Luciano Mecacci – Der Fall Marilyn Monroe und andere Desaster der Psychoanalyse

Sie gehört noch zu den vergleichsweise jungen Wissenschaften – und nicht wenige Kritiker zweifeln, ob sie sich überhaupt als solche bezeichnen darf: die Psychoanalyse, deren Vertreter davon ausgehen, dass das menschliche Hirn unerfreuliche Erlebnisse und Erfahrungen quasi „verschlüsselt“, um sich so vor größerem Leid zu schützen. Eine ausgiebige Analyse durch den Fachmann soll das Unterbewusste ans Licht bringen und den Betroffenen zur (Selbst-)Erkenntnis befähigen, wodurch seiner Störung oder Krankheit die „Lebensgrundlage“ genommen wird. (Dies ist hier natürlich überaus laienhaft und arg verkürzt ausgedrückt.)

Wie unmittelbar einleuchtet, greift die Psychoanalyse tief in die Grundfesten des menschlichen Wesens ein. Sie kann heilsam sein aber auch schädlich, wenn grundsätzliche Regeln unwissentlich oder absichtlich unbeachtet bleiben. Dieses Buch widmet sich den Fällen, in denen die Analyse – salopp ausgedrückt – gewaltig schief gegangen ist. Die Folgen für diese falsch behandelten Patienten waren nicht selten verheerend.

Die Geschichte der Marilyn Monroe dient dem Verfasser als Einstieg in das nicht unkomplizierte Thema. Jede/r kennt die Schauspielerin, die als Star wie als tragisch gescheiterter Mensch gleichermaßen verehrt und verklärt wird. Ein scheinbar mysteriöser Tod in jungen Jahren rundet den Kultstatus ab. Monroe war außerdem psychisch krank. Als Prominente ihres Kalibers rissen sich die Psychoanalytiker ihrer Zeit regelrecht darum, sie behandeln zu dürfen; Monroe verschliss eine ganze Anzahl aus dieser Zunft, unter ihnen einige der berühmtesten Spezialisten überhaupt. Ihr Schicksal bietet also ein gutes Beispiel, das den Leser behutsam auf Mecaccis eigentliches Thema bringt: Wie sachlich, objektiv und lauter waren und sind eigentlich jene „Seelenklempner“, die vor allem in den USA praktisch zur Familie gehören?

Sie sind selbst Menschen mit den üblichen Stärken und Schwächen. Auf dieser Basis geht der Verfasser den Schicksalen einiger berühmter Analytiker sowie ihrer Patienten nach. Sigmund Freud und Tochter Anna, C. G. Jung, Helene Deutsch, Sándor Ferenczi und Bruno Bettelheim sind nur einige Namen, die hier zu nennen sind. Mecacci fördert aufschlussreiche und beunruhigende Fakten zu Tage. So haben auch die Leitfiguren ihres Standes seit jeher kapitale Analysefehler begangen – und dies nicht nur in den frühen Tagen der Psychoanalyse, als das Wissen um die damit verbundenen Gefahren erst erworben werden musste. Dies wurden ungern offen diskutiert, weil die Pioniere dieser Wissenschaft sehr auf ihren Ruf bedacht waren und Kritik meist sehr persönlich nahmen. Hässliche menschliche Schwächen und Eifersüchteleien leben dank Mecacci wieder auf – und Schlimmeres: Immer wieder verstrickten sich männliche und weibliche Psychoanalytiker in intime Verhältnisse mit ihren Patienten, die ihr Innerstes offen legten, um Heilung zu erfahren. Stattdessen wurden sie manipuliert und nahmen oft ein schlimmes Ende. Andere Analytiker scheuten nicht davor zurück, ihr Können an den eigenen Kindern zu erproben. Oft schufen sie so aus einem gesunden Kind einen seelischen Krüppel.

Nur wer publiziert, der lebt in der Welt der Wissenschaft. Spektakuläre oder auch nur besonders einleuchtende Versuchsbeschreibungen, Fallbeispiele und Auswertungen sind sehr von Vorteil. Bleiben sie aus, so wird notfalls nachgeholfen – ein offenes, höchst unbeliebtes Kapitel in den Chroniken aller Wissenschaften. Viele Forscher bewegen sich in einer Grauzone, einige betrügen eindeutig. Die Psychoanalyse macht da keine Ausnahme, wie Mecacci mit einer Fülle eindeutiger Nachweise belegt. Selbst Sigmund Freud war sich nicht zu schade, seine analytische Erfolgsbilanz nachträglich zu schönen.

