Cox, Greg – Underworld – Blutfeind

Seit Jahrhunderten tobt ein erbitterter Krieg zwischen Vampiren und Werwölfen. Zwei moderne Episoden dieser Auseinandersetzung schildern die Filme „Underworld“ und „Underworld: Evolution“ (die – s. u. – unter diesen Titeln auch als Filmromane existieren), während „Underworld – Blutfeind“ vom Ursprung des Krieges erzählt: Einst lebten Vampire und Menschen im mühsam gewahrten Frieden miteinander. Die zwar unsterblichen und mit unglaublichen Kräften begabten aber zahlenmäßig unterlegenen Vampire hüteten sich, ihre menschlichen Nachbarn durch die Auferlegung eines allzu großen Blutzolls aufzubringen. Leider hielt sich eine dritte Partei nicht an diese Spielregel: Die Lycaner oder Werwölfe lebten als wilde Tierwesen in den Wäldern, aus deren Schutz sie immer wieder die Siedlungen der Menschen überfielen und für blutigen Terror sorgten.

Die Vampire versuchten solche Übergriffe zu stoppen, indem sie einerseits selbst Jagd auf die Lycaner machten und die Überlebenden andererseits versklavten. Einige konnten „zivilisiert“ werden. Anfang des 13. Jahrhunderts gehört Lucian zu ihnen. Seit zwei Jahrhunderten dient er der Lady Ilona auf Schloss Corvinus in den Karpaten. Sie gehört zum Hochadel der Vampire, ist sie doch mit dem Ältesten Marcus liiert, der in Kürze die Oberherrschaft über sein Volk übernehmen wird. Lucian ist wohlgelitten auf Corvinus, doch er gilt trotzdem als Wesen zweiter Klasse. Deshalb verbirgt er sorgfältig seine Liebe zur schönen Sonja, der Tochter Ilonas.

Wider Erwarten kommen sich die beiden näher, als nach besonders grausamen Übergriffen der Werwölfe der Mönch Ambrosius Ilonas Tross überfallen lässt, der den Schutz des Schlosses verlässt. Lucian und Sonja sind unter den wenigen, die entkommen. Ihre unmögliche Liebe keimt auf, die eines Tages dem erzürnten Marcus offenbart wird. Grausam ist seine Strafe, und der schwer verletzt entkommene Lucian gelobt ihm und allen Vampiren Rache – ein Schwur, den er seit acht Jahrhunderten mit unerbittlicher Konsequenz hält …

Die Existenz des „Underworld“-Franchises ist ein eigenartiges Phänomen, denn es stützt sich auf einen wirren Auftaktfilm und seine noch schlimmere Fortsetzung. „Underworld“ und „Underworld: Evolution“ bieten eindimensionale, inhaltlich aus besseren Filmen zusammengeklaubte, im epileptischen MTV-Stil geschnittene Horror-Action. Der tricktechnische Overkill, die dick aufgetragene „Coolness“ der harthölzernen Darsteller sowie Kate Beckinsale im hautengen Lederdress haben jedoch ihre Fans gefunden, denen mit einer breiten Palette diversen Schnickschnacks noch ein bisschen mehr Geld aus der Tasche gezogen werden soll.

Dazu gehören „tie-ins“, Romane zu den beiden Filmen, die aufgrund der flachen Handlung zwar wenig Inhalt vermuten lassen, aber andererseits ein wenig Sinn in die turbulenten Kloppereien zwischen Vampiren und Werwölfen bringen können. Die Niederschrift übernahm Greg Cox, ein Veteran auf dem Schlachtfeld des Filmromans, dem es tatsächlich gelang, „Underworld“ und „Underworld: Evolution“ zu zwei dicken Buchschwarten aufzuschäumen. Sicherlich wäre auch die Romanfassung des geplanten „Underworld“-Prequels aus seiner Feder geflossen, hätten die vergleichsweise enttäuschenden Kassenerträge des zweiten Teils nicht zu einem Stopp der Serie geführt. Ein Buch zur Vorgeschichte des Krieges zwischen den Untoten hat Cox dennoch geschrieben und es „Underworld: Blutfeind“ genannt.

