Ange / Varanda, Alberto / Xavier, Philippe / Lyse – verlorene Paradies, Das – Band 2: Fegefeuer

Band 1: [„Hölle“ 3712

_Story_

Julien scheint verloren und somit das glückliche Schicksal von Himmel und Hölle besiegelt. Zu groß ist die Furcht, dass der Junge der falschen Fraktion in die Hände fällt, zu groß der Respekt vor seinen Fähigkeiten und der unbändigen Willenskraft. Dennoch will Gabriel seinen Freund nicht aufgeben und spürt ihn tatsächlich wieder auf.

Zusammen mit der unsteten Anya flieht er aus der Hölle in die Treppenwelt, dem Übergang in die Stadt der Engel. Doch Gabriel hat sich verändert und tritt Julien gegenüber nicht mehr so liebevoll und fürsorglich auf. Immer mehr Zweifel keimen in dem offenbar so wichtigen Jugendlichen auf, und als Gabriel schließlich von Anya erstochen wird, gerät seine bisherige Perspektive endgültig aus den Fugen. Als der Wächter der Engel dann auch noch wegen Verrats und unnötiger Erweisung von Liebe und Zuneigung in mehreren Punkten für schuldig gesprochen wird und seine Engelsflügel ausgerissen bekommt, findet Julien langsam aber sicher heraus, dass auch die Heerscharen des Himmels vom Bösen beherrscht werden. Doch zu diesem Zeitpunkt ist es schon zu spät, denn wiederum ist jemand auf seinen Fersen, um ihm endgültig die Lebenskraft zu rauben.

_Meine Meinung_

Viel Verwirrung keimt im zweiten Teil von „Das verlorene Paradies“ auf. Nach dem spannenden Abschluss und dem offensichtlichen Todessturz Juliens wusste man zwar überhaupt nicht, was man von der Fortsetzung inhaltlich erwarten durfte, doch dass sich Anne und Gerard in ein derart wechselhaftes, zwischenzeitlich auch ein wenig unstrukturiertes Abenteuer stürzen würden, lag erst einmal nicht nahe.

Generell wird in „Fegefeuer“ das gesamte Bild, welches noch in „Hölle“ entstanden war, wieder auf den Kopf gestellt. Der Großteil der Handlung spielt sich dieses Mal im Himmel und der Zwischenwelt ab und beschäftigt sich vorrangig mit dem Schicksal Gabriels. Der Wächter hat seinen Eid gebrochen und mehrfach aus Liebe gehandelt, was ihm nun zum Verhängnis werden soll. Sein gesamtes Auftreten wird einer radikalen Veränderung unterworfen; er ist nicht mehr der sympathische, hilfsbereite Engel, sondern ein zielstrebiger, eigensinniger Sturkopf geworden, der sich seiner bevorstehenden Bestrafung durchaus bewusst ist, jedoch versucht, durch seinen aufopferungsvollen Kampf um Julien seine Strafe zu mildern und überhaupt die Wege des Schicksals zugunsten seiner strengen Vorgesetzten zu lenken. Doch sein guter Wille unterliegt einem fatalen Irrtum, denn im Himmel schmort eigentlich das Böse, geprägt von Egoismus und einer grausamen Grundgesinnung, und so hat er keine Chance, sich seinem Ende als Engel zu entziehen.

Indes verlaufen die Wege Juliens und die des Lesers teilweise parallel. Erneut entstehen einige merkwürdige Mysterien, die dieses Mal jedoch sehr viel abstrakter dargestellt werden und den Grad der Komplexität der Handlung gehörig steigern. Seltsame Entscheidungen werden getroffen, fragwürdige Motivationen verfolgt und einige undurchsichtige Wendungen eingeleitet. Gerade Gabriels Rolle erscheint in einem ganz neuen Licht, wobei er später plötzlich komplett fallen gelassen wird. Sein Schicksal ist besiegelt, er wird verstoßen, doch irgendwie spürt man, dass man noch von ihm hören wird. Doch warum das alles? Dies, aber auch einige weitere Ungereimtheiten im Bezug auf die einzelnen Charaktere, gilt es in den nächsten Bänden noch aufzuarbeiten.

Der Gesamtzusammenhang entwickelt sich in „Fegefeuer“ zu einer zunehmend bedeutsameren Schwierigkeit. Nicht jeder Teil des Strangs wird logisch zu Ende gebracht, weil den beiden Autoren außerordentlich viel daran liegt, ein Höchstmaß an Ideen und neuen Nebenbaustellen im Rahmen eines gerade mal knapp 50 Seiten starken Comics zu platzieren. Wo im ersten Teil die Action noch partiell überhand nahm und man den Inhalt in angemessenem Tempo vorantrieb, wird es in Band zwei ein wenig knapp, weil die Masse an Inhalt gerade kurz vor Schluss die Handlung zu überfrachten droht und manches deshalb nicht schlüssig scheint.

Tiefgreifende Verständnisprobleme treten aber Gott sei Dank nicht auf, so dass der hohe Grad der Spannung trotz steigernder Komplexität nicht gefährdet ist. Aber trotzdem ist das Endresultat nicht ganz so begeisternd, wie man es vielleicht erwartet hätte, weil man einerseits viel zu sehr damit beschäftigt ist, konzentriert die versteckten Details der Handlung zu durchleuchten, sich andererseits aber auch wünschen würde, dass das Erzähltempo auch tatsächlich mit den rasanten Fortschritten der Story harmonieren würde.

Einen insgesamt guten Gesamteindruck hat „Fegefeuer“ aber bei all der verschärften Kritik dennoch hinterlassen. Hier und dort gibt es zwar noch einiges, was man verbessern oder einfach runder gestalten könnte, doch die Motivation, der Serie treu zu bleiben, ist nach wie vor vorhanden und wird durch ein erneut geniales Finale weiter verstärkt. Man darf gespannt sein, ob Ange im dritten Band wieder kompakter und schlüssiger arbeiten. Inhaltlich behält „Das verlorene Paradies“ sein unheimlich großes Potenzial, aber das Autorenteam muss zusehen, dass der Faden nicht verloren geht und man die Zielstrebigkeit der Charaktere auch auf die Entwicklung der Handlung übertragen kann. Nach den letzten Seiten von „Fegefeuer“ und der darin thematisierten Vorbereitung auf den bevorstehenden Krieg zwischen Himmel und Hölle darf man, was dies betrifft, aber definitiv guter Dinge sein.

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