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Gerd Scherm – Der Nomadengott. Parodie

Parodie: Exodus mit El Vis

Man schreibt das Jahr 1500 v. Chr.: Ganz Ägypten leidet unter dem Größenwahn des Pharao Ahmoses. Auch die versprengte Volksgruppe der Hyksos, die vor Generationen als Gastarbeiter ins Land am Nil kam, ist plötzlich bedrohlichen Anfeindungen ausgesetzt. Angeführt von Seshmosis, einem mageren Stubenhocker, der sich der Lage nicht im Mindesten gewachsen fühlt, ergreifen sie die Flucht. Doch als drohte der kleinen Karawane von den irdischen Ägyptern nicht schon genug Unheil, haben die Hyksos auch noch den Zorn der lokalen Götter auf sich gezogen – und das gibt mächtig Zoff.

Man stelle sich eine Kombination aus Terry Pratchetts „Pyramiden“ und Monty Pythons „Das Leben des Brian“ vor und bekommt eine gute Vorstellung von der komischen Sprengkraft des Buches. Gerd Scherm – Der Nomadengott. Parodie weiterlesen

Erik Hornung – Die Nachtfahrt der Sonne. Eine altägyptische Beschreibung des Jenseits

Ägypten war, ist und bleibt faszinierend – gerade für uns Europäer! Schließlich betrachteten schon die alten Griechen Ägypten als Ursprungsland der Weisheit und des Mysteriums. Und die alten Griechen stehen mit ihrem Denken am Anfang des Abendlandes. Ausgehend und weggehend (durch die römische Interpretation) vom griechischen Denken hat sich unser für selbstverständlich gehaltenes Begreifen von Wesen und Wahrheit, von Göttern und Menschen, von Dingen und Sachen, kurz von allem herausgebildet. Durch diese Verbindung des alten Griechentums mit Ägypten wird sich Letzteres vielleicht dereinst als eine der dunkel verborgenen Wurzeln Europas erweisen.

Einen Beitrag für die Suche nach dieser ins Geheimnis hinabreichenden Wurzel ist das Buch „Die Nachtfahrt der Sonne“ des bekannten Ägyptologen Erik Hornung. Wie eigentlich all seine Bücher wendet sich auch diese „altägyptische Beschreibung des Jenseits“ – so der Untertitel – an ein größeres Publikum, dem Hornung die Ägyptologie nahe bringen will. Seiner Ansicht nach sollte Ägypten nicht als ein gelehrtes Thema für den Elfenbeinturm, sondern als inspirierend-kontrastrierender Beitrag zur heutigen Kultur und Sinnsuche begriffen werden (siehe meine [Rezension 238 zu Hornungs „Das geheime Wissen der Ägypter und sein Einfluss auf das Abendland“). Der Leser darf sich also auf ein Buch freuen, das mit viel Freude an farbiger Schilderung und spannender Erkenntnisvermittlung aufwarten kann.

Mein Eindruck

Das Thema des Buches ist eine erläuternde Reise durch die Welt der beiden frühesten ägyptischen Unterweltbücher des Neuen Reiches – das „Amduat“ und das „Pfortenbuch“. Beide „Bücher“ sind auf Papyrus in Grabkammern und auf Sarkophagen meist königlicher Toter zu finden. Sie wurden dort vor ungefähr dreitausendfünfhundert Jahren aufgezeichnet, wobei das „Amduat“ hundert Jahre älter als das „Pfortenbuch“ ist. Diese Unterweltbücher haben die ägyptischen Vorstellungen vom Jenseits auf eine vorher nie gekannte Weise systematisiert und mit einer Fülle verschiedenster Götter und Wesenheiten ausgestattet, denen wiederum immer komplexere Verbindungen von Attributen zugeschrieben wurden.

Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der ägyptischen Gottesvorstellung, dass die Götter ständig neue Aspekte anziehen, der Reichtum ihres Wesens also kontinuierlich zunimmt. Die Götter können für den Ägypter nie in ihrer ganzen Fülle erschöpft werden. Er kann beispielsweise im Skarabäus den Sonnengott Re in seiner morgendlichen Gestalt wahrnehmen oder im Ibis den Gott Thot erblicken, der Gott kann im Anblick dieser Tiere anwesend sein und erfahren werden, aber weder Skarabäus noch Ibis sind der ganze Gott Re oder Thot. Die Gottesgestalten sind für diesen Moment in diesen Tieren da, aber die Tiere werden niemals mit der Gottheit selbst verwechselt. Für das Verständnis der oftmals tiergestaltigen ägyptischen Götter sollte der Leser sich diese Tatsache vor Augen halten.

Auch der Held des vorliegenden Buches kann in Tiergestalt erscheinen bzw. mit einem Tierkopf auf menschlichem Körper. Es handelt sich um den Sonnengott, der als Amun-Re mit Widderkopf und der Sonnenscheibe darüber auftritt sowie als Chepri in der schon erwähnten Gestalt des Skarabäus-Käfers mit der Sonnenscheibe in den vorderen Greifarmen (später gibt es auch Darstellungen mit Menschenleib und einem Käfer als Kopf!). Dieser „heilige Pillendreher“ wird mit der Sonne in Verbindung gebracht, weil er seine Mistkugel in der Erde vergräbt und somit an den Untergang der Sonne am Abend erinnert. Außerdem steigen die jungen Käfer – wie von selbst entstanden – aus dem Sand, worin sie für den Ägypter der Morgensonne gleichen.

Untergang und Aufgang der Sonne sind die beiden Eckpunkte, zwischen denen sich die Handlung der kultischen Bücher abspielt. Die Fahrt der Sonnenbarke durch die Unterwelt, das Totenreich, steht in deren Mittelpunkt. Der Begriff „Amduat“ bezeichnet eigentlich alle Totenbücher – er bedeutet: „der in der Unterwelt ist“, wobei eben der Sonnengott gemeint ist. Das „Amduat“ heißt im Original „Buch des verborgenen Raumes“. Alle Sterblichen müssen sich der Erfahrung des verborgenen Raumes nach ihrem Tod stellen. Die Unterweltsbücher sind aber nicht ausschließlich auf das Jenseits orientiert. Hornung schreibt dazu: |“Wer aber die Sonne auf ihrer täglichen Fahrt begleitet, wirft schon als Lebender einen Blick in jene Tiefe, die in uns beginnt. Deshalb die häufigen Vermerke in diesen Büchern, dass alles, was sie vom Reich der Toten berichten, auch für ‚die Lebenden auf Erden nützlich‘ sei“| (S. 7).

Das Buch hält sich an die Gliederung seiner Vorlagen in zwölf Stunden, die auf acht Kapitel aufgeteilt werden, zuzüglich eines Kapitels über die Quellen und die früheren Jenseitsvorstellungen des Alten Reiches. Bei den jeweiligen Stunden beschreibt Hornung an erster Stelle die Vorstellungen des „Amduat“ und später im Kapitel die des „Pfortenbuches“. Diese zwölf Stunden aber sind nicht nur die Zeit, die wir mit Uhren messen können. Denn diese zwölf Stunden dauern eine „Ewigkeit“. Während der Sonnengott auf seiner Barke durch die Unterwelt fährt, wird er von vielen Göttern, Wesenheiten und den seligen Toten begleitet. Vielen dieser Wesenheiten und insbesondere den Verstorbenen verhilft er durch sein Licht zu einem Leben, das eine Stunde, d. h. ein Menschenalter dauert, bevor sie wieder in die Dunkelheit zurücksinken. Der Sonnengott holt die seligen Toten aus der Verborgenheit in die Unvorborgenheit, stellt sie als Seiende in neues Leben hinein. Drei helfende Götter verkörpern seine Macht: Sia, der „Durchblick“, das „Erkennen“, Hu, das „Wort“, der „Ausspruch“ und Heka, der „Zauber“. Wenn Amun-Re weiterzieht, klagen die zurückgelassenen Wesen um den vorübergehenden Verlust ihres jenseitigen Daseins. Daher ist es ein ausdrücklicher Wunsch des verstorbenen Ägypters, im Gefolge der Sonnebarke mitziehen zu dürfen – teils ganz wörtlich, da die Barke von der unterweltlichen Gemeinschaft über die Untiefen mit einem Seil gezogen wird. Zwischen den „eigentlichen“ Göttern und den seligen Toten wird übrigens nie genau unterschieden.

