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[FEATURE] Andreas Eschbach – Die Haarteppichknüpfer

Die Erzählung wurde 1984 von der Stuttgarter Literaturzeitschrift „Flugasche“ (Verlag Reiner Brower) erbeten und in deren Themenheft „KINDER“ abgedruckt. Der Autor hat sie mehrfach auf Lesungen mit großem Anklang vorgetragen. Sie wurde mit dem Literaturpreis des Science-Fiction-Clubs Deutschland ausgezeichnet sowie mit dem belgischen Prix Bob Morane und dem französischen Grand Prix de l’Imaginaire. Mit Hilfe eines Stipendiums (s. u.) konnte Eschbach eine Reihe weiterer Erzählungen über das Universum der Haarteppichknüpfer schreiben und zu einem Episodenroman verknüpfen, den er 1995 zunächst im Münchener Schneekluth-Verlag als Hardcover veröffentlichte. Sein nächster Roman war „Das Jesus-Video“. Der Rest ist Geschichte.

Andreas Eschbach – Die Haarteppichknüpfer

Knoten um Knoten, tagein, tagaus, ein Leben lang, immer die gleichen Handbewegungen, immer die gleichen Knoten in das feine Haar schlingend, so fein und winzig, dass die Finger zittrig wurden mit der Zeit und die Augen schwach von der Anstrengung des Sehens – und die Fortschritte waren kaum zu merken; wenn er gut vorankam, entstand in einem Tag ein neues Stück seines Teppichs, das vielleicht so groß war wie sein Fingernagel. So hockte er an dem knarrenden Knüpfrahmen, an dem schon sein Vater gesessen war und vor ihm dessen Vater, in der gleichen gebeugten Haltung, die alte, halbblinde Vergrößerungslinse vor den Augen, die Arme auf das abgewetzte Brustbrett gestützt und nur mit den Fingerspitzen die Knotennadel führend.
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Andreas Eschbach – Herr aller Dinge

Der Kurd-Laßwitz-Preisträger 2012!

Andreas Eschbach, einer der geistreichsten deutschen Schriftsteller unserer Tage, knöpft sich auch diesmal weltverändernde Potenziale vor. Herr aller Dinge transportiert eine vielschichtige Geschichte, deren erzählerisches Hauptaugenmerk auf die Beziehung zweier höchst unterschiedlicher Menschen gerichtet ist – quasi der erste Liebesroman aus Eschbachs Feder, könnte man behaupten. Handeln tut er allerdings vor allem von den Entwicklungen, die Hiroshi Kato, eine der beiden Hauptpersonen, antreiben und schließlich zu bahnbrechenden Erkenntnissen führen – und Eschbach entwickelt die Geschichte so geschickt, dass sich Hiroshi einer unermesslichen Verantwortung stellen muss und damit – liebe Leserinnen, hört kurz weg – die tragische Beziehung zu Charlotte Malroux auch so endet, wie sie sich entwickelte.

Charlotte Malroux ist die Tochter des französischen Botschafters, zum Beispiel in Tokio, wo sie die Bekanntschaft eines Jungen aus der Nachbarschaft, des Sohnes einer Hausangestellten sogar, macht und aus dieser Bekanntschaft für den Jungen, Hiroshi Kato, etwas erwächst, was ihn sein Leben lang mit der Sicherheit einer Idee begleitet und leitet, denn es führt ihm den Sinn und Unsinn der menschlichen Würde am Maßstab der Güterverteilung mehr als einmal deutlichst vor Augen, ein Charakteristikum unserer Gesellschaft, das er ausschalten will. Widersprüchlich ist er sich des Schicksals seiner Begegnung mit Charlotte und der Bedeutung derselben in tiefster Sicherheit bewusst, so dass sich für ihn grundsätzlich nicht die Frage nach einer anderen Frau stellt, vor allem, nachdem er sie an einer amerikanischen Universität wieder trifft und sich ihre kindliche Beziehung mit derselben Selbstverständlichkeit fortsetzt, die sie auch schon in Japan auszeichnete.

Sowohl Hiroshi als auch Charlotte verfügen über außergewöhnliche Fähigkeiten, die bei Hiroshi weltlicher, intellektueller Natur zu sein scheinen, doch möglicherweise auf Charlottes Gabe zurück zu führen sind: Charlotte hat Zugang zu historischen Erinnerungen, sie sieht die Bilder und die stärksten Gefühle der Menschen, die irgendeinen beliebigen Gegenstand berührten. Dabei werden diese Bilder deutlicher und stärker, je länger ein Gegenstand im Besitz eines Menschen war. Die Verbindung zwischen dieser Gabe und Hiroshis Begabung im technisch-mathematischen Bereich wird in einer frühen Szene des Romans deutlich, als die beiden Kinder auf einem Ausflug ein Artefakt entdecken, ein Messer, das eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf Charlotte ausübt. Sie riskiert mehr als nur Ärger, als sie unbedingt versucht, das Messer zu berühren, um seine Geschichte zu erfahren. Unter den intensiven und schmerzhaften Eindrücken verliert sie das Gleichgewicht und Hiroshi fängt sie auf – und erlebt einen kurzen Kontakt über Charlotte mit dem Wesen des Messers. Dieser Zufall könnte von zentraler Bedeutung für die Ausprägung seiner unwahrscheinlichen Begabung sein.

