Niven, Larry / Cooper, Brenda – Harlekins Mond

Auf der Erde haben künstliche Intelligenzen die Macht übernommen und die Menschheit vernichtet. Nur drei Raumschiffe konnten entkommen. Mit je 2000 im Kälteschlaf befindlichen Kolonisten steuerten sie den fernen Planeten Ymir an, um hier eine neue Heimat zu finden. Doch die „John Glenn“ erlitt einen Maschinenschaden und blieb im Orbit einer einsamen Sonne zurück. Ihre Tanks sind leer, und der Antimaterie-Treibstoff kann nur mit gewaltigen Maschinen hergestellt werden.

Die könnten zwar im Weltraum mit Hilfe von Nano-Technik und der auch an Bord der „John Glenn“ vorhandenen, aber ‚domestizierten‘ KI entstehen, doch der Rat – 200 Männer und Frauen, die kollektiv die Geschicke des Raumschiffs und seiner Besatzung bestimmen – entscheidet, aus diversen Monden des Gasplaneten „Harlekin“ einen eigenen Planeten zu ‚bauen‘ und ihn zu terraformen, d. h. mit einer Atmosphäre, Vegetation und Tieren auszustatten, um schließlich einige Kolonisten aufzutauen, die „Selene“ – so wird der Kunstplanet genannt – besiedeln und die für die Betankung der „John Glenn“ erforderliche Industrie aufbauen.

Rachel Nanowen ist eines der „Mondkinder“ von Selene. Sie ahnt wie die meisten Kolonisten nicht, dass sie kaum mehr als eine Sklavin im Rahmen dieses großen Plans ist. Der Rat residiert buchstäblich im Himmel bzw. an Bord der „John Glenn“. Nur selten lassen sich seine Mitglieder auf Selene blicken. Die Mondkinder sollen nicht wissen, dass das Schiff die Reise zum Ymir fortsetzen wird, sobald die Tanks gefüllt sind. Für Selenes geburtenstarke Bevölkerung ist kein Platz auf der „John Glenn“; sie will der Rat zurücklassen, obwohl strahlenintensive Sonneneruptionen und schwere Beben den künstlichen Mondes heimsuchen.

Unbeabsichtigt wird Rachel zur Schlüsselfigur eines Konfliktes zwischen den Erdgeborenen und den Kolonisten, die allmählich die Wahrheit erkennen und aufbegehren. Die Hardliner des Rates wollen sich notfalls mit Waffengewalt durchsetzen, aber nicht alle an Bord der „John Glenn“ sind damit einverstanden. Ratsmitglied Gabriel verschafft Rachel heimlich Zugang zu Informationen, die ihr eigentlich vorenthalten werden sollen. Allmählich reift in Rachel ein Plan heran, der für beide Seiten eine gerechte Lösung bringen kann. Aber die Stimme der Vernunft dringt nicht zu allen durch, und so droht der Unfrieden in einen Bürgerkrieg auszuarten …

Falls sich jemand einmal die Frage gestellt haben sollte, ob auch Science-Fiction-Autoren in die Wechseljahre kommen, könnte sie nach der Lektüre von „Harlekins Mond“ positiv beantwortet werden. Nur so wird im Grunde erklärbar, wieso sich ein Profi wie Larry Niven, der seit vier Jahrzehnten im SF-Geschäft ist, auf ein Projekt wie „Harlekins Mond“ einlassen konnte. „Frisches Blut für den Altmeister“ – dies mag ein Motiv für ihn gewesen sein, der gern mit anderen Schriftstellern zusammenarbeitet. Wenn es gilt, eine Handlung mit Science zu unterfüttern, hat der erfahrene Niven festen Boden unter den Füßen. Wie man seine Bühne zwecks Pflege oder Erschließung nachwachsender Lesergenerationen glaubhaft mit jugendlichen Figuren bevölkert, scheint ihm, dessen 70. Geburtstag naht, Schwierigkeiten zu bereiten, weshalb er sich mit einer (freilich selbst den Teenyjahren lange entwachsenen) Neu-Autorin zusammentat.

