Nicholls, Stan – Orks, Die

Der „Herr der Ringe“, dessen Verfilmung zahllose Fans begeistert hat, mag ein Grund sein, warum auf einmal die fantasy-typischen Standardbösewichte,

_DIE ORKS_,

sich so großen allgemeinen Interesses erfreuen dürfen.

|Piper| legt mit Stan Nicholls‘ „Die Orks“ einen Sammelband von drei Ork-Geschichten vor, die uns ein Abenteuer aus Ork-Sicht schildern. So erhält man mit dem 800 Seiten dicken Buch eine komplette und abgeschlossene Trilogie!

Der eher unbekannte australische Autor Stan Nicholls schrieb neben den Orks die bisher ausschließlich im englischen Original erschienene „Quicksilver“-Trilogie und die „Nightshade-Chronicles“, die beide klassische Fantasythemen behandeln.

Der Sammelband „Die Orks“ ist ein sehr sauber und solide broschiertes/kartoniertes Buch. Auf dem breiten Buchrücken sowie dem schwarzen Cover ist eine riesige, vermeintliche Ork-Axt abgebildet – ironischerweise die Axt „Snaga“ des Helden Druss von David Gemmell … Darüber prangt der goldene Schrifzug „Die Orks“ – eine sehr gefällige Gestaltung! Eine SW-Karte zeigt den Handlungsort Maras-Dantien, zur Einstimmung beginnt das Buch mit einem alten Orks-Kriegslied, das sehr schön und sich gut reimend übersetzt wurde.

Das Buch besteht aus den Einzelromanen:

Leibwächter des Blitzes (Bodyguard of Lightning)
Legion des Donners (Legion of Thunder)
Krieger des Sturms (Warriors of the Tempest)

– alle von Stan Nicholls, zusammen eine abgeschlossene Handlung bildend.

_Piper-Orks, Heyne-Orks?_

Wer sich wundert, warum „Die Orks“ auf einmal bei |Piper| und nicht wie ursprünglich bei |Heyne| erscheinen: |Heyne| gehört zu der Verlagsgruppe |Random House|, deren Anteil im Fantasytaschenbuchmarkt so groß wurde, dass vom Bundeskartellamt der Verkauf einiger Reihen gefordert wurde. Die Reihe |Heyne Fantasy|, zu der auch „Die Orks“ gehören, erscheint somit neben anderen klangvollen Namen wie Ursula K. LeGuin, Terry Pratchett und Robert Jordans „Rad der Zeit“ nun bei |Piper Taschenbuch|. Optisch wurde nur der Schriftzug des Verlags auf dem Cover der „Orks“ verändert, alle genannten Reihen werden weiterhin erscheinen. Man kann auf die kommende und nun wahrlich opulente Fantasy-Vorschau des Piper-Verlages zu Recht gespannt sein! Weitere Details finden sich in den [Buchwurminfos III/2004]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=19.

_Zur Sache – was mordet Ork in diesem Buch?_

Der von dem Ork Stryke geführte Kriegstrupp der „Vielfraße“ führt auf den Schlachtfeldern Maras-Dantiens einen blutigen Krieg im Namen ihrer halborkischen Königin Jennesta. Die „älteren“ Rassen der Orks, Zwerge und Elfen stehen im Kampf mit den „Spätankommer“ genannten Menschen. War das Land Maras-Dantien reich an Magie, zehrt die Ankunft der Menschen an dessen Substanz, und der Zauber wird immer schwächer. Glaubenskriege zwischen den die älteren Göttern verehrenden „Mannis“ und den an den einen Gott glaubenden „Unis“ prägen das Land von der Kirgizil-Wüste bis zum Hojanger-Ödland im Norden. Dabei kämpfen Menschen und andere Rassen auch untereinander. Die Orks gelten als die besten Krieger Maras-Dantiens, treten jedoch nicht als eigene Nation auf, sondern werden als Leibwächer oder Kriegstrupps von vielerlei Herren angeworben, von den Menschen verständlicherweise weniger.