Doch der Sonnengott zieht weiter, denn er fährt seiner Regeneration entgegen. Damit die Welt der Schöpfung Bestand haben kann, muss sie erneuert werden. Diese Schöpfungswelt aber wird von den Gefahren der Unterwelt bedroht, besonders durch die urweltliche Schlange Apophis. Apophis erscheint nicht als eine normale Schlange, sondern als ein riesiger Wurm ohne Sinnesorgane. Sie ist das Nichtsein selbst, sie verkörpert die Nicht-Welt vor der Schöpfung und damit den bedrohlichen Aspekt des Urzustandes. Ein anderer Urgott dagegen – das Urgewässer Nun – zeigt dessen helfendes Gesicht. Bei der Neugeburt der Sonne ist es Nun, der sie mit seinen Armen aus dem Wasser wieder an den Himmel hebt. Das Nichtsein des Urzustandes wird also nicht nur negativ konnotiert, sondern bildet geradezu die Voraussetzung für die Regeneration der Sonne.

Der erschlagene mumiengestaltige Gott Osiris ist natürlicherweise der Herrscher der Unterwelt. Sein Sohn Horus, der falkenköpfige kriegerische Gott, steht am Steuer der Sonnenbarke. Amun-Re und Osiris verschmelzen auf eine eigentümliche Weise miteinander. Osiris erscheint als Körper und Amun-Re als Ba der Sonne. Der Ba ist der aktive Teil der „Seele“ und wird häufig in Vogelgestalt dargestellt. Das Wort „Seele“ muss hier in Anführungszeichen stehen, weil es nicht mit den christlichen und modernen Konzepten von Seele verwechselt werden darf. Die Bas haben durchaus materielle Bedürfnisse, so dass ihnen beispielsweise im Pfortenbuch Kraut gespendet und Brot gegeben wird. Vom Körper unterscheidet ihn vor allem seine Unabhängigkeit von der Erdenschwere: Er kann sich also in die Lüfte erheben und an jeden Ort gelangen. Zur Verschmelzung von Amun-Re und Osiris bemerkt Hornung auf Seite 95: |“(…) in der Tiefe der Unterwelt vereinigen sich Re und Osiris zu e i n e m Körper und sind voneinander nicht mehr zu trennen, auch wenn sich ihre Verbindung spätestens am Morgen, beim Sonnenaufgang, wieder löst. Und da sich auf diese Weise die Vereinigung von Ba und Körper immer wieder vollzieht, kann man in Re den Ba des Osiris, in Osiris den Körper des Re sehen.“| Nur durch diese Vereinigung kann die verjüngte Morgengestalt der Sonne entstehen. Auch die seligen Toten erlangen ihre Wiedergeburt über diesen Prozess der Vereinigung von Ba und Körper.