Während sich nun auf der einen Seite alles um Hiroshis großes Ziel dreht, jedem Menschen zu jeder Zeit alles zu ermöglichen, ist die Beziehung der beiden Dreh- und Angelpunkt der weiteren Geschichte. Charlotte durchlebt emotionale Irrwege, bis sie an einer Expedition teilnimmt, durch die die Wende eingeleitet wird. Ab diesem Zeitpunkt fokussiert sich die Handlung immer mehr auf die Auswirkungen, die Hiroshi in der Entdeckung der perfekten Nanomaschinen erlebt, erkennt und befürchtet. Hier nimmt der Roman zwar deutlich sichtbar Charakteristika eines Science-Fiction-Thrillers an, und Eschbach scheut nicht einmal die Entfaltung des großartigen, umfassenden Erkenntnisbildes, ein Gefühl, das dem bewanderten SF-Leser als „Sense of Wonder“ geläufig ist. Trotzdem bleibt die Triebfeder die Beziehung zwischen den Protagonisten, aufgelockert durch eine auf Eifersucht basierende Intrige, die man sich getrost wegdenken kann. Dem gegenüber entwirft Eschbach ein grausames Bild von einer Menschheit, die vom Vernichtungswillen getrieben den Sprung in die Zukunft schafft. Mit dieser Erkenntnis der Möglichkeiten und im Science-Fiction-Sinn auch der eigenen Geschichte trifft Hiroshi seine Entscheidungen und sucht einen anderen Weg.

Die bedingungslose Zuneigung Hiroshis zu Charlotte und seine immerwährende Sicherheit, sie beide gehörten zusammen, führt tragischerweise dazu, dass er sich immer mehr von ihr distanziert. Hier kommen nämlich die Wirtschaftsmächte, Geheimdienste und Regierungen ins Spiel, die bei derlei gefährlichen Entdeckungen stets mit von der Partie sind. Logischerweise muss sich Hiroshi gegen eine einzelne Macht entscheiden, eine Tatsache, die sich schon lange durch die Literatur zieht und der sich auch Eschbach nicht verschließt. Also wird er als Gefahr eingestuft und verfolgt und muss Charlotte durch seine Abwesenheit schützen.

Man könnte denken, Hiroshi hätte seine Kenntnisse und Fähigkeiten auch einsetzen können, um unterzutauchen, doch sehen wir hier zwei Aspekte, die sich aus der Geschichte ergeben und das nicht zulassen. Charlotte erkrankte an einem Tumor, was Hiroshi natürlich kurz vor dem Showdown zu ihr lockte, um sie zu heilen – und damit die Verfolger auf den Plan ruft. Und Eschbach wählte Hiroshi als Japaner zum Protagonisten, um einen Menschen zu haben, der traditionell fähig ist, auch den letzten und endgültigen Schritt zu gehen und eine Weiche für die Zukunft der Menschheit zu stellen. Diese letzten Szenen des Romans kumulieren noch einmal alle Action und Gefühle, die sich mal auf- und abschwellend durch die Geschichte ziehen. Eschbach trifft den Nerv seiner Leser und schafft einen abschließenden Höhepunkt von ungeheurer Kraft. Der Kreis schließt sich in Gestalt eines Messers, das Charlotte als Erinnerungsstück von Hiroshi erhält. Und das eine Anleitung enthalten mag, sollte die Menschheit je für Hiroshis Erkenntnisse reif sein.

Viele Kritiker gelangen zu dem Schluss, dass Eschbach zwar außergewöhnliche Ideen umsetzt und tolle Romane schreibt, aber gleichzeitig eine unüberwindbar erscheinende Schwäche in dem Ende seiner Geschichten liegt, das den Leser oft verwirrt oder unbefriedigt zurücklässt. Mit „Herr aller Dinge“ widerlegt Eschbach diese Theorie, zwar nicht zum ersten Mal, aber in höchster Deutlichkeit und Selbstverständlichkeit, so dass man das Buch zuklappt – und erst einmal nichts sagt.

Gebunden, 687 Seiten
ORIGINALAUSGABE
ISBN: 978-3-7857-2429-3
Leseprobe
http://www.luebbe.de

Ausgezeichnet wurde der Roman mit dem Kurd-Laßwitz-Preis 2012
Die Jury des Deutschen Science Fiction Preises verlieh dem Roman den Zweiten Platz, knapp hinter Karsten Kruschels „Galdäa – Der ungeschlagene Krieg“.

Der Autor vergibt: (5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (2 Stimmen, Durchschnitt: 4,50 von 5)


 

Andreas Eschbach – Quest (Lesung)

Zwischen der Verpflichtung für ihren Pantap und der Sorge vor der großen Invasion des Sternenkaisers begibt sich der Fernerkunder Megatao auf die Suche nach der letzten Hoffnung. Kommandant Eftalan Quest und seine Mannschaft versuchen, was noch keinem Menschen glückte: Den Planeten des Ursprungs zu finden, die eine legendäre Welt, auf der alles Leben begann – doch um was zu tun …?

Andreas Eschbach wurde geboren, erlebte eine Kindheit, studierte Luft- und Raumfahrttechnik und arbeitete als Softwareentwickler, ehe es ihn nach Frankreich zog. Dort lebt und arbeitet er mit seiner Familie an der Bretagne im Urlaub.

Die ferne Zukunft: Die Menschheit hat sich über Galaxien ausgebreitet und dabei in die unterschiedlichsten Gruppierungen aufgespalten, so dass die einzelnen Völker voneinander nichts mehr wissen. In der Galaxis Gheera existiert das monarchische Reich des Pantap, und dieses Reich, obwohl gigantisch in seinen Dimensionen, wird von den Heerscharen des Sternenkaisers angegriffen. Noch kennt niemand die Streitkräfte des Gegners, doch es gehen Gerüchte über unglaubliche Massen an Kriegsschiffen, die über weit überlegene Technik gebieten. Da scheint es nicht abwegig, wenn der Pantap einen seiner mächtigen Fernerkunder, die Megatao unter dem Kommando des Kriegshelden Eftalan Quest, auf eine geheime Mission schickt, deren Ziel nur dem Kommandanten höchst selbst bekannt ist.

