John Brunner – Die Opfer der Nova (Drei SF-Romane)

Verbrechen an der Dritten Welt – nur in der Zukunft?

Dieser Sammelband enthält drei Romane, die innerlich zusammenhängen:

„Der Polymath“

Als der Stern Zarathustra zur Nova wurde und in einer lebensfeindlichen Lichtflut explodierte, flohen die wenigen Überlebenden in alle Richtungen und suchten auf Planeten der Nachbarsonnen eine neue Heimat. Doch diese Welten waren grundverschieden, und jede war auf ihre Art menschenfeindlich. Und schon die geringste Abweichung von der gewohnten Norm konnte auf überraschende Weise tödlich sein.

Lex ist ein Polymath, das heißt er wurde ausgebildet, eine ganze Welt in ihrer Entwicklung zu steuern und zu verwalten. Ihm gelingt es, eine Siedlung zu errichten und am Leben zu erhalten. Doch um den preis der Hoffnung auf Rettung. Er hat nicht mit der Konkurrenz durch einen Offizier gerechnet, der genau diese Hoffnung anbietet. Leider ist der Offizier vollkommen verrückt …

„Die Rächer von Carrig“

Einst war Carrig berühmt. Aus aller Welt kamen die Menschen in die prächtige Königsstadt, Nachfahren von Flüchtlingen, die einst den Planeten besiedelten. Doch dann kamen Fremde, störten den Frieden, verkauften moderne Waffen an die Bewohner und übernahmen die Macht. Ein junger Mann von Carrig und eine junge Frau von der Erde schmieden den Plan, die Eroberer zu übertölpeln. (Verlagsinfo)

„Die Erlöser von Zyklop“

20 Jahre später stoßen Maddalena Santos und ihr Ex-Mentor Gustav Langenschmidt auf dem Planeten Zyklop, von wo die Eroberer Carrigs kamen, auf eine weitere anrüchige Geschichte. Ein Arzt versorgt die Superreichen dieser Welt nicht mit regenerierten, sondern mit transplantierten Organen. Diese besorgen seine Mittelsmänner illegal von einem noch unentdeckten Planeten der Zarathustra-Flüchtlinge. Jetzt braucht Maddalena dringend einen Beweis …

Der Autor

John Kilian Houston Brunner wurde 1934 in Südengland geboren und am Cheltenham College erzogen. Dort interessierte er sich schon früh „brennend“ für Science-Fiction, wie er in seiner Selbstdarstellung „The Development of a Science Fiction Writer“ schreibt. Schon am College, mit 17, verfasste er seinen ersten SF-Roman, eine Abenteuergeschichte, „die heute glücklicherweise vergessen ist“, wie er sagte.

Nach der Ableistung seines Militärdienstes bei der Royal Air Force, der ihn zu einer pazifistisch-antimilitaristischen Grundhaltung bewog, nahm er verschiedene Arbeiten an, um sich „über Wasser zu halten“, wie man so sagt. Darunter war auch eine Stelle in einem Verlag. Schon bald schien sich seine Absicht, Schriftsteller zu werden, zu verwirklichen. Er veröffentlichte Kurzgeschichten in bekannten SF-Magazinen der USA und verkaufte 1958 dort seinen ersten Roman, war aber von der geringen Bezahlung auf diesem Gebiet enttäuscht. Bald erkannte er, dass sich nur Geschichten sicher und lukrativ verkaufen ließen, die vor Abenteuern, Klischees und Heldenbildern nur so strotzten.

Diese nach dem Verlag „Ace Doubles“ genannten Billigromane, in erster Linie „Space Operas“ im Stil der vierziger Jahre, sah Brunner nicht gerne erwähnt. Dennoch stand er zu dieser Art und Weise, sein Geld verdient zu haben, verhalf ihm doch die schriftstellerische Massenproduktion zu einer handwerklichen Fertigkeit auf vielen Gebieten des Schreibens, die er nicht mehr missen wollte.

Brunner veröffentlichte „The Whole Man“ 1958/59 im SF-Magazin „Science Fantasy“. Es war der erste Roman, das Brunners Image als kompetenter Verfasser von Space Operas und Agentenromanen ablöste – der Outer Space wird hier durch Inner Space ersetzt, die konventionelle Erzählweise durch auch typographisch deutlich innovativeres Erzählen von einem subjektiven Standpunkt aus.

Fortan machte Brunner durch menschliche und sozialpolitische Anliegen von sich reden, was 1968 in dem ehrgeizigen Weltpanorama „Morgenwelt“ gipfelte, der die komplexe Welt des Jahres 2010 literarisch mit Hilfe der Darstellungstechnik des Mediums Film porträtierte. Er bediente sich der Technik von John Dos Passos in dessen Amerika-Trilogie. Das hat ihm von SF-Herausgeber und -Autor James Gunn den Vorwurf den Beinahe-Plagiats eingetragen.