Brenda Cooper spann mit ihm das Garn um eine junge Heldin wider Willen, die nicht nur diverse SF-typische Krisen wie Sonneneruptionen oder dräuende Antimaterie-Attacken meistern und eine blutige Revolution verhindern, sondern sich auch mit Liebeshändeln herumschlagen muss. Dies sollte bereits erste Alarmglocken schrillen lassen: „Harlekins Mond“ ist kein ‚echter‘ SF-Roman, sondern als „Coming-of-age“-Geschichte ein Schaf im Wolfpelz – ein Werk, das sich offensichtlich an ein Publikum richtet, das etwa so alt wie Rachel ist. Nun sind SF-Romane ‚für die Jugend‘ seit Jahrzehnten im Genre vertreten. Es gibt klassische und sogar gute Titel unter ihnen. Die Zukunft wird schließlich auch für unsere Kinder und Enkel kein Zuckerschlecken, und das Abenteuer des Erwachsenwerdens kann durchaus spannend in Szene gesetzt werden. Das geschieht freilich in „Harlekins Mond“ reichlich einfältig und öde.

Zwischen Form und Inhalt klafft ein deutlich erkennbarer Graben. Das SF-Gerüst hat Altmeister Niven sauber gedrechselt, das uralte Konzept vom Raumschiff der Generationen abgestaubt und im Wissen um den aktuellen Stand der Technik in die Zukunft extrapoliert. Das Terraformen Selenes gerät unter seiner Feder zu einer spielerisch wirkenden Nachahmung des evolutionären Schöpfungsaktes. Dies zu lesen, bereitet Vergnügen – ein altmodisches Vergnügen vielleicht, da doch aus Kritikersicht erst der Faktor Mensch aus einem unterhaltsamen Roman echte Literatur macht.

In diesem Punkt können Niven und Cooper freilich keine Meriten ernten. Dieser Rezensent ist weder jung noch weiblich; es kann also gut möglich sein, dass er Rachel vor allem deshalb für eine fade Nervensäge hält. Sie soll ja naiv sein, an das Gerechte im Menschen glauben und durch Erfahrungen reifen, aber muss sich das so belanglos gestalten?

Die Autoren arbeiten gegeneinander. Es ist vermutlich Cooper, die Rachel in die große, aufregende Welt blicken lässt. Die Mitglieder des Rates erscheinen ihr fremd und angsterregend: wie strenge Eltern, Lehrer oder andere Autoritätsgestalten. Niven übernimmt die Perspektive der ‚Erwachsenen‘. Er steht quasi über den Dingen und behält deshalb den Überblick. Die Erdgeborenen der „John Glenn“ schildert er als Profis, die quasi aus der Zeit gefallen sind und den Kontakt zu den ’normalen‘ Menschen – den Mondkindern – nie wirklich gesucht haben. Unter Nutzung ihrer überlegenen Technik nutzen sie Selene als Ressource, werden aber grundsätzlich von menschlichen und damit sehr selbstsüchtigen Motiven bewegt.

Die ‚doppelte‘ Sicht auf die Figuren könnte von Vorteil sein. Stattdessen dominiert die Vereinfachung: Der Konflikt zwischen den ‚Göttern‘ der „John Glenn“ und den Mondkindern spielt sich auf erschreckend niedrigem Niveau ab. Die von Niven so perfekt konstruierte Technik wird beherrscht von butzebösen Ausbeutern, unter denen Mo Liren als ‚Bad leader‘-Figur besonders lächerlich wirkt. Wie haben solche krampfhaft an ihrem von der Realität überholten Plan festhaltenden Weltfremdlinge den KIs des Sonnensystems entrinnen können? Wie schaffen sie es, die Selenisten so viele Jahre in ahnungsloser Abhängigkeit zu halten? Richtig: Weil diese sogar noch schlichter im Geiste sind. Auf Selene basteln – und das geht definitiv auf die „Futuristin“ Cooper (s. u.) zurück – grüne Landkommunarden an einer sauberen, besseren Welt. Das täten sie wohl auch, wenn sie nicht künstlich dumm gehalten würden.

In dieser konfusen und künstlich in Aufregung versetzten Welt wirkt die Liebe zwischen der 17-jährigen Rachel und dem 60.000-jährigen Gabriel womöglich gar nicht so grotesk, wie es dem Rezensenten scheint … Jungmädchen-Träume und -Ängste füllen ohnehin manche Seite des arg in die Breite gehenden Werkes. Bleischwer und bierernst schleppen sich die Ereignisse dahin, in Gang gesetzt von eindimensionalen Gestalten, deren Schicksale – im besten Fall – herzlich gleichgültig lassen. Wie sonst will man es deuten, dass heimlich ungesunde Freude aufkommt, als Rachels klettige Busenfreundin Ursula sich den Tumbschädel an einem Felsbrocken einschlägt?