Quests Mannschaft arbeitet effizient und höchst erfolgreich an den einzelnen Abschnitten auf ihrem Weg, zum Beispiel entwenden sie der gigantischen Bibliothek von Paschkan, die von Außerirdischentechnik geschützt wird, die Heiligtümer, die gehütetsten Informationen, die von Außerirdischen berichten. So findet man schließlich das Volk der Yorsen, der ältesten und mächtigsten Wesen der Galaxis, und erhält dort den nächsten Hinweis auf dieser intergalaktischen Schnitzeljagd. Doch was wäre das alles wert ohne den Unsterblichen Smeeth, den man mit seinem beschädigten Raumschiff aus dem All fischt? Und was hofft Quest auf dem legendären Planeten des Ursprungs zu finden?

„Quest“ ist ein Roman aus den Anfängen des eschbachschen Schaffens. Das „Jesusvideo“ war schon geschrieben, und Eschbach erreichte Publikum außerhalb der Science-Fiction-Szene. Mit „Quest“, das er selbst als Geschenk an seine Fans beschreibt, machte er den letzten Schritt zurück in die offensichtlichen marketingtechnischen Niederungen des Prädikats „SF“, das im Folgenden von seinen Büchern für Erwachsene verschwindet. Quest, einstmals erschienen in wunderschöner großformatiger Paperbackausgabe mit Innenillustrationen auf buntem Hochglanzpapier, präsentiert auf den ersten Blick seine Zugehörigkeit zum „Raumschiffe, Aliens und T..ten“-Genre, wobei Letztere in allen anderen Bereichen der Literatur mindestens genau so präsent sind wie in der SF und Eschbach einen sich stets weiterentwickelnden Stil hat, sie in Szene zu setzen.

Ab diesem Zeitpunkt erscheint Eschbachs Science-Fiction also entweder getarnt als Thriller, oder in Form von Jugendromanen wie dem Marsprojekt oder zuletzt der „*Out-Trilogie“. „Quest“ spricht aber erfreulich direkt schon durch sein Titelbild den echten Fan an, was nicht bedeutet, es sei für andere Leser verschlossen – ein Vorurteil, unter dem die SF Zeit ihres Daseins leidet. Raumschiffe, fremde Galaxien, Sternenkaiser … na und? „Quest“ bietet mehr als ein Beziehungsdrama, in dem die Standesunterschiede und gesellschaftlichen Zwänge eine Rolle spielen; es gibt Ausblicke in die charakterlichen Untiefen des Menschen, egoistisches Handeln bis zur Selbsterkenntnis, Gott als Sinnbild negativer Motivation und schlicht wunderbare Unterhaltung an einer spannenden, gut erzählten Geschichte. Es macht seinem Titel Ehre, denn man kann die Geschichte ebenso auf diesen Aspekt reduzieren: Die Queste, die Suche nach dem Planet des Ursprungs, nach dem Mythos der Menschheit.

Quest als Protagonist ist ein mehrschichtiges Subjekt; er tritt zwar selten in Erscheinung und macht eher den Eindruck des überlegenen, hochintelligenten Kommandanten – über seine Beziehung zur ersten Heilerin erfährt man aber mehr von ihm, als der Schein vortäuscht. Im Grunde ist er ein zerstörtes Leben, zerfressen von Verantwortung und Heldenstatus, ein Mensch, der seine großen Verluste nie verwunden hat. Und doch scheinen diese Verluste ihn vor allem in seinem egozentrischen Weltbild zu bestärken, zeigt er doch nie Trauer oder menschlichen Verlust, sondern in erster Linie Verzweiflung über seine Unfähigkeit, über die Last, die das Schicksal ihm auferlegt hat, über Gottes Gleichgültigkeit. Er ist verbittert ob der Ausweglosigkeit seiner tödlichen Erkrankung, ohne die Möglichkeit, einen Verantwortlichen für die Geschehnisse zu finden als sich selbst.

Andere Charaktere haben ihre weltlicheren Probleme, so wie der erste Verweser (Quests Stellvertreter), der als Einziger in der Kommandohierarchie über Fähigkeiten verfügt und doch niemals ein Kommando wird führen können in der durch gesellschaftliche Strukturen geregelten Konzeption der monarchistischen Flotte des Pantap. Oder der junge Novize Bailan, der sich dem Abenteuer seines zölibatären Lebens gegenüber sieht, als er die Niedere kennenlernt, einer jungen Frau der untersten Kaste, die rechtlos und wertlos wie Leibeigene behandelt werden – auch ein Aspekt, den Eschbach schließlich für eine dramatische Wendung nutzt. Und nicht zuletzt der Unsterbliche, Smeeth, der von Narben übersäte Mann aus der Vergangenheit, der so unendlich viel mehr weiß und kann, als die menschliche Vorstellungskraft für möglich hält, und der sich doch an seine tierische Abstammung klammert, um das Alleinsein über die Jahrtausende zu ertragen. Er ist der Mensch, dessen Abgeklärtheit schließlich den einzigen Ausweg für Quest, den gescheiterten Kommandanten und Fahnenflüchtigen, aufzeigt. Und er ist der Mann, dessen bloße Existenz für die unaufhaltbare Invasion des Sternenkaisers verantwortlich ist durch die Mythen, die sich um ihn und seine Geschwister ranken, die Mythen der Unsterblichkeit, die die Sternenkaiser seit Menschengedenken verfolgen und zu erreichen trachten. Wenn man die Zustände in der Galaxis Gheera auf diesen Punkt reduzierte, würde man sogar Quests Zustand auf Smeeths Existenz zurückführen können. Ein unmenschlicher Gedanke.

Übrigens hängt im Speiseraum der Megatao ein kleiner Haarteppich, eine Kostbarkeit, die den Flechtenden Jahre seines Lebens kostet – was für die Zukunft der Galaxis noch eine ausschlaggebende Rolle spielen soll, wie Eschbach uns in seinem Romanerstling „Die Haarteppichknüpfer“ bereits miterleben ließ.

