Diana L. Paxson – Die Hüterin von Avalon

Lhiannon ist Oberpriesterin auf der Insel Mona und verantwortlich für das Haus der Priesterschülerinnen. Unter ihnen ist eines Tages auch ein junges Mädchen mit flammend rotem Haar, die Tochter eines Icener-Fürsten namens Boudicca.

Der junge Wildfang wird in Mona nur schwer heimisch, allein mit einem Mädchen namens Coventa freundet Boudicca sich an. Obwohl sie keine der Gaben besitzt, die sie zur Laufbahn einer Priesterin befähigen würden, hat sie etwas Besonderes an sich, das kann Lhiannon spüren. Als Boudicca nach ihrer Weihezeremonie zur Frau beschließt, Mona zu verlassen und zu ihrer Familie zurückzukehren, lässt Lhiannon sie schweren Herzens ziehen.

Doch in Britannien herrscht Rom, und Lhiannon wäre keine Seherin, wenn sie sich so leicht irrte. So kommt es, dass Boudicca schließlich doch noch ihrer Bestimmung folgt: unter dem Banner der Rabengöttin.

Mein Eindruck

Ich hatte ja wirklich gehofft, mit „Die Ahnen von Avalon“ wäre die ganze Avalon-Sache endlich erledigt. Umsonst gehofft! Zugegeben, Boudicca, die den letzten großen Aufstand gegen die Eroberung durch Rom anführte, muss eine faszinierende Persönlichkeit und deshalb eine große Versuchung gewesen sein.

Boudicca ist stolz, stur und ein wenig trotzig. Und das ist auch schon alles. Sie wirkt wie ein Holzschnitt: starr und staubig. Gedanken und Gefühle werden sachlich festgestellt; damit ist Nachvollziehbarkeit gewährleistet. Aber von dem lebendigen Feuer, das diese Frau ausgestrahlt haben muss, ist überhaupt nichts zu spüren, so etwas wie Faszination sucht man vergeblich. Ihre Leistungen während des Aufstandes werden letztlich sogar vollkommen der Göttin der Raben zugeschrieben, Boudicca dient nur noch als Gefäß.

Auch die zweite Hauptperson, Lhiannon, ist äußerst blass, ihr Hin- und Hergerissensein zwischen ihrer Liebe zum Druiden Ardanos und dem Wunsch, der Göttin als Orakel zu dienen, wirkt geradezu läppisch. Abgesehen davon besitzt sie keine eigenen Charaktermerkmale, dient lediglich als Beobachterin für das Fortschreiten der römischen Eroberungen bis zum Überfall auf die Insel Mona und damit als Fortführung des roten Fadens zwischen den „Ahnen von Avalon“ und den „Wäldern von Albion“.

Die übrigen Charaktere kann man bestenfalls als Statisten bezeichnen. Sowohl Haupt- als auch Nebenfiguren in dieser Geschichte zeigen keine Spur von dem Zorn, der Verzweiflung oder der Unsicherheit, wie sie Marion Zimmer-Bradleys Morgaine, Lancelot oder Gwenwyfar eigen waren. Sie sind so leblos und trocken wie Stroh!

Bleibt die Handlung: Den Werdegang eines Menschen zu verfolgen, kann ja durchaus interessant sein. In diesem Fall ist er allerdings hauptsächlich historisch korrekt. Tatsächlich ist es eine der Stärken der Autorin, den Mythos wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Manchmal allerdings schadet das mehr, als es nützt!

Boudiccas Entwicklung vom Mädchen zur Anführerin eines Aufstands wirkt bei Diana Paxson wie eine Aneinanderreihung von Nebensächlichkeiten. Ihre anfänglichen Eheprobleme, der Römer Pollio, der miese kleine keltischstämmige Steuereintreiber Cloto, das alles sind Bagatellen, die zwar den Alltag der damaligen Menschen zeigen, allerdings in einer Ausführlichkeit, die ermüdet und schließlich langweilt. Erst im letzten Drittel des Buches kommt mit dem Beginn des Aufstands echte Bewegung in die Geschichte.

Der Handlungsstrang um Lhiannon dagegen zeigt das unaufhaltsame Vordringen der Römer nach Westen. Vielleicht hat die Autorin durch die steigende Bedrohung für die Druiden auf Mona versucht, die Spannungskurve zu straffen, gelungen ist es ihr aber nicht. Das mag daran liegen, dass der Leser ja bereits weiß, dass Mona fallen wird, dadurch wird die Sache aber auch nicht besser.