Wie es sich für einen guten „Tie-in“-Fabrikanten gehört, hält sich Cox dicht an die dem „Underworld“-Fan vertrauten Fakten. Bei näherer Betrachtung verlegt er die bekannte Handlung einfach aus der Gegenwart in die Vergangenheit und verankert sie auf einem Fundament, das bewährt und haltbar ist, wurde es doch ausschließlich aus vielfach geprüften Elementen zusammengesetzt. Irgendwie müssen sich Vampire und Werwölfe einst bitter zerstritten haben. Komplexe Erklärungen widersprechen der Konstruktion des „Underworld“-Universums. Deshalb wählt Cox eine tragische Liebesgeschichte mit viel Dramatik und Verrat, denn das funktioniert auf bescheidenem Niveau immer.

Cox belastet uns nicht mit historischen Fakten; die Geschichte spielt um 1200 „in den Karpaten“. Man könnte die folgenden Jahrhunderte ebenso annehmen wie das Mittelalter, „Vergangenheit“ ist hier nur eine weitere Schablone, aus der Klischees gestanzt werden. Cox ist immerhin Profi genug, sein Garn ohne Knotenbildung abzuspulen. „Underworld: Blutfeind“ läuft ab wie geschmiert. Die simple, mit dicken Strichen weniger gezeichnete als angedeutete Story setzen das Kino im Kopf der „Underworld“-Leser in Gang, die auf einen „richtigen“ Film dieses Mal verzichten müssen. Für diejenigen, die sexy Selene und die Straßenschlachten zwischen Vampiren und Werwölfen im 21. Jahrhundert vermissen, hat Cox einen Handlungsstrang entworfen, der auch sie zufriedenstellt.

Damit hat Greg Cox nüchtern betrachtet seinen Job getan. Die geschäftsmäßige, beinahe zynische Kaltschnäuzigkeit, mit der das Produkt mit möglichst geringem Aufwand auf seine Verbraucher zugeschnitten wird, mag diejenigen, die wirklich „gute“ Horrorromane kennen bzw. zu erkennen vermögen, verblüffen und erschrecken. Für dieses Publikum wurde „Underworld: Blutfeind“ jedoch nicht geschrieben.

Romeo & Julia treten dieses Mal in unorthodoxen Gestalten auf, sind aber trotzdem leicht zu identifizieren: Der schmucke Werwolf liebt das schöne Vampirmädchen, aber ach, es trennen sie buchstäblich Welten: Lucian ist ein Sklave, für den sich seine Herren hin und wieder ein Wort des Lobes abringen, Sonja gehört nicht nur zum vampirischen Hochadel, sondern ist auch die Tochter von Marcus, einem Vampir-Ältesten, der sein untotes Volk als Herrscher leitet.

Lucian steht darüber hinaus zwischen den Stühlen, weil er als Lycaner einen Job ausübt, der ihm zunehmend zu schaffen macht: Er führt die Vampire in die Lager der „wilden“ Werwölfe, die anschließend ausgerottet oder in die Sklaverei verschleppt werden. Darin ist er gut, aber wenn Lucian das Elend sieht, das die Vampire mit seiner Hilfe über die Lycaner bringen, fragt er sich, ob er richtig handelt. Wer ist er, den seine Herren nicht nur „zivilisiert“, sondern auch manipuliert haben?

Der Funke der Rebellion wäre sicherlich noch lange nicht aufgeflammt, hätte die schöne Sonja ihn eines Tages nicht erhört. Damit bringt sie ihren Vater und alle übrigen Vampire gegen sich auf, rüttelt sie doch an einem grundsätzlichen Tabu ihres Volkes: Eine Vermischung der Rassen darf nicht stattfinden! Selbst Nikolai, Markus‘ Sohn, gilt als dekadent, weil er sich mit menschlichen Liebesdienerinnen umgibt. Doch die Lycaner stehen sogar noch tiefer in der Hierarchie – sie gelten als halb tierische Kreaturen, weil sie sich bei Vollmond in Wölfe verwandeln, die nicht mehr vom Verstand geleitet, sondern von Instinkten beherrscht werden.

