Richard Stone – Die Satanskunst

Politischer Cyberthriller

London im Juni 1997. Ein Demagoge namens Edmund Bording schickt sich an, die britische Regierung zu stürzen. Er zettelt einen Volksaufstand an, was einfach ist, denn Energie und Nahrungsmittel sind rationiert. Mithilfe des jungen Staatssekretärs Tom Híllard versorgt er die Massen mit der richtigen, aufpeitschen Propaganda. Doch Hillard war nicht immer so – er wurde zu Bordings willenlosem Werkzeug und glühendem Anhänger gemacht. Hillards Frau Marianne wundert sich über die Wandlung seines gesamten Charakters: Er hat sie und seine Kinder für ein Flittchen verlassen, quasi über Nacht. Sie beginnt nachzuforschen, wie es dazu kommen konnte. Prompt gerät sie in Gefahr.

Derek Sutherland, ebenfalls ein Staatssekretär, trifft sich heimlich mit Chief Detective Inspector Bill Finch von Scotland Yard. Er hegt den Verdacht, dass die Führung von Staatsschutz und Polizei nicht mehr auf Seiten der Regierung steht und mit einem ausländischen Geheimdienst zusammenarbeitet. Aber mit welchem? Als Finch einer Verschwörung in höchsten Kreisen auf die Spur kommt, erfährt er mehr Dinge, als ihm lieb ist: Totale Manipulation und Überwachung sind nicht nur möglich, sondern seit Jahren verbrecherische Praxis…

Der Autor

Richard Stone, 1940 in Kanada geboren, studierte an der Durham University, ging 1963 nach England und verdiente sein Geld in verschiedenen Berufen, bis er sich entschloss, frier Schriftsteller zu werden. Seit Anfang der sechziger Jahre schrieb Stone Erzählungen und Theaterstücke. Mit dem politischen SF-Thriller „Die Satanskunst“ (The Devil’s Engineering) schaffte er 1981 den Durchbruch.

Lord Charles Percy Snow, der englischer englische Physiker, Schriftsteller und Gesellschaftskritiker, schrieb über dieses Buch: „Ich habe eine ziemliche Abneigung gegen Science Fiction aller Art, aber nachdem ich mit der Lektüre angefangen hatte, war ich so gefesselt, dass ich das Buch in sieben Stunden an einem Stück ausgelesen habe.“ (Verlagsinfo) Berühmt wurde Snow durch seine 1959 in der Rede-Lecture aufgestellte These der „Zwei Kulturen„. Diese These beschreibt die große Kluft zwischen den Kulturen der Geisteswissenschaft und Literatur einerseits sowie der Naturwissenschaft und Technik andererseits. Andere Autoren kritisierten Snows These teils heftig: „Snow ist ein Verhängnis“.

Handlung

Großbritannien befindet sich anno 1997 in einer schweren Wirtschaftskrise. Vor allem mangelt es an Rohstoffen und Energie. Private Personenfahrzeuge können nur unter strengen Voraussetzungen benutzt werden, und die meisten fahren mit Zug und Bus, wenn überhaupt. Deshalb kommt Tom Hillard, der Parlamentarische Staatssekretär des Energieministeriums seiner neu an die Macht gekommenen Partei, auch eine Stunde zu spät zu seinem Termin in Wilton. In Wilton steht eine vielversprechende Forschungsanlage für die Erzeugung von Strom aus Kernfusion. Auf ihr ruhen die Hoffnungen seiner Partei.

Die Gespräche mit Gordon Bassett, dem Leiter der Anlage, sind jedoch sowohl unerfreulich als auch wenig ergiebig. Aber wie er am Abend seiner Frau Marianne, der Herausgeberin von Frauenzeitschriften, erzählt, scheint es den Forschern nicht nur an Motivation, sondern auch an Geld und Rohstoffen zu mangeln. Viele wurde hinausgeekelt. Kurzum: Dort geht gar nichts mehr voran. Und der Teufel soll ihn holen, wenn er das nicht ändern könne.

Er ist überzeugt davon, dass der Londoner Beamtenapparat das Wilton-Projekt nicht nur ausbremst, sondern regelrecht hintertreibt. Er stößt auf Dokumente aus Sitzungsprotokollen, aus denen hervorgeht, dass insbesondere Sir Hugh Adamson, der leitende Beamte des Energieministeriums, dieser Bremser ist. Dieser weigert sich beispielsweise, das dringend benötigte Ruthenium aus Kanada zu beschaffen. Hillard stellt ihn am Video-Telefon zur Rede, und der lädt ihn zu einer Vier-Augen-Konferenz ein. Hillard traut seinen Ohren nicht, als Adamson einen Protestsong gegen die Kernkraft singt.

