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Pinternagel, Stefan / Neumann, Hans-Peter / Hoffmann, Christian – Kurt Vonnegut jr. und die Science Fiction

_Konziser Einstieg in Werk & Leben Vonneguts_

Dies ist der 17. Band in der Sachbuch-Reihe „SF Personality“ des Berliner |Shayol|-Verlags. Kurt Vonnegut (*1922) gilt als Humanist, Schwarzseher, Apokalyptiker, Idylliker und Zivilisationspessimist, als Satiriker „von heiterer Ironie und beklemmender Brutalität“ – oder einfach als Autor satirischer SF-Romane. Er selbst behauptete immer wieder, seine Bücher seien keine Science-Fiction, sondern weitaus fremdartiger. Nicht nur in den USA haben einige seiner Werke Kultstatus erlangt. (Verlagsinfo)

_Der Autor Kurt Vonnegut jr._

Der amerikanische Autor Kurt Vonnegut jr. wurde 1922 am Tag des Waffenstillstands von Compiègne, dem 11.11., geboren. Wie man seinem Namen schon entnehmen kann, ist er deutscher Abstammung. Seine Eltern lebten in Germantown, einem Ortsteil von Indianapolis, und entsprechend war auch sein Umfeld von deutschen Traditionen geprägt.

Wenn es nach Familientradition gegangen wäre, dann hätte auch Kurt Architekt werden müssen. Doch da die Branchenaussichten schlecht waren, zog er zunächst den Militärdienst vor. Allerdings wurde er erst 1944 in den Einsatz geschickt. Er wurde mit seinem Bomber abgeschossen und kam in Kriegsgefangenschaft nach Dresden. Dort erlebte er im Februar 1945 den alliierten Bomberangriff, der die Stadt in Schutt und Asche legte. Dies erzählt er eindrucksvoll in seinem verfilmten Roman [„Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug“ 3005 sowie in „Mutter Nacht“.

Nach seiner Rückkehr in die USA heiratet Kurt am 1.9.1945 seine Jugendliebe Jane Marie Cox, zieht mit ihr nach Chicago, um Anthropologie zu studieren, beginnt als Reporter zu arbeiten und zieht 1947 nach Schenectady an der Ostküste, um als Public-Relations-Mann für den Konzern General Electric zu arbeiten. Das ist eine ganz neue, ganz andere Welt für ihn. Dass sein Bruder Bernard in der Forschungsabteilung arbeitet, hält Kurt nicht davon ab, die Atomwaffenproduktion des Rüstungskonzerns aus tiefstem Herzen abzulehnen. Ab 1949 betrachtet er sich als Schriftsteller und verkauft die ersten Storys und Artikel. Er kündigt den GE-Job 1951 und zieht nach Cape Cod, Massachusetts.

Bis heute hat Vonnegut über ein Dutzend Romane geschrieben, Dutzende von Kurzgeschichten veröffentlicht sowie einige Theaterstücke produziert. Einiges davon wurde aufgeführt, verfilmt, in eine Oper (Schlachthof 5) umgearbeitet und vieles mehr. In den neunziger Jahren erklärte Vonnegut, er wolle nicht mehr schreiben. Zuletzt erschien auf Deutsch im Jahr 2006 jedoch das Erinnerungsbuch „Mann ohne Land“ (Pendo-Verlag, München und Zürich, 170 Seiten, 16,90 EU).

_Die drei Autoren_

Stefan Pinternagel, geboren 1965 in Straubing, seit 1995 in Augsburg lebend, ist Autor düsterer Phantastik wie [„Fragmente“ 2973 und „CyberJunk“. Zuletzt erschien der SciFi-Roman „Und morgen der ganze Weltraum“. Zudem hat er weit über hundert Artikel in diversen Print- und Onlinemedien veröffentlicht. Seine Werke waren nominiert für den Kurd-Laßwitz-Preis und den Bayerisch-Schwäbischen Literaturpreis, einige kleinere Auszeichnungen hat er bereits verliehen bekommen.

Zu den weiteren Autoren dieses Buches gehören Hans-Peter Neumann, der die umfangreiche und detaillierte Bibliografie beitrug, sowie Christian Hoffmann, der Vonnegut bei einer Lesung im Münchner Schlachthof (wie passend!) begegnete.