Sascha Rotermund als Sprecher ist für die neue Vertonung der Eschbach-Klassiker eine feste Größe. An seiner Stimme und Betonung lässt sich nichts aussetzen, es ist durchweg ein angenehmes Hörerlebnis, dem auch die nötige übergreifende Spannung nicht fehlt. Einzig die Namen haben eine eindeutige Anglisierung erhalten, was aufgrund ihrer Schreibweise durchaus im Rahmen des Vorstellbaren liegt, andererseits lässt sich jeder Name – vor allem auch in Anbetracht der zeitlichen Distanz zur Existenz des heutigen Englisch – auch unbedenklich deutsch aussprechen. Die Kürzungen, die aus redaktionellen Gründen anfallen mussten, fallen bei diesem Roman wieder erstaunlich unauffällig aus, und obzwar die vollständige Lektüre natürlich noch eine ganz andere Aussagekraft hat, bietet diese Lesung eine hoch zufrieden stellende und unterhaltende Leistung.

„Quest“ ist mithin einer der besten Romane Eschbachs.

6 Audio-CDs mit 442 Minuten Spieldauer
ISBN: 978-3-7857-4663-9

www.luebbe.de

Der Autor vergibt: (5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Andreas Eschbach – Ausgebrannt

Markus Westermann ist auf dem speziellen Trip, viel Geld mit »opi & opm« (other people’s ideas and other people’s money) zu machen. Die neue Ölkrise und mit ihr der »Öl-Guru« Block kommen ihm gerade recht. Block ist fest überzeugt von seiner Idee, dort Öl finden zu können, wo die moderne Geologie keines findet. Und er besitzt das Charisma, andere Leute zu überzeugen. Für Markus ist das die Gelegenheit seines Lebens, und er fackelt nicht lange.

Mit Block und seiner Methode im Schlepptau organisiert er eine erfolgreiche Risikoinvestment-Firma, die erste Bohrungen finanziert und – da tatsächlich Öl gefunden wird – die Sache groß aufzieht. Mit einem Schlag ist Markus reich und erfolgreich, findet die Frau seines Lebens und lebt unter den Reichen und Schönen New Yorks ein Leben voll Sex und Drogen. Bis die Firma »Block Explorations« einen Auftrag aus Saudi-Arabien annimmt. Trotz größter Anstrengungen scheitert Block und verschwindet unter mysteriösen Umständen, die Investmentfirma zieht ihr Kapital zurück und Markus versinkt in Schulden. Es ist programmatisch, dass er auf seiner einer Flucht gleichenden Jagd nach den Unterlagen Blocks, um seine Methode zu retten, plötzlich mit leerem Tank auf dem Highway steht und einen schweren Unfall verursacht, der ihn zurück nach Deutschland in eine spezielle Reha-Klinik bringt.

Die globale Lage spitzt sich zu, Saudi-Arabien steht vor den Ruinen seines Ölreichtums und muss das Versiegen der größten Quellen offenbaren, die Weltwirtschaft bricht ein. Erste militärische Schläge von China, USA und Russland versuchen, die übrigen Ölvorkommen zu verstaatlichen, Terroranschläge erschweren ebenso wie offizielle Beschränkungen den Ölhandel. Es ist absehbar, dass die industrialisierte Welt im Chaos versinken wird, wenn keine Alternativen entwickelt werden.

Block bleibt weiterhin verschwunden, Markus wird nun auch in Deutschland polizeilich gesucht, und eigentlich bleibt nur die Block-Methode als rettender Strohhalm. Markus plant seine Flucht nach Amerika, um nochmals zu versuchen, der Unterlagen habhaft zu werden, die vielleicht die Welt retten können …

Andreas Eschbach schaffte mit dem vorliegenden Roman erstmals den Sprung in die Top10 der Spiegel-Bestsellerliste. Seine Romane zeichnen sich von jeher durch die hohe atmosphärische Dichte aus, was noch bei seinem Erstling Die Haarteppichknüpfer von vielen Verlegern verkannt wurde. Mittlerweile gehört Eschbach zu den interessantesten Schriftstellern, die in der Romanwelt zu finden sind. Eschbach lebt und arbeitet in Frankreich.

Das Erdöl – weiß doch jeder, dass es nicht ewig reichen wird. In Deutschland wurde der Grüne Punkt eingeführt mit dem Hinweis, an die Kinder zu denken. Damals wurden die Karosserien der meisten Autos noch aus Blech gefertigt. Spätestens 2050, so heißt es im Volksmund, müssten die Erdölvorkommen erschöpft sein. Hat sich mit diesem verbreiteten Wissen irgendetwas in unserem Verhältnis zu diesem Rohstoff getan? Ja. Man sammelt Kunststoffe und führt sie Recyclinganlagen zu. Oder findet sie in der Wüste wieder. Man schafft gläserne Getränkeflaschen ab und trinkt nur noch aus Plastikflaschen. Zwischen den einzelnen Käsescheiben liegt kein Papier mehr, sondern eine Folie. Und die Autos bestehen zu immer mehr Anteilen aus Kunststoff.

Eschbach findet in »Ausgebrannt« noch weit wichtigere und augenöffnendere Beispiele für diese verkehrte Welt, in der das Öl so unglaublich billig und kurz vor dem Versiegen ist. Man macht sich keine Vorstellung davon, wie billig es wirklich ist; man sieht die steigenden Treibstoffpreise und schimpft auf die Ölscheichs. Okay, seit diesem Jahr auch auf die Mehrwertsteuer.

