Ambrose Bierce – Das Auge des Panthers (Gruselkabinett Folge 157)

In Liebe mit einem Werpanther

USA, 1890: Der Anwalt Jenner Brading ist einigermaßen überrascht, dass Irene Marlowe, die ihn zweifellos liebt, seine Heiratsanträge vehement ablehnt. Indes hat die begehrenswerte junge Frau mit den faszinierenden blauen Augen mehr als einen guten Grund, unverheiratet zu bleiben, wie sie ihm eines Abends in der freien Natur offenbart… (Verlagsinfo)

Der Verlag empfiehlt das Hörbuch ab 14 Jahren.

Der Autor

Ambrose Gwinnett Bierce (* 24. Juni 1842 im Meigs County, Ohio; † 1914 in Chihuahua, Mexiko) war ein amerikanischer Schriftsteller und Journalist. Der Amerikanische Bürgerkrieg war das prägendste Ereignis seines Lebens und blieb bis zu seinem rätselhaften Verschwinden im Chaos der Mexikanischen Revolution auch das zentrale Thema seines schriftstellerischen und journalistischen Werkes.

Obwohl nur ein kleiner Teil seines Œuvres gründlich rezipiert wurde, gilt er mit dem sarkastischen, schwarzhumorigen, häufig zynischen Erzählton seiner knappen Prosa neben Edgar Allan Poe als Meister der unheimlichen Kurzgeschichte, der Autoren wie Ernest Hemingway beeinflusste.

Deutsche Werkausgaben:

• Ausgewählte Werke. Hg. von Utz Riese. Übersetzt von Werner Beyer. Dieterich, Leipzig 1993, ISBN 3-7350-0159-9. Nachdruck unter dem Titel Gesammelte Werke: Anaconda, Köln 2014, ISBN 978-3-7306-0099-3.
• Werke in vier Bänden. Hg. von Gisbert Haefs. Haffmans, Zürich 1986–1989, ISBN 3-251-20077-1. Ausgabe der folgenden Titel in einer Kassette:
o Des Teufels Wörterbuch. Übersetzt von Gisbert Haefs.
o Geschichten aus dem Bürgerkrieg. Übersetzt von Jan-Wellem van Diekmes.
o Horrorgeschichten. Übersetzt von Gisbert Haefs.
o Lügengeschichten und fantastische Fabeln. Übersetzt von Viola Eigenberz und Trautchen Neetix.
• Die gesammelten Geschichten und des Teufels Wörterbuch. Hg. von Gisbert Haefs. Haffmans, Zürich 2000, ISBN 3-251-20308-8.

Mehr Info zur Story hier.

Der Originaltext der Story findet sich hier.

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher und ihre Rollen:

Erzähler: Thomas Balou Martin
Jenner Brading: Patrick Stanke
Irene Marlowe: Jessica Kessler
Charles Marlowe: Uli Krohm
Gertie Marlowe: Sigrid Burkholder
Nachbar: Marc Gruppe
Neugeborenes: Marlene Bosenius

Die Macher

Regie führten die Produzenten Marc Gruppe und Stephan Bosenius. Die Aufnahmen fanden bei Titania Medien Studio und den Planet Earth Studios statt. Die Illustration trug Ertugrul Edirne bei.

Handlung

Erneut lehnt die attraktive, blauäugige Irene Marlowe seinen Antrag ab. Jenner Brading, der sich bereits im mittleren Alter befindet und folglich dringend eine Frau für seinen Hausstand am Rande der Wälder braucht, wird allmählich wütend. Doch obwohl sie ihn liebe, wolle sie nicht heiraten, verteidigt sich Irene, sie könne nicht. Diesmal gesteht sie ihm: Sie sei besessen und verrückt. Er atmet tief durch. Na, schön, aber wieso? Es wird Abend, die Dämmerung signalisiert einen Moment des Übergangs. Irene beginnt zu erzählen.

