Rendell, Ruth – Unschuld des Wassers, Die

_Inhalt_

Ismay Sealand stellt sich zehn Jahre lang immer wieder dieselbe Frage: Hat ihre kleine Schwester tatsächlich den Stiefvater umgebracht, um sie zu schützen? Hat die damals Dreizehnjährige die kurzen Treffen, die heimlichen Küsse, die verstohlenen Liebkosungen bemerkt und missinterpretiert? Hatte sie Angst, dass der ältere Mann sich ihrer fünfzehnjährigen Schwester aufdrängen würde, und ihn deshalb in der Badewanne ertränkt?

Ismay ist sich fast sicher, dass das der Fall ist, aber es fehlt ihr der Mut zum Nachfragen. Stattdessen schließt sie sich einfach eng an die Schwester an, teilt eine Wohnung in ihrem Elternhaus mit ihr und betrachtet achtsam all ihre Bewegungen. Bei der Mutter wird bald nach dem Tod des zweiten Mannes Schizophrenie diagnostiziert; sie ist meist in einem Nebel aus Medikamenten gefangen, liebevoll gepflegt von ihrer Schwester.

Das Haus mit den vier Frauen befindet sich in einer Art Schwebezustand: Jeder weiß, dass es nicht immer so bleiben kann, aber es ist gut, so lange es dauert. Schließlich aber wird der Frieden durchbrochen: Sowohl Ismay als auch ihre Schwester Heather finden Partner, und die Dinge kommen in Bewegung. Neue Wege werden begangen, neue Wünsche geweckt, und während die Eine auf Felsen baut, bricht der Traum der Anderen zusammen. Schließlich geschieht eine Katastrophe, und Ismay muss sich fragen, ob nicht die Wurzeln zum neuen Übel bis weit in die Vergangenheit hinein reichen …

_Kritik_

Zwei Handlungsstränge greifen in diesem Buch gekonnt ineinander, einmal der der Schwestern Ismay und Heather und dann der der mäßig erfolgreichen Berufsbetrügerin Margot. Margot erkennt eine Chance, wenn sie sich ihr bietet, und greift jäh in alles ein, was ihren Klauen nahe genug kommt. Der himmelweite Unterschied zwischen der ätherischen, immer nachdenklichen Ismay und der grellen, ungebildeten Glücksritterin macht einen der reizvollsten Kontraste des Buches aus.

Ruth Rendell gelingt es, verschiedene unerträgliche Situationen zu schaffen, in die sie ihre Charaktere langsam und unmerklich hineingleiten lässt, bis schließlich Abhängigkeiten entstehen, deretwegen man schreien möchte – aber alles ist folgerichtig und unausweichlich. Das war schon immer Rendells starke Seite, und sie hat dieses Talent einmal mehr unter Beweis gestellt.

Auch der Prozess, wie simple Annahmen im Laufe der Zeit in den Gehirnen zu Tatsachen werden und kaum mehr verrückbar sind, ist für den Leser gut nachvollziehbar gestaltet. Rendell zeichnet ihre Figuren mal sehr genau, so dass man sie in- und auswendig kennt und stark Anteil nimmt, und mal etwas verwischter, wenn sie den Leser noch im Dunkeln lassen möchte. Letzteren fühlt man sich dann zwar nicht so nahe, aber man kann das Grübeln nicht lassen, versucht sie gedanklich auszuloten. Der Stil Rendells ist dem Genre durchaus angemessen: Sicher, ohne Fehlgriffe, aber auch ohne fantasievolle Wortgebilde, die den Lesefluss unterbrechen.

_Fazit_

„Die Unschuld des Wassers“ ist ein stimmiger, psychologisch raffinierter, spannender Thriller, voller Extremsituationen, die aber den Beteiligten gar nicht so vorkommen, da sie so damit verwoben sind, dass für sie das Abnorme ganz alltäglich ist. Wer hochwertige kriminalistische Unterhaltung zu schätzen weiß, ist in jedem Fall gut beraten, sich mit Rendells Werk näher auseinanderzusetzen – mit diesem Roman wie mit allen anderen.

|Gebundene Ausgabe: 384 Seiten
Originaltitel: The Water’s Lovely
Aus dem Englischen von Eva L. Wahser
ISBN-13: 978-3764502683|
[www.randomhouse.de/blanvalet]http://www.randomhouse.de/blanvalet

_Ruth Rendell bei |Buchwurm.info|:_
[„Dunkle Wasser“ 340
[„Wer Zwietracht sät“ 1771
[„Das Verderben“ 2918

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