Im Finale endet alles in friedseliger Einfalt. Die bösen Ratsmitglieder werden vom Blitz der Erkenntnis getroffen und plötzlich einsichtig, die dummen Mondkinder öffnen die geballten Fäuste. In Fritz Langs Filmepos [„Metropolis“ 1415 – auch eine Geschichte vom Kampf von „Oben“ gegen „Unten“ – heißt es: „Mittler zwischen Hirn und Händen muss das Herz sein.“ Das wurde bereits 1927 als außerordentlich albernes Resümee erkannt. „Harlekins Mond“ entstand fast acht Jahrzehnte später. Muss man sich wirklich durch knapp 700 eng bedruckte Seiten fräsen um zu erkennen, wie altmodisch Science-Fiction auch im 21. Jahrhundert sein kann?

|I.|

Als Lawrence van Cott Niven am 30. April 1938 in Los Angeles als Sohn eines Anwalts geboren, studierte Niven Mathematik und Physik an Universitäten in Kalifornien und Kansas. Nach dem Abschluss begann selbst zu schreiben; eine erste Kurzgeschichte, „The Coldest Place“, wurde 1964 veröffentlicht. Sie zeigt ihn als typischen Verfasser von ‚harter‘ SF, der eine spannende Handlung in einen wissenschaftlich möglichst akkurat gestalteten (oder wenigstens so wirkenden) Rahmen einbettet.

Ende der 1960er Jahre entstand Nivens „Ringworld“-Universum, das zum Schauplatz zahlreicher Romane und Storys wurde, die nicht zwangsläufig miteinander verknüpft sind, obwohl manche separate Unterzyklen bilden; allein die (nachträglich von Niven bearbeitete) Geschichte der „Kzin-Kriege“ umfasst inzwischen mehr als zehn Bände. Für „Ringworld“ (dt. „Ringwelt“) wurde Niven 1970 sowohl mit dem „Hugo“ als auch mit dem „Nebula Award“ für den besten Roman des Jahres ausgezeichnet.

Niven arbeitet oft mit Ko-Autoren. Mit Jerry Pournelle schuf er 1974 die inzwischen klassische ‚moderne‘ Space-Opera „The Mote in God’s Eye“ (dt. „Der Splitter im Auge Gottes“). Weiterhin arbeitete er mit Steven Barnes, Edward M. Lerner, Michael Flynn oder Brenda Cooper zusammen.

Über Nivens mehr als 50 Bücher umfassendes Werk und seine gegenwärtigen Aktivitäten informiert die Website http://www.larryniven.org.

|II.|

Brenda Cooper bezeichnet sich selbst als „Schriftstellerin, öffentliche Rednerin und Futuristin“. Sie studierte an der California State University, Fullerton, Informatik und Betriebswirtschaften und wurde Spezialistin für Management-Informationssysteme. Als „technical professional“ arbeitete sie u. a. für Aerospace. Derzeit ist sie als „chief information officer“ für die Stadt Kirkland im US-Staat Washington tätig, wo sie und ihre Familie auch leben. Sehr am Herzen liegt ihr die Ökologie der Erde bzw. deren Rettung, für die sie sich u. a. im Rahmen der „Lifeboat Foundation“ engagiert. (Auf den Fotos, mit denen sie ihren Webblog schmückt, sieht man meist Retriever-Hunde in naturbelassener Idylle tollen.)

Als Schriftstellerin arbeitet Cooper erst seit vergleichsweise kurzer Zeit. Sie fand einen Mentor im SF-Profi Larry Niven, mit dem sie diverse Storys in Magazinen wie „Analog“ und „Asimov’s Science Fiction“ veröffentlichte, bevor 2005 ihr gemeinsamer Roman „Building Harlequins Moon“ (dt. „Harlekins Mond“) erschien. Inzwischen schreibt Cooper solo und brachte 2007 „The Silver Ship and the Sea“ sowie 2008 eine Fortsetzung heraus.

Brenda Cooper informiert im Internet ausführlich (|sehr| ausführlich!) über ihre zahlreichen Aktivitäten. Ihre Website findet man hier: http://www.brenda-cooper.com. Außerdem gibt es ein „Life Journal“: http://bjcooper.livejournal.com.

http://www.bastei-luebbe.de

Schreibe einen Kommentar