Rückblende

Anno 1870, also 20 Jahre zuvor, geschieht in einer Blockhütte in den tiefen Wäldern Ungewöhnliches. Gertie Marlowe, die ihr Neugeborenes an ihrer Brust birgt, fühlt sich aber auf einmal beobachtet. Sie hört ein tiefes Grollen und Knurren wie von einem Tiger. Der Kindsvater Charles befindet sich als Fallensteller seit Tagen auf der Jagd an den Ufern des Mississippi. Gertie fürchtet sich nur vor den Raubtieren des Waldes, denn Indianer hat man hier schon lange nicht mehr gesehen. Sie verriegelt die Tür und träumt von einem zweiten Kind, das sich als wildes Tier entpuppen könnte.

Erschreckt erwacht die Träumerin. Das Baby ist noch da, doch am Fenster erblickt sie einen schwarzen Panther mit blauen Augen. Er springt durchs Fenster und dringt in den Wohnraum ein. Sie wirft sich über ihr Baby, als das Raubtier sie anfällt und sich an ihr in eindeutiger Absicht reibt. Vor Schmerzen fällt sie in Ohnmacht.

Charles Marlowe kehrt ein paar Tage später mit einem erlegten Wild zurück und findet die Tür zu seiner Blockhütte verriegelt vor. Auf sein erstauntes Rufen antwortet Gertie nicht. Als er schließlich mit Gewalt eindringt, heult Gertie auf und beginnt, hysterisch zu weinen. Das Kind in ihrem Arm ist tot.

Gegenwart

Irene gesteht, dass sie Gertie Marlowes zweites Kind sei, jenes, von dem ihre Mutter geträumt habe. Jenner Brading ist zurückhaltend, denn schließlich ist er als Anwalt kein Dummkopf. Vielmehr erinnert er sich an Jägergeschichten, die von einem großen schwarzen Panther in der Gegend berichteten, der durch Fenster zu blicken pflegte. Also war die Angst von Gertie und Charles Marlowe vor dem Panther durchaus begründet. Dennoch ist eine Heirat mit Irene jetzt ausgeschlossen. Irene geht, doch ein schwarzer Panther kehrt zurück. Er ruft immer wieder nach Irene, doch sie ist in die Hütte ihres Vaters verschwunden.

Nach einem Abend im Gasthaus, wo die Gäste sehr gut über sein trauriges Schicksal Irene betreffend Bescheid wissen, geht Brading wieder mal nach Hause und allein zu Bett. Als ihn das grollende Knurren eines Panthers weckt, greift er nach der bereitliegenden Pistole und feuert. Der Panther verschwindet. Bradings Nachbar fragt rufend nach dem Grund für den Schuss und Brading gibt ihm Bescheid, er habe einen Panther gesehen. Er zieht sich an und findet eine Blutspur auf dem Boden, die von seinem Fenster in den Wald führt. Während der Nachbar Verstärkung holt, dringt Brading auf eine Waldlichtung vor. Dort liegt nicht etwa ein wildes Tier im Sterben, sondern eine wunderschöne Frau …

Mein Eindruck

„Das Auge des Panthers“, veröffentlicht 1897, also im gleichen Jahr wie Bram Stokers Roman „Dracula„, gilt inzwischen als frühes Beispiel einer Werwolfgeschichte. Statt eines kriminellen Werwolfs wie in den alten griechischen Sagen über den Lykanthropos handelt es sich bei Bierce um eine unschuldige Kreatur.

Der ungewöhnliche Zustand, in dem sich Irene Marlowe befindet, wird in der Originalgeschichte einer Art pränatalem Fluch zugeschrieben, also nicht etwa einer sexuellen Vereinigung zwischen Tier und Mensch. Es gibt durchaus ältere Beispiel für einen solchen pränatalen Fluch, so etwa in der Erzählung „Das Fräulein von Scuderi“ (1819) von E.T.A. Hoffmann. Dort liegt er auf der Hauptfigur Cardillac.

