Wolfgang Jeschke (Hrsg.) – Aufbruch in die Galaxis. Intl. SF-Erzählungen

Lesebuch für SF-Einsteiger

Diese Storyauswahl präsentiert SF-Erzählungen für Einsteiger ins Genre, die qualitätsvolle Science Fiction kennenlernen wollen, wie der Herausgeber schreibt. Aber auch an eingefleischte SF-Kenner richtet sich das Buch, die gern einmal ein paar gute alte SF-Stories wiederlesen möchten. Oder an Leute, „die ein Geschenk suchen für jugendliche Leser, für die es höchste Zeit wäre, dass sie mit Science Fiction Bekanntschaft machen“.

Der SF-Freund findet hier die „schönsten Erzählungen“ von bekannten Autoren wie Ray Bradbury, Arthur C. Clarke, Theodore Sturgeon und Brian W. Aldiss. Weder Spannung noch Humor kommen hier zu kurz.

Der Herausgeber

Wolfgang Jeschke, geboren 1936 in Tetschen, Tschechei, wuchs in Asperg bei Ludwigsburg auf und studierte Anglistik, Germanistik sowie Philosophie in München. Nach Verlagsredaktionsjobs wurde er 1969-1971 Herausgeber der Reihe „Science Fiction für Kenner“ im Lichtenberg Verlag, ab 1973 Mitherausgeber und ab 1977 alleiniger Herausgeber der bis 2001 einflussreichsten deutschen Science Fiction Reihe Deutschlands beim Heyne Verlag, München. Von 1977 bis 2001/02 gab er regelmäßig Anthologien – insgesamt über 400 – heraus, darunter die einzigen mit gesamteuropäischen Autoren.

Seit 1955 veröffentlicht er eigene Arbeiten, die in ganz Europa übersetzt und z.T. für den Rundfunk bearbeitet wurden. Er schrieb mehrere Hörspiele, darunter „Sibyllen im Herkules oder Instant Biester“ (1986). Seine erster Roman ist „Der letzte Tag der Schöpfung“ (1981) befasst sich wie viele seiner Erzählungen mit Zeitreise und der Möglichkeit eines alternativen Geschichtsverlaufs. Sehr empfehlenswert ist auch die Novelle „Osiris Land“ (1982 und 1986). Eine seiner Storysammlungen trägt den Titel „Schlechte Nachrichten aus dem Vatikan“.

Die Erzählungen

1) Hal Clement: Der Feuerzyklus (1957)

Auf der Welt Abyormen sucht Nils Kruger, der gestrandete Pilotenkadett des Raumschiffs „Alphard“, auf dem Boden nach dem einheimischen Kurier, der mit seinem Segelflugzeug in der Lavaregion abgestürzt ist. Dieser Planet wird von gleich zwei Sonnen aufgeheizt, einem roten Zwerg und einem blauen Riesen. Nach Tagen der Verfolgung findet der Junge endlich Dar Lang Ahn unter einem Felsen, der ihn vor der sengenden Hitze in der Lavawüste schützt. Doch vergebens: Dar ist kurz vor dem Verdursten.

Kruger wundert sich: Weiß der Einhemische denn nicht, dass in all den Kakteen, die ringsum, gedeihen, Wasser in Hülle und Fülle gespeichert ist? Er kommt zu dem irrigen Schluss, dass Dar nicht von dieser Welt stammt. Dar seinerseits glaubt, dass der Riese ein Einheimischer sein müsse. Der 16-jährige Kruger und gibt dem nur etwa 130 Zentimeter großen reptilartigen Kurier – er trägt immer noch Bücher bei sich – zu trinken und beginnt, seine Sprache zu lernen.

Zusammen machen sie sich auf den 2000 Kilometer langen Weg zu Dars Bestimmungsort im Norden des Planeten. Dort soll es tatsächlich Eisflächen geben, so unglaublich dies Kruger angesichts der tropischen Hitze erscheint, durch die sie gerade stolpern. Er rettet Dar das Leben, als er ihn vor dem Sturz in einen Schlammgeysir bewahrt, ähnlich jenem, in den er vor Monaten fiel und wo ihn die Besatzung des Raumschiffs verlorengab.

Sie gelangen in eine Stadt am Meer. Nur dass diese Stadt weder von Dars Volks noch von Krugers Expedition gebaut wurde. Etwa fünfzig Leute, die genauso aussehen wie Dar, nehmen diesen zu seinem Erstaunen fest und führen sie zu ihren Lehrern. Diese Lehrer sind nie zu sehen, stellen aber penetrante Fragen. Sie sind über Krugers Fähigkeit, Feuer zu machen, sehr erstaunt. Zudem fragen sie ihn, wann er sterben werde – so als gäbe es eine festgelegte Zeit fürs Sterben. Dar kennt diese Frist, denn er lebt bereits 800 Jahre (Sonnenumläufe) und hat nur noch 30 vor sich – jedermann wird zu jener zeit sterben, erfährt Kruger. Doch was könnte so verheerend sein, dass alles Leben außer den Lehrern auf Abyormen erlischt?