_Inhalte_

Das Buch ist wie eine wissenschaftliche Monografie aufgebaut und folglich auch so gegliedert und durchnummeriert. Die Gliederungsebenen reichen nur bis zur 2. Ebene, lauten also maximal 11.6. Eine dritte Ebene wurde vermieden (im Gegensatz zur Bibliografie). Durch diese Gliederung wird erstens die Übersicht gewährleistet, zweitens lassen sich dadurch auch Querverweise viel leichter unterbringen und nutzen. Praktisch auf jeder Seite beginnt ein neues Unterkapitel, und so ist das Finden eines Querverweises anhand der Gliederungsangabe sehr einfach.

|Die Biografie|

Ich habe die Biografie oben gerafft wiedergegeben. Weitere Gattinnen, Kinder und Selbstmordversuche habe ich übergangen, aber sie werden in den Jahren ab 1951 ebenfalls abgedeckt. Natürlich endet die Biografie eigentlich erst mit dem Ableben des verehrten Schriftstellers. Erstaunlich ist vielleicht die Erwähnung der Tatsache, dass sich Vonnegut auch als Maler betätigt.

|Die Kurzgeschichten und Romane|

Pinternagel geht strikt nach der Chronologie vor, wenn er die einzelnen Kurzgeschichten, Romane, Theaterstücke (z. B. „Happy Birthday, Wanda June“), Memoiren und sonstigen Werke vorstellt und würdigt. Die Angaben sind möglichst detailliert. So fehlt bei den Storys weder der Monat noch das Jahr oder gar die Publikation, bei allen Werken ist stets – sofern übersetzt – auch der deutsche Titel angegeben. (Eine Ausnahme ist natürlich „Venus on a Half-Shell“, das nicht von Vonnegut stammt. Dazu unten mehr.) Stets wird auch aus dem Werk zitiert.

Sehr löblich sind die zahlreichen Illustrationen: Wiedergaben der Titelseiten der entsprechenden Magazine oder Bücher. Meist handelt es sich um die deutschen Ausgaben. Das ist für den deutschen Sammler ja auch wichtiger. Bei wichtigen Publikationen wie etwa „Katzenwiege / Cat’s Cradle“ sind beide Sprachen berücksichtigt.

|Die Bibliografie|

Dieses umfangreiche und unentbehrliche Kapitel umfasst auf 16 Seiten exakt 68 Einträge der obersten Ebene. Darunter können, etwa bei einem Erzählband, beliebig viele Untereinträge folgen, meist sind es aber nicht mehr als ein Dutzend.

Bei wichtigen Werken wie etwa den bekannten Romanen „Katzenwiege“ oder „Schlachthof 5“ werden auch die verschiedenen Ausgaben in den deutschen Verlagen aufgeführt. Hat eine Ausgabe mehrere Auflagen erlebt, wie etwa „Katzenwiege“ bei |Rowohlt|, so werden in der 3. Gliederungsebene auch die einzelnen Auflagen aufgeführt (S. 78). Dieses Phänomen ist zum Glück sehr selten, denn der geistige Nährwert solcher Listen ist sehr begrenzt, von der optischen Ödnis mal ganz abgesehen.

Da die Bibliografie nichts mit dem Buchaufbau zu tun hat, ist der Leser auf den Index angewiesen, um entsprechende Suchbegriffe zu finden, z. B. „Kilgore Trout“ auf S. 35 und 47.

|Vonneguts Lesung in München|

Christian Hoffmann erlebte diese Vonnegut-Lesung am 5. Oktober 1998. Da sie im Wirtshaus „Ottis Schlachthof“ stattfand, passte sie thematisch recht gut zu Vonneguts Roman „Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug“. Harry Rowohlt las aus den Büchern vor, insbesondere aus dem neu erschienenen Roman „Zeitbeben“. Der Eindruck, den Vonnegut beim Chronisten hinterließ, war der eines humorvollen, wenn auch etwas düsteren Zeitgenossen.

Dann kommt die Pointe seines Berichts. Um sein Gedächtnis nach 2400 Tagen wieder etwas aufzufrischen, greift Hoffmann zum letzten, absolut verzweifelten Mittel: Er ruft Kilgore Trout an. (Zur Erinnerung: KT ist eine Erfindung KVs.)

|Der Literaturhinweis auf „Venus on a Half-Shell“ von Kilgore Trout|

Dies ist ein Literaturhinweis zu Philip José Farmers SF-Roman „Venus on a Half-Shell“, der im |Knaur|-Verlag unter dem Pseudonym „Kilgore Trout“ (!) erschien. Den Namen hatte Farmer von Vonnegut entliehen. Warum der Hinweis? Der Klappentext der deutschen Ausgabe zitiert aus dem Roman. Das Zitat deckt sich in auffälliger Weise mit einem Textauszug aus der deutschen Übersetzung des KV-Roman „God Bless You Mr. Rosewater“. Auf Seite 47/48 wird Farmers Machwerk so kurz wie möglich vorgestellt, und zwei Zitate belegen den üblen Eindruck, den es hinterlässt. Auf Seite 35f wird der Rosewater-Roman vorgestellt, in dem Kilgore Trout seinen ersten Auftritt hatte.

