Johannes Thiele (Hg.) – Gänsehaut garantiert

Thiele Gänsehaut Cover kleinInhalt:

Dreizehn Gruselgeschichten, sortiert nach den drei klassischen Kategorien dämonische Verfolgung, Rache aus dem Jenseits und Tod durch Geisterhand:

Dämonische Schatten

– Richard Matheson: Die Beute (The Hunt, 1952), S. 9-26: Ignoranz kann sich rächen, wenn man wie diese junge Frau als Geburtstagsgeschenk ausgerechnet eine magische Jägerfigur aus Afrika erwirbt, die auch in ungewohnter Umgebung nicht von ihrem Auftrag lassen mag.

– Eleanor Scott: Die Gestalt am Strand (The Cure, 1929), S. 27-51: Natürlich lässt sich ein wackerer Engländer nicht von abergläubischen bretonischen Küstenbewohnern daran hindern, einen verwunschenen Strandabschnitt zu durchwandern, was dessen gruselige Bewohner freudig zur Kenntnis nehmen.

– Pamela Sargent: Die alte Finsternis (The Old Darkness 1983), S. 52-73: Ein simpler Stromausfall erweist sich als Attacke einer archaischen Macht, die im Schutz der Dunkelheit ihrem bösen Treiben nachgeht.

– Gary Brandner: Jeder Dämon hat seinen Preis (The Price of a Demon, 1972), S. 74-91: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht, wie eine allzu talentierte Freizeithexe schmerzhaft erfahren muss.

Unheimliche Rache

– Robert Aickman: Herz und Hand (Hand in Glove, 1979), S. 93-127: Die enttäuschte Frau wünscht ihrem ehemaligen Lebensgefährten erfolgreich nur das Schlechteste, bis dieser aus dem Jenseits zur Gegenattacke ansetzt.

– E. F. Benson: Der Wunschbrunnen (The Wishing Well, 1934), S. 128-147: Als Instrument der Rache taugt der Titel gebende Wasserspender gut, doch wer sich seiner bedient, sollte aufpassen, dass sein Feind keinen Wind davon bekommt.

– H. P. Lovecraft: Das Ding auf der Schwelle (The Thing on the Doorstep, 1937), S. 148-185: Der Geist eines finsteren Magiers fährt in einen naiven Tropf, dessen Gegenwehr radikal aber leider vergeblich ist.

– Edgar Allan Poe: Das verräterische Herz (The Tell-Tale Heart, 1843), S. 186-192: Irrsinn gebiert Gräueltaten, die dem Verursacher völlig logisch erscheinen, zumal sie sich die Rache des Opfers gleich mit fantasieren.

Geheimnisvoller Tod

– Bram Stoker: Das Geheimnis des wachsenden Goldes (The Secret of Growing Gold, 1897), S. 195-211: Noch eine betrogene Braut, die hier ihr Blondhaar aus dem Reich der Geister wallen lässt.

– Friedrich Gerstäcker: Der Dreizehnte (1859), S. 212-263: Glaube versetzt Berge, Aberglaube begräbt Menschen; diese Lektion lernen einige honorige Herren auf die denkbar härteste Tour.

– Anne Rice: Frenière (Freniere, 1976), S. 263-273: Die Zwietracht zweier Vampire
bringt Tod und Verderben über eine Familie, sät aber auch den Keim des Neubeginns.

– W. L. George: Im Wachsfigurenkabinett (Waxworks, 1922), S. 274-291: Zwei Pechvögel geraten in die genannte Einrichtung, zwischen deren stumme Attraktionen sich ein Meuchelmörder gemischt hat.

– J. G. Ballard: Zone des Schreckens (Zone of Terror, 1960), S. 292-317: Wahnsinn kann sich verselbstständigen und ansteckend sein, was die üblichen Folgen noch weitaus dramatischer ausfallen lässt.

