Maryse Charles (Text) / Jean-Francois Charles (Zeichnungen) – War And Dreams

_Inhalt:_

Der Krieg hat seine Spuren hinterlassen, seinen Tribut gefordert – und dennoch ist der wohl grausamste Schauplatz jener Zeit der Ort, an den es vier völlig unterschiedliche, einstige Soldaten zurücktreibt. An der französischen Opalküste kreuzen sich die Wege des deutschen Pazifisten Erwin, des französischen Widerstandskämpfers Jean, des tollkühnen und großspurigen amerikanischen Fliegerhelden Joe und des britischen Wüstenveteranen Archie, ohne dass die Herrschaften voneinander bzw. von den jeweiligen Geschichten des anderen Notiz nehmen.

Vor allem Erwin, der mit seiner Nichte nach Frankreich zurückgekehrt ist, erfüllt die erneute Niederkunft an der Küste mit Schmerzen. Hier hat er seinerzeit ein faszinierendes Mädchen kennen gelernt, es dann aber nach seiner Versetzung an die Ostfront für immer aus den Augen verloren. Archie wiederum erinnert sich schmerzhaft an seine Zeit beim britischen Geheimdienst, der ihm zwar den Stolz des Vaterlandes, gleichzeitig aber auch den Tod von engen Freunden, zahlreichen Landsmännern und einer geliebten ägyptischen Jüdin erbracht hat.

Jean wiederum hat enorme Schwierigkeiten mit sich und seiner Lebensgeschichte ins Reine zu kommen. Seine Deportation in ein deutsches Arbeitslager bedeutete gleichzeitig die Trennung von seiner Geliebten. Und als er als Deserteur des Widerstands nach Frankreich zurückkehrt, muss er zusehen, wie Laura sich seinem besten Freund anvertraut hat, was ihn aus purer Verzweiflung zu einer schrecklichen Bluttat bewegt. Und auch Joe, ein ehemaliger Stuntfahrer und widerspenstiger Kriegsheld leidet unter der Vergangenheit; sein bester Freund, der ihn über alles verehrt hat, musste mit dem Leben bezahlen, damit Joes Ruf als Vorzeigekriegsheld gewahrt werden konnte. Noch heute verfolgt ihn der gehorsame Indianer in gespenstischer Gestalt und bleibt Sinnbild für all die Geister, die der Zweite Weltkrieg auf allen Seiten mit sich brachte …

Persönlicher Eindruck

Dem eher romantischen, wenngleich nicht selten kritischen „India Dreams“ hat das belgische Pärchen Maryse und Jean-Francois Charles mit „War And Dreams“ nun einen sehr gewagten, tiefgründigen und vor allem emotionalen Comic zur Seite gestellt, der schon auf den ersten Seiten mit seinem anspruchsvollen Content für Aufsehen sorgt, sich über die sehr verzwickt verflochtenen Story-Arrangements zu einem stellenweise richtig harten Brocken entwickelt, hierbei aber erzählerisch immer mit einer Dichte aufwarten kann, die die Story auch in den teils sehr raschen Wendungen zusammenhält – und genau dies ist das Kunststück, welches das Charles-Gespann in diesem zusammengefassten Vierteiler vollbringt.

Die Geschichte steigt direkt in die ganzheitliche Dramaturgie ein: Man wird als Erstes mit dem gedankenverlorenen deutschen Ex-Soldaten vertraut gemacht, der auch nach etlichen Jahren seiner großen Liebe hinterhertrauert. Opal, so der Name des Mädchens, wurde von den umliegend stationierten Gefährten lediglich als geistesverlorenes Etwas beschrieben, doch Erwin sah in ihr viel mehr als das. Ihre Augen, ihr wunderschönes Erscheinungsbild, ihre Unschuld, all das sorgte dafür, dass der gutherzige Mensch sich über seinen Dienst stellte und einer Träumerei nachging, die ein unschönes Ende fand. Heute trauert er gemeinsam mit seiner Nichte um diese verschollene Frau, die er am Strand zeichnete und mit der zusammen er einige hübsche Muschelmosaike legte. Doch die grausame Realität des Krieges, die ohnehin schon eine Verbindung zwischen einem Deutschen und einer Französin ausschloss, brachte die beiden nach einer wunderbaren, einzigartigen zeit auseinander.