Eschbach selbst hat einmal gesagt, in einem Roman stünde nur die Spitze des Eisberges an Informationen, die der Autor im Laufe seiner Recherche zusammenträgt. Legt man das zugrunde, muss er jetzt eine Bibliothek über wirtschaftliche Zusammenhänge, das Ölgeschäft, die Weltgeschichte in Zusammenhang mit dem Öl und den Standpunkt der alternativen Energien besitzen. Und trotzdem fühlt man sich von diesen Informationen nicht erdrückt, sondern im höchsten Maß unterhalten, man ist gefesselt bis zur letzten Seite und dankt Herrn Eschbach für die Eröffnungen. Einiges ist allgemein bekannt, viel dagegen wird nicht in der Form publik gemacht; es wird viel zu selten mit diesem Thema konfrontiert und viel zu wenig unternommen, was dem Menschen zeigen würde: Wir verschwenden das Öl nicht sinnlos, wir sind auf der Suche nach Alternativen, und zwar ernsthaft.

Ob die Theorie von Block wahre Aspekte haben könnte, werden wir nie erfahren, hoffentlich. Der Gedanke, doch noch mehr Öl finden zu können, klingt faszinierend, führt aber letztlich nur weiter in die Sackgasse. Diese Erkenntnis sammelt Markus Westermann auf seiner Suche nach Reichtum und dem Gefühl, »es geschafft zu haben«, reichlich spät und lässt damit Raum genug, den Leser ein Bewusstsein für die Problematik entwickeln zu lassen. Wenn man nach der Lektüre ein Formel-1-Rennen guten Gewissens anschauen kann, wer nicht die verbrannte Energie fühlt, wenn ein LKW die Straße vorbeidonnert, der hat zu viele Pausen beim Lesen gemacht und sich nicht auf die Thematik und die Geschichte eingelassen.

»Ausgebrannt« beschäftigt sich nicht in ausgelutschter Art mit einer Endzeit voll Mutanten und barbarischen Diktatoren. »Ausgebrannt« verlagert die Probleme, die sich aus dem Thema ergeben, aus der nahen Zukunft in die Gegenwart, führt vor Augen, dass es jederzeit zu dem Zusammenbruch kommen kann, und erklärt auch die Gründe. »Ausgebrannt« erzählt die Geschichte von modernen Ölsuchern und ihrer Habgier, die sie lange die Augen vor der Wahrheit verschließen lässt. Und »Ausgebrannt« breitet sich über die gesamte Zivilisation aus, dringt in jeden Haushalt ein, in jede Regierung, in jede Firma, in das Bewusstsein der Kinder. Eschbach erzählt keine Geschichte über einige wenige Helden, auch wenn die Protagonisten naturgemäß wenige sind.

Im Zusammenhang mit dem Ende des Erdöls kommt man schließlich doch nicht am Weltuntergang vorbei. Eschbach schafft das Kunststück, ein befriedigendes Ende zu liefern, in dem der Protagonist zu einer Erkenntnis gekommen ist, die das Ganze umschlagen lassen könnte in die ultimative Katastrophe. Dabei wird gerade in den Möglichkeiten, die noch erforschbar wären, geschickt die Assoziation zu anderen Erkenntnissen in der Geschichte geweckt, die sich schließlich als Geißel herausstellten.

Die Lektüre des Buchs führt zu einem Punkt: Man macht sich Gedanken. Mission erfüllt. Ein Roman für den Nobelpreis.

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (2 Stimmen, Durchschnitt: 5,00 von 5)

Andreas Eschbach – Die Haarteppichknüpfer

Mit „Die Haarteppichknüpfer“ gab Andreas Eschbach sein Debüt im Roman. Die Geschichte spielt in einer fernen Zukunft, in einer fernen Galaxis, in einem Universum, das zu großen Teilen vom „Sternenkaiser“ beherrscht wird. Zu seinen Ehren und um seinen unvorstellbaren Sternenpalast zu schmücken, gibt es die Haarteppichknüpfer, die ihr Leben lang an einem einzigen Teppich aus dem Haar ihrer Frauen und Töchter arbeiten.

Andreas Eschbach lebt und arbeitet „im Urlaub“, in der französischen Bretagne, wohin es ihn kürzlich mit seiner Familie zog. Neben Science-Fiction-Romanen wie „Quest“, „Solarstation“ und den Jugendbüchern um „Das Marsprojekt“ ist er auch sehr erfolgreich mit den Thrillern „Jesus-Video“ (verfilmt), „Eine Billion Dollar“ und „Der Letzte seiner Art“. Mit „Der Nobelpreis“ wird im September 2005 sein neuester Roman erscheinen. Und seit 2005 ist sein erster Roman unter dem Titel „The Carpet Makers“ in den USA erschienen.
Weitere Infos: http://www.andreaseschbach.de.

Wohin damit?

In der Klause des Haarteppichknüpfers Oswan spielt sich eine Tragödie ab: Traditionell ernährt ein Knüpfer eine Familie mit vielen Frauen und Töchtern, um an verschiedenfarbiges Haar zu kommen, aber höchstens einen Sohn, da der Erlös eines Haarteppichs nur für eine Familie reicht. Oswans Sohn ist dem Gewerbe jedoch abgeneigt und besucht lieber die Schule und den Lehrer bei seinen Diskussionsabenden, um Bücher zu lesen (was verboten ist) und Wissen zu erlangen (was normalerweise unmöglich ist). Oswan ist verzweifelt. Es scheint ein Zeichen des Kaisers zu sein, als seine Frau einen zweiten Sohn gebärt. Oswan nimmt das traditionelle Schwert von der Wand und erschlägt den älteren.

Als ein Haarteppichhändler die Stadt besucht, sickert das erste Mal das Gerücht durch, der Kaiser habe abgedankt! Völlig unglaublich, denn der Kaiser herrscht schon seit Jahrtausenden über sein Reich. Es tauchen Männer auf, die sich Rebellen nennen und mit einer Fotografie des toten Kaisers ihre Überzeugungsmission beginnen, doch oft scheitern sie an den Traditionen und der Borniertheit der Menschen. Bis sie auf ein Geheimnis stoßen: Jeder Planet dieser Galaxis dient einzig der Haarteppichproduktion, und jeder Planet ist der Meinung, einziger Produzent zu sein. Doch im Sternenpalast findet sich kein einziger Haarteppich. Wohin also verschwindet die Produktion einer ganzen Galaxis?

