Val McDermid – Skrupellos (Kate Brannigan 3)

Zwischen Crack und Kinderpornos: Kate Brannigans dritter Fall

Kate Brannigans aktueller Klient ist das Kreditinstitut eines Autoherstellers. Zusammen mit ihrem Freund Richard Barclay tritt Brannigan als Ehepaar auf, das bei einem verdächtigen Händler ein Auto kauft. Ein harmloser Job – nur dass Richard im Gefängnis landet. Nun muss Kate nicht nur die Unschuld ihres Freundes beweisen, sondern sich auch noch um dessen kleinen Sohn kümmern. (Verlagsinfo)

Die Autorin

Die 1955 geborene Val McDermid wuchs in Kirkcaldy, einem schottischen Bergbaugebiet nahe St. Andrews, auf und studierte dann Englisch in Oxford. Nach Jahren als Literaturdozentin und als Journalistin bei namhaften englischen Zeitungen lebt sie heute als freie Schriftstellerin in Manchester und an der Nordseeküste. Sie gilt als eine der interessantesten neuen britischen Autorinnen im Spannungsgenre – und ist außerdem Krimikritikerin. Ihre Bücher erscheinen weltweit in 20 Sprachen. Für „Das Lied der Sirenen“ erhielt sie 1995 den Gold Dagger Award der britischen Crime Writers‘ Association. (Verlagsinfo)

Kate Brannigan-Fälle:

1) Abgeblasen (1992)
2) Luftgärten (1993)
3) Skrupellos (1994)
4) Das Kuckucksei (1996)
5) Clean Break (1997)
6) Das Gesetz der Serie (1998)

Handlung

Als sie bei dem schmierigen Autohändler Darryl Day einen Sportwagen bestellt, ahnt Kate Brannigan noch nicht, was sie damit anrichtet. Sie ermittelt für das Kreditinstitut des Autoherstellers Leo, ob bei solchen Deals alles mit rechten Dingen zugeht. Tut es definitiv nicht. Denn Darryl Day hat offenbar seine eigenen Finanzkanäle, um Käufern, die etwas knapp bei Kasse sind, zu einem Superschlitten wie dem brandneuen Leo Gemini Turbo Super Coupé GLXi zu verhelfen. Er selbst streicht dabei einen günstigen 90-Tage-Kredit des Autoherstellers ein, um das Geld günstig zu investieren.

Richard Barclay, Kates Freund, unterschreibt den Kaufvertrag, und schon bald soll das Auto ihm gehören – zur Tarnung. Er findet Gefallen an dem Sportwagen, was Kate nicht verwundert, denn ihr Liebster, ein Musikjournalist, fährt ein uraltes VW Cabrio. Zwischen der Technik von 1936 und der von 1994 besteht doch ein gewisser Unterschied, merkt sie an. Wie auch immer: Zwei Tage später ist der Wagen gestohlen.

Aber nicht für lange. Richard stiehlt ihn zurück. Aber auch diesmal nicht für lange. Kate wird nicht von ihm aus dem Schlaf gerissen, sondern von der Strafverteidigerin Ruth Hunter: Richard sitze auf einem Polizeirevier in der Arrestzelle und werde wohl bald dem Haftrichter vorgeführt. Aber warum bloß? Na, wegen der zwei Kilogramm Crack im Kofferraum seines Wagens und wegen eines pädophilen Fotos, das die zwei Verkehrspolizisten im Wageninneren gefunden haben. Ruth hält Richard nicht für fähig, Drogenhandel zu treiben – die Gangs in Manchesters Unterwelt würden ihn sofort umlegen.

Foto-Fährte

Indem sie sich den Zugang zum Verhörraum auf dem Polizeirevier erschwindelt, bekommt Kate die ganze Story hautnah mit. Es sieht nicht so aus, als würde ihr Liebster schon bald aus dem Arrest entlassen werden, ganz im Gegenteil: Ist er etwa auch noch in SM-Pornografie mit Kindern verwickelt, wie ein Foto nahelegt? Natürlich nicht, aber dieser zweite Verdacht verschafft der Anwältin zusätzliche Zeit, bevor die Behörden ihn in einen echten Knast verlegen. Derweil könne sich Kate um die Aufklärung kümmern: Wer hat Richard mit dem Rauschgift reingelegt?

Davy

Ein zweites Problem stellt Richards Sohn David dar, der nun aus den Ferien zurückerwartet wird. Davy lebt bei seiner Mutter, die sich von Richard getrennt hat. Kate ist die schlechteste Mutter der Welt, wie sie weiß. Sie überredet ihre Freundin, die Reporterin Alexis, und deren lesbische Freundin Chris (siehe Band 2), Davy zumindest für ein, zwei Tage bei sich aufzunehmen. Aber irgendwann wird der Junge seinen Vater sehen wollen. Klappt das nicht, hat Davys einen guten Grund, ihm das Recht auf ein Wiedersehen mit seinem Sohn streitig zu machen.

