Edgar Allan Poe – Der Doppelmord in der Rue Morgue

Ein grausiger Doppelmord an einer Frau und ihrer Tochter stellt die Pariser Polizei vor ein Rätsel. Die beiden Frauen sind in ihrer Wohnung in der Rue Morgue auf brutale Weise zugerichtet worden. Das Mädchen fand man mit verrenkten Gliedern, wie sie in den Kamin geschoben wurde, ihre Mutter dagegen geköpft auf dem Straßenpflaster liegend, nachdem sie aus dem Fenster geschleudert worden war. Obwohl zahlreiche Zeugen befragt werden und sich die Aussagen bis auf wenige Abweichungen decken, fehlt von einem Täter jede Spur. Doch die Befragten berichten alle von mindestens einer weiteren, dritten Person, die sich zum Zeitpunkt des Mordes im Haus befand, das ansonsten völlig leer stand. Wie nur war es dem Mörder gelungen, unbemerkt zu fliehen und keine Spur zu hinterlassen, die die Polizei wenigstens auf eine Fährte gelockt hätte?

Das Geschehen stellt die ansonsten so ruhmreiche Gendarmerie in ein schlechtes Licht. Gut, dass in dem Moment der Privatdetektiv August Dupin auf den Plan tritt, der die Ereignisse nur durch seine Kombinationsgabe zu rekonstruieren und den Fall aufzuklären versucht.

Das Buch …

Edgar Allan Poe ist ein Name, der heute unweigerlich mit schaurig-makabren Geschichten in Verbindung gebracht und zu den Begründern der modernen Phantastik gezählt wird. „Der Untergang des Hauses Usher“, „Die Maske des Roten Todes“ oder „Die Grube und das Pendel“ sind Erzählungen oder Kurzgeschichten, die nachfolgende Schriftsteller wie Kafka oder Lovecraft maßgeblich beeinflusst haben. Seine Ausflüge in die Lyrik, allen voran sein heute bekanntestes Werk „Der Rabe“, gehören zur Weltliteratur.

Dass Poe auch ein Begründer der Kriminalliteratur war, wird meist erst an zweiter Stelle genannt. Dennoch tritt mit August Dupin, der außer im vorliegenden „Der Doppelmord in der Rue Morgue“ noch in zwei weiteren Erzählungen auftritt, einer der ersten Detektive auf, der die Mordfälle durch eine Schlussfolgerungsmethode, der so genannten deduktiven Vorgehensweise, löst. Heutzutage folgt fast jeder Krimi diesem Muster und bedient sich damit der Methode, die Poe populär gemacht hat.

Dieses Analyseverfahren einleitend, beginnt denn auch „Der Doppelmord in der Rue Morgue“ mit einem Vergleich, der dem Leser bzw. Hörer Dupins Vorgehensweise deutlich machen soll:
Während das Schachspiel durch die unzähligen Figurenkonstellationen auf den ersten Blick betrachtet eine ungemein hohe Komplexität aufweise, sei das Dame-Spiel durch lediglich eine Art von Zügen ungleich trivialer. Dieser Eindruck täusche jedoch, da beim Schach höchstens durch strategisches Planen gewonnen, während bei Dame durch die verminderten Möglichkeiten der Sieg nur durch den Scharfsinn errungen werden könne. Diese Tatsache überträgt Poe auf die Analyse kompliziert wirkender Strukturen, die oberflächlich eine Vielzahl von Möglichkeiten offenbaren. In der Analyse ergäbe sich, dass die Wege schneller rückführbar seien, wenn man die falschen Wege ausschlösse und damit unweigerlich zum richtigen Weg gelänge. Eine Hypothese, die Poe mit der Konfrontation seiner Detektivfigur Dupin eindrucksvoll beweist.

Aus der Sicht seines namenlos bleibenden Partners geschrieben, erfährt Dupin über die Zeitung von dem Mord und den schrecklichen Hintergründen. Auch die vergeblichen Versuche der Polizei, die Gräueltat aufzuklären, entnimmt er der Gazette. Angetrieben von seiner festen Hoffnung, die Ereignisse durch eine genaue Analyse zu deduzieren, verschafft er sich durch gute Kontakte bei der Gendarmerie zusammen mit seinem Partner Zugang zum Schauplatz des Geschehens. Haargenau beobachtet und untersucht er alles und lässt sich selbst durch scheinbar verwirrende Rätsel nicht aus der Fassung bringen. Im anschließenden Gespräch mit seinem Partner, der fasziniert und wissbegierig zugleich den Schlussfolgerungen Dupins lauscht, entwindet sich das Knäuel aller möglichen Fäden und offenbart den einzigen, logisch möglichen Tathergang, der den Doppelmord schließlich aufklärt.

… als Hörbuch

„Der Doppelmord in der Rue Morgue“ wird von Kim Frank gelesen, besser bekannt als Sänger der Band Echt, dessen Stern im Pop-Olymp seit geraumer Zeit im Sinken begriffen war, bis sich die Gruppe schließlich auflöste. Kaum verwunderlich erschien es da, dass Frank, weg von seinem Teenie-Image, nach seriöseren Angeboten suchte und, nach einer Soloplatte und mehreren Synchronisationsarbeiten, auch die erste ernstzunehmende Filmrolle in dem Streifen „NVA“ übernahm.

Die Vertonung Edgar Allen Poes ist das erste Hörbuch, dem er komplett seine Stimme lieh. Da er auf diesem Sektor, abgesehen von einigen Hörspielen, bei denen er mitwirkte, noch kaum Erfahrungen aufweisen kann, ist es umso erstaunlicher, mit welcher Professionalität er Poe liest. Sein Debüt beweist eindrucksvoll, dass er sich nicht hinter großen Namen zu verstecken braucht.

Mit viel Emotion, guter Betonung und leichten Variationen in der Stimme, wenn er die Passagen der – wenigen – in der Erzählung agierenden Personen liest, gelingt Kim die nötige Gratwanderung. Er verleiht dem Hörbuch zum einen genug Tiefe und Abwechslung, driftet zum anderen aber nicht ins Lächerliche oder überzogen Unrealistische ab, da er seine Stimme zwar geschickt einsetzt und zu variieren weiß, jedoch nie überfordert oder gar überstrapaziert. Frank gelingt es, dass ihm der Hörer gerne zuhört und sich von seiner Erzählung, oder vielmehr seiner Interpretation Poes packen lässt.

Da bleibt nur zu hoffen, dass Kim Franks Ausflug in die Welt der Hörbücher nicht seiner letzter gewesen ist und er sich auch in Zukunft dieses Mediums bedient. Denn von seinen Anfängen als Popsänger hat sich der 1982 geborene Flensburger mittlerweile gelöst und zeigt deutlich, wie viel ihm zuzutrauen ist.

2 CDs
Spieldauer: 1:41 Std.
Aus dem Amerikanischen von Gisela Etzel
Auflage: März 2006
www.argon-verlag.de