Es dauerte zwei Jahre, bis 1969 ein weiterer großer sozialkritischer SF-Roman erscheinen konnte: „The Jagged Orbit“ (deutsch 1982 unter dem Titel „Das Gottschalk-Komplott“ bei Moewig und 1993 in einer überarbeiteten Übersetzung auch bei Heyne erschienen). Bildeten in „Stand On Zanzibar“ die Folgen der Überbevölkerung wie etwa Eugenik-Gesetze und weitverbreitete Aggression das handlungsbestimmende Problem, so ist die thematische Basis von „The Jagged Orbit“ die Übermacht der Medien und Großkonzerne sowie psychologische Konflikte, die sich in Rassenhass und vor allem in Paranoia äußern. Die Lektüre dieses Romans wäre heute dringender als je zuvor zu empfehlen.

Diesen Erfolg bei der Kritik konnte er 1972 mit dem schockierenden Buch „Schafe blicken auf“ wiederholen. Allerdings fanden es die US-Leser nicht so witzig, dass Brunner darin die Vereinigten Staaten abbrennen ließ und boykottierten ihn quasi – was sich verheerend auf seine Finanzlage auswirkte. Gezwungenermaßen kehrte Brunner wieder zu gehobener Massenware zurück.

Nach dem Tod seiner Frau Marjorie 1986 kam Brunner nicht wieder so recht auf die Beine, da ihm in ihr eine große Stütze fehlte. Er heiratete zwar noch eine junge Chinesin und veröffentlichte den satirischen Roman „Muddle Earth“ (der von Heyne als „Chaos Erde“ veröffentlicht wurde), doch zur Fertigstellung seines letzten großen Romanprojekts ist es nicht mehr gekommen Er starb 1995 auf einem Science-Fiction-Kongress, vielleicht an dem besten für ihn vorstellbaren Ort.

_Handlung von „Polymath“ (aka „Der Kolonisator“, erstmals 1963, stark verändert 1974)

Die Sonne Zarathustra ist zur Nova geworden und explodiert. Rechtzeitig vor dem Eintreten dieser Katastrophe haben sich die Bevölkerungen der Planeten in Sicherheit bringen können. Sie landeten auf verschiedenen anderen Welten. Die erste davon schildert der Roman „Der Kolonisator“. Hier gingen zwei Raumschiffe nieder. Das von Captain Arbogast ist im Meer vor einer Flussmündung versunken, doch die Besatzung konnte sich retten und hat den harten Winter halbwegs gut überstanden. Schiffbrüchige wie der unternehmungslustige und einfallsreiche Lex bergen wie einst Robinson Crusoe noch wertvolle Güter aus dem halb versunkenen Wrack, doch an einen Start ist nicht zu denken.

Doch was ist aus dem zweiten Raumschiff geworden, das auf einer kargen Hochebene landete, wo der Winter die Besatzung bestimmt dezimiert hat? Ornelle ist eine der 800 Überlebenden an der Flussmündung und versucht im Frühjahr verzweifelt, per Funk das zweite Raumschiff zu erreichen. Die Vierzigjährige glaubt immer noch, sie könnte diesen Dreckball verlassen, wenn man das zweite Raumschiff starten könne. Lex sagt zu Doktor Jerode, sie gehöre zu den Nutzlosen, die rückwärts blicken statt sich auf die Gründung einer Kolonie zu konzentrieren.

Nach einer kleinen Konferenz, bei der der depressive Captain den Vorsitz an Dr. Jerode abgegeben hat, verrät Lex dem Arzt, was er wirklich ist: ein angehender Polymath, ein Weltenmanager mit übermenschlichen Fähigkeiten. Dr. Jerode würde einem derartigen Menschen liebend gerne die Führung der Kolonie übergeben, doch Lex winkt ab: Jerode darf seine geheime Fähigkeit auf keinen Fall verraten, denn sonst würde man Lex sofort sämtliche Fehlschläge anlasten und ihn mit Verwaltungskram bis über beide Ohren zumüllen! Jerode willigt ein, und nach Arbogasts Selbstmord leitet er die Siedlung.

Während des Sommers läuft alles bestens, findet Lex, und alles ist im Aufbau. Da kommt es zu zwei folgenschweren Ereignissen. Das erste besteht darin, dass sich die sechzehnjährige Naline selbst mit einer Energiepistole blendet. Angeblich aus Verzweiflung über die Zurückweisung durch die sexuell aktive Delvia. Doch Lex vermutet, dass mehr dahintersteckt. Delvia kann froh sein, wenn sie nicht das Opfer eines Lynchmobs wird.

Das zweite Ereignis löst Besorgnis aus: Der Fluss versiegt innerhalb einer Stunde. Das Tempo ist ungewöhnlich, und so kommt eigentlich nur eine drastische Ursache in Frage: ein Erdrutsch oder ein Damm, etwa durch Biber. Lex erhält den Auftrag, eine Expedition flussaufwärts zu führen und das Wasser wireder zum Fließen zu bringen. Delvias Antrag auf Teilnahme weist er brüsk zurück: Sie ist viel zu impulsiv und brächte alle in Gefahr.

Was Lex‘ Expedition vorfindet, ist tatsächlich ein Damm. Die Leute vom zweiten Raumschiff haben ihn errichtet. Aber ein Blick genügt, um zu erkennen, dass er in spätestens drei Tagen brechen wird. Diese Einsicht hilft Lex aber nicht: Bewaffnete Kerle entwaffnen ihn unter Drohung mit Energiewaffen. Im Lager herrscht ein Oberst Gomes, und es ist deutlich zu sehen, dass der Astronaut wahnsinnig ist. Er lässt die Bildung einer Kolonie nicht zu, vielmehr müssen alle anderen unter Strafen wie Sklaven schuften, damit das beschädigte Raumschiff flottgemacht wird. Lex weiß, dies ist Wahnsinn, aber wie soll man dies einem Irren begreiflich machen?