Nachdem sie das verlassene Kraftwerk der untergegangenen Stadt entdeckt haben, machen sich Dar und Kruger ohne Dars Bücher auf den Weg nach Kwarr, Dars Heimatstadt. Ein Segelflugzeug entdeckt sie, und nachdem sie ein Katapult gebaut haben, landet ein großer Segler, der sie mitnimmt, weil er vom Katapult gestartet werden kann. Vielleicht findet Kruger in Kwarr endlich Antworten auf seine drängenden Fragen. Es bleiben ihn nur noch 14 von den 830 Jahren Frist…

Mein Eindruck

Der wenig anspruchsvolle Roman beginnt erst wie ein Planetenabenteuer von Jack Vance und richtet sich wie der ganze Roman an Jungen ab zwölf Jahren, die fremde Welten entdecken wollen. Es ist eine Weiterführung von Reiseabenteuern à la Karl May, mit allerlei Exotik, Missverständnissen und natürlich Gefahren. Innere Konflikte werden angedeutet, aber niemals ausgespielt. Das passiert erst im zweiten teil.

Denn allmählich nehmen die technischen (Elektrizität in der Stadt am Meer, Maschinen im Krater) und wissenschaftlichen Entdeckungen (der Mittelteil auf der „Alphard“) ständig zu, so dass die Abenteuerlust des jungen Leser auf eine harte Probe gestellt wird. Dieser Teil ist eher für Schulabsolventen geeignet, für Jungs um die Fünfzehn oder Sechzehn. (Sorry, Mädchen kommen im ganzen Buch nicht vor.)

Den Höhepunkt dieses Mittelteils bildet die Auseinandersetzung zwischen Kadett Kruger und Kommandant Burke, die selbstverständlich wie erwartet endet: Kruger muss sich unterordnen. Den Ausweg bietet der namenlose Astronom an, in dem wir ohne weiteres ein Alter Ego des Autors vermuten dürfen: Es wäre ein Verbrechen, Dars Rasse ihrem Schicksal zu überlassen. Daraus spricht die Doktrin der amerikanischen Nation, wonach es die Pflicht ihrer Angehörigen ist, anderen Menschen bzw. Wesen in Not zu helfen, notfalls auch, sie zu befreien, so etwa im 2. Weltkrieg.

Etwas frustrierend wirkt auch, dass der titelgebende Feuerzyklus zwar entdeckt wird, aber nicht beginnt. Wer also auf eine kosmische Katastrophe mit entsprechenden Spezialeffekten hofft, wird schwer enttäuscht. Und wer kein astronomisches Rüstzeug mit entsprechendem Fachjargon verfügt, dürfte hier vollends verloren sein.

Eine reizvolle Auflockerung der langen Dialoge bieten hier die Illustrationen von Hubert Schweizer, die es nur in dieser Ausgabe des Romans gibt.

2) Ray Bradbury: Oktober 2026: Das ewige Picknick (1946)

Eine Familie ist auf dem Mars gelandet, hat das Boot ausgepackt und fährt nun über einen der schönen Kanäle auf einen Angelausflug. Papa William Thomas, ein ehemaliger Gouverneur, Mama Alice, die Söhne Timothy, Robert und Michael. Als sie über den Kanal fahren, hören sie zwei laute Explosionen, und Paps lenkt das Boot in ein Versteck. Auf der Erde, so erzählt er, tobe in schrecklicher Krieg, aber sie seien rechtzeitig davor geflohen. Vielleicht käme die Familie Edwards ja noch nach, mit vier Töchtern. Die Explosionen stammten aber bloß von ihrer eigenen Rakete. Sie sollten nicht zurückkehren können, sagt Paps, und keiner sollte sie je hier entdecken.

Die Jungs sollen sich eine Stadt der verschwundenen marsianer aussuchen, und als sie eine mit einem Springbrunnen gefunden haben, gehen sie an Land. Es ist ein tolles Spiel. Paps macht ein lagerfeuer und verbrennt alte Dokumente von der Erde, von anno 1999. Dann gehen alle an das Ufer des kanals, über dem die Sonne untergeht. Er zeigt ihnen die Marsianer. Endlich! Aber die einzigen Marsianer, die die Jungs sehen, sind bloß ihre eigenen Spiegelbilder…

Mein Eindruck

Die Story aus dem Episodenroman „Die Mars-Chroniken“ ist trotz aller Naivität in der Beschreibung des Mars eine ernstzunehmende Reaktion auf die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Es war deutlich zu erkennen, dass nun ein atomares Wettrüsten zwischen den beiden Supermächten beginnen würde. Die Menschheit hatte es geschafft, sich selbst ratzekahl vernichten zu können – und ihre Welt mit dazu.