Scotland Yard

Chief Inspector Bill Finch vom Scotland Yard, ein Kind der Liverpooler Arbeiterklasse, macht sich große Sorgen um die Freiheit seiner Mitbürger. Dem Regierungsmitglied Derek Sutherland, einem Freund von Marianne Hillard, vertraut er an, dass sich in letzter Zeit der Staatsschutz, die Polizeiführung und der Nachrichtendienst auffällig oft treffen. Was wäre, wenn sie ihre Datenbanken verknüpfen und jede Bewegung und Äußerung der Bürger ausspähten, um bestimmten Interessengruppen zur Macht zu verhelfen? Dann könnte man in England ja gleich den Totalitarismus einführen. Finch muss ja mittlerweile bereits Rechtsextreme ausspähen. Soweit ist es noch nicht, hoffen Finch und Sutherland. Obwohl alle Dienststellen inzwischen über Computerzugang zu den Datenbanken haben, ahnen sie nicht, wie weit die digitale Überwachungstechnik inzwischen wirklich gediehen ist.

Beunruhigende Beobachtungen

Spät in der Nacht erhält Marianne Hillard von ihrem Mann Tom einen seltsamen Anruf. Er, der Partys verabscheut, sei noch auf einer Party, er nennt sie „Schatz“, was er sonst nie tut, und verwendet das Wort „verwünscht“. Was ist nur in ihn gefahren? Und warum hat er am nächsten Tag so gute Laune, noch dazu nach einem Gespräch mit Sir Hugh Adamson? Bei einem Dinner bei Harvey Keller, einem Anhänger der Neuen Europäischen Partei (NEP) und Leiter einer therapeutischen Klinik mit den neuesten Errungenschaften, bemerkt Marianne, dass Tom förmlich an den Lippen von Edmund Bording von der NEP hängt, obwohl der Toms eigenen Stand der Politiker in Grund und Boden verdammt und die Arbeiterklasse lobt. Als sie hinterher Tom zu seinem Verhalten befragt, reagiert er teils gereizt, teils verstört. Er scheint zudem gewisse Vorfälle in einer Mansardenwohnung, bei denen ein Priester und ein Arzt beteiligt waren, verdrängt zu haben.

Das Komplott

Dem russischen Geheimdienst KGB ist es gelungen, Tom Hillard mithilfe einer neuartigen Technologie einer Gehirnwäsche zu unterziehen: Über Elektroden werden bestimmte Gehirnregionen für Erfolg, Frust und Geilheit stimuliert. Doch seine Frau Marianne ist misstrauisch und könnte die Pläne, die der KGB mit Hillard hat, stören. Um die beiden Eheleute auseinanderzubringen, befiehlt Harvey Keller einem Untergebenen, dessen Familie der KGB in der Hand hat, ein Mädchen anzuheuern, das die Geliebte von Tom Hillard werden könnte. Die Wahl fällt auf Anita Morris, eine 23 Jahre alte studentische Aktivistin der Arbeiterpartei.

Der Plan klappt wie am Schnürchen, denn Tom scheint nicht Herr seines Willens zu sein. Er tut alles, was Anita von ihm verlangt. Nur in einem Café, das durch dicke Vorhänge abgeschirmt ist, kommt er zu sich und kritisiert Anita sozialistische Einstellung als das, was sie ist: eine totalitaristische Ausgrenzungs- und Unterdrückungspolitik. Doch sie bügelt seine Argumente mit absurden Befehlen nieder, denen er nichts entgegenzusetzen hat. Sie zwingt ihn auf diese Weise auch, seiner Frau zu gestehen, dass er „lieber mit einem Flittchen ins Bett geht als mit seiner Frau“.

Die Klinik

Marianne hat inzwischen wegen ihres Verdachts einen Computerexperten gefragt. Dieser bestätigt ihr, dass die Rechner inzwischen in der Lage seien, menschliche Stimmen zu erkennen und selbst zu imitieren, um eine halbwegs sinnvolle Unterhaltung zu führen. Jetzt weiß sie, dass Tom sie gar nicht von einer Party aus angerufen hat, sondern dass wohl es wohl eine solche Maschine gewesen war. Wer könnte ihr wohl mit seinem Wissen dazu weiterhelfen? Ihr Wahl fällt auf Harvey Keller.