Abschließend beschäftigt sich Mecacci mit der Frage, wieso der Selbstmord ausgerechnet in den Reihen der Psychoanalytiker ein fast typisches Ende ist. Die Beschäftigung mit den Gespenstern der menschlichen Seele bleibt offensichtlich auch denen nicht erspart, welche die Gabe für sich reklamieren diese zu kontrollieren. Das sollte zu denken geben, merkt der Verfasser sehr richtig an. Sein Schluss: Die Psychoanalyse ist ein nützliches Instrument zur Erforschung und Heilung, aber sie steht im Grunde auf tönernen Füßen – im historischen Rückblick und in der Gegenwart, in der die angeprangerten Sünden und Versäumnisse weiterhin präsent bleiben.

Das Stochern im Gehirn des Mitmenschen ist selbst ohne Behandlungsfehler eine heikle Sache. Fatal wird es, wenn der Analytiker selbst das Opfer menschlicher Schwäche ist. Eigentlich sollte das nicht erstaunen; „richtige“ Ärzte begehen auch Kunstfehler oder nehmen sich gegenüber ihren Patienten ungebührliche und ungesetzliche Freiheiten heraus. Wieso sollte gerade die Psychoanalyse davon verschont bleiben?

Weil, das macht Mecacci deutlich, die Welt der Analyse eine kleine, abgeschottete ist und vor allem war. Jede/r kannte jede/n – eindrucksvolle Schaubilder belegen das dichte Netz beruflicher und/oder persönlicher Beziehungen zwischen Psychoanalytikern und Patienten. Man behandelte einander, seine Familienangehörigen, seine Freunde … Etwaige „Betriebsunfälle“ wurden vertuscht; auf die Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen konnte man rechnen, wer nicht mitspielen wollte, wurde mundtot gemacht.

Das Schicksal der Marilyn Monroe wirkt in Mecaccis Darstellung nicht einmal besonders spektakulär. Tatsächlich nutzt er den Prominentenbonus der Schauspielerin, um behutsam auf sein eigentliches Anliegen überzuleiten: Da ist was faul im Reich der Seelenklempner. Sie scheuen sich, selbst die dunklen Winkel auszuleuchten. Also übernimmt dies der Psychologe und Wissenschaftshistoriker Luciano Mecacci. Er will keine schmutzige Wäsche waschen, d. h. in Klatsch schwelgen (den er dann doch reichlich serviert – will man tatsächlich glauben, dass Marilyn einer Mordattacke ihres letzten Analytikers zum Opfer fiel, der sie des Nachts gemeinsam mit Bobby Kennedy, dem Bruder des US-Präsidenten, sowie dessen Schwager Peter Lawford umbrachte?), sondern auf eine Tatsache, ihre Ursachen und ihre Konsequenzen hinweisen. Das gelingt ihm, da er erstaunlich leichtfüßig und doch kenntnisreich seine Fakten offenbart.

Letztlich sollte es wie schon gesagt zu denken geben, dass berühmte Psychoanalytiker oder ihre „Testamentsvollstrecker“ Arbeitsunterlagen zwar in Archive senden, sie dort jedoch mit absurden Sperrfristen der forschenden Öffentlichkeit entziehen; nicht einmal die Ermittlungsergebnisse über den Kennedy-Mord unterliegen solcher Geheimhaltung. Da sind offenkundig einige Leichen im Keller begraben, wo sie nach dem Willen der Betroffenen gefälligst bleiben sollen, aber eigentlich nicht dürften. Auch wenn einige von Mecaccis Schlussfolgerungen nur unter Vorbehalt akzeptiert werden sollten, hat er überzeugend und durchaus spannend ein Thema angesprochen, das eine Menge Klärungsbedarf durchscheinen lässt.

Luciano Mecacci (geb. 1946) amtiert als Vize-Rektor der Universität zu Florenz. Er lehrt dort außerdem Allgemeine Psychologie. Hier sind seine Spezialthemen die Psychophysiologie und die Geschichte der Psychologie; über beide hat er mehrere Bücher geschrieben. (Auf Deutsch erschien „Das einzigartige Gehirn. Über den Zusammenhang von Hirnstruktur und Individualität“). Mecacci arbeitet darüber hinaus in den Redaktionen der Zeitschriften „History of Psychology“ und „Journal of Russian and East European Psychology“.

Taschenbuch: 223 Seiten