Mein Eindruck von „Polymath“

Das wichtigste Merkmal des Romans ist der Auftritt eines Supermenschen, eines „Polymathen“. Lex ist zwar nicht ganz ausgebildet und hat schon gleich gar keine Praxiserfahrung, aber er verfügt über besondere Fähigkeiten, die nicht nur physischer, sondern auch psychischer Natur sind. Er kann im Dunkeln sehen und schärfer hören als die anderen, aber wichtiger ist sein logisches Denken und die Konsequenz im Handeln, die ihn auszeichnet. Allerdings hat auch er seinen schwachen Moment, so wie Jesus, als nämlich Delvia, seine Maria Magdalena, ihm verdeutlicht, welche immense Verantwortung nun allein auf Lex‘ Schultern liegt.

Hoffnung

Der Knackpunkt, der das Siedlungsprojekt fast zum Scheitern bringt, ist nämlich die Frage, welche Hoffnung man den Siedlern geben soll. Eine Fraktion um Ornelle und einen ehemaligen Kontinentalmanager denkt rückwärtsgewandt und will unbedingt das Raumschiff flott kriegen – oder wenigstens eine Subraumfunkboje starten. Dass dies mit ihren Mitteln unmöglich zu bewerkstelligen ist, versucht Lex immer wieder zu demonstrieren, doch man glaubt ihm nicht, bis er aus Gomes‘ Lager Flüchtlinge mitbringt, die bezeugen können, wozu der Glaube an eine Rückkehr in den Raum führen kann. Lex und seine Fraktion ist vorausschauend und plant für eine feste Kolonie.

Zwei Modelle zur Wahl

Zwei konträre Gesellschaftsmodelle prallen direkt aufeinander, nicht nur innerhalb der Lex-Kolonie, sondern auch zwischen dieser und dem Gomes-Lager. Gomes hält Arbeitssklaven und trifft keine Vorsorge für den Winter, weil er hofft, sein Raumschiff zum Fliegen zu bringen und Hilfe zu finden. Der Höhepunkt des Romans sieht tatsächlich den Flug des Gomes-Raumschiffs, doch diese Hoffnung scheitert, wie Lex es voraussah. Doch zu frohlocken, verzweifelt auch er ob des Absturzes. Er ist ja letzten Endes kein Tyrann, sondern nur ein Mensch, der von Glaube, Liebe und Hoffnung lebt.

Maria Magdalena

Apropos Liebe: Die kommt ebenso wenig zu kurz wie die Erotik. Schließlich müssen sich die Siedler ja vermehren. Im Mittelpunkt steht Delvia, die attraktive und oben ohne herumlaufende Maria Magdalena von Lex, dem Retter. Sie bezeichnet sich selbst als „Naturtier“, was ich bemerkenswert finde. Durch die unglückliche Affäre mit der jungen Naline und der wahnsinnig werdenden Ornelle steht Delvia kurz davor, für ein nicht vorhandenes Verbrechen gelyncht zu werden. Das führt zu ihrer moralischen Läuterung. Nun versteht sie auch Lex und dessen Mission viel besser. Tatsächlich wird sie zu seiner glühenden Anhängerin, die sein rätselhaftes Verhalten gegen Zweifel und Anfeindungen verteidigt.

Ich staunte immer wieder, welche Fülle von Informationen der Autor für diesen einfachen Siedlerroman aufgebracht hat. Er hat zahlreiche Sachgebiete aufbereitet: Medizin, Elektrotechnik, Kommunikation, Solartechnik, Chemie, Papier- und Kleiderherstellung und vieles mehr. Leider kommen die entsprechenden Fachausdrücke in der Übersetzung nicht immer verständlich herüber.

„Die Rächer von Carrig“ (aka „Geheimagentin der Erde“, erstmals 1962, erweitert 1969)

Vor 750 Jahren kamen die Menschen, die vor der Nova ihrer Sonne Zarathustra flohen, mit Hilfe anderer Menschen auf diese Welt und errichteten im Norden die Hafenstadt Carrig. An einem von Gebirgsbächen der nahen Vulkanberge gespeisten Fluss erwarben Flößer und Händler Wohlstand und richteten in der Arktis ein Heiligtum ein, zu dessen Orakel alljährlich zu Frühlingsneumond Fremde herbeiströmen. Aber es gibt noch mehr zu erleben: die jährliche Königsjagd. Denn soll der Regent der Parradil-Sippe von seinem Thron vertrieben werden, muss die Verkörperung des Königs, eben der riesige Parradilvogel jedes Jahr bei einer Jagd von den Tapfersten getötet werden. Der Regent Bavis Knole sitzt seit 18 Jahren auf dem Thron …

Die Eroberung

Der Kaufmann Heron zieht mit seiner Handelskarawane aus den Südlanden über die hohen Pässe nach Carrig, um hier in seinem Haus Handel zu treiben und mit seiner vierten Ehefrau das Eheleben zu pflegen. Heron wirft einen misstrauischen Blick auf die zwei Fremden Belfeor und Pargetti, die mit nach Carrig kommen. Die zwei sind ganz anders als die üblichen Südländer, denn sie legen keinerlei Aberglauben an den Tag, sondern eine Menge Vernunft. Er lädt sie als Gäste in sein Haus ein.