Sie besucht ihn in seiner modisch ausgestatteten Klinik. Eine Art „Schlossführung“, ein Mittagessen und ein paar Drinks später ist Marianne soweit, ihre eigentliche Frage zu stellen: Könnten wohl auch Kellers Computer, die ja die Fitness-Armbänder seiner betuchten Klienten überwachen, auch eine menschliche Stimme imitieren? Keller weicht aus, stellt es aber nicht in Abrede. Als sie geht, weiß er, dass sie eine gefährliche Journalistin ist, um die man sich möglichst gründlich „kümmern“ sollte…

Mein Eindruck

Der Plot ist klassisch: Die britische Regierung soll gestürzt werden. Werden der Wirtschaftskrise verlangen die Arbeiter, dass die alte Regierung und hinweggefegt und durch eine zentralistische, arbeiterfreundliche ersetzt werde. Von der Abschaffung der Bürokratie ist keine Rede. Das ist gut für den linksgerichteten Demagogen Edmund Bording, seine Unterstützer aus Wirtschaft und Medien, aber vor allem für den sowjetischen Geheimdienst. Der Autor zeichnet, gesehen durch Bill Finchs Augen, eine totalitäre Führung ohne demokratische Legitimation an die Wand. Bei einem Sturm auf Downing Street No. 10 kommt es zu einem finalen Showdown.

Der kenntnisreiche Leser, der die britische Demokratie, die nicht zuletzt auch nach Deutschland exportiert wurde, kennt, fragt sich, wie es zu einem solchen Umsturz kommen kann. Tatsächlich war es mehrere Male in der neueren Geschichte England fast soweit. Im laufe des 19. Jahrhundert zerstörten echte Maschinenstürmer (Ludditen) mechanische Webstühle, in der Wirtschaftskrise der 1880er Jahre kam es zu Aufständen, von dem Aufstieg des englischen Nazis Enoch Powell ganz zu schweigen. Der letzte, der die Regierung in Gefahr, war Arthur Scargill, der gewerkschaftliche Anführer der englischen Minenarbeiter ca. 1983/1984.

Daher ist es ein wenig verwunderlich, dass der Demagoge Edmund Bording nie eine Szene mit den Gewerkschaftern hat: Er redet vor den Arbeitern. Aber war er wirklich tut, erfährt der Leser nur in Nebensätzen: Bording hat schon einen Deal mit den „unions“ in der Tasche, die Posten sind schon verteilt. Und Bording hat nie eine Szene mit den Militärs, was sich für seine Pläne als verhängnisvoll erweisen soll: Die Soldaten bekämpfen am Schluss die Polizisten.

Die dunkle Macht

Tom Hillard ist Bordings Propaganda-Sprachrohr gemacht worden – siehe oben. Er und seine Frau sowie deren Freund Derek Sutherland spielen eine psychologisch entscheidende und zunehmende faszinierende Rolle im Kampf gegen Bording. Der KGB-Scherge Harvey Keller hat Tom zwar eine Fernsteuerung (Biochip) eingebaut und unterzieht ihn einer Gehirnwäsche, doch in hellen Momenten kann Tom klar denken und sein gegenüber in Grund und Boden analysieren. Als er im Krankenhaus erwacht, erfährt vom behandelnden Arzt die schockierende Wahrheit: Sein Körper, sein Hirn sind mit einer Fernsteuerung ausgestattet worden. Wie reagiert er? Er notiert alle Neuigkeiten, denn er ahnt, dass ihn „die unbekannte Macht“ schon bald wieder fernsteuern wird. Es gelingt ihm, diese Notizen Sutherland zu übergeben.

Sutherland und Finch sind die Rädchen im Getriebe des Machtapparats, die noch nach eigenem Willen funktionieren. Nicht mehr lange, wenn es nach der „unbekannten Macht“ geht. Finchs engster Mitarbeiter wird Opfer eines Anschlags, Sutherland selbst schleicht nur noch durch Nebenstraßen und Hintereingänge. Finch hat wenigstens eine Polizeimarke, die ihm Zutritt zu allerlei Orten verschafft, so etwa zu Harvey Kellers ominöser Klinik.

Überraschungen

Die Cybertechnologie, die Harvey Keller von den Sowjets erhalten hat, ist auf dem Stand des Jahres 2010: automatische Stimmerkennung und -produktion von Personen, automatische Ortung in Echtzeit, Funkfernsteuerung per implantierten Biochips und vieles mehr. Menschen sind nur noch Marionetten an den Fäden des Computers, den der sowjetische Geheimdienst KGB fernsteuert. Und doch gibt es noch keine Kontrollsperre mit Metalldetektor, als Marianne Hillard mit einem Revolver in ihrer Handtasche in Kellers Klinik spaziert.

Keller hat sie für tot gehalten, wurde doch auf sie ein erfolgreicher Anschlag verübt. Dann verschwand sie auf geheimnisvolle Weise von der Bildfläche. Auch Hillard verschwindet: aus einem fahrenden Zug. Finch, der Hillard aufklären helfen und aufklären wollte, ist wieder mal aufgeschmissen.