Eine wichtige Rolle spielen an vielen Stellen des Buches die Bestrafung der Feinde des Sonnengottes und das Totengericht. Mit den Feinden sind diejenigen gemeint, die im Leben gegen die Ordnung der Maat handelten. Wer hingegen im Leben den Göttern die Maat darbrachte, brauchte sich vor diesen Strafen nicht zu fürchten. So stellt die Darbringung der Maat an die Götter durch den Pharao ein häufiges ägyptisches Motiv dar. |“Maat ist die richtige Ordnung der Dinge, die bei der Schöpfung gesetzt wurde, aber durch Tun oder Sprechen der Maat immer neu errungen werden muss. Sie ist Maß, Ausgewogenheit und Gerechtigkeit (…)“| (S. 24) Außerhalb des Umkreises der Maat regiert das Chaos. Wird die Maat verletzt, tritt eine andere heilige Ordnung, die der Rache, an ihre Stelle, um die Schöpfung zu schützen – eine Ordnung, die für den Menschen aber leidvoll ist. In der Unterwelt bedeutet die Anwesenheit der Maat die Garantie des Fortbestandes der Schöpfung auch nach dem Tode.

Unterm Strich

Erik Hornungs spannender Trip durch die Welten des altägyptischen Jenseits wirft auch den Heutigen betreffende Fragen auf. Wo liegen die Wurzeln unserer abendländischen Kultur? Was sagt es uns, dass wir in Ägypten eine Hochkultur sehen, die den Tod nicht wie die moderne Welt verdrängt und tabuisiert, sondern ihn ins Leben integriert? Können wir eine Bezug zu den Bildern des Mythos und der Götter wiedergewinnen, die dem Ägypter eine Verbindung zu einer höheren Wirklichkeit und einen festlichen Glanz auf seinem Leben schenkten?

Nach dem Willen des Autors soll sein Buch den verschiedensten Lesarten gerecht werden: Die Ideen der alten Ägypter könnten mit dem Verstand erklärt werden, man könne sich an ihrer Poesie erfreuen, sie können als Träume der Psyche, als ein Gang ins Unbewusste oder als esoterische Weisheit verstanden werden. Hornung selbst versucht nachzuvollziehen, was die Ägypter sich bei dieser Bilderfülle dachten. Wie immer versteht er es, den Leser damit zu fesseln. Zahlreiche Illustrationen aus den Unterweltbüchern veranschaulichen auch optisch die erläuterten Zusammenhänge und erleichtern den Zugang zu ihrer Welt. Wer sich nach der Lektüre weitergehend mit diesem Thema beschäftigen will, sei auf die im selben Verlag erschienene Übersetzung der Unterweltbücher („Ägyptische Unterweltsbücher“) von Erik Hornung verwiesen. Vielleicht vermag so mancher Leser den Lauf der Sonne dann mit anderen Augen zu betrachten …

Taschenbuch: 238 Seiten
ISBN-13: 978-3760812007

Vormals Artemis & Winkler Verlag, inzwischen beim Patmos-Verlag.

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Hornung, Erik – geheime Wissen der Ägypter und sein Einfluß auf das Abendland, Das

Mit diesem Buch liegt eine weitere faszinierende religions- und kulturwissenschaftliche Studie aus dem dtv-Verlag vor, die gleichzeitig akademischen wie an einem weiteren Publikum orientierten Ansprüchen gerecht wird. Der neben Jan Assmann wohl bekannteste deutsche Ägyptologe Erik Hornung (u.a. „Der Eine und die Vielen. Ägyptische Göttervorstellungen“) wendet sich hier sozusagen der europäischen Seite Ägyptens zu – also der Frage, welches Bild von Ägypten sich die Abendländer über die Jahrhunderte hinweg vom Land der Pharaonen und Pyramiden machten. Es geht ihm dabei nicht in erster Linie um die Erkenntnisse der modernen Wissenschaft zur ägyptischen Kultur, sondern um das esoterische Bild von Ägypten: Hornung nennt es Ägyptosophie. Es ist die Vorstellung von Ägypten als dem Ursprungsland der Einweihungen, des Geheimwissens und des Gottes Thoth, der im alten Griechenland zum Gott der Magie wurde und unter dem Namen Hermes Trismegestos eine Rolle in der europäischen Geistesgeschichte spielte.