Eines Tages erhält Stryke den Auftrag, seiner Herrin Jennesta ein besonderes magisches Artefakt zu überbringen. Der Trupp gerät jedoch in einem Hinterhalt, Kobolde können das Artefakt entwenden. Bei der erzürnten Jennesta fällt der Trupp sofort in Ungnade, und sie hetzt ihre Soldaten, Kopfgeldjäger und sogar Drachen den „Vielfraßen“ hinterher …

Stryke erfährt bald mehr über das Artefakt, eines von fünf sogenannten „Instrumentalen“ … Zusammengesetzt werden sie zu einem Objekt großer Macht, das den Niedergang der Magie stoppen und vielleicht sogar die Orks aus der in Strykes Augen unwürdigen Leibknechtschaft befreien könnte.

Auf der Flucht vor Jennesta und der Suche nach den weiteren Instrumentalen stoßen Stryke und sein Trupp mehrfach mit fanatischen Menschen, Zentauren, Fischwesen und allen Arten von Geschöpfen, welche die Fantasyliteratur bisher hervorbrachte, zusammen. Der geheimnisvolle Seraphim sowie die ebenfalls recht widerwärtigen beiden Schwestern Jennestas mischen sich immer wieder in die Geschicke des Trupps ein … bis es zum Showdown zwischen Stryke, seinen „Vielfraßen“ und der bösen Königin kommt.

_Doch keine „echten“ Orks?_

Auch wenn der Klappentext „Ein etwas anderes Fantasy-Epos – mit den Bösen aus J. R. R. Tolkiens |Herr der Ringe| in den Hauptrollen“ verspricht: Die Welt Maras-Dantien ist doch sehr verschieden von Tolkiens Mittelerde!

Die Orks sind nicht ganz so hässliche Kreaturen wie die anscheinend das Zahnersatz-Bonusheft verachtenden Stinkfüße aus dem Herrn der Ringe, die zudem extreme Hautprobleme und miserable Beauty-Berater haben.

Groß, kräftig, wild, tödlich – im Gegensatz zum |Herrn der Ringe| wirbelt hier ein Ork locker drei, vier Menschenkrieger durch die Luft, nicht umgekehrt. Geblieben ist die Denkart: Orks lösen ein Problem direkt – mit dem Schwert und Körpereinsatz. Zimperlich sind sie nicht, im Gegenteil, sie leben erst so richtig auf, wenn Körperteile und Blut nur so spritzen! Vorurteile gegen die geldgierigen Zwerge hegen sie ebenso, was sich in den unterhaltsamen Streitigkeiten des Ork-Feldwebels Haskeer mit dem einzigen Zwerg im Trupp, Feldwebel Jup, zeigt.

Ein Unterschied zum klassischen Ork ist die Disziplin der Vielfraße: Professionelle, gut ausgebildete und schlachtenerprobte Krieger, die vor allem auch |diszipliniert| sind, das sind Nicholls Orks. Trotz dieser Unterschiede bleibt das barbarische Wesen der Orks dennoch weitgehend unangetastet.

Kämpfe gibt es im Verlauf der sehr linearen Storyline zuhauf. Obwohl einige wirklich brutale Dinge wie die Opferungen menschlicher Gefangener durch die halborkische Königin Jennesta, denen sie zu magischen Zwecken das Herz herausreißt (vorher „vergnügt“ sie sich gerne mit ihren Opfern im Bett oder auf dem Altar …) enthalten sind, gehen Gräuel und Fanatismus selten von den Orks aus. So sind menschliche Söldner oder hetzerische Menschen-Prediger die wahren Bösewichte, nicht die gewalttätigen, kämpferischen und etwas dummen Orks.