Gut, aber warum?

Die „Haarteppichknüpfer“ kann man kaum nüchtern analysieren. Was genau macht diese Geschichte zu etwas Besonderem? Das große Rätsel um den Sinn der Teppiche und damit den Sinn des Lebens einer ganzen Galaxis hält eine große Spannung über den ganzen Roman aufrecht, in Bruchstücken erhalten wir die Informationen, die wir brauchen, um das Bild zusammenzusetzen, und langsam zeichnet sich ein faszinierendes, unglaublich weiträumiges Drama ab, dem wir aber bis auf die letzten Seiten nicht in letzter Konsequenz selbst auf die Spur kommen können, ohne die führende Hand der Protagonisten, wo der Archivar des Kaisers eine sehr wichtige Rolle spielt. Wie die Rebellen, stehen wir vor dem Berg des Wissens und wissen doch nicht genug, um die Wahrheit zu erkennen. Zum Glück entsteht eine erstaunliche Liebe, die einen Insider zu unserem Informanten macht, unter dessen gewaltigem Wissen das Rätsel seine Lösung findet.

Dieser eine Teil der Geschichte ist ein bisschen unbefriedigend, wenn man auf die großartige Handlung der vorangegangenen Kapitel zurückblickt. Hier enthüllt jemand in einer mündlichen Erzählung die letzten Geheimnisse; ohne diese Unterstützung hätte das Buch seine Aufgabe nicht erfüllen können. Und im Endeffekt stehen wir doch nur staunend vor der Geschichte, die sich noch unüberschaubar in die Tiefen jenes Reservoirs erstreckt, aus dem die guten Erzählungen stammen.

Auch nach zehn Jahren seit dem ersten Erscheinen des Romans fesselt er den Leser uneingeschränkt, womöglich durch seine Zeitlosigkeit, die er aus folgenden Tatsachen bezieht: Gheera, die Galaxis der Haarteppichknüpfer, dümpelt ihrerseits zeitlos dahin, gefangen in den Traditionen, die keinen Ausbruch erlauben; der Sternenkaiser lebt seit über hunderttausend Jahren und herrscht seit annähernd der gleichen Zeit über sein Reich, was eine zeitlose Stabilität erfordert, und Stabilität widerspricht der Veränderung. Außerdem verzichtet Eschbach auf irgendwelchen technischen Schnickschnack, der 1995 vielleicht futuristisch angemutet hätte, heute möglicherweise bereits überholt und damit Ballast für die Geschichte gewesen wäre.

Seelenfänger

Ursprünglich erschien das erste Kapitel des Romans als Kurzgeschichte. Erst einige Jahre später verfasste Eschbach auf dieser Grundlage den Roman, der die Geschichte der Haarteppichknüpfer, der Haarteppiche und der Menschen dieses Universums aus verschiedenen unterschiedlichen Blickwinkeln in kurzen Episoden erzählt und so ein großartiges Gesamtbild schafft, bis dem Leser der Atem stockt. Viel wurde über diesen Roman geschrieben, Eschbach erhielt Preise dafür und schrieb sich sofort in die Herzen seiner Leser (die jetzt ungeduldig auf den nächsten Science-Fiction-Roman warten), aber berechtigterweise werden einige Tatsachen immer wieder betont: Mit unfassbarer Ideenvielfalt führt uns Eschbach lebendige, fremdartige und doch seltsam vertraute Charaktere und ihre Probleme vor, lässt uns Teil haben an ihrem Schmerz und ihrem Glück, badet uns in dem See ihrer Erlebnisse und macht uns zum Teil ihrer Geschichte, indem wir uns während der Lektüre in ihrer Seele wiederfinden.

Orson Scott Card – Das große Spiel

„Das große Spiel“ behandelt die Geschichte eines jungen Genies und seine militärische Ausnutzung zur Errettung der Menschheit vor einer außerirdischen Gefahr, der die Erde vor einigen Jahrzehnten bereits knapp entkommen konnte. Diesmal soll sie endgültig beseitigt werden. Auf einer isolierten Militärschule für Genies im Kindesalter wird nach dem großen Führer gesucht, der die Streitkräfte der Menschen in den Sieg führen soll. Ender Wiggin scheint ein Kandidat für diesen Posten zu sein.

Orson Scott Card arbeitete als Theaterautor, bevor er mit „Ender’s Game“ seinen Durchbruch in der Science-Fiction hatte. Für die deutsche SF war Card in den letzten Jahren ein wichtiger Mann in den USA: Er trat für die Übersetzung und Veröffentlichung eines wichtigen deutschen SF-Romans ein, der dieses Jahr unter dem Titel „The Carpetmakers“ erschien. Damit schaffte Andreas Eschbachs Roman „Die Haarteppichknüpfer“ den Sprung über den großen Teich, was der Masse der deutschen Literatur nicht vergönnt ist. Card lebt und arbeitet in North Carolina.
Weitere Infos: http://www.hatrack.com

Körperlich ist Ender Wiggin nicht unbedingt der Größte. Geistig schon. Das zieht ihm viele Feinde zu, vor allem unter den körperlich großen, die geistig nicht so viel vorzuweisen haben. Als Ender in die unvermeidliche Bedrängnis durch Stilsson und seine Leute gerät, ist ihm klar, dass er sich nur mit einer äußerst brutalen und nachhaltigen Aktion vor späteren Nachstellungen der Gang schützen kann. Aufgrund dieser Erkenntnis tritt er Stilsson sofort in die Hoden und weiter in den Leib, als er zusammensackt. Er hört nicht auf, sondern attackiert sein Gesicht und jedes empfindliche Körperteil, bis der Gegner sich nicht mehr rührt.