Auf eine recht geschickte Weise bereitet der Erzähler den überraschenden Schluss vor. In der Originalgeschichte (siehe den obigen Link) weist sie eine katzenhafte Schönheit auf, eine Eigenschaft, die sie für den Rechtsanwalt umso attraktiver macht. Sie wird als „zierlich“ beschrieben, ihre Augen als „lang und schmal“. Sie trägt sogar einen grauen Umhang mit sonderbaren brauen Markierungen“, die an die Flecken auf dem Fell eines Panthers bzw. Leoparden erinnern.

Was den besonderen Reiz der Geschichte noch erhöht, ist der deutlich herausgearbeitete Kontrast zwischen umgebender Wildnis, verkörpert im Panther, und der ängstlichen menschlichen Kreatur. Durch den Fluch dringt die Herrschaft der Wildnis in den Körper von Irenes Mutter ein, nach einem vorwarnenden Traum. Da der Fluch des Gestaltwandels, der die Zwitternatur des Werpanthers ausdrückt, auf Irene liegt, gibt es für sie trotz ihrer Liebe keinen Weg in eine bürgerliche Existenz.

Damit sie überleben könnte, müsste ihr ihr Freier in die Wildnis folgen , doch das ist für einen Rechtsanwalt ausgeschlossen. Folglich ist die Tragödie unausweichlich, denn Männer an der Grenze schossen nun mal zuerst, bevor sie Fragen stellten. Was den Zeitpunkt 1890 betrifft, habe ich schwere Zweifel, dass am Mississippi, der langjährigen Grenze zum Indianerland, noch irgendwo genügend Urwald stand, um die Szenen realistisch erscheinen zu lassen. Selbst 1870 waren bereits alle Indianerstämme bis auf wenige Prärievölker besiegt und in Reservationen gesperrt. Am 22. April 1889 wurde das letzte Indianerterritorium zur Besiedlung freigegeben. Man nannte es fortan „Oklahoma„.

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher

Man könnte von einem Zwei-Personen-Stück sprechen, gäbe es da nicht die Rückblende. In der Haupthandlung bestreiten Patrick Starke als Brading und Jessica Kessler als Irene die Handlung, in der Rückblende Uli Krohm als Charlie und Sigrid Burkholder als Gertie. Letztere hatte die Aufgabe, die Bedrohung durch den Panther glaubwürdig widerzuspiegeln. Sie heult und schreit, dass selbst dem letzten Hörer klar wird, das das Erscheinen des Panthers jedes Mal für Angst und Schrecken sorgt.

Die Verbindung zwischen Haupthandlung und Rückblende ist die titelgebende Hauptfigur des ganzen Stücks: der Panther. Diese Figur eindrucksvoll in Szene zu setzen, war wohl die Hauptaufgabe der Regie und des Toningenieurs. Meines Erachtens ist dieser Panther eine der beeindruckendsten Tierfiguren der Audio-Szene.

Geräusche

Der Eindruck einer real erlebten Szene entsteht in der Regel immer dann, wenn viele kleine Details auf stimmige Weise zusammengefügt werden. Diesmal sind die Geräusche und Laute, die aus der Wildnis stammen, am bedeutsamsten. Natürlich gibt es zahlreiche Vogellaute, der bekannteste dürfte vom obligatorischen Käuzchen stammen. Aber wie schon gesagt, gehört das grollende Knurren des Panthers zu den wichtigsten lauten. Es muss sehr wohldosiert eingesetzt werden, um nicht an Wirkung zu verlieren. Das entgegensetzte Geräusch gehört dem Reich des Menschen an: ein Schuss.

Die Musik

Weniger ist mehr, scheint sich die Tonregie gesagt zu haben, denn nach einem relativ romantischen Auftakt auf dem Piano folgt lange Zeit keine Musik. Diese Stimmung wird melancholischer im Outro wieder aufgenommen, als Charles Marlowe den merkwürdigen Satz sagt: „Ich habe sie WIE MEIN KIND geliebt.“ Wenn Irene nicht von ihm war, von wem denn dann?

Das Booklet

Das Titelmotiv zeigt die titelgebende Hauptfigur in charakteristischer Pose, allerdings mit einem verwirrenden Detail: Die Augen von Raubkatzen sind in aller Regel gelb. Diese hier sind blau…

Im Booklet sind die Titel des GRUSELKABINETTS verzeichnet. Die letzte Seite zählt sämtliche Mitwirkenden auf.