Dazu kommt, dass der Handlungsverlauf holpert. Immer wieder stockt der Lesefluss an unvorhergesehenen Sprüngen. Eben noch waren die Verteidiger einer Festung dabei, die Wälle auszubauen und zu verstärken, und im nächsten Absatz befinden sie sich plötzlich mitten im Kampf.

Mit anderen Worten: Auch die Handlung gibt nicht wirklich viel her! Das Erstaunliche ist, dass dieser Eindruck entstehen konnte, obwohl das Buch wesentlich kürzer ist als „Die Nebel von Avalon„. Es hat nicht nur vierhundert Seiten weniger, sondern ist auch doppelt so groß gedruckt! Es wäre also noch genug Platz gewesen, um die Darstellung von Personen und Ereignissen etwas intensiver und hautnaher zu gestalten. Wie schon im Fall von Paxsons eigener Version der Artussage zieht sich die Handlung auch hier gerade deshalb so in die Länge, weil sie so knapp und straff erzählt ist!

Natürlich ist es so, dass die Thematik um Boudicca wesentlich weniger Stoff hergibt als die Artussage mit ihren vielfältigen Verflechtungen und Verwirrungen. Trotzdem bin ich der Meinung, dass es möglich gewesen wäre, mehr daraus zu machen, als die Autorin es geschafft hat. Aber Aufbau der Geschichte und auch die Hauptperson selbst kamen den Talenten der Autorin in keiner Weise entgegen. Um die langen Phasen, in denen sich nur wenig tut, lebendig und interessant zu gestalten, hätten es eines besseren Händchens für Charakterzeichnung bedurft, als Diana Paxson es besitzt. So kam lediglich ein eher dröger Lebenslauf heraus, dessen Höhepunkt noch dadurch geschmälert wurde, dass er unmittelbar durch eine höhere Macht bestimmt wurde anstatt durch die eigentliche Hauptperson. Auch ihre zweite Stärke, die Beschreibung von religiösen Riten und Mysterien, konnte die Autorin in diesem Fall nur spärlich ausspielen, da ihre Hauptperson keine Priesterin ist.

Zu guter Letzt ist es auch noch so, dass die tatsächliche Anbindung an Vorgänger und Nachfolger eher mager ausgefallen ist. Die Beschreibung von der Eroberung Monas weicht ziemlich stark ab von dem, was Marion Zimmer-Bradley in „Die Wälder von Albion“ geschrieben hat, und die Erklärung, wie die Druiden überhaupt nach Mona kamen, ist so wirr, dass man sie kaum nachvollziehen kann.

Als Lhiannon auf Avalon Boudiccas Weihezeremonie zur Frau vollzieht, ist außer ihnen beiden so gut wie niemand dort, obwohl Tiriki im Vorgängerband dort eine Gemeinschaft von Priesterinnen gegründet hat! Und den Titel „Die Hüterin von Avalon“ trägt das Buch wohl nur aus Gründen des roten Fadens, denn eine solche Person taucht nirgendwo auf!

Unterm Strich

So ist dieser Band noch fader und zäher geraten als „Die Ahnen von Avalon“. Ich weiß ja nicht, ob nicht womöglich irgendwo noch ein angefangenes Manuskript liegt, um eine Lücke im roten Faden zu stopfen. Sollte das tatsächlich der Fall sein, dann steht eines fest: Ich werde das daraus entstandene Buch nicht lesen! Ganz sicher nicht!

Die Autorin

Diana Paxson lebt in den USA, wo sie die populäre Mittelalterbewegung mitgegründet hat. Unter anderem ist sie eine führende Vertreterin der dortigen neuheidnischen Religionsbewegung. Außer den diversen Avalonbänden aus Marion Zimmer-Bradleys Nachlass hat sie den Romanzyklus „Die Töchter der Nibelungen“, „Die Keltenkönigin“ und weitere Romane veröffentlicht. Des weiteren schrieb sie viele Kurzgeschichten sowie Theaterstücke und Gedichte.

Taschenbuch: 640 Seiten
ISBN-13: 9783453290204

https://www.penguin.de/Verlag/Diana-Verlag/31000.rhd

_Diana L. Paxson bei |Buchwurm.info|:_

[„Die Ahnen von Avalon“ 655
[„Die Herrin vom See“ 213 (Artor 1)
[„Die Herrin der Raben“ 2500 (Artor 2)
[„Die Herrin von Camelot“ 1657 (Artor 3)
[„Der Zauber von Erin“ 246
[„Brunhilds Lied“ 1659 (Die Töchter der Nibelungen 1)
[„Die Keltenkönigin“ 1693