, dass es einen politischen Grund gegeben haben muss, dass das Berner Innen- oder Außenministerium die Akte gesperrt habe. Die damals zuständigen Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft hätten leider bereits das Zeitliche gesegnet, bedauert die Bundesanwältin. Keller bittet seine Freundin Julie Banks, die für das FBI arbeitet, doch mal nachzuforschen, was in den USA gegen Baumann vorliege.

Zürich, 2003

Der angebliche Selbstmord von Baumanns langjährigem Piloten Röthlisberger bringt Keller auf die Spür von Urs Gehrig, einem Schweizer Kollegen, der von Röthlisberger offenbar brisantes Material erhielt, aber unterschlug, um lieber für die Cosa Nostra bzw. Camorra zu arbeiten – zehn Jahre lang zahlte er auf diese Weise seine Spielschulden ab. Gegen hohe Zinsen, versteht sich. Gehrig sagt nur: „Ich weiß.“ Was denn? Dass es Mord war, was dem Piloten widerfuhr? Als Keller Gehrig in einem italienischen Lokal zur Rede stellt, rastet Gehrig aus. Keller verfolgt ihn auf einer rasenden Fahrt durch einen Züricher Vorort, bis sie zu Gehrigs Wohnung gelangen. Gehrig legt zwar auch gegenüber Karl Wirtz, dem Kripobeamten vor Ort, ein Geständnis ab, doch dann richtet er seine Dienstwaffe gegen Keller! Ein Sprung, ein Knall, ein Aufschlag…

Bern, 2003

Nachdem die Cosa Nostra eine Todesdrohung an Keller gerichtet hat, ist Kellers Amtsdirektor fassungslos: Eine Cosa-Nostra-Zelle in Zürich und in vier weiteren Orten. Was steckt dahinter? Und was hat Baumann damit zu tun? Wer hält seine Hand über den Geldwäscher der Mafia? Als Keller bei Andrea Monti in Palermo anruft, erhält er Hinweise, dass Baumann seit 1984 geldwaschende Banken in Mailand und anderswo mit Drogengeld gerettet hat.

Kellers Verdacht, dass Baumann möglicherweise mit der US-amerikanischen Drogenbehörde DEA als Informant zusammenarbeitet, beunruhigt die Ermittler. Denn dadurch würde er ja zum Gegner seiner eigenen Kunden gemacht worden sein, und das bedeutet: eines der mexikanischen Kartelle, gegen die die DEA kämpft.

Noch können sie nicht alle Teile des Puzzles zusammensetzen, eines aber wird klar: Was Keller und seine Kollegen gerade freilegen, ist wohl nur die Spitze des Eisbergs…

Mein Eindruck

Obwohl hier weit und breit kein James Bond oder Jason Bourne auftritt, mangelt es der Handlung doch weder an Spannung noch an Action. Die Autoren haben es nämlich geschickt geschafft, die erklärenden Passagen entweder kurz in der erzählten Gegenwart des Jahres 2003 unterzubringen oder gleich eine Rückblende einzuschieben. Definitiv ist eine Rückblende dramaturgisch gesehen die effektivere Lösung: Wenn Baumann in Mexiko zu einem der Bosse eines Kartells gefahren wird, so ist die Szene nicht nur beinahe surreal, sondern man spürt förmlich den Angstschweiß, der dem Besucher hinunterrinnen muss. Der Empathiefaktor ist viel höher als bei einem Einschub.

Allmählich schält sich für Monti, Moser und Keller die eminente internationale Bedeutung heraus, die Baumann zugeschrieben werden muss. Er ist ein Jongleur, der für die Amerikaner (DEA, CIA, FBI) die sizilianische Mafia, die Camorra und die mexikanischen Kartelle ausspioniert. David Keller muss zu seiner größten Frustration feststellen, dass seine Freundin Julie nicht etwa für das FBI arbeitet, sondern für einen ganz anderen Dienst. Auch die Wirtschaftsattachée Lopez ist nicht etwa eine Freundin der Schweizer Regierung in Bern, sondern eine Agentin der Amerikaner. Allmählich kommt sich die Bundespolizei ein wenig bedrängt vor. Aber das ist erst der Anfang.

Die Mexikaner haben die 3-Tonnen-Schiffsladung Kokain vermasselt und damit Baumann bloßgestellt. Die Schweizer wollen ihn beschützen und packen ihn in ein Zeugenschutzprogramm: Sein Wissen ist viel zu wertvoll. Aber das sehen die Mafiosi, die Kartelle und die amerikanischen Agenten ganz genauso. Als Keller schließlich beschließt, Baumann aus seinem Versteck im Tessin nach Bern zu bringen, um ihn beim Bundesanwalt zu verhören, bringt er eine Aktion in Gang, die er sich in seinen schlimmsten Alpträumen nicht hätte vorstellen können: Die Amis entführen Baumann vor seiner Nase und zeigen der Schweizer Luftwaffe digital den Stinkefinger.