Das doppelt finstere Jenseits

Angenehme Überraschungen erlebt man als eifriger Leser irgendwann nur noch selten. Umso schöner ist es, wenn es trotzdem geschieht: Dieses unauffällige, ja, lieblos ‚layoutete‘ Buch erweist sich als höchst interessante Entdeckung für den Fan der klassischen phantastischen Literatur. Dreizehn Kurzgeschichten – die Zahl ist dem Thema zufällig angemessen – hat ein offensichtlich kundiger Herausgeber gesammelt. Keine Erstveröffentlichungen sind dabei; das hat das schmale Budget wohl nicht hergegeben. Stattdessen finden sich – neben einigen unvermeidlichen Wiedergängern – Storys, die schon lange vom deutschen Buchmarkt verschwunden sind und mit deren Wiederauftauchen man nicht im Traum gerechnet hätte.

Aber da sind sie: 13 Perlen des Genres Spukgeschichte, gegliedert in drei Großkapitel, entstanden zwischen 1843 und 1983. Eine chronologische oder geografische Gliederung lässt sich nicht feststellen. Das Leitthema ist die Präsenz des Übernatürlichen in der diesseitigen Welt, wobei dieser Besuch von drüben sowohl schleichend als auch massiv Einlass begehrt, auf jeden Fall jedoch bedrohlich ist. Heimsuchung, Rache, Tod; die Grenzen zwischen den grob kategorisierten Storys sind fließend.

Buchstäblich klassisch gehen Eleanor Scott (d. i. Helen M. Leys, 1892-1965), Edward Frederic Benson (1867-1940), Howard Phillips Lovecraft (1890-1937), Abraham Stoker (1867-1912) und Walter Lionel George (1882-1926) das Thema an. Sie erzählen von überaus handfest agierenden Geistern oder besser Gespenstern, die keinen Zweifel an ihrem tatsächlichen Vorhandensein lassen. Sie haben keine Scheu, sich zumindest den ausgesuchten Opfern zu zeigen und diese zu Tode zu erschrecken oder gar zu meucheln.

Dem literarischen Connaisseur sind diese Grabgestalten eher suspekt; sie treten gar zu proletarisch polternd auf, statt sich nur subtil im Augenwinkel des geplagten Betrachters zu zeigen und sich als mögliche Hirnstörung zu tarnen. Allerdings funktioniert diese Herabsetzung schlecht, wenn wie hier wahre Meister die Feder schwingen und es geistern lassen, dass es eine kindliche Freude ist.

Das vergnügliche und das reale Grauen

Richard Burton Matheson (1926-2013) und Gary Brandner (1933-2013) sind beide verdiente Veteranen der Trivialliteratur, des Kinos und des Fernsehens (Matheson: „The Incredible Shrinking Man“, dt. „Die seltsame Geschichte des Mr. C.“; „I Am Legend“, dt. „Ich bin Legende“, als Film: „Der Omega-Mann“ uva., Brandner: „Cat People“, dt. „Katzenmenschen“, sowie „The Howling“). Erwartungsgemäß spulen sie flotte Unterhaltungsroutine mit überraschendem Schlussgag ab. Man liest, amüsiert sich und hat das Gelesene rasch wieder vergessen.

Pamela Sargent (*1948) erzählt ebenfalls von einem realen Grauen. Es bleibt nichtsdestotrotz anonym, verbirgt sich in der selbst geschaffenen Dunkelheit, ist womöglich diese Dunkelheit selbst. Einen Anlass für ihr Erscheinen gibt es nicht, die in ihren Bann gezogenen Pechvögel haben nichts getan, was eine solche ‚Strafe‘ verdient hätte. Sargents Story bildet eine Art Brücke zwischen der ‚nur‘ unterhaltsamen und der ‚literarisch wertvollen‘ Spukgeschichte.

Der Feingeist findet in „Gänsehaut garantiert“ selbstverständlich auch Nachtmahre, die vor allem dem eigenen Unterbewusstsein entspringen. Ausgerechnet der chronologisch älteste Autor entfesselt sie mit der nachdrücklichsten Wirkung: „Das verräterische Herz“ von Edgar Allan Poe (1809-1849), der nur zu gut die unerfreulichen Überraschungen kannte, die einem das eigene Hirn spielen kann, gilt nicht grundlos als eine der besten literarischen Beschreibungen menschlichen Wahnsinns. Hier braucht es kein Gespenst, das mit dem schauerlich überzeugend irren Protagonisten dieser Story ohnehin nicht mithalten könnte.