Hoffnung bieten nun nur noch andere Welten, wie der erdähnliche Mars, mit seinen wassergefüllten Kanälen – ein Märchenmars, der zu einem Picknick und Angelausflug einlädt. Hier haben Familien noch die Chance, eine neue Kolonie zu gründen, eine die vielleicht besser überlebt als die alte Welt. Der elegische Ton, der für den frühen Bradbury typisch ist, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies eine amerikanische Mittelklasseutopie ist, in der Eingeborene und andere Rassen nicht vorkommen – Zündstoff für künftige Konflikte.

3) James H. Schmitz: Ausgeglichene Ökologie (1965)

Auf der Siedlerwelt Wrake leben die Kolonisten im Einklang mit der fremden Fauna und Flora, die sich als mitunter ziemlich tödlich erweist – aber nicht für die Siedler, darunter die beiden Kinder Auris und Ilf. Außenweltler haben ein begehrliches Auge auf die wertvollen Diamantholzwälder geworfen und machen den Eltern von Auris und Ilf ein unmoralisches Angebot. Doch sie haben nicht damit gerechnet, dass Auris die Wesen der Umgebung zu Hilfe rufen kann. Schon bald sehen sich die Eindringlinge von tödlichen Gefahren umzingelt – und dann verschlungen… Es geht weben nichts über eine „ausgeglichene Ökologie“.

Mein Eindruck

Der Autor Schmitz hat schon mit „Grandpa“ (1951) ein schönes Szenario einer fremden Welt entworfen, in der die Kinder der Siedler sich behaupten müssen. Auch diesmal sind Kinder die Hauptpersonen, denn sie sind in der Lage, sich am besten an die fremde Welt anzupassen und für ihre Zwecke und Spiele zu nutzen. Rückblickend erinnert der Plot ein wenig an „Jurassic Park 2: The Lost World“, wenn die Plünderer und Jäger von der fremden Umgebung dezimiert werden, die Einheimischen aber überleben. Trotzdem skizziert Schmitz mit wenigen Strichen eine „grüne“ Vision vom Zusammenleben mit der fremden Welt. Ähnliche Werke wurden Mitte, Ende der sechziger Jahre von Alan Dean Foster und Ursula K. Le Guin geschrieben.

4) William Morrison: Der Landarzt (1953)

Dr. Larry Metzler ist der einzige Tierarzt der Marskolonie. Als ein Notfall eintritt, ist er daher derjenige, den man anruft – auch wenn es mitten in der Nacht ist. Der Notfall ist auf dem Raumhafen eingetreten. Als der Doc dort eintrifft, scheinen aber die Verletzten des notgelandeten Raumschiffs alle in Ordnung zu sein. Das Problem, so der Captain des Schiffs, ist der Alien an Bord: eine Raumkuh vom Jupitermond Ganymed. Sie scheint Schmerzen zu haben.

Natürlich hat Dr. Metzler noch nie einen Alien behandelt und niemand kann ihm Näheres über die Anatomie der Raumkuh berichten. Er muss es also auf sein Glück ankommen lassen. Die Raumkuh ist riesig und füllt ein ganzes Drittel des 300 Meter langen Raumschiffs. Sie war für den Zoo auf der Erde bestimmt. Da von außen nicht zu erkennen ist, was die Beschwerden verursacht, muss der Doc in sie hinein, wie Jona in den Wal.

In einem Taucheranzug begibt sich der Tierarzt auf Expedition in ein unbekanntes Lebewesen. Bald stößt er auf andere, ebenso unbekannte Lebewesen…

Mein Eindruck

Die Story ist eine wirkungsvoll unterhaltende Verbindung aus Drama, Spannung und Komik. Die amüsante Verlegenheit des Dr. Metzler wird durch seinen pragmatischen Can-do-Ansatz aufgewogen. Obwohl er sich in Lebensgefahr befindet – seine Luftzufuhr hängt an wenigen Schläuchen, denn es gibt noch kein tragbares Atemgerät -, gelingt ihm im Verlauf seiner fachmännischen Untersuchung der Raumkuh die Lösung des Rätsels, warum die Raumkuh Schmerzen leidet: Es sind Geburtswehen.