Schwächen

Wäre dies ein US-amerikanischer Roman, wäre Finch – oder wenigstens Sutherland – auf der verzweifelten Suche nach der gekidnappten Marianne. Die Jungfer in Not musste vor dem Drachen – welchem auch immer – gerettet werden. Nichts dergleichen findet sich in Stones Roman. Finch und Sutherland gehen beide – zu Recht – davon aus, dass sich eine erwachsene Frau selbst zu helfen weiß. Ihre Auffindung und Befreiung ist quasi nur das Nebenprodukt der Razzia in Kellers Klinik. Das ist ein Affront gegen die Gefühle der Leserschaft, besonders der weiblichen. Was wohl Mariannes Magazin „Die moderne Frau“ dazu zu sagen hätte?!

Die Übersetzung

Der Übersetzer legt nicht nur einen erstklassigen Sprachstil an den Tag, sondern erweist sich auch als sehr kenntnisreich, was das politische System in Regierung und Bürokratie Großbritanniens angeht. Dazu muss man dessen Geschichte oder sämtliche Lokalitäten kennen. Offenbar war der Autor ein politischer Korrespondent und kannte das britische Parlament und sämtliche Nebenstraßen, wie etwa Downing Street No. 10, aus eigener Anschauung.

S. 17: „in Harvey Hellers Augen“: Eben hieß er noch „Harvey Keller“.

S. 27: „die Mitglied[er] der Kampfgruppe“: Die Endung des Plurals fehlt.

S. 65: „gab dann einen Davon [einen von zwei Bechern Kaffee] Hotovy“: „davon“ gehört klein geschrieben.

S. 86: >>“Lohnt sich daß“, fragte sie.<< "Daß" sollte "das" geschrieben werden.

S. 133: "Ihre Li[n]zenz für London": Das N ist überflüssig.

S. 138: "dass er ernstlich zu seinen Ansicht[en] steht: Die Endung des Plurals fehlt.

S. 165: "seine Bewegungen waren ehe[r] die eines Kindes…": Das R fehlt.

S. 170: "ein Hafen-Louis": unbekannte Bedeutung. Möglicherweise ein Mittelding aus Dandy, Gigolo und Zuhälter.

S. 173: "Lan[g]sam tauchte Finch wieder … auf." Das N fehlt.

Unterm Strich

Es war mir ein wahres Vergnügen, diesen spannenden Politthriller zu lesen. Ich brauchte nur zwei Tage. Deshalb kann ich C.P. Snow sehr gut verstehen, wenn er nur sieben Stunden dafür brauchte. Nicht nur sind Handlung und Charaktere ausreichend komplex, um einen intelligenten Menschen zu beschäftigen und an ihrem Schicksal teilnehmen zu lassen. Es ist auch Plot, der an das Ende der Weimarer Republik in Deutschland erinnert: Ein Demagoge schickt sich an, die Regierung mit illegitimen Mitteln zu stürzen, während seine eigenen Handlanger die Massen mit neuesten Technischen Mitteln manipulieren und überwachen. Es ist ein Staatsstreich von Sowjet-Russlands Gnaden. Die spannende Frage, die sich der Leser stellt, lautet, ob dieser Demagoge das weiß. Am Schluss erweist sich diese Frage als entscheidend.

Die Cybertechnologie, die sich der Autor schon 1981 ausdachte, steht heute zur Verfügung. Die Frage ist vielmehr, ob es legitim ist, sie zu verwenden, um Menschen gegen ihren Willen zu überwachen und ihr Verhalten zu manipulieren. Das wirft die Frage auf, ob soziale Medien heutzutage die Rolle spielen, die in Stones Szenario die Cybertechnik der Biochips spielt.

Denn wie Facebook, Instagram, YouTube und andere Plattformen des sozialen Medien erkannt haben, werden viele Kanäle von Staatsorganen und ihnen nahestehenden Institutionen genutzt, um mit Fake News, Hassbotschaften, Verschwörungstheorien, Fake-Bildern und bald wohl auch mit Fake-Reden ganze Gesellschaften ins Wanken zu bringen. Erfreulicherweise löschen diese Plattformen inzwischen regelmäßig solche Kanäle.

Immer wieder fiel mir auf, wie erstaunlich aktuell dieser Thriller ist – und dass uns das Schlimmste vielleicht erst noch bevorsteht.

Taschenbuch: 316 Seiten
Originaltitel: The Devil’s Engineering, 1981;
Aus dem Englischen von Karl A. Klewer
ISBN-13: 9783453307339

www.heyne.de

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