Von seiner eigenen Tat verwirrt und entsetzt, lässt sich Ender alle Schikanen seines älteren Bruders gefallen, der ebenso wie er ein Genie ist, aber durch übermäßige Brutalität und fehlender Gefühle nicht für den Militärdienst taugt. Enders Schwester, seine einzige Vertrauensperson, ebenfalls Genie, aber durch vorherrschende Gefühle und fehlende Brutalität untauglich für den Dienst, tritt wie immer zwischen Peter und Ender, wenn es zu hart wird.

Ender wird zur Militärschule an der Peripherie des Sonnensystems berufen und im Kommenden völlig isoliert. Nur auf sich gestellt und im Zusammenspiel mit seinen Mitschülern, beginnt für ihn eine harte Zeit der Prüfungen, in der es keine Erleichterung gibt, nur immer schwerere Aufgaben. Dabei spielt das „Spiel“ die größte Rolle: In einem schwerelosen Raum werden taktische Kämpfe inszeniert, bei denen mit besonderer Technik realistische Treffer simuliert werden. Ender entwickelt sich schnell, wird der beste Spieler, gewinnt Ansehen – und wird in die nächste Stufe versetzt, ehe er sich ausruhen kann. Viel zu schnell kommt es zur Abschlussprüfung, die Ender nach einer Erschöpfungsohnmacht absolvieren soll. Danach wartet der Krieg auf ihn.

Card entwickelt die Geschichte aus der Sicht von Ender, dem sechsjährigen Genie, der immer allein und unterfordert war, weil die Lehrer nicht schlau genug für seine Fähigkeiten waren. Seine Gedanken und seine Sprache wirken oft eher wie die eines Erwachsenen (was Card auch häufig vorgeworfen wurde), doch erkennt man in den Details das Kind und seine Sehnsüchte, die viel zu früh vom Militär eingeschränkt, sogar völlig unterdrückt werden. Die Argumentation, er werde zum Nutzen und zur Rettung der Menschheit gebraucht (und missbraucht), schmeckt schal und erinnert an die Propaganda totalitärer Staaten wie jene des Dritten Reiches. Hier muss man aber trennen zwischen Card, der eine Geschichte erzählt, und der Geschichte, der bestimmte Gegebenheiten zugrunde liegen, nach denen sich auch der Erzähler richten muss. Nachdem die Menschheit knapp der totalen Vernichtung entgangen ist, hat sie sich unter einem militärischen Oberinteresse zusammengefügt und existiert intern politisch weiter wie zuvor, unbeweglich durch die Angst vor dem Feind, dessen Wiederkehr vor allem anderen befürchtet wird. Card stellt deutlich heraus, dass dieses Gefüge mit dem Ausschalten der Gefahr zerbrechen wird und alte Interessen die Oberhand gewinnen.

Diesem Aspekt der Geschichte widmet sich die Entwicklung von Enders Geschwistern, die über eine dem Internet vergleichbare Informationssphäre zu Macht und Ansehen kommen, mit dem großen Ziel, den Zusammenbruch der Zivilisation und den erneuten Ausbruch irdischer Kriege zu verhindern. Card beschrieb eine realistische Art von Internet, bevor es existierte, doch seine Einschätzung der Möglichkeiten ging ein wenig weiter, als wir es kennen gelernt haben. So ist es heute, vor allem unter Berücksichtigung der Dimensionen des Internets, undenkbar, allein durch Diskussionen in Foren oder Artikeln in E-Papers politische Macht zu erlangen.

Natürlich muss auch Ender den Weg aller Helden gehen: Weitgehend unbekannt und nach der Invasionsgefahr für die Menschheit nutzlos, verschwindet er in der Versenkung und sucht seinem Leben einen neuen Sinn zu geben. Die Dramatik dieser Tatsache kommt dem Leser deutlich zu Bewusstsein, auch wenn Card seinem Ender keine enttäuschten Gefühle einpflanzt, wegen denen er sich nach Anerkennung und Rampenlicht sehnen würde. Trotzdem: Wir fühlen die Ungerechtigkeit. Die Tragik findet in Enders Traum ihren Höhepunkt, als er auf die geistige Hinterlassenschaft des einstigen außerirdischen Gegners trifft.

Cards Anspruch, eine Geschichte ohne hintergründige Doppeldeutigkeiten zu erzählen und jedem Leser den Zugang zu ermöglichen, liefert als Resultat eine dichte Erzählung von größter Unterhaltung. Manche mögen sie verabscheuen, andere lieben sie, aber zu allen spricht sie, keinen lässt sie unberührt.

Andreas Eschbach – Der letzte seiner Art

In einem verschlafenen irischen Fischerdorf erwacht Duane Fitzgerald – blind und bewegungsunfähig bis auf seinen Arm. Obwohl er mit einem Kantholz auf sich einprügelt – eine bisher oft erfolgreiche Methode – bleibt er hilflos. Glücklicherweise berührt er zufällig ein bisher unbekanntes Implantat unter seiner Bauchdecke und ein Zucken lässt seinen Körper erbeben. Dieses ihm neue Implantat (obwohl er doch eigentlich seinen Bauplan auswendig kennt) scheint den Stromausfall zu bewirken, also greift Duane nach dem erreichbaren Taschenmesser, klappt die Ahle heraus (was sich in seinem Zustand als besonders kompliziert erweist) und durchstößt die Bauchdecke. Normalerweise würde ein internes System Enzyme ausschütten, die für Schmerzunempfindlichkeit gesorgt hätten, aber leider ist dieses ja derzeit inaktiv. Duane bleibt nichts anderes übrig, als sich unter Schmerzen mit der Ahle in den Eingeweiden herumzuwühlen, um den Wackelkontakt am Implantat zu beseitigen.