Beim Lesen wird einem schlagartig bewusst, wie sehr ägyptische Überlieferungen und Legenden auf Europa gewirkt haben. Auch wenn natürlich die anderen alten Hochkulturen wie z.B. Babylonien oder China hier genauso rezipiert wurden, hat keine von ihnen die Popularität Ägyptens erreicht – außer vielleicht Indien, das interessanterweise schon bei den Griechen in einem Atemzug mit Ägypten genannt wurde, wenn es um den Ursprung göttlicher Weisheit ging. Ägypten ist demzufolge nicht nur ein exotisches, weit entferntes Land, sondern ein Symbol, das durch eine lange Tradition in Europa heimisch geworden ist.

Für einen renommierten modernen Wissenschaftler wie Hornung ist es ungewöhnlich, dass er dieses esoterische Ägyptenbild nicht etwa verdammt und als bestenfalls kulturgeschichtlich interessante Kuriosität belächelt. Nein – mit Erstaunen liest man Sätze wie den folgenden: „Trotzdem sollte es viel mehr Brücken und weniger Berührungsängste zwischen den Fachwissenschaften und der Esoterik geben, das wäre für beide Seiten fruchtbar.“ (S. 10) Weiterhin wendet sich Hornung deutlich gegen den Elfenbeinturm einer abgeschlossenen Fachwissenschaft. Er sieht es als ein beflügelndes Ziel für den Ägyptologen, an der Verwirklichung einer neuen geistigen Renaissance mitzuschaffen – ein Traum, wie er zugibt, aber kein unmöglicher. Er fordert von der Ägyptologie, dass sie den Kontakt mit der Öffentlichkeit suchen sollte, da Ägypten schließlich anregend auf Kunst, Musik und Alltagskultur gewirkt habe. Der hermetischen Weltsicht, also den sich u.a. auf Ägypten berufenden Weisheitssystemen, spricht er einen wichtigen Beitrag für die Sinngebung in unserer modernen Welt zu.

Den Leser erwartet also ein Buch, das weitgehend vorurteilsfrei mit seinem Thema umgeht. In dieser Hinsicht dürfte es bislang einmalig sein. Hornung kritisiert nur dort, wo sich das esoterische Bild zu sehr von den rekonstruierbaren Fakten entfernt. Ansonsten versucht er in allererster Linie zu verstehen und nachzufühlen. Für den Leser wird das Buch dadurch umso spannender.

Das Werk ist chronologisch aufgebaut, und so beginnt Hornung mit den altägyptischen Wurzeln für das esoterische Ägyptenbild. Dabei erfahren der schon erwähnte Gott Thot und der Mythos vom Weg der Sonnenbarke eine besondere Beachtung, welche ein bestimmendes Element in den Vorstellungen der Ägypter über das Jenseits darstellten. Initiationen in ein geheimes Wissen hat es nach allen bislang gewonnenen Erkenntnissen dort nicht gegeben. Ganz im Gegenteil – der Kult in Ägypten war ein Staatskult und von öffentlichen kollektiven Ritualen geprägt, die auf eine Regeneration der Menschen, auf eine Rückkehr in die Zeit der Mythen und der Schöpfung abzielten. So wurden z.B. der Mythos von Tod und Auferstehung des Gottes Osiris oder das Wiederfinden des Horuskinds durch die Gottesmutter Isis in riesigen Prozessionen dargestellt. Das war kein Theater, sondern wurde als ganz unmittelbare Wirklichkeit empfunden. Eine Einweihung in Mysterien (wie in dem Mysterienkult, der sich auf Isis bezog) hat es erst in griechischer Zeit, während des Hellenismus, gegeben. Die Vorstellung, dass die Menschen aus einem harmonischen paradiesischen Ursprungszustand in den unvollkommenen Zustand der Welt abfielen, gab es allerdings schon im alten Ägypten. Das „Buch von der Himmelskuh“ um 1350 v.Chr. spricht von einem Zusammenleben der Menschen mit den Göttern, das durch eine Empörung der Menschen gegen den Sonnengott beendet wurde. Die Menschen verfielen damit dem Alterungsprozess und dem Tod. In Ägypten liegt also eine der Wurzeln für die späteren gnostischen Vorstellungen.