Jemand muss ihnen einen Tipp gegeben haben. Keller sucht den Maulwurf – und findet im Gebälk der Regierung gleich mehrere. Liebend gerne setzt sich einer nach dem anderen aus Bern ab, um in den Vereinigten Staaten ihre Kenntnisse meistbietend an den Mann zu bringen.

Action-Finale

Gut nur, dass der zutiefst erschütterte Keller noch seinen guten Freund Monti hat. Entgegen allen Anweisungen machen sie sich gemeinsam daran, Baumann aus einem Safe House in den Außenbezirken von Beirut, Libanon, herauszuholen und in die italienische Botschaft zu entführen. Dieses riskante Unterfangen bildet den spannenden und bleihaltigen Action-Höhepunkt dieses Thrillers. Und mehr darf nicht verraten werden, außer dass Keller seine Ex Julie wiedersieht, aber unter höchst risikoreichen Umständen…

Textschwächen

S. 156: „Nun hatte er frei[e] Sicht auf das Anwesen.“ Das E fehlt.

S. 168: „Wollte[n] sie ihre Stellung behaupten, mussten die Bosse im Osten Siziliens reagieren.“ Das N fehlt.

S. 205: „Wir werden also mitbekommen, was Sie (?) vorhaben.“ Gemeint sind Moser und Keller, daher sollte hier ein „sie“ stehen.

S. 219: „Der Sedan des Chiefs brauste…“ „Sedan“ werden in den USA Autos genannt, zu denen man hierzulande „Limousine“ sagt (was aber in USA wieder was ganz anderes meint): viertüriger PKW für Geschäftsleute, definitiv kein SUV oder Lieferwagen. Die Autoren: „Gemeint ist tatsächlich der Sedan als US-Fahrzeugtyp, nicht das gleichnamige europäische VW-Modell.“

S. 283: „Das[s] Mr. Abdullah nicht wirklich so hieß, spielte keine Rolle.“ Das zweite S fehlt.

S. 304: „und ging er [Moser] zurück in den Burgerratssaal des Casinos“: Da die Szene in Bern spielt, ist vermutlich der Burgerratssaal gemeint und mit „Casino“ nicht unbedingt eine Spielhölle: Hier findet ein Konzert statt, gegeben von Mosers Tochter. Die Autoren erklären: „Der Konzertsaal trägt den Namen Burgersaal, nicht Bürgersaal, und ist beheimatet im Veranstaltungsort namens Casino (weil es vor Jahren einmal genau das war).“

Unterm Strich

Die obengenannten Beschreibungen stellen ebenfalls nur die Spitze des Eisbergs dar. Sie können nur andeuten, was erstens erzählt wird und zweitens, was wirklich in der Schattenwelt abgeht, die sich zwischen Bankiers, Agenten, Drogenkönigen und sogenannten „Beratern“ erstreckt. Zurückbleibt beim Leser der Eindruck, nicht nur bestens unterhalten worden zu sein, sondern auch das Gefühl, durch nahezu unfassbare Einblicke regelrecht erschüttert zu sein.

Nur wenige aufrechte Strafverfolger wie Keller und Monti stellen sich auf die Seite der Gerechtigkeit. Sie stehen auf verlorenem Posten. Sie haben keine Chance, aber sie nutzen sie. Dass am Ende der Causa Baumann sämtliche Unterlagen, die die Schweizer hatten, auf wundersame Weise verschwunden sind, dürfte den Leser kaum noch erstaunen. Der Thriller schafft es durch seine faktenbasierte Ausrichtung, den Leser zu überzeugen, dass all dies nicht nur passiert sein KÖNNTE, sondern auch so passiert sein MUSS.

Diese Fakten erstrecken sich bis zur Rolle der Schweizer Firma Crypto AG, welche zu gleichen Teilen der CIA und dem westdeutschen Bundesnachrichtendienst gehörte – bis 1998. Mit den Crypto-Chiffriermaschinen hörten die Deutschen und Amis alle ihre NATO-Freunde ab. Auch Silvio Berlusconi spielt eine unrühmliche Nebenrolle. Sein medien- und Polit-Imperium baute er mithilfe der Mafia auf, die ihre illegalen Verdienste mit ihm und einer Mailänder Bank bestens waschen konnte (Auftritt Baumann).

In der handelsüblichen, effektiven Thriller-Form gelingt es den zwei Autoren ein fast schon drehbuchgerechtes Szenario eines von allen Drogenbaronen der Welt finanziertes Europa zu zeichnen. Und das schließt die Schweiz und das Fürstentum Liechtenstein mit ein. An denen wird kein gutes Haar mehr gelassen. Aber wie immer bleibt nichts an den Akteuren kleben: Die Unterlagen verschwinden, es gibt Fake News, und am Ende ruht wieder still der Zürcher See. Doch der Leser traut dem Anschein und den „alternativen Fakten“ hoffentlich nicht mehr, nachdem er dieses Buch gelesen hat.

Gebunden: 416 Seiten
ISBN-13: 9783764508333

https://www.penguin.de/Verlag/Blanvalet/1000.rhd?nis=8

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