Anhang II listet die medialen Verarbeitungen von KVs Werken auf, darunter Filme und TV-Produktionen. Nach den Quellenangaben, die auch Webadressen aufführen, folgt der Index.

_Mein Eindruck_

Wer sich einen schnellen Überblick über das Werk eines SF-Schriftstellers verschaffen möchte, der ist mit der |Shayol|-Reihe „SF Personality“ gut bedient. Man erhält konzise Informationen, ohne gleich mit Fußnoten erschlagen zu werden. Auch mit Meinungen und Spekulationen des Verfassers wird man nicht belästigt, sondern vielmehr beschränkt sich der Verfasser darauf, die wichtigsten Fakten zu einem Werk oder einer Schaffensperiode herauszuarbeiten, insbesondere auch durch Zitate. Nur bei der Darstellung von „Schlachthof 5“ hätte ich mir noch ausführlichere Informationen gewünscht, aber das ist meine persönliche Meinung – schließlich bedeutete dieser Roman KVs literarischer Durchbruch auf die Mainstream-Ebene, nachdem er jahrelang SF und Phantastik schreiben musste, um etwas zu verdienen.

Vonnegut als Mensch kommt ebenfalls recht gut zur Geltung, und ein halbwegs genaues Bild entsteht. Allerdings ergeht sich der Verfasser nicht in philosophischen Exkursen, was es mit KVs pessimistischer Weltanschauung auf sich habe. Jeder Leser mit ein wenig gesundem Menschenverstand kann sich den Rest zusammenreimen und zwar anhand dessen, was KV erlebt (im Zweiten Weltkrieg, aber auch in seinem Job bei General Electric) und geschrieben hat (also durch das vorliegende Buch).

Der umfangreiche Anhang genügt, soweit ich dies als Literaturwissenschaftler beurteilen kann, auch wissenschaftlichen Ansprüchen. Das bezieht sich aber lediglich auf die umfangreiche Bibliographie, die wie alle Bibliographien aus dem Hause |Shayol| ganz hervorragend gemacht ist (hierfür zeichnet Hans-Peter Neumann verantwortlich). Fuß- bzw. Endnoten fehlen hingegen, was bei einer wissenschaftlichen Arbeit ungewöhnlich ist. Immerhin gelingt es dem Interessenten, solche Schlagworte wie „Bokononismus“ oder „Tralfamadore“ über den Index aufzufinden und zu klären.

|Schwächen|

Es gibt ein paar bedauerliche Druckfehler, die ein Korrektor hätte finden können. Auf Seite 38 unten heißt es „benetzt“ statt „benutzt“, auf Seite 58 links ist aus „armenisch“ plötzlich „aramäisch“ geworden. Auf Seite 61f ist dreimal die Rede von einem KV-Buch namens „Fats worse than death“. Dieser Titel ergibt erst nach einem Blick in die Bibliografie (S. 74) einen Sinn, wo es „Fates worse than death“ heißt: Schicksale, schlimmer als der Tod.

_Unterm Strich_

Der Einstieg in das Werk eines der wichtigsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts wird durch das vorliegende Buch sehr erleichtert. Doch es fällt mir schwer, bei einem Buchumfang von 93 Seiten von einer „umfassenden Darstellung“ zu sprechen. Das Buch erhebt auch nicht den Anspruch, sich kritisch mit KV auseinanderzusetzen, sondern will eine „ausführliche Übersicht“ über Leben und Werk KVs liefern. Das ist dem Team von Verfassern im Rahmen ihrer Möglichkeiten gut gelungen. Insbesondere die vielen Titelbilder und die ausgezeichnete Bibliografie sprechen für das Buch, das mit knapp zehn Euro noch im Bereich des Erschwinglichen für einen Studenten liegt.