Als die Diener ihm melden, die Fremden hätten einen Schrein aufgestellt, um zu ihren Göttern zu beten, widerspricht dies dem bisherigen Verhalten der Fremden. Als Heron durch den Türspalt linst, erblickt er ein ihm selbst wohlbekanntes Gerät: ein Subraum-Funkgerät. Sie sind Agenten der Außenwelt, genau wie er! Doch seine Verkündung, dass sie verhaftet seien, wird nicht mit Ehrfurcht quittiert, sondern mit einem Schuss aus der Energiepistole, der Heron tötet. Beim hastigen Verlassen des Holzhauses stecken sie es gleich in Brand, damit die Verfolger beschäftigt sind.

Belfeor hat durch Herons Audienz beim Regenten nicht nur das bürgerliche Bleiberecht erhalten, sondern auch Informationen über die Königsjagd. Zu dieser meldet er sich nun frech wie Oskar an – zum Erstaunen der Anwesenden befürwortet sogar der Favorit Saikmar seine Teilnahme, obwohl Belfeor seiner Sippe vorsteht und seine Teilnahme gegen den Brauch ist. Aber nicht gegen das Gesetz. Auch Belfeors weiteres Betragen ist ungewohnt, findet Saikmar.

Und bei der Jagd erst! Der Königsparradil ist vom Schnabel bis zur Schwanzspitze 16 Meter lang, doch Belfeors Gleiters fliegt schnurstracks auf ihn zu. Braucht sein Gleiter keinen Aufwind? Ein greller Blitz schießt aus dem Gleiter hervor und den zuvor so stolze Parradil stürzt rauchend in einen Vulkanschlund. Carrig, so erkennt Saikmar bestürzt, hat einen neuen Herrscher.

Die Agentin

Zwei Jahre später schickt das Galaktische Korps die Agentin Maddalena Santos auf den Planeten 14 der Zarathustra-Flüchtlinge. Die aufmüpfige Dienstanwärterin wird auf die Probe gestellt, um ein letztes Mal ihre Tauglichkeit unter Beweis zu stellen. Ihre Aufgabe wird ihr von Patrouillenkapitän Gustav Langenschmidt erklärt: Agent Heron verschwand vor zwei Standardjahren aus unbekanntem Grund, doch zur gleichen Zeit kam es in Carrig zu einem Wechsel der Herrschaft. Gut möglich, dass eine der Bergbaugesellschaften in diesem Sektor der Galaxis vorhat, den Planeten zu einer Sklavenwelt zu machen, um die wertvollen Schwermetalle um Carrig herum kostengünstig abbauen zu können. Maddalena soll herausfinden, was passiert ist und Meldung erstatten. Aber bloß keine Eigenmächtigkeiten!

Kaum erreicht der Kreuzer der Patrouille die Atmosphäre von Planet 14, wird er auch schon beschossen. Langeschmidt und Maddalena müssen „aussteigen“, wobei die Agentin in der Arktis landet, nicht weit vom Heiligtum entfernt. Ein Parradil packt und verschleppt sie in seine Felshöhle. Dort findet sie kein anderer als Saikmar selbst, der aus Carrig ins Heiligtum geflohen ist und sich mit dem Parradil angefreundet hat.

Das Heiligtum

Das Auftauchen einer jungen Frau in einem behelmten Raumanzug hat Saikmar nicht schlecht erstaunt, aber noch größer ist die Überraschung im Heiligtum, das sich gerade für den langen Winter bereit macht. Maddalena behauptet, sie komme aus den Südlande. Zum Glück gewährt ihr die oberste Tempeldienerin Zutritt. In einem Kampf gegen böse Neider beweist Maddalena ihre Kampfkunst.

Sie will hier bleiben, denn sie hat gleich erkannt, dass das sogenannte „Heiligtum“ das hier abgestürzte Raumschiff der Flüchtlinge von Zarathustra ist. In der Tat gelingt es ihr, die Technik so aufzumöbeln, dass ein Nahrungsynthetisator wieder neue Lebensmittel herstellt: Das Überleben der rund 70 Flüchtlinge aus Carrig und der Priester ist gesichert. Als der Parradil Hunger hat, wird auch er hereingeholt und durchgefüttert. Diese Tiere sind wesentlich intelligenter als man beim Korps wusste und verhalten sich sehr freundlich und gelehrig, so dass sie sogar Menschen durch die Luft transportieren können.