Aber die Aktion mit der Raumkuh ist auch eine Mediensensation. Fotoreporter usw. umlagern das Raumschiff, und sie berichten ans gesamte Sonnensystem. Als daher der Doc im Hospitalbett wieder erwacht, ist er der Held der Stunde. Und das wiegt seine Reue auf, dass er auf diesem Außenposten des Siedlungsraums keine Karriereleiter erklimmen konnte. Das nächste Stellenangebot dürfte nicht lange auf sich warten lassen. Die Botschaft ist klar: Jeder kann ein Held sein, solange er nicht die Nerven verliert und seine Pflicht tut.

5) Arthur C. Clarke: Hirten der Tiefe (1954)

Don Burley ist ein Hirte der Tiefe: Er beschützt die von den Menschen einer übervölkerten Erde gezüchteten Wale vor ihren Feinden. Und gerade bekommt Don eine Warnmeldung herein, dass im Nordatlantik, nur 500 Seemeilen entfernt, eine Walherde sehr schnell vor einem Raubtier fliehe – genau in Dons Richtung. Er schwingt sich in sein U-Boot und pfeift seine zwei dressierten Delphine Benj und Susan herbei, damit sie ihm wie gute Hiertenhunde zu Seite stehen.

Kurze Zeit später macht er mit Radar, Sonar und Optik das Raubtier aus, das ein paar Nachzügler der Herde angreifen will: eine Kuh und ihre zwei Kälber. Das darf Don nicht zulassen. Die Delphine greifen den 13 Meter langen Grönlandhai unverzagt an, damit er von seinem Angriff ablässt. Aber zur Strecke bringen können das Raubtier nur Dons eigene Bordwaffen. Neben den Torpedoraketen hat er auch einen „Stachenrochen“ in Arsenal, den er nun abfeuert. Die Spitze des Geschosses bohrt sich in die Haut des Hai und injiziert ihm ein tödliches Gift, das ihn außer Gefecht setzt. Geschafft – die Wale sind gerettet. Die Ernährung der Menschheit ist wieder einmal gesichert.

Mein Eindruck

Die actionreiche Story mutet uns heute extrem zynisch an, weil die Wale inzwischen eine vom Aussterben bedrohte Art sind. Doch der Gedanke, dass es Hirten für sie geben muss, ist geblieben: Die Organisation „Sea Shepherd“ versucht immer wieder, in spektakulären Aktionen, japanische und andere Walfangschiffe von ihrem grausamen und illegalen Treiben abzuhalten.

Ansonsten erscheint es mir unplausibel, dass die ganze Erde auf das Protein der Wale angewiesen ist, neben dem Plankton vielleicht. Zwar sollen Fischfarmen die Ozeane füllen – und an vielen Küsten ist dies bereits Praxis – doch Wale allein können den Tisch der Milliarden sicherlich nicht decken.

6) Brian W. Aldiss: Der Speichelbaum (1965)

Ende des 19. Jahrhunderts, irgendwo in Norfolk an der englischen Ostküste. Die beiden jungen Männer Bruce Fox und Gregory Rolles beobachten, wie ein großer Meteorit mit feurigem Strahl zur Erde niedersaust und nahe der Grendon-Farm niedergeht. Am nächsten Tag reitet der sozialistisch gesinnte Gregory zur Farm, wo ihn Nancy schon freudig und aufgeregt begrüßt: Der Meteorit sei wie ein Ei in den Farmteich geplumpst!

Neugierig rudert er auf den Teich hinaus – und merkt, wie sich sein Boot scharf zur Seite neigt, als würde jemand an Bord steigen wollen. Aber da ist niemand zu sehen. In Panik schlägt er mit dem Ruder in die Richtung – und trifft auf Widerstand. Der unsichtbare Gegner gleitet zurück ins Wasser, das Boot richtet sich auf, und Gregory kann wieder an Land rudern. Mr Grendon zeigt ihm eine feuchte Spur an den Boxen des Kuhstalls.

Wenig später sehen sie, wie der Hofhund Cuff gegen etwas kämpft – und urplötzlich durch die Luft geschleudert wird, dass er tot liegen bleibt. Da bekommt es Gregory mit der Angst zu tun, und er sorgt sich um die liebe Nancy. Doch weder sie noch Grendon wollen etwas von Gefahr wissen, und der Knecht Bert Neckland droht Gregory ganz offen, sich von „seiner“ Nancy fernzuhalten.

Als er auf die Farm zurückkehrt, erfährt er von der ungewöhnlichen Fruchtbarkeit der Tiere und des Landes: Es wimmelt vor Ferkeln, Entchen und Kälbern, und ringsum schießt das Kraut in die Höhe. Doch als es daran geht, die überschüssigen Ferkel zum Markt zu karren, macht sich eines der unsichtbaren Wesen über alle bis auf eines, das flüchtet, her – und saugt sie bei lebendigem Leibe aus. Gregory schaut wie erstarrt zu. Als er die anderen herbeiholt, erklären diese sich die Sache mit einer plötzlichen Krankheit. Und nur Bert glaubt an Geister. Das überlebende Ferkel erweist sich als ungenießbar. Gregory fragt sich bang, was hier los ist und will den Veterinär holen. Doch der Grendon zu teuer.