Ähnlich verzwickte Liebesgeschichten verzeichneten auch die übrigen drei Protagonisten, von denen jeder allerdings noch ein viel brutaleres Schicksal erleiden musste. Der britische Geheimdienstler Archie vertraute sich blindlings einer ägyptischen Spionin an, verliebte sich trotz bestehender Ehe in sie, musste sich jedoch am Ende seiner Stellung unterwerfen und somit auch ihren vermeidbaren Tod in kauf nehmen. Lediglich durch sein Wissen starben tausende Menschen, darunter auch Sahara, jene junge Dame, die ihm ein ganz besonderes Geschenk hinterlassen hat. Eine Liebelei war es auch, die Jean pflegte, bevor er sich als Strafarbeiter nach Köln versetzen lassen musste. In seiner Abwesenheit verliebte sich die junge Laura neu und vergaß ihren Geliebten, was diesen mit solch einem hass erfüllte, dass er sie und ihren Liebhaber und neuen Ehemann schließlich aus dem Weg räumte – ein Verbrechen, das er bis heute vertuschen konnte, das aber wie eine Zentnerlast auf seinen Schultern verweilte. Und zuletzt ist da noch der tollkühne Joe, ein Draufgänger typisch amerikanischer Couleur, der in seinen unbedachten Kriegshandlungen Großes für sein Vaterland leistete und trotz seines zweifelhaften Rufs als Legende aus der Schlacht heimkehrte. Doch kaum war der Sieg errungen, ließ er sich zu einer brachialen Straftat hinreißen. Aber weil sein land nicht zulassen konnte, dass er dafür an den Pranger gestellt wird und seinen Status einbüßt, musste sein bester Freund daran glauben und mit der Hinrichtung bezahlen. Zu spät wird ihm bewusst, was er angerichtet hat. Und die ewige Bestrafung, die sein Gewissen zeichnet, lässt ihn nicht los.

Nun gehen diese vier Gestalten allesamt in einem kleinen Örtchen an der Opalküste ihres Weges und schwelgen in ihren teils sehr negativen Erinnerungen, suchen nach Hoffnung, wissen derweil nichts von der Existenz der übrigen Veteranen und versuchen an alter Wirkungsstätte den lang ersehnten Frieden zu finden. Doch ihre Vergangenheit hat tiefe Narben hinterlassen, die sich nicht mehr aufarbeiten lassen. Der Krieg ist für sie ein unvergessener Zeitzeuge, der speziell an diesem Ort wie ein Nadelstich wirkt. Und dennoch lassen sie in ihrem Bestreben, mit sich selbst ins Reine zu kommen und die Versöhnung mit dem eigenen Ego zu erlangen nichts unversucht.

„War And Dreams“ ist ein packendes Antikriegs-Melodram, mit ausgezeichneten Charakteren, einem richtig tollen, zeitversetzten Storyboard und einer herrlich inszenierten Kulisse, in der die einzelnen Figuren genügend Raum bekommen, ihre Geschichte mit aller Ruhe nachzuzeichnen. Schwierigkeiten ergeben sich einzig und allein aus den rasanten Szenenwechseln, die gelegentlich für kurze Überforderungsmomente sorgen, schließlich aber einem Puzzle gleich zusammengesetzt werden und als großes Ganzes in Harmonie geraten. Hilfreich hierbei ist auch die umfassende Erläuterung im Schlusskapitel, in der jede Figur noch einmal kurz über ihr Leben berichtet und somit auch die fehlenden Infos nachreicht. So gerät die Geschichte rund, die Verbindungen werden deutlich und man muss in der Tat staunen, mit wie viel Liebe zum Detail die gesamte Handlung langsam vereint wird.

Auch im Hinblick auf die Illustrationen bleibt Zeichner Jean-Francois Charles den Lesern nichts schuldig. Düstere Farben in Verbindung mit treffend gewählten Skizzierungen bestimmen die Story, ergänzt durch wunderschöne Nachbildungen der Kriegsszenerie. Ebenfalls sehenswert ist das Bonusmaterial in Form einer Zeitungsreplik, die sich auf die Kriegsjahre bezieht und einen weiteren Überblick über das gesamte Treiben dieses Buches gibt. Insofern bleibt nicht viel mehr zu tun als dieser richtig schönen Hardcover-Ausgabe für die leidenschaftliche Aufbereitung zu applaudieren und für die bewegende Geschichte eine uneingeschränkte Empfehlung auszusprechen!

Gebunden: 190 Seiten
ISBN-13: 978-3940864017

https://www.splitter-verlag.de/

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