Ein noch junger James Graham Ballard (1930-2009) ist mit einer für seine Verhältnisse sehr konventionell erzählten Geschichte präsent. Kaum ein Jahrzehnt gewann er literarischen Ruhm mit seinen „condensed novels“, für die er Plots, die einen Roman tragen könnten, auf Kurzgeschichtenformat ‚zusammendampfte“ und dadurch eine unglaubliche Dichte erzielte. „Zone des Schreckens“ ist indes trotzdem ein typischer Ballard, da der Verfasser für das spannende Geschehen keine Lösung anbietet. Verwirrung und Schrecken der Hauptfigur teilen sich dem Leser umso deutlicher mit.

Robert Fordyce Aickman (1914-1981) ist ein moderner Repräsentant der fein gesponnenen Geistergeschichte. Er deutet lange nur an, entwirft ein Traumbild, das durch seine Brüche irritiert und verunsichert. Letztlich könnte auch die unglückliche Hauptfigur durch eigene und ungelöste innere Konflikte zu Fall gebracht worden sein. Selbst das Phantom des rachsüchtigen Liebhabers mag dem verwirrten Hirn der unglücklichen Millicent entsprungen sein.

Schauerliche Ausreißer

Apropos „verwirrt“ und „unglücklich“: Der einzige echte Ausfall dieser Kollektion ist „Frenière“ von Anne Rice (d. i. Howard Allan Frances O’Brien Rice, geb. 1941), ein ausgekoppeltes Kapitel aus ihrem Welterfolg „Interview with a Vampire“ (dt. „Interview mit einem Vampir“) von 1976, Auftakt zu einer endlosen Serie schwülstig-schwüler Vampirgarne, die als Horror im Gewand verbotener Erotik am Rande lustvoller Dekadenz daherkommen und doch nichts als US-amerikanisch verklemmte Herz-Schmerz-Fantasien darstellen. „Frenière“ kann ohne den Roman als Story nicht bestehen und langweilt mit einer ereignislosen Pseudo-Handlung.

Friedrich Gerstäcker (1816-1872) ist vor allem für seine Reiseerzählungen und -berichte bekannt. Hier überrascht er mit einer vom Realismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geprägten Geschichte, die sich nicht mit Geistern, sondern abstrakter mit dem Phänomen des Aberglaubens beschäftigt: Dreizehn ‚moderne‘ Männer aus den besseren Ständen wähnen sich frei davon und spüren den Drang in sich, die geistig weniger regen Mitbürger vom Unsinn alter Flüche, Besessenheit und ähnlichem Hokuspokus zu befreien. Da sie selbst insgeheim jedoch keineswegs wirklich aufgeklärt sind, fordert der eigene Aberglaube sogar Leben. Erst als sie ihn unter großen Opfern tatsächlich überwunden haben, ist der Bann gebrochen.

Gerstäcker schildert diesen Prozess nach heutigen Lesemaßstäben langatmig, doch ihm geht es um die Sache mindestens ebenso wie um eine spannende Geschichte. In einer Zeit der Industrialisierung und der Naturwissenschaft betrachtet er es als Schande, dass der moderne Mensch weiterhin altertümlichen Zwangsvorstellungen – und als solche betrachtet er die Furcht vor dem Übernatürlichen – anhängt.

„Garantiert Gänsehaut“ konnte man als Produkt des Weltbild Buchverlags nicht in ‚normalen‘ Buchläden finden, sondern nur in der hauseigenen Ladenkette. Diese Sammlung ist kein Nachdruck, sie wurde für dieses kostengünstige aber sogar fest gebundene Werk zusammengestellt. Der Inhalt lässt die nichtssagende Außengestaltung vergessen; es gibt sogar einige Gruselvignetten. Unterm Strich bleibt ein (inzwischen nur noch antiquarisch zu findendes) Buch, das die Aufmerksamkeit potenziellen Leser verdient.

Gebunden: 319 Seiten
Originalausgabe
Übersetzung: Karl Berisch, Charlotte Franke, C. P. Hofmann, Ursula Pommer (2), Stefan Troßbach (2), Michael Wittelmeyer (3)
http://www.www.weltbild.de

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