Gregory muss für eine Woche zu einem Onkel verreisen. Als er zurückkehrt, begrüßt ihn eine unheimliche Stille auf der Grendon-Farm. Kein Hofhund zeigt sich bellend, ringsum hat das Kraut bereits die Hausdächer erreicht. Er dringt ins Haus ein trifft dort auf den Hausarzt. Der ist keineswegs freundlich, sondern ernst: Mrs Grendon ist wie erwartet mit Kindern niedergekommen. Allerdings mit Neunlingen…

Mein Eindruck

Die Frage ist berechtigt, ob diese Erzählung überhaupt in einem Band mit dem Titel „Aufbruch in die Galaxis“ ihren Platz hat. Schließlich spielen sich die Ereignisse der Geschichte allein auf der Erde ab. Dennoch ermangelt es dem Text nicht an dem entscheidenden SF-Faktor: die Fremdheit einer anderen Welt. Denn es sind ja die Aliens, die diese Fremdheit auf der Grendon-Farm herstellen, damit sie ihr eigenes Habitat bekommen.

Und so fremdartig, wie sich im Zuge dieser Transformation auch die Menschen verändern, so dürfen wir uns im Umkehrschluss die Terraformung einer fremden Welt und ihre Auswirkung auf die einheimische Flora und Fauna vorstellen. Man muss aber nicht gleich an eine andere Welt denken – ein Blick auf die Globalisierung reicht auch schon. Nur war sie im Veröffentlichungsjahr von Aldiss’ Erzählung noch lange nicht so weit wie heute.

Natürlich lässt die Story als erstes an H.G. Wells und seinen „Krieg der Welten“ denken – im Grund fehlt nur das rote Unkraut (the red weed), wie es sogar in Spielbergs Verfilmung zu sehen ist. Die Aliens saugen bei Aldiss die Menschen nicht aus oder eliminieren, sondern verhalten sich ihrerseits wie richtige Farmer: Sie mästen und züchten ihr Vieh. Nur dass wir dieses als unsere Artgenossen betrachten. Insofern ist der Autor ganz schön fies, wenn er den Spieß so umdreht. Vielleicht sollten wir wirklich mal anfangen, unsere Haustiere „humaner“ zu behandeln.

7) Theodore Sturgeon: Baby ist drei (1952)

Ich stelle hier den ganzen Roman vor, in dem die gleichnamige Novelle „Baby ist drei“ einen wichtigen Teil bildet.

Zunächst werden im 1. Teil die verschiedenen Personen der Geschichte vorgestellt. Das ist einmal der „fabelhafte Idiot“, der dem Kapitel seinen Titel gibt. Er kennt kein Ich, hat keine Sprache, lebt wie ein Tier im Wald. Als er von einem wohlmeinenden kinderlosen Farmerspaar aufgenommen wird, erwirbt er einen Namen, Lein (von ‚allein‘), Sprache (er lernt aber nie Schreiben) und Liebe – was wohl das Wichtigste ist. Die Talente des Idioten Lein sind Telepathie und Empathie, also Übertragung von Gedanken und Empfindungen.

Er trifft auf ebenfalls empathiefähige Menschen. Evelyn, die Unschuld aus einem abgeschieden gelegenen Herrenhaus, stirbt nach Leins Einmischung in ihre Familie; doch später kommen die kleine Janie mit den telekinetischen Kräften (sie bewegt Dinge mit Gedankenkraft) und die beiden sprachgestörten farbigen Zwillinge Beanie und Bonnie, die teleportieren können: Sie bewegen sich selbst von Ort zu Ort per Gedankenkraft. Hinzukommen weitere Teile des entstehenden Gestaltwesens: ein mongoloides Baby, dessen Geist arbeitet wie ein Computer und das seine Ergebnisse telepathisch überträgt; und schließlich Gerry, ein Junge, der nur hassen kann.

Dieses Häuflein Menschen, das einsam und geschützt in einer Hütte im Wald lebt, entdeckt erst spät (eigentlich nur Lein, dann Gerry), dass es sich vom Rest der Menschheit erheblich unterscheidet. Einzeln sind die Kinder und Lein schwach, doch zusammen können sie mehr vollbringen als ein durchschnittlicher Mensch.