Das bringt Maddalena auf eine geniale Idee, um in das von Belfeor eroberte Carrig einzudringen …

Mein Eindruck von „Die Rächer von Carrig“

Dies ist der Beginn eines schön langgezogenen Finales, in dessen Verlauf die falschgelaufenen Verhältnisse in Carrig völlig umgekrempelt und wieder ins Lot gebracht werden. Auf welche Weise dies geschieht, soll hier nicht verraten werden. Aber Maddalena hält sich dabei auffällig im Hintergrund, hingegen taucht Gustav Langenschmidt verstärkt im Vordergrund auf. Diese beiden Agenten haben zwar ihre Finger im Spiel, doch sie sind für die Einheimischen nicht als Akteure und Drahtzieher zu erkennen. Dies entspricht dem Prinzip der Nichteinmischung, dem das Galaktische Korps folgt (man lese dazu auch den Folgeroman „Die Erlöser vom Zyklop“ in „Die Opfer der Nova“).

Als das Buch, das erstmals 1962 erschien, 1969 völlig überarbeitet und neu veröffentlicht wurde, tobte der Vietnamkrieg in seiner heißesten Phase. Dadurch befand sich das Thema des Befreiungs- und Verteidigungskrieges im allgemeinen Bewusstsein der Welt. Die amerikanische Regierung behauptete, die Vietnamesen vor den bösen Kommunisten Nordvietnams zu beschützen, übernahm aber mehr oder weniger das Land, das sie mit einer Marionettenregierung beherrschte. Zur gleichen Zeit gab es weltweit eine Reihe von Stellvertreterkriegen. Wenn nun ein kluger Autor wie Brunner hergeht und seine Agenten – genretypisch stark vereinfacht – die eroberten Ureinwohner befreien lässt, so ist dies ein Plädoyer für die Selbstbestimmung von einheimischen Bevölkerungen und eine Kritik an ihrer Okkupation, sei es durch Kommunisten oder durch amerikanische Kapitalisten.

Realitätskollision

Dies ist aber nur der politische Hintergrund des Buches, nicht sein eigentliches Thema. Das Kernthema ist nicht der vordergründige Befreiungskampf, wie ihn Amerikaner („Land of the Free, Home of the Brave“) lieben, sondern die Realitätskollision.

Auf der Welt von Carrig treffen die Außenweltler, die auf hohem technischen Niveau, aber ohne Götter leben, auf Menschen, ehemalige Flüchtlinge Zarathustra, die sehr stark vom Götterglauben geprägt sind. Würde sich auch nur ein einziger Agent als Außenweltler zu erkennen geben, so würde dies die Welt-Anschauung eines Menschen aus Carrig massiv verletzen, und die Folgen für beide wären unabsehbar. Wenn die Carrigianer ihren Glauben verlören, wären sie zum Beispiel unfähig zum Widerstand gegen die Thronräuber, sondern würden die Enteignung widerstandslos als Schicksal und Strafe für fehlenden Glauben hinnehmen. Das ist zum Glück nicht der Fall.

Beispielhaft verhält sich der junge Saikmar, der als Erster die Außenweltlerin Maddalena kennenlernt. Die einzige Weise, wie er ihre fremdartige Erscheinungsweise in Raumanzug und Helm deuten kann, ist die, dass sie von den Göttern gesandt worden sein muss. Dass sie ihm darin widerspricht, hilft nicht viel. Am Schluss gibt Saikmar eine Ballade in Auftrag, die zur einer Legendenbildung um die Agentin von der Erde führen wird. Maddalena hat eine Menge für Saikmar übrig, aber sie darf ihm nichts über sich verraten. Dieser innere Zwiespalt zwischen der Frau Maddalena und der Agentin, die sich nicht einmischen darf, wird zwar thematisiert, aber nicht in größerem Maße dargestellt und aufgelöst – auch dies ist genretypisch. Am Schluss bleibt ihr nur übrig, den Planeten für immer zu verlassen. Nur ihre Legende wird von ihrem Aufenthalt hier künden. Aber immerhin wird man sie nicht vergessen.

Die Übersetzung

Die Übersetzung dieses Romans ist sehr flott und problemlos zu lesen, so dass ich den Roman in wenigen Stunden bewältigen konnte. Ich fand nur einen gravierenden Fehler. Am Anfang von Kapitel 21 (auf S. 389) fehlt in einem Satz das Wort „war“: „seine Bombe [war] ein extremes Provisorium …“.

Handlung von „Die Erlöser von Zyklop“ (erstmals 1965, erweitert 1981)

Zwanzig Jahre sind seit Maddalena Santos‘ Abschied von Carrigs Welt vergangen, Zeit, die sie auf dem bäuerlichen Planeten 13 in tödlicher Langweile verbrachte. Die einzige Hoffnugn auf Fortschritt, ein innovativer Häuptling, wurde von einem Rivalen ermordet. Höchste Zeit, dass sie dort herauskam. Doch bevor sie ihren verdienten Urlaub antreten und die Langlebigkeitsbehandlung des Halaktischen Korps genießen kann – die immerhin für weitere 200 Jahre Lebenszeit reicht – wird sie nach Zyklop beordert.