|93 Seiten|
http://www.epilog.de/shayol/

Pinternagel, Stefan T. – Fragmente

Stefan T. Pinternagel, den Namen wird man sich merken müssen. „Fragmente“, seine ultimative Huldigung an die Abgründe der menschlichen Seele, ist das bei weitem bewegendste und beängstigendste Buch, das ich seit langem in die Finger bekommen habe. Zweiunddreißig Kapitel enthält dieses Kleinod der Gewalt, in dem der Erzähler durch seine tägliche Arbeit führt. Diese besteht zum größten Teil aus der Säuberung der Menschheit, durch des Erzählers – er nennt sich selbst den „Holiday-Killer“ – Hand. Es zeigt sich bereits in der Einleitung des Buches, dass dieser Schinken nichts für Zartbesaitete werden wird. Mit eiskaltem Gemüt berichtet der Killer über sein Treiben, seine Motivation, die anonyme Masse der alltäglichen Menschenflut zu durchdringen, einzelne, frei Erwählte darunter zu kennzeichnen, um dann schlussendlich seine gnadenlose Jagd zu einem befriedigendem Abschluss zu bringen. Allein die Einleitung lässt uns ob der seelischen Erstarrtheit und des Rechtsempfindens des fiktiven Erzählers frösteln und ein Buch erwarten, das im besten „Natural Born Killers“-Stil von der Lust am Töten erzählt, der Motivation zu reinigen.

Pinternagel versetzt sich erschreckend tief in diese Seele hinein und legt die Taten des „Holiday-Killers“ in der krassesten Bildsprache dar. Zermalmte Knochen, platzende Augäpfel, quellende Eingeweide, Erniedrigung bis hin zu Vergewaltigung, Blut, Ekel, Erbrochenes und Menschen, die sich in der grüngelben Pampe züngeln. Wer meint, er hätte bereits seinen Meister in Sachen literarischer Härte gefunden, wird nun eines Besseren belehrt.
Das Brutalste an dem Buch ist dennoch sicherlich, dass der Killer aus der Ich-Perspektive erzählt und so seine Taten und vor allem seine abstrakte Motivation erschreckend greifbar werden. Die Bilder schießen einem zwangsläufig durch den Kopf und was man sieht, lässt den Leser in einem Strudel gänsehäutigen Ekels erstarren.
Der Killer schlägt erzählerische Haken, vergleicht seine „Arbeiten“ mit denen seiner großen Vorbilder, den größten Serienkillern aller Zeiten, denen er in charmanter Art und Weise kleine Kapitelchen widmet.

Der Stolz, mit dem er über tausend seiner Morde berichtet, bildet die Grundlage dieses Buches, das lose von einer Rahmenhandlung, oder besser, von den beiden Hauptfiguren Jutta und Hans-Peter, einem deutschen Pärchen, zusammengehalten wird. Diese beiden sind eigentlich null wichtig, agieren als praktische Anschauungsobjekte der Handlungen und werden gerade aufgrund ihrer Normalität und Anonymität zu Opfern wie es auch du und ich hätten sein können. Ziellos erwählt, hat es diesmal die beiden getroffen. Doch der Killer lässt keine Seite aus, daran zu erinnern, dass es das nächste Mal auch dich treffen könnte.

Der Killer ist, wie auch häufig in der grausamen Realität, charmant, ein Nobody, gesichts- und konturlos. Er passt sich dem an, was er am meisten hasst und kann so unenttarnt seiner Arbeit nachgehen. Er verschwindet in der breiten Masse, indem er zu einem Teil von ihr wird und sich gibt, wie sich vertrauenswürdige Menschen geben sollten. Vertrauen ist ihm ins Gesicht geschrieben, auch wenn man nur zu schnell merkt, dass man mit seiner Einschätzung merklich auf dem Holzweg war.

„Fragmente“ zeichnet ein einzigartiges Psychogramm, dessen Umsetzung dem Autor selber einige schlaflose Nächte bereitet haben dürfte. Denn so abgründig, wie sich Pinternagel in die kranke Psyche seines „Helden“ hineinversetzt, könnte man glatt meinen, er hätte einen Tatsachenbericht geschrieben.

Bei aller Perversion, aller Brutalität und allem negierten Rechtsverständnis, die es zweifellos in der Welt gibt, bleibt festzuhalten, dass Pinternagels „Fragmente“ eben nicht dieser Tatsachenbericht ist, sondern eine fragile, psychisch fordernde, fiktive Auseinandersetzung mit dem Wesen eines Monstrums. Die hohe Kunst des Buches ist der Brückenschlag zur Realität, die flächendeckend auf den Seiten mitschwingt. Denn trotz aller Fiktion sieht man ähnliche Geschichten der Perversion, medienwirksam aufbereitet, allabendlich in der Tagesschau.

Herr Pinternagel, ganz großes Kino! An all diejenigen, die sich nicht an Psychothrillern und Psychogrammen satt lesen können: Holt euch „Fragmente“, ihr werdet dieses Buch so schnell nicht vergessen können. Extraklasse!!!

http://www.atlantis-verlag.de/