Im 2. Teil findet eine Psychiatersitzung statt, die dazu dienen soll, dass Gerry herausfindet, was mit ihm nicht stimmt: Er hat einen Menschen getötet. Mal hält er sich für 15 (meistens), dann wieder für acht Jahre alt, dann ist er 33. Feststeht zumindest, dass er über telepathische und hypnotische Kräfte verfügt. Ein paar Jahre sind inzwischen vergangen, und er hat den verstorbenen Lein als Leiter der Gruppe abgelöst.

Der Satz „Baby ist drei“ – so der Titel dieses Buchteils – löst in seinem Geist eine Blockade aus, die die Frage auf die Antwort verschließt, warum er Miss Kew, die „Erzieherin“ des Gestaltwesens, getötet hat. Wie sich herausstellt ist Miss Kew die Schwester jener Evelyn, der Lein damals so verhängnisvoll begegnete, Alicia. Der Leser fragt sich die ganze Zeit, warum Alicia gegenüber Lein eine Verpflichtung hatte, seine Gruppe in ihrem Haus aufzunehmen – sie kannte ihn doch gar nicht, oder? Das Geheimnis hinter dem Satz „Baby ist drei“ ist für sie verhängnisvoll, zeigt aber Gerry, wer er in Wirklichkeit ist.—Diese Szenen sind extrem spannend und halten viele überraschende Erkenntnisse bereit.

Im 3. Teil, „Moral“, sind aus den jungen Mitgliedern der Gruppe Erwachsene geworden. Hip Barrows, den man schon aus dem 1. Teil kennt, ist ein junges Genie und Opfer der Andersartigen, doch er schließt sich ihnen an und wird zu ihrem Gewissen. Denn Gerry und den Homo gestalt könnte zwar alles tun und sein, was er will, doch hätte er kein Gewissen, keine Moral, so würde er die Welt vernichten.

Mit Hip ist die Gruppe vollständig und stellt mit ihren Talenten ein erwachsenes Exemplar des Homo gestalt dar. Seine einzelnen Mitglieder leben unerkannt unter normalen Menschen und nehmen still und leise Einfluss auf deren Evolution.

Mein Eindruck

„Baby ist drei“ gehört zu den zehn berühmtesten und wohl auch besten Science Fiction Romanen überhaupt. Es ist ein hervorragendes Beispiel für die Bearbeitung des Themas Homo gestalt, bei dem mehrere Mutanten ihre Talente kombinieren und so eine parapsychische Union und neue Daseinsform bilden.

Mich hat die Novelle vor allem deshalb beeindruckt, weil Sturgeon es versteht, auf sprachlich wunderschöne und doch einfache Weise eindringlich klarzumachen, was jedes Mitglied der Gruppe ausmacht und worin ihre Besonderheit in der Koexistenz besteht: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile. Die beinahe märchenhaft erzählte Handlung erscheint dadurch realistisch.

Erst so kann man das Anliegen des Autors akzeptieren, seine Forderung nach einer menschenwürdigen Zukunft, die auch einen Platz für die Andersartigkeit hat, für Mutanten. Man merkt der Erzählung Sturgeons Liebe für Kinder an und dass er über ein tiefes Verständnis für sie verfügt. Und daher ist klar, dass er jedem Kind, und sei es noch so andersartig, eine Chance verschaffen möchte, mehr Glück, mehr Erfüllung zu finden, beispielsweise in der Gemeinschaft des Homo gestalt.

8) Ray Bradbury: Die andere Haut (The other foot, 1951)

20 Jahre nach dem Exodus auf den Mars erfahren die Schwarzen auf einmal, dass ein Weißer in seinem Raumschiff sie besuchen kommt. Hattie Johnson weiß kaum, wie sie ihren Kindern so einen merkwürdig aussehenden Menschen beschreiben soll. Ihr Mann Willie hingegen weiß ganz genau, was er mit dem Weißen zu machen hat: ihn lynchen! Denn die Weißen haben seinen Vater gelyncht und seine Mutter ermordet. Er hetzt die Bevölkerung auf, die rassentrennung einzuführen, selbst gegen den Protest des Bürgersmeisters-

Endlich landet der Weiße. Er ist alt und sieht abgehärmt aus, als er aus der Luke vor die versammelte Kolonie tritt. Er berichtet, der Dritte Weltkrieg der Weißen habe die ganze Welt in radioaktive Asche und Trümmer gelegt und nur noch etwa eine halbe Million Überlebende seien übrig. Er bitte stellvertretend für diese Letzten um Asyl auf dem Mars. Man solle sie von der Erde holen und hier auf dem Mars leben und arbeiten lassen.

Doch Willie Johnson hat einen Strick mitgebracht. Hattie überlegt verzweifelt, wie sie ihn vom Lynchen dieser bemitleidenswerten Weißen abbringen kann. Als sie Willie anschaut, kommt ihr eine zündende Idee und sie beginnt den Weißen nach der Heimat Willie Johnsons zu fragen. Was ist davon noch übrig?