Ab Frühjahr 2020

156: O. Preußler: Krabat
157: Bierce: Das Auge des Panthers
158: A. Machen: Das innerste Licht
159: Hauff: Das kalte Herz
160: F.M. Crawford: Denn das Blut ist das Leben
161: McGraup: Heimflug

Ab Herbst 2020

162: Lovecraft: Das gemiedene Haus
163: H. H. Ewers: Der letzte Wille der Stanislawa d’Asp
164: Robert E. Howard: Die Toten vergeben nichts
165: E. Gaskell: Das alte Kindermädchen erzählt
166: Bisclavret
167: E. und H. Heron: Flaxman Low – Der Fall Hammersmith

Unterm Strich

Diese ungewöhnliche Verbindung aus tragischer Liebesgeschichte und dramatischem Werwolf-Horror wurde zweimal für die Leinwand adaptiert. Eine Version wurde 1989 für die Reihe „Nightmare Classics“ der Schauspielerin Shelley Duvall (bekannt aus „Shining“, 1980) entwickelt und veröffentlicht. Die Verfilmung ist erstaunliche 60 Minuten lang. Eine kürzere Version, die von Regisseur Michael Barton in 2006 veröffentlicht wurde, dauert lediglich 23 Minuten.

Interessant ist die Wirkgeschichte des Gestaltwandler-Stoffs. Der Filmproduzent und Drehbuchautor Val Lewton wurde 1930 durch die Lektüre der Bierce-Geschichte zu seine eigenen Erzählung über eine ukrainische Pantherfrau namens „Die Baghita“ „inspiriert“. Diese Story wurde im gleichen Jahr in dem einschlägigen Magazin „Weird Tales„. Diese Story bildete den Keim für den Film „Cat People„, der im Jahr 1942 Furore machte und Filmgeschichte schrieb.

Aus diesen Verarbeitungen lässt sich ablesen, dass etwas Attraktives und Interessantes an Bierces Originalgeschichte dran sein muss, etwas, das Menschen seit über hundert Jahren fasziniert. Weil die Figur des Brading (ein geänderter Name) doch recht durchschnittlich daherkommt, muss das Geheimnis in der Figur der Werpantherin liegen.

Irene birgt zwei Seiten, eine menschliche und eine tierische, eine freundliche und eine räuberische, tierische und lustbetonte. Diese Dualität ist Feministinnen sehr vertraut: Zu fast allen Zeiten (seit mindestens 3000 Jahren) wurde die wilde Seite der Frau, die Wolfsfrau, wie sie u.a. Clarissa Pinkola Estés beschrieben hat, unterdrückt. Nur zu Zeiten wilder Feste, etwa im Karneval, durfte sich die ungehemmte Seite der Frau Ausdruck verschaffen, allerdings zeitlich sehr begrenzt (Weiberfastnacht).

Beide Seiten ihrer Natur zu vereinen, erweist sich als äußerst schwierig. Zahlreiche Schriften der Befreiungsbiologie und der Gender Studies berichten davon. Schreibt mal eine Frau diese „verbotenen“ Phantasien auf, so wird sie vom eigenen Geschlecht für verrückt und moralisch fragwürdig erklärt (siehe das Vorwort zu „Befreiung zur Lust“ von Nancy Friday, Goldmann, München, 1993). Kein Wunder also, wenn am Schluss der Werpanther trotz oder wegen seiner Liebe zum Menschen einen tragischen Tod erleiden muss.

Das Hörspiel

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen. Außerdem sei die Lektüre der Originalgeschichte empfohlen, denn sie weicht in zahlreichen Details von der Hörspielbearbeitung ab.

Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für gruselige Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert, und die Stimmen von Hollywoodstars vermitteln das richtige Kino-Feeling.

CD: über 41 Minuten.
Originaltitel: Eyes of the Panther, 1897.
ISBN-13: 9783785781579

www.titania-medien.de

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 5,00 von 5)