Im hellenistischen Griechenland brachte man ägyptischer Priesterweisheit sehr viel Ehrfurcht entgegen. Von berühmten Gelehrten wie beispielsweise Pythagoras behauptete man, dass sie bei diesen Priestern in die Lehre gegangen wären. Obwohl die Astrologie nachweislich aus Babylonien stammt, wurde auch ihr ein ägyptischer Ursprung zugewiesen. In Griechenland liegt der Beginn alchemistischer Lehren, in deren Mittelpunkt allerdings der um 300 n. Chr. wirkende Ägypter Zosimos steht.

Hornung beschäftigt sich im folgenden eingehend mit der Gnosis und dem Corpus Hermeticum, einer Schrift, die sich als direkte Offenbarung des Gottes Hermes darstellte. In diesem Zusammenhang taucht auch der Name Imhotep auf, der im populären Bewusstsein heute durch einige Filme mit dem Bild der rachelüsternen lebenden Mumie verbunden wird, in Ägypten und Griechenland aber als Sinnbild des Weisen galt und mit dem griechischen Heilgott Asklepios identifiziert wurde.

Es folgen Kapitel über den Eingang ägyptischer Motive in das Christentum (Jesus wird in koptischen Überlieferungen beispielsweise als Magier betrachtet, der von einem Ägypter diese Kunst erlernt hat), über die Hieroglyphenmystik in der Renaissance und über die ersten Versuche frühneuzeitlicher Gelehrsamkeit, Ägypten zu deuten. Danach lenkt Hornung den Blick auf die geheimen Bruderschaften, die vom 17. bis ins 20. Jahrhundert hinein entstanden und sich dabei auch von ägyptischer Symbolik bzw. deren Abwandlungen inspirieren ließen. Geradezu als Erben ägyptischer Weisheit traten die ersten Theosophen auf. Helena Blavatsky, Begründerin der Theosophie, sah in den Pyramiden Einweihungsstätten.

Auch für Rudolf Steiner und die Anthroposophie wurde Ägypten wichtig. Steiner schrieb mehrere Mysteriendramen, von denen „Der Seele Erwachen“ Einweihungszenen in einem ägyptischen Tempel vorführt. In Vorträgen lehrte Steiner, dass sich die Ägypter der Mumifizierung bedienten, um die Verstorbenen daran zu hindern, aus der geistigen Welt wieder auf die Erde hinabzusteigen. Bei ihm findet sich auch ein Anklang an den modernen „Fluch der Pharaonen“, da er den Mumien eine Art „Giftatmosphäre“ und magische Drohung zuschrieb, die ihnen eingepflanzt wurde und auch heute noch tödlich wirken könne. Der modische „Mumienkult“ wird ebenfalls in einem eigenen Kapitel beschrieben. Hornung gibt eine Überschau ägyptischer Motive in der modernen Esoterik (z.B. das Tarot, Aleister Crowley, Reinkarnationsvorstellungen) und wirft einen Blick auf die afrozentrische Bewegung, die uralte ägyptische Kultur als Vorläufer einer schwarzafrikanischen Identität instrumentalisieren will.

Das Buch endet mit der Frage, inwieweit Ägypten uns Europäern mit seiner andersartigen Jenseitsvorstellung, seiner auf der Göttin Maat beruhenden pragmatischen Ethik und einem ganzheitlichen Denken, das in der Naturwissenschaft heute ja wieder auftaucht, eine Alternative vor Augen stellen und Impulse für eine neue Kultur geben kann. Man kann nur hoffen, dass Hornungs offener Ansatz in diesem Buch Nachahmer bei seinen Fachkollegen finden wird.