Peace, David – 1977

Mit [„1974“ 1483 hat der Engländer David Peace nicht nur ein außerordentlich vielversprechendes Debüt hingelegt, sondern wurde obendrein kürzlich noch mit dem |Deutschen Krimi Preis 2006| ausgezeichnet. Düster und beklemmend liest sich „1974“. Ein Thriller, der sich durch seine atmosphärische Dichte und das rasante Erzähltempo auszeichnet. Das Buch stellt den Auftakt zu einer Tetralogie dar, die nun in „1977“ ihre Fortsetzung findet. Ein Buch, an das der Leser von „1974“ mit allerhand großen Erwartungen herangehen dürfte.

Wir schreiben also das Jahr 1977, wie auch der Romantitel schon vermuten lässt. Robert Fraser, Polizeisergeant aus Leeds wird einer Sondereinheit zugeteilt, deren Aufgabe die Aufklärung des grausamen Mordes an einer Prostituierten ist. Schon bald zeichnen sich Parallelen zu früheren Morden ab. Die Polizei arbeitet auf Hochtouren und kann schon bald die ersten Verdächtigen festnehmen.

Doch das Morden findet kein Ende. Angst und Schrecken machen sich in der Bevölkerung Yorkshires breit und in der Presse schlagen die Morde hohe Wellen. Einer derjenigen, die über die Mordfälle berichten, ist Jack Whitehead, Journalist der „Yorkshire Post“. Er ist es, der dem Mörder einen Namen gibt: „Yorkshire Ripper“. Auf eigene Faust schaltet Whitehead sich in die Ermittlungen ein und ehe er sich versieht, steckt er genau wie Sergeant Fraser auch schon mittendrin in einem schmutzigen Geflecht aus Intrigen und Korruption …

„1977“ bezieht sich eindeutig auf die realen Hintergründe des Yorkshire Rippers, der Ende der 70er Jahre vierzehn Frauen in Yorkshire ermordete. Auch David Peace ist in Yorkshire aufgewachsen und die fünf Jahre, in denen die dortige Bevölkerung durch den Ripper in Angst und Schrecken versetzt wurde, überschneiden sich genau mit seiner Kindheit. Für Peace ist der Yorkshire Ripper eine Art Kindheitstrauma, das er sich mit seiner Tetralogie „Red Riding Quartet“ von der Seele schreibt.

Insofern dürfte „1977“ den ersten Höhepunkt seiner Selbsttherapie darstellen. Der Ripper tritt in Aktion und ist das alles dominierende Thema des Romans. Diesem Kernthema nähert Peace sich dank wechselnder Ich-Erzähler (mal Jack Whitehead, mal Robert Fraser) aus unterschiedlichen Perspektiven. Mal begleitet der Leser den Journalisten, mal den Polizisten – ein Wechsel, der durchaus seinen Reiz hat und der immer wieder für Spannung sorgt.

Das Markanteste an David Peaces Romanen dürfte sein Stil sein. Er schreibt sehr eigenwillig – temporeich, leidenschaftlich und mit einer Portion Wut im Bauch, wie es scheint. Schon in „1974“ hat er einen atemberaubenden Stakkato-Rhythmus vorgelegt und in „1977“ schlägt sein Metronom noch eine etwas schnellere Taktfrequenz an. Wie Peitschenhiebe knallt Peace dem Leser so manchen Satz um die Ohren. Knappster Satzbau, minimalistische Dialoge und Einwortsätze markieren seine sprachlichen Mittel. Das ist ganz sicher nicht jedermanns Sache. Man muss sich schon auf den Rhythmus einlassen können, um in diesem rasanten Tempo nicht vom Autor abgehängt zu werden.

„1977“ ist ein Roman, der dem Leser einiges abverlangt. Es ist keine leichte Kost und sowohl inhaltlich wie auch der äußeren Form nach ein schwer verdaulicher Brocken. Ohne vorherige Lektüre von „1974“ braucht man gar nicht einsteigen zu wollen. Ohne Vorkenntnisse in den Roman hineinfinden zu können, ist völlig ausgeschlossen. Es begegnen einem viele Bekannte wieder. Peace konfrontiert den Leser mit einem ganzen Sammelsurium an Figuren, die erst einmal gedanklich sortiert werden wollen. Wie schon in „1974“ setzt Peace auch in der Fortsetzung wieder auf ein außerordentlich komplexes Romangebilde.

Und wo sein Roman ohnehin schon recht komplex ausfällt, da wird er diesem Anspruch auch in seiner Figurenzeichnung voll und ganz gerecht. Peace lässt die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen und macht es dem Leser damit schwer, seine Sympathien zu verteilen. Er fordert den Leser, indem er es ihm nicht ermöglicht, einfach dem strahlenden Helden der Handlung zu folgen. Strahlende Helden gibt es bei Peace nicht.

Peace skizziert eine sehr düstere Atmosphäre. Man beneidet seine Protagonisten nicht, will sich nicht mit ihnen identifizieren müssen und ist so manches Mal froh über die Distanz zu ihnen. Peaces Welt sieht brutal aus und kann kaum mit schönen Momenten locken. So spannend die Geschichte auch sein mag, am Ende ist man doch irgendwie froh, diese Welt hinter sich lassen zu können, nachdem man das Buch zugeschlagen hat – zu illusionslos, kalt und hart ist die Welt von „1977“.

So sehr man besonders an „1974“ Peaces Stakkato-Rhythmus loben mag, so muss man ihn im zweiten Teil leider auch in Ansätzen kritisieren. Auf mich persönlich wirkte der Stil manches Mal ein wenig zu abgehackt. Hier und da hat man als Leser ein wenig Schwierigkeiten, bei diesem Rhythmus der Handlung zu folgen. Peace scheint sich sprachlich in seinen Rhythmus hineinzusteigern, was nicht immer zum Vorteil ist.

Man muss viel zwischen den Zeilen lesen und oft in blauen Dunst hinein spekulieren, ohne von Peace eine Bestätigung zu bekommen. Ein wenig mag dieser Eindruck auch darin begründet liegen, dass „1977“ ein ziemlich offenes Ende hat. Das mag sich mit Kenntnis des nächsten Bandes des „Red Riding Quartet“ ein wenig relativieren, für den Augenblick bleibt man als Leser aber leider etwas unbefriedigt zurück und kommt nicht umhin sich zu fragen, ob man in Anbetracht des hohen Tempos und der abgehackten Erzählweise irgendwo ein paar wichtige Details nicht mitbekommen hat. Das schmälert ein wenig das Lesevergnügen, das Peace noch mit „1974“ zu bereiten wusste. Bleibt zu hoffen, dass er sich stilistisch ein wenig fängt und der nächste Teil der Reihe wieder etwas lesefreundlicher ausfällt.

Bleibt als Fazit festzuhalten, dass „1977“ teils recht zwiespältige Gefühle hervorruft. Zum einen überzeugt David Peace mit seiner Figurenskizzierung und seiner atmosphärischen, düsteren und beklemmenden Inszenierung, zum anderen wirkt seine Erzählweise aber teils etwas zu abgehackt und undurchdringlich. Er verlangt dem Leser viel ab, erzeugt dafür zwar auch ordentlich Spannung, dürfte aber mit seinem Stakkato-Stil sicherlich nicht den Geschmack eines jeden Lesers treffen.

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