Die Vielfalt an fantasytypischen Rassen und Figuren, die im Handlungsverlauf auftreten, ist enorm. Für Abwechslung ist gesorgt, auch beschränkt sich die Story nicht nur auf Hauen und Stechen. Der Zwerg Jup darf so z. B. in einer Menschenstadt spionieren, einzelne Truppmitglieder werden geschnappt von ihren Jägern und erleben parallel zum Haupttrupp ihr eigenes Abenteuer. Gelegentlich wird zu Jennestas ebenfalls bösartiger Schwester Adpar und ihrem Kampf gegen die fischartigen Merz umgeblendet. Besonders amüsant ist auch der fanatische Menschenprediger Kimball Hobrow, seine hartherzige Tochter mit dem passenden Namen „Milde“ und die gemeinen Söldner um Micah Lekmann.

Die Kampfszenen sind sehr lebendig und spannend, sogar Drachen tauchen kurz auf, alles was das Herz des Orkfreunds begehrt. Was will man mehr?

Leider können die schöne Aufmachung und der geglückte Versuch, auf der Massenbegeisterungswelle des |Herrn der Ringe| mitzureiten, nicht verbergen, dass Nicholls einfach kein zweiter Tolkien ist.

Neben dem Ork Stryke, der für einen Ork ungewöhnlich schlau ist, zeigen nur die Figuren in seinem Kriegstrupp wie Alfray, Coilla, Jup und Haskeer so etwas wie Charakter. Alle anderen Orks, auch die des Trupps, sind bedeutungs- und weitgehend sogar namenlos. Dasselbe gilt für die anderen Fantasyrassen: Sie werden wie Statisten nacheinander besucht, ihres Artefakts beraubt und abgehandelt. Königin Jennesta wird als ziemlich flacher, böser Charakter dargestellt. Die Menschen werden ganz gut zum Teil als üble Bösewichte geschildert, ohne zu platt zu werden.

Die furiosen Gefechte können nicht über im späteren Handlungsverlauf auftretende Durststrecken hinwegtäuschen. Das von Nicholls selbst erdachte Finale kam bei mir sogar noch weniger gut an als seine oft geradezu zwanghaft in die Handlung integrierten, geklauten Fantasywesen/rassen an. Alles in allem jedoch keinesfalls ein schlechtes Buch. Allerdings auch keine wirkliche Empfehlung.

Eine kleine Leseprobe aus dem orkischen Marschlied am Anfang des Buchs:

|“Wir sahn einen Bauern so fett mit seiner Tochter so nett,
die Spitzen unserer Dolche weckten ihn rau,
er fing an zu stammeln und zu kreischen, gab uns Gold ohne zu feilschen,
die Tochter floh, also brieten wir seine Frau.

Und jetzt, orkische Lumpen, hebt euren vollen Humpen,
in tüchtigen Schlucken sauft das starke Bier,
spießt sie auf im Geplänkel wie von Schweinen die Schenkel,
fett und reich, so sehen wir Vielfraße uns wieder hier!“|

_Fazit_

Für Fantasy-Freunde ein Paradies. Die Ork-Perspektive des Buches weiß zu gefallen. Trotzdem kommt das Buch oft nicht über gutes Mittelmaß hinaus. Wer selten Fantasy liest oder Tiefgang und Anspruch sucht, der wird hier nicht fündig. Da das Buch ein sehr schön gestalteter Riesenwälzer von 800 Seiten ist, stellt es jedoch ein sehr schönes Geschenk für die entsprechende Zielgruppe dar.

|Tipp – oder Warnung (?)|

Dank des großen Verkaufserfolgs der Orks gibt es nun auch die „Zwerge“ und die „Elfen“ sowie Weiteres von Stan Nicholls. Man kann nur hoffen, dass hier nicht auf Kosten bekannter Fantasylieblinge deren Fans mit reihenweise Mittelmaß bombardiert werden. „Die Zwerge“ zumindest kamen bei der Zielgruppe allerdings überwiegend gut an.

Homepage des Autors: http://herebedragons.co.uk/nicholls/