Kate bleiben also nur wenige Tage, um Richard rauszuhauen. Sie macht sich mit aller Energie ans Werk…

Mein Eindruck

So mancher Krimifreund mag sich fragen, was es denn bitteschön bringen soll, wenn sich unsere bevorzugte Wirtschaftsdetektivin um einen kleinen Jungen kümmern soll. Brannigan, die Lesbenfreundin, als Muttchen, Babysitterin und Kummerkastentante – unvorstellbar! Das findet sie auch mehrmals selbst, sei zu ihrer Ehrenrettung vermerkt.

Doch Davy, so lautet die Hiobsbotschaft übers Handy, ist von Drogen zugedröhnt nach Hause gekommen. Nie im Leben ist Davy ein Junkie, weiß Kate. Aber was ist mit Davys zwei Freunden aus der Sozialsiedlung? Kate sucht die Mutter der beiden Jungs auf. Cherie Roberts ist eine von einem Soldaten oder Söldner sitzengelassene Mutter, die von der Stütze lebt.

Als sie von Davys Zustand hört und der Verdacht auf ihre Söhne fällt, verspricht sie, sich umzuhören und dieser finsteren Bedrohung durch Dealer nachzugehen. Am nächsten Tag ist sie tot, am hellichten Tag vor dem Postamt niedergeschossen. Etwa zur gleichen Zeit wird eine Schrotflinte auf Kates Haustür abgefeuert, was ein wenig hübsches Stanzmuster ergibt – und ein sehr beunruhigendes. Die Botschaft ist überdeutlich: „Finger weg oder es ergeht dir wie Cherie Roberts!“

Kate wollte eigentlich nur ihren Liebsten aus dem Kittchen holen, doch wie soll sie das anstellen, wenn sie derartig abgeschreckt wird – und dann auch noch vom Drogendezernat überhaupt nicht ernstgenommen wird? „Beweise, Gnädigste, wir brauchen Beweise.“ Wohl oder übel muss Kate steigende Risiken eingehen, hier und dort einbrechen, bis sie schließlich erwischt wird – an dem unwahrscheinlichsten Ort, denn sie sich vorstellen kann: in einem Fotostudio der ganzen besonderen Art.

Die Übersetzung

Die Übersetzung durch Brigitta Merschmann erschien erstmals 1995 bei S. Fischer, dann 2000 im einschlägig vorbelasteten Argument-Verlag, wo bekanntlich alles, was spannend und phantastisch ist, verlegt wurde, solange in den Texten lesbische Liebe vorkam. Und die kommt bei einer Tabubrecherin wie McDermid allenthalben vor: Kate Brannigans beste Freundin Alexis ist in einer lesbischen Beziehung.

Sprachlich gefiel mir sehr die schnoddrige Ausdrucksweise Kate Brannigans, stilistisch die vielen deutschen Redewendungen, die den Text wie ein einheimisches Produkt wirken lassen. Saubere Arbeit. Leider haben sich Grammatik- und Druckfehler eingeschlichen.

S. 39: „…ist eine pathologische[r] Lügnerin“. Das R ist überflüssig.

S. 242: „…berichtete ihm von den jüngsten Vorfälle[n].“ Das N fehlt.

Unterm Strich

Ich habe auch diesen dritten Brannigan-Fall in kürzester Zeit gelesen, also binnen einer Woche. Das Thema ist nicht so kompliziert wie in „Luftgärten“, dafür folgt das Muster der üblichen Schnitzeljagd. Diese aber macht vor dem letzten Drittel einen unvermuteten Knick, so dass der Fall eine ganz neue Richtung erhält.

Ich habe den Action-Showdown so nicht kommen gesehen, aber dann umso mehr genossen. Denn dass sich die drei Grazien Kate, Alexis und Chris um kleine Jungs kümmern, fand ich nicht sonderlich aufregend. Auch das Umarmen und Herzen, das die frustrierte Kate braucht wie die Luft zum Atmen, ist nicht so mein Ding. Erst als Drogen ins Spiel kommen, gerät Kates Ermittlung wieder in Schwung.

Die Aussage ist ziemlich gesellschaftskritisch, wie man das von McDermid erwarten darf: Ein Mann, der mit den Polizeichefs Golf spielt und sich als Kinderfreund aufführt, tarnt seinen schwunghaften Drogenhandel, der auch vor kleinen Kindern nicht Halt macht. Denn mit drogenabhängigen Kindern lassen sich nicht nur Drogen verticken, sondern auch prima Pädophilen-Fotos anfertigen und verhökern. (Und das war noch vor dem Internet.)

Das Crack, das hier auf harmlos und sozialbewusst scheinenden Auktionen übergeben wird, verlieh dem O-Titel des Krimis seinen Titel: „Crack Down“. Ein Crackdown ist eigentlich das Sprengen eines Verbrecher- oder Drogenrings, aber die Autorin hat viel mehr daraus gemacht, indem sie dem Ausdruck eine zweite Bedeutung verlieh: „Nieder mit Crack!“.

Zwei Verweise auf Ereignisse im vorhergehenden Brannigan-Krimi „Luftgärten“ finden sich auf den Seiten 184 und 241. Merke: Es ist ratsam, diese Krimiserie in chronologischer Reihenfolge zu lesen.

Taschenbuch: 298 Seiten
Info: Crack Down, 1994
Aus dem Englischen von Brigitta Merschmann
www.droemer-knaur.de

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