Für Lucian geht es ums nackte Leben. Als die Liaison öffentlich wird, hat er sich im Grunde längst entschieden und weigert sich, in der ihm zugewiesenen Rolle zu verharren. Er wird seine Strafe nicht akzeptieren, weil er sich nicht als Verbrecher fühlt. Intelligent und entschlossen wie er ist, schlägt er sich auf die Seite derer, die allein ihn gegen die Vampire schützen können: Lucian – ein mondsüchtiger Spartakus – wird zum Herrn und Lehrer der Werwölfe, die sich unter seiner Führung der Macht bewusst werden, die sie zum gleichwertigen Gegner der Vampire werden lässt.

Wem das zu komplex und psychologisch anspruchsvoll erscheint, sei beruhigt: Es wird literarisch auf Kurzrasenniveau präsentiert und mit sämtlichen Klischees bestückt, die sich der Horrorfan denken (oder über die er sich ärgern) kann. Die angestaubte Konstellation bietet Raum für weitere Pappkameraden. Selbstverständlich sind sowohl Marcus als auch Victor – der ihm später auf den Thron folgt – engstirnige Gewaltherrscher, die zudem den Einflüsterungen tückischer Verräter zugänglich sind. Falls das Alter wirklich Weisheit bringt, hat sie einen weiten Bogen um unsere Vampirfürsten geschlagen. Das gilt ebenso für die Lycaner, obwohl Lucian sie erst ordentlich schleifen muss, damit sie sich in der ihnen zugewiesenen Gegnerrolle nicht völlig blamieren. Ketzerisch ist die Frage, wieso beide Parteien nach 800 Kriegsjahren keinen Schritt weitergekommen sind – ketzerisch deshalb, weil sie einen tieferen Sinn in „Underworld: Blutfeind“ vermuten ließe, den es ganz sicher (den „Underworld“-Fans sei es garantiert) nicht gibt.

Greg Cox (geb. 1959) gehört zu den Autoren, die sich mit Haut und Haaren dem Verfassen sog. „tie-ins“ verschrieben haben: Er schreibt sehr erfolgreich Romane zu Filmen und Fernsehserien, die zum jeweiligen Franchise gehören und mit ihren Erträgen zum Gesamtgewinn beitragen. Literarische Qualität ist in diesem Umfeld eher ein Schimpfwort. Weitaus wichtiger ist die rasche Produktion und pünktliche Lieferung eines Titels, der zum Film- oder Serienstart im Buchladen liegen muss. Dort bleibt er nicht lange, denn die Halbwertzeit für einen „Tie-in“-Roman ist kurz und in der Regel mit der Zeitspanne identisch, die ein Film im Kino und eine TV-Show im Fernsehen läuft.

Cox erfüllt auch die zweite Anforderung eines „Tie-in“-Routiniers: Er findet den „Ton“ der jeweiligen Filme, den er in seine Bücher überträgt. Die Leser entdecken, was sie an den Vorlagen schätzen, und nehmen dabei in Kauf, dass sie nie mit wirklich Originellem konfrontiert werden, weil das Franchise ein Verharren im Status quo fordert: Mögliche Entwicklungen sollen dem Film vorbehalten bleiben, der die höheren Einkünfte garantiert.

Seit anderthalb Jahrzehnten schreibt Cox spannende aber anspruchslose Geschichten zu Blockbustern wie „Daredevil“, „Underworld“ oder „Ghost Rider“. Im TV-Segment gehört er zu den „Stammautoren“ der „Star Trek“-Serien, die er nach ihrem Auslaufen um halbwegs eigenständige Fortsetzungen bereichern kann. Zu den Fernsehserien, die Cox in Buchform aufleben ließ, gehören „Roswell“ und „Alias“. Storys lieferte er zu Sammelbänden mit neuen Abenteuern von „Xena“ und „Buffy“.

Grex Cox lebt in Oxford, Pennsylvania. Über sein umfangreiches Werk informiert er auf seiner Website http://www.gregcox-author.com.

Die „Underworld“-Trilogie wurde von Greg Cox verfasst und erscheint im |Panini|-Verlag:

1. Underworld (TB Nr. 1308)
2. Underworld – Evolution (TB Nr. 1309)
3. Underworld – Blood Enemy (dt. „Blutfeind“, TB Nr. 1343)

http://www.paninicomics.de

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