Ausgerechnet Zyklop! Denn von dort kamen Belfeor und seine Auftraggeber, die die Leute von Carrig versklavten und sie in den radioaktiven Minen der Vulkane Erze abbauen ließen, die sie mit tausendprozentigem Gewinn nach Zyklop verschiffen ließen – illegal, versteht sich. Als Ergebnis der Revolte in Carrig wurde die Zyklopianer in den heißen Schlund der Vulkanberge geworfen. Das kam auf Zyklop gar nicht gut an, wo man sich auf seine Zivilisiertheit etwas zugutehält. Insbesondere die mächtigste Frau des Planeten, die Rätin Alura Quist, will sich für diese Schmach am Korps rächen und hat eine Konferenz einberufen, die über das Nichteinmischungsprinzip des Korps beraten soll.

Diese Hintergrundinformationen erhält Maddalena von ihrem früheren Mentor Gustav Langenschmidt. Der in Ehren ergraute ehemalige Patrouillenkapitän ist mittlerweile als Diplomat auf Zyklop eingesetzt. Gustav ist erstaunt, dass Maddalena das Nichteinmischungsprinzip inzwischen ablehnt, das er verfechtet, und sie haben eine lebhafte Diskussion darüber. Da erreicht sie die Meldung, dass Langenschmidts Assistenten ein zyklopisches Fischereifahrzeug aus Seenot gerettet haben. An Bord des Trawlers befinde sich der Geliebte von Alura Quist. Und er sei vom einem riesigen Wolfshai schwer verletzt worden.

Gustav veranlasst, dass die zwei Verletzten in das Hospital des Korps gebracht werden. Dort stellt der Arzt Nole allerdings etwas Merkwürdiges an Justin Kolbs Bein fest, das der Wolfshai verletzt hat. Aus den Archiven geht hervor, dass Justin einmal bei einer Havarie im Weltraum sein Bein verlor. Anzunehmen war, dass es regeneriert wurde, so dass es vor seinem jetzigen Unfall funktionsfähig war. Aber es wurde nicht regeneriert, sondern es handelt sich um ein Transplantat. Die Frage nach dessen Herkunft erhebt sich: Von wem hat er es? Die zweite Frage ist einfach zu beantworten: vom Leibarzt Alura Quists, einem gewissen Aleazar Rimerley. Aber wie hat er es beschafft?

Der Mediziner Nole ist mit einem Computer zur Aufspürung von Genen ausgestattet, der die Gene aus Kolbs transplantierten Beim zuzuordnen versucht. Doch die genetische Krümelspur führt zunächst in die Irre: Erbgut aus dem ehemaligen Iran findet sich überall in der Galaxis. Da kommt Maddalena eine Idee. Die Flüchtlinge von Zarathustra waren fast alle iranstämmig. Bingo! Die Wahrscheinlichkeit, dass das Bein von einem der Zarathustra-Flüchtlings-Planeten (ZFP) kommt, liegt bei über 70%. Nicht genug, das ist klar. Aber wer sagt denn, dass das Korps bereits alle ZFPs gefunden hat? Könnte es nicht einen unentdeckten ZFP geben, der nun von Rimerleys Handlangern und Mittelsmännern als Ersatzteillager für Körperteile ausgebeutet wird? Diese Typen treten vermutlich dergestalt auf, dass man sie als Erlöser statt als Bestrafer ansieht.

Während Langenschmidt nach diesem Planeten suchen lässt, stellt Alura Quist auf Drängen von Rimerley dem Korps ein Ultimatum: Es muss binnen einer Woche seinen Stützpunkt auf Zyklop räumen. Jetzt ist Eile geboten. Maddalena macht sich mit dem jungen Fischer auf den Weg zu Rimerleys Privatinsel, um einen handfesten Beweis für seine Verbrechen zu suchen …

Mein Eindruck von „Die Erlöser von Zyklop“

Dieser Roman ist praktisch die direkte Fortsetzung von „Die Rächer von Carrig“ (alias „Geheimagentin der Erde“). Die Heldin ist reifer und nicht mehr so impulsiv und unbedacht, aber ihr Tatendrang und Scharfsinn hat nicht nachgelassen. Schon bald kommt sie einem Skandal erster Güte auf die Spur und beschafft die Beweise für dessen Aufdeckung und Verfolgung. Wieder einmal begibt sie sich in die Schusslinie (neben dem jungen Fischer), was dann zu einem spannenden und actionreichen Showdown führt. Der Showdown mit Alura Quist sieht dann allerdings ganz anders aus.

Interessant ist die Gegenüberstellung dieser zwei mächtigen Frauen. Auf der einen Seite die Regierungschefin, skrupellos und eitel, aber zur Sterblichkeit verdammt, auf der anderen Seite die wenig politisch interessierte Agentin des Korps, die aber mit einer Langlebigkeitsbehandlung zu rechnen hat, die ihr 200 weitere Lebensjahre bescheren wird. Leider gibt es keine Szene mit einer direkten Konfrontation zwischen diesen beiden Frauen. Das könnte ich mir wie Elizabeth I. und Maria Stuart vorstellen.

Organhandel als Form der Ausbeutung

Auch diesmal spielt das Thema der Ausbeutung einer ZFP-Welt eine wichtige Rolle. Solche Flüchtlingswelten sind mit unserer Dritten Welt zu vergleichen, wenn man etwa an Afrika und manche Regionen des indischen Subkontinents denkt, etwa an Bangladesch. Wie schon in Rainer Erlers TV-Schocker „Fleisch“ aus dem Jahr 1979 ist Organhandel ein einträgliches Geschäft – wie sonst könnte sich Dr. Rimerley eine eigene Privatinsel auf der armen Welt Zyklop leisten?