Mein Eindruck

Ray Bradbury verknüpft zwei wichtige Themen des Jahres 1951 miteinander: die Angst vor dem Atomkrieg und den Rassenhass in den USA. Nicht ohne Grund. Sechs Jahre zuvor radierten zwei amerikanische Atombomben Hiroshima und Nagasaki aus, die USA führten Versucdhe mit der H-Bombe durch, denen bald Versuche der Russen folgten – die Furcht vor einem Atomkrieg war real. In Bradburys Story haben sich die Supermächte gegenseitig ausradiert.

Und die Rassentrennung war ebenfalls höchst real. Erst als 1955 oder 57 das Thema zur Debatte und dann zur Bürgerrechtsbewegung wurde, änderte sich die Praxis der Lynchmorde an Schwarzen. So wurde ein junger Schwarzer nur deshalb gehängt, weil er einer weißen Frau hinterhergepfiffen hatte.

Das Ergebnis der Gleichung A + B = C ist einfach: Ein Überleben der Menschen (= Amerikaner) kann es nur geben, wenn der Rassenhass mitsamt Rassentrennung beendet wird. Doch wie soll letzterer überwunden werden? Die Lösung liegt in der Erkenntniss, dass der Atomkrieg auch sämtliche physischen Zeugen jener Vergangenheit beseitigt hat, also etwa einen traditionell fürs Lynchen genutzten Baum auf einem bestimmten Hügel – es ist alles fort. Tabula rasa = Neuanfang.

9) Lewis Padgett: Gar elump war der Pluckerwank (1943)

Ein Mann namens Unthahorsten experimentiert in ferner Zukunft mit seiner Zeitmaschine. Um sie zu testen, steckt er Kinderspielzeug seines kleinen Sohnes in den Behälter. Er hofft, das Spielzeug kommt zurück, aber das er wartet vergeblich. Auch beim zweiten Versuch…

Scott Paradine, 7 Jahre alt, findet das Spielzeug an einem Bach in Glendale, Kalifornien, in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts, und bringt es mit nach Hause, wo er es versteckt. Aber nicht lange, un seine fünf Jahre jüngere Schwester Emma findet es ebenfalls und experimentiert mit den Spielzeugen, die er weggelegt hat. Da ist ein vierdimensionaler Abakus und ein Kristallwürfel mit einem interaktiven VR-Minitheater darin. Die Dinge aus der Zukunft konditionieren die Kinder. Aber wofür?

Die Eltern der Kinder sind erst verblüfft von den Eigenschaften der neuen Spielzeuge, die Scott angeblich von seinem Onkel Harry geschenkt bekommen hat – der rein zufällig für mehrere Wochen verreist ist. Sie konsultieren einen Kinderpsychologen namens Hollway. Dr. Holloway hält Kinder, besonders Babys für so etwas wie Aliens, denn kein Erwachsener kann, da er ja schon konditioniert ist, verstehen, wie sie denken. Genauso wenig, wie man verstehen kann, wie eine Biene denkt. Er nennt die Denkweise, die die fremden Spielzeuge Scott und Emma beibringen, X-Logik, in Ermangelung einer genaueren Bezeichnung. Sie sei nicht schlechter doer besser als die gelehrte, nur eben anders.

Wochen vergehen, die Lage scheint sich zu beruhigen, nachdem Dennis und Jane ihren Kindern die fremden Spielsachen weggenommen haben. Allerdings haben Scott und Emma inzwischen Lewis Carrolls Nonsensgedicht „Gar elump war der Pluckerwank“ aus „Alice hinter den Spiegeln“ gefunden und für sich mittels X-Logik übersetzt. Es enthält in symbolischer Sprache Anweisungen für einen Bauplan. Und den setzt Scott nun in die Tat um.

Sein Vater findet die Kiesel, Silberkugeln usw. harmlos genug und lässt ihn gewähren. Erst als er sieht, wie sich die Kinder durchsichtig werden und in eine andere Dimension verschwinden, beginnt der Ärger. Zu spät.

Mein Eindruck

„Verdaustig war’s und glasse Wieben
Rotterten gorkicht im Gemank;
Gar elump war der Pluckerwank,
Und die gabben Schweisel frieben.“
(Übersetzung von Christian Enzensberger, 1963)

In dieser lustigen und auch ein wenig unheimlichen Geschichte kommen jede Menge Themen zusammen. Die Zeitmaschine ist ja nur ein Gag, um die Story ins Rollen zu bringen. Wichtig ist die X-Logik, die auf einer für Scotts Eltern unbekannten Symbologie beruht. Was, wenn die eigenen Kinder zu Aliens würden und Fähigkeiten erwürben, die sie uns entfremden und uns sogar rauben würden? Für Eltern ist das ein entsetzlicher Gedanke, und Dennis und Jane verbannen deshalb das unheimliche Spielzeug schleunigst aus dem Kinderzimmer. Doch der Schaden ist bereits angerichtet.