Andreas Eschbach
Geboren am 15.9.1959 in Ulm. Verheiratet, ein Sohn.
Studierte in Stuttgart Luft- und Raumfahrttechnik, wechselte aber noch vor dem Abschluss in die EDV-Branche, arbeitete zunächst als Softwareentwickler und war von 1993 bis 1996 geschäftsführender Gesellschafter einer EDV-Beratungsfirma. Nach fast genau 25 Jahren in Stuttgart lebt er seit September 2003 mit seiner Frau in der Bretagne. Quelle: http://www.andreaseschbach.de/

Klar ist Duane Fitzgerald, der Ich-Erzähler des Romans, ein Cyborg – eine kybernetisch-organische Mixtur, fabriziert und entwickelt von amerikanischen Militärs, um als unbesiegbarer Steel-Man mit einigen Gleichartigen eine Sondereingreiftruppe zu bilden. Eschbach verknüpft intelligent die Zeitgeschehnisse mit seiner Geschichte. So wurde der erste Golfkrieg durch die USA nur so in die Länge gezogen, um die Steelmen rechtzeitig einsatzbereit zu machen – bis dato waren sie lediglich gut ausgebildete Marines mit einem künstlichen Arm. Erst als offensichtlich wurde, dass das Projekt nicht mit der nötigen Geschwindigkeit voranschritt, ging die Army zu der bekannten letzten Phase des Krieges über – ohne Steelmen.

Es ist ein absolut geheimes Projekt, über Jahre und mehrere Präsidentenlegislaturen hinweg in der Entwicklung. Ist es vorstellbar, dass sich so etwas – als Projekt, unabhängig vom Detail – durchführen lassen könnte bei den kleinlichen Differenzen verschiedener Machthaber? Eschbach stellt es dar, als habe das Militär seine eigene Forschung betrieben, bis schließlich Clinton die Einstellung anordnete.

Aus der Ich-Perspektive des Cyborgs, der mit Verschleißerscheinungen zu kämpfen hat, erhält die Geschichte trotz der typischen Verschwörung und der Horrorvision von unbesiegbaren Übermenschen einen humorvollen Schlag, denn seine Gedanken sind manchmal so natürlich und sprunghaft, dass man über seine Menschlichkeit lächelt und seinen Charakter sofort akzeptiert.

[…] stand da, wippte auf den Fersen und sah straßauf, straßab. Ich wurde unruhig, je länger es dauerte. Wie lange kann man schon an seinen Schuhen herumfummeln, ehe die Umwelt anfängt, das merkwürdig zu finden? […] Die Frau kam näher. […] Mit etwas Glück waren ihre Augen schlecht genug, dass ihr entging, dass ich Slipper trug […]
-Auszug aus „Der Letzte seiner Art“, S. 58

Es ist auch eine Art von Galgenhumor, die zwischen den Zeilen von Duanes Erzählung durchklingt. Eigentlich ist er natürlich völlig unzufrieden mit seinem Leben, andererseits fühlt er sich an seine Eide gebunden. Er sieht sich als menschliches Wrack, und durch den Verschleiß seines Systems erhält dieser Blickwinkel eine ganz neue, erschreckend reale Bedeutung. Die Geschichte nimmt eine Wendung, die für ihn entweder das endgültige Ende oder einen Neuanfang bedeuten könnte, doch damit einher gehen plötzlich auftretende Gefahren, die selbst für einen Steelman tödlich sein können – sind die Attentäter jetzt von den eigenen Leuten angeheuert oder vom Feind, der in den Besitz der Cyborgtechnik kommen will? Auf jeden Fall ist er gut über das Innenleben und die Möglichkeiten der Cyborgs informiert, so dass Duane nach und nach erfährt, wie seine Gleichartigen unauffällig ausgeschaltet wurden.

Zu diesem Zeitpunkt wird ihm klar, was wir schon länger befürchten: dass es um sein Leben geht, nicht nur um gewisse Annehmlichkeiten wie den frei gewählten Wohnort. Trotzdem wirken seine Gedanken (die eigentlich eine aufgeschriebene Erzählung darstellen, aber das erfahren wir erst später) manchmal in ihrer Analyse wie von einer außenstehenden Person, um dann wieder in das Innerste vorzudringen. Eschbach beginnt jedes Kapitel mit einem Zitat von Seneca, dessen Philosophie für Fitzgerald die einzige Möglichkeit darstellt, sein Schicksal zu ertragen. Er versucht, nach dieser Philosophie zu handeln und betrachtet dabei sein Bemühen skeptisch. Vor allem die Totalität des Endes fasziniert ihn, und so ist nicht verwunderlich, dass sich daraus eine Lösung für ihn selbst entwickelt.

„Der Letzte seiner Art“ ist eine Charakterstudie, die sich mit der ausweglosen Tragik eines Übermenschen befasst und in diesem Gewand ein heikles, gleichwohl sehr oft behandeltes Thema aufgreift. Was kann der Bürger schon von den Machenschaften und Projekten solcher Regierungen oder Militärs wissen? Auf der anderen Seite: Schürt man mit diesen Spekulationen nicht eine gewisse Furcht? In diesen Tagen vielleicht gar nicht so unsinnig.

Der Roman fließt ruhig dahin, unter einer stetigen Spannungssteigerung. Aber Eschbach zeigt trotzdem seine vielfältigen Künste, denn das Tempo erhöht sich schlagartig um ein Vielfaches, als der Cyborg sein System voll aktiviert (und damit schneller als jede menschliche Reaktion agieren kann). Danach fällt es wieder ab und lässt uns unseren Herzschlag beruhigen, um weiter dem Finale entgegenzustreben. Ein düsterer, philosophischer, sehr unterhaltsamer und eindringlicher Roman.