Es gehört allerdings zum Klischee, dass seine Kunden sowohl das reichste Zwanzigstel der Bevölkerung und zugleich die politische Kaste darstellen. Aber wenn man an Machthaber wie Robert Mugabe denkt, erscheint diese Segmentierung keineswegs abwegig. Warum ist der über 80 Jahre alte Mugabe heute immer noch an der Macht? Man könnte sich fragen, wie wohl seine private Langlebigkeitsbehandlung aussieht. Wenn man die totale Vereldung seines Landes, das einst als Rhodesien die Kornkammer Süd-Afrikas war, dann ahnt man, woher sein Reichtum stammen muss. Zyklop ist überall.

Die Dritte Welt: ZFP 22

Wie so oft in seinen dystopischen Romanen nach dem Jahr 1965, etwa in „Schafe blicken auf“ oder „Ein irrer Orbit“, engagiert sich John Brunner auch in „Die Erlöser vom Zyklop“ für das, was wir die Dritte Welt nennen. Auf dem vom Korps unentdeckten ZFP 22 leben die iranischstämmigen Flüchtlinge wie bei uns in der Sahelzone: von der Hand in den Mund. Hier lebt die junge Soraya, die von Firdausi zur Frau begehrt wird. Als ihre Mutter krank wird, bringt Firdausi beide zu den „Erlösern“, wie sie die fremdländischen Ärzte nennen.

Perfiderweise sind die Erlöser alles andere als dies (darin liegt ja die bittere Ironie des Titels). Ihr Anführer, Lors Heimdall, ist Rimerleys Handlanger und findet in Soraya die optimale Organlieferantin. Eine geschickte Lüge, und Firdausi verkauft sie für einen Judaslohn. Bis zu ihrem Abtransport in Heimdalls Raumschiff vergehen nur wenige Stunden, und er muss sich bemühen, die betäubte Frau vor „Beschädigung“ durch die Crew zu bewahren. Wahrscheinlich sind ähnliche Vorgänge heutzutage in der Dritten Welt an der Tagesordnung – wenn die Eltern ihre Kinder nicht gleich ganz verkaufen (siehe dazu E. Benjamin Skinners Buch „Menschenhandel“).

Die Übersetzung

Eine der besten Übersetzer des Landes hat sich dieses Romans angenommen, und deshalb dachte ich, könnte ja nichts schiefgehen. Falsch gedacht! Auch hier wimmelt es von Druckfehlern und fehlenden Wörtern. Immerhin überträgt Pukallus den gesamten Text und lässt nichts weg, wie es möglicherweise seine Vorgänger Brumm und Heidkamp taten, weil sie Umfänge einhalten mussten. (Deshalb wirkt „Carrig“ auch so skizzenhaft.)

Bei Pukallus erscheinen die Hauptfiguren als wirklich plastisch, weil sie in ihren Dialogen auch eine psychologische Tiefe an den Tag legen. Wir erfahren, wie sich Maddalena fühlt usw. Und die Figuren sprechen nicht etwa das gestelzte Schriftdeutsch, das man sonst in Übersetzungen vorgesetzt bekommt, sondern ein Umgangsdeutsch, das zahlreiche Zusammenziehungen aufweist, wie sie beim Sprechen üblich sind. Vor allem das „es“ wird zu „´s“ verkürzt. Das ist ein wenig gewöhnungsbedürftig, lässt die Figuren aber authentischer wirken.

Das Gegenteil bewirken aber manche gestelzten Sätze, die Pukallus eins zu eins übersetzt hat, statt sie zu zerlegen. Negatives Prunkstück dieser Beispiele ist ein Satz auf Seite 475. Den musste ich mehrmals lesen, um ihn zu verstehen: „Von den 260 zivilisierten Welten sind über 200 dem offiziellen Standardmuster gefolgt: Erforschung, punktuelle Besiedlung unter der Supervision (= Aufsicht) eines für die Erschließung nur dieses einen Planeten intensiv geschulten Polymathematikers (gemeint ist ein Polymath) und zum Schluss Freigabe für die Immigration (= Einwanderung)“ Der Sachverhalt ist einfach, aber die Ausdrucksweise unnötig verwirrend.

Dass Pukallus „Polymathematiker“ statt wie in Band 1 „Polymath“ schreibt, lässt darauf schließen, dass er diesen Romantitel gar nicht kannte – oder dass er ihn zu korrigieren versuchte. Einheitlichkeit wäre hier besser gewesen, um den Leser nicht zu verwirren.

Unterm Strich

Indem er ziemlich kritische Themen, die in der Dritten Welt ein heißes Eisen sind, in das Abenteuergewand der Science-Fiction kleidet, gelingt es John Brunner auch Leser zu erreichen, die für solche Themen wohl eher uninteressiert sind: Jungs, die sich eher für Action interessieren, als für die Ausbeutung der Dritten Welt ihres eigenen Planeten.