In dieser rein psychologisch begründeten Handlung wird die ansonsten in der amerikanischen SF so dominante Naturwissenschaft durch eine Psychologie und Mathematik ersetzt, die genauso funktioniert und wirksam ist, aber völlig anders aufgebaut ist. Das lässt den Filmkenner an „A Beautiful Mind“ denken. Doch die Geschichte endet mit einem weiteren SF-Effekt: Dem Betreten einer anderen Dimension. Nun sind vier Dimensionen in der SF keineswegs neu, denn auch Robert A. Heinlein fasste sich erfolgreich damit, so in seiner Story „And he built a crooked house“. Der Unterschied: Bei Padgett sind es Kinder, die die 4. Dimension entdecken.

Wunderbar fand ich, wie das Ehepaar, das sich hinter dem Pseudonym „Lewis Padgett“ versteckt, in der Lage ist, die Psychologie und Verhaltensweise in einer Familie, in einer Ehe darzustellen. Das ist in der damaligen SF ziemlich einmalig und dürfte wohl auf Catherine L. Moore zurückgehen, die Autorin von so genialen Geschichten wie das unheimliche „Shambleau“ (1933). Die Story ist sehr kurzweilig zu lesen und bereitet in keinster Weise auf den verblüffenden Schluss vor.

Die Übersetzungen

Ständig verwendet der Übersetzer wie der Autor selbst das Wort „Radio“ anstelle von „Funk“. In deutscher Umgangssprache bedeutet „Radio“ jedoch „Funkempfänger“ und nicht etwa „Funkgerät“.

Seite 38: „eine Unterkunft, dessen Dach…“: richtig wäre „deren Dach“.
Seite 75: „Ich bin hinter dir, Robin Hood.“ Das sagt nicht Kruger, sondern Dar, der Alien!
Seite 175: Offenbar fand an dieser Stelle eine Kürzung statt, denn von allgemeinen Ausführungen wechselt der Text unvermittelt zu einer konkreten Szene mit Dialog.

Unterm Strich

In seinem wunderbaren Nachwort berichtet der Herausgeber Wolfgang Jeschke, wie er überhaupt zur Science Fiction kam und fortan beschloss, diese Literatur sowie die Astronomie und Raumfahrt mit allen Mitteln zu verbreiten. Er lebte damals in Ludwigsburg und las im Rahmen seiner Arbeit für ein privates Raumfahrtmuseum erstmals amerikanische Science Fiction: „Rauchs Weltraumbücher“. Die Wirkung kam einem Urknall gleich, so begeistert klingt der Herausgeber. Kein Wunder: Nach „tausend Jahren“ Naziherrschaft und kultureller Isolation wirkte diese Art von Literatur, die sich „Science Fiction“ nannte, wie etwas von einem anderen Stern.

Am Schluss des Nachworts erfahren wir auch, wen sich der Herausgeber anno 1980, als er dies schrieb, als Leser wünschte: geistig bewegliche Menschen, nicht unbedingt junge, aber solche, die an weitere Möglichkeiten der Wirklichkeit und ihrer Entwicklung denken können. Paradebeispiel ist für ihn das Geschwisterpaar in „Gar elump war der Pluckerwank“: Es spielt mit Spielzeug aus der Zukunft und ist geistig flexibel genug, ihm dorthin zu folgen.

Der Roman „Der Feuerzyklus“, die drei Novellen „Gar elump…“, „Baby ist drei“ und „Der Speichelbaum“ sowie die Kurzgeschichten bieten dem SF-Einsteiger in der Tat unterschiedlich die Vorstellungskraft fordernde Entwürfe von möglichen Welten und Zukünften, ja, sogar von einer phantastisch transformierten Vergangenheit („Der Speichelbaum“). Außer in dem Roman kommen in der Regel auch weibliche Figuren vor, so dass Leserinnen im Prinzip das gleiche Lesevergnügen haben sollten wie Jungs.

Während die unglaublich zahlreichen Illustrationen Hubert Schweizers dem Buch seinen besonderen Reiz verleihen, fragt sich der Sprachkenner, ob die reichlich im Roman „Feuerzyklus“ und woanders eingestreuten Übersetzungsfehler (s.o.) wirklich sein mussten.

Taschenbuch: 494 Seiten.
Zuerst im Georg Lentz Verlag 1980.
Aus dem Englischen von diversen Übersetzern.
ISBN-13: 978-3453309388

www.heyne.de

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