Ausbeutung

In „Die Rächer von Carrig“ bildet der illegale Abbau von natürlichen Ressourcen das Kernthema, und das lässt mich an die Ausbeutung von Bodenschätzen etwa im ehemaligen belgischen Kongo denken. (Der Kongo war der Privatbesitz des belgischen Königs Leopold und wurde systematisch und mit Hilfe von Sklavenarbeit ausgebeutet, was Millionen von Einheimischen das Leben kostete.) Heute sind es vielleicht unterseeische Ölvorkommen in Angola, die so ausgebeutet werden, oder Bauxit (Grundlage für Aluminium), Gold oder Uran in anderen Weltgegenden. Von der Zerstörung der Umwelt ist in Brunners Roman noch keine Rede, aber das kam dann spätestens 1972 in „Schafe blicken auf“.

In „Die Erlöser vom Zyklop“ („Repairmen“ ist ebenfalls ein Ausdruck von geradezu zynischer Ironie) bilden die Körper der Ausgebeuteten selbst das Beutegut, das die Superreichen und verlogenen Politiker des Zyklop haben wohl. Organhandel ist zwar keine neue Idee, wird hier aber von Brunner in Gestalt eines Polizeikrimis oder Agententhrillers so spannend aufbereitet, so dass auch 17-jährige Jungs – dies ist das Alter des Fischerjungen Brace Dyge – das Thema interessant finden werden.

Das Galaktische Korps

In beiden Romanen spielt Maddalena Santos vom Galaktischen Korps die Hauptrolle. Was dieses Koprs eigentlich ist, wird allerdings nicht genau erklärt. Es scheint ein Mittelding aus Polizei, Nachrichtendienst und Diplomatenkorps zu sein und ist zur Ergreifung von Verbrechern befugt. Nichteinmischung ist in Band 3 ein wichtiges Thema, aber auch in Band 1, wo „Der Polymath“ sich in die Belange der Flüchtlinge und Siedler einmischen muss, obwohl er es zunächst gar nicht will. Offensichtlich greift Brunner hier das Vorbild der Entwicklungshilfe auf, wie sie das Peace Corps der Amerikaner ab Mitte der sechziger Jahre darstellte (JFK rief dazu auf).

Entwicklungshilfe

Nach Brunners Meinung, die er hier in seinen Plots formuliert, ist Entwicklungshilfe nicht dazu da, den eh schon mächtigen Ausbeutern in der Dritten Welt zu helfen, ihr verderbliches Werk fortzusetzen, sondern im Gegenteil ihnen das Handwerk zu legen. Von diesem Ideal ist selbst unsere eigene Entwicklungshilfe manchmal noch etwas weit entfernt. Stets müssen sich die Entwicklungshilfeorganisationen mit den Machthabern und Bürokraten der Ländern arrangieren, scheint es, und werden dabei korrumpiert.

(Ist dies nicht auch das Thema von John le Carrés Thriller „Der ewige Gärtner“? Dort führen Pharmakonzerne illegale Testreihen an den Eingeborenen durch, wissend, dass die Patienten daran sterben können. Ihre Vertreter arbeiten mit Entwicklungshelfern zusammen, doch eine Reporterin, gespielt von Rachel Weisz, kommt ihnen auf die Spur – und zahlt einen hohen Preis.)

Entwicklungshelfer

Lex, der Polymath, ist eine Art übermenschlicher Entwicklungshelfer, doch er ist weder makellos, weil nicht vollständig ausgebildet, noch wird seine Arbeit kritiklos begrüßt. Vielmehr sieht er sich sowohl im eigenen Dorf wie auch von einem Konkurrenten massiv angegriffen. Und zwar zu Recht, wie man argumentieren könnte. Er plädiert für Autarkie und Abnabelung von der galaktischen Kultur, die Gegenseite beharrt jedoch auf Neustart ins All. Erst Band 3 gibt ihm Recht, denn seine Nachfolger haben überlebt und nach 770 Jahren einen Menschen zu einem anderen Planeten transportiert. Dass es auch ganz anders laufen kann, beweist die Flüchtlingswelt ZFP 22, die auf einem jungsteinzeitlichen Niveau verharrt.

Viele Leser, die Brunners große Dystopien wie „Morgenwelt“ und „Schockwellenreiter“ lieben, kritisieren diese drei Romane als minderwertige Abenteuer-SF, doch wer genauer hinschaut, findet durchaus die klassischen Themen, mit denen sich Brunner stets beschäftigte: Ausbeutung vs. Selbstbestimmung, Unterdrückung vs. Freiheit und Unabhängigkeit, und zwar oder gerade auch in der sogenannten Dritten Welt.

Taschenbuch: 586 Seiten
Originaltitel: Polymath/The Avengers of Carrig bzw. Secret Agent of Terra/The Repairmen of Cyclops, 1974/1969/1981
Aus dem Englischen von Horst Pukallus („Zyklop“), Walter Brumm („Carrig) und Barbara Heidkamp („Polymath“)
ISBN-13: 978-3453062139

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[„Morgenwelt“ 1274
[„Chaos Erde“ 2555
[„Der ganze Mensch / Beherrscher der Träume“ 3444
[„Das Geheimnis der Draconier“ 5920
[„Doppelgänger“ 5940
[„Der galaktische Verbraucherservice: Zeitmaschinen für jedermann“ 6171
[„Der Kolonisator“ 5921