Andreas Eschbach – Aquamarin

Hüte dich vor dem Meer! Das hat man Saha beigebracht. Eine seltsame Verletzung verbietet der Sechzehnjährigen jede Wasserberührung. In Seahaven ist Saha deshalb eine Außenseiterin. Die Stadt an der Küste Australiens vergöttert das Meer. Wer hier nicht taucht oder schwimmt, gehört nicht dazu. So wie Saha. Doch ein schrecklicher Vorfall stellt alles in Frage. Zum ersten Mal wagt sich Saha in den Ozean. Dort entdeckt sie Unglaubliches. Sie besitzt eine Gabe, die nicht sein darf – nicht sein kann. Nicht in Seahaven, nicht im Rest der Welt. Wer oder was ist sie? Die Suche nach Antworten führt Saha in die dunkelsten Abgründe einer blauschimmernden Welt …
(Verlagsinfo)

Andreas Eschbach sprengte schon vor Jahren die Genreschublade, doch kehrt er mit schöner Regelmäßigkeit im Jugendbuchsektor zur Science Fiction zurück. Zuletzt veröffentlichte er dort die dystopische Trilogie um die absolute Kontrolle, verwirklicht durch ständige Vernetzung – mit dem ersten Titel »Black*Out« -, in diesem Jahr deutet nichts auf eine mehrteilige Geschichte hin, wenn er sich mit »Aquamarin« einer jungen Außenseiterin annimmt und in eine Zukunft abtaucht, die augenscheinlich ihre schönen Seiten hat, jedoch nicht minder dystopisch ist …


Saha ist eine Außenseiterin. Das macht sich nicht nur an ihrer »Verletzung« bemerkbar, die sie daran hindert, ins Wasser zu gehen – eine schon radikale Diskriminierung in einer Stadt, deren ganze Verbundenheit und Tradition dem Meer gilt. Nein, sie hat auch eine schwere Kindheit hinter sich, verlor früh ihre Mutter, erinnert sich nicht an ihren Vater und musste mit ihrer Tante von Ort zu Ort ziehen, immer auf der Suche nach einer dauerhaften Bleibe.

Die Stadt Seahaven ist entgegen der proklamierten Gleichheit seiner Bürger ein Trugbild, wo sich die Hilfskräfte unterordnen müssen und nicht so gleich sind wie die wohlhabenden Bürger. Und damit ist auch Saha als Ziehtochter einer Putzfrau stigmatisiert. Außerdem fühlt sie sich hässlich und grenzt sich von jeglichen zwischenmenschlichen Kontakten ab.

Ein geradezu amerikanisches Teen-Movie-Setting, bei dem auch die Überschönheit mit aller nötigen Feindschaft der Außenseiterin gegenüber nicht fehlt. Dieser Konflikt, der die oberflächliche Handlung des Romans bestimmt, zieht sich dementsprechend lang und mit den klassischen Wendungen in der Beziehung der Protagonistin, ihrer Einstellung zum Leben, ihrer Äußerlichkeit und wohlmeinender Hilfe einer Lehrerin durch das Buch. Hier fühlen sich gleichaltrige Mädchen vermutlich verstanden und gut aufgehoben, wenn man den Klischees aus eben jenen amerikanischen Filmen glauben kann.

Was ist der Grund Eschbachs für dieses Setting? Ist es die Fokussierung auf eine Zielgruppe, die für einen Mann schwer zu erreichen ist? Oder will er damit eben jene Zielgruppe einfangen und auf die tiefer liegenden Thematiken des Buches einloten, ihr Interesse an anderen Dingen als den Äußerlichkeiten wecken? Denn dass es noch eine weitere Ebene gibt, ist klar, sonst wäre das Setting aufgesetzt und sinnlos. Wir befinden uns in einer Zukunft, in der die Gentechnik bahnbrechende Erfolge erzielt hat. Seahaven selbst ist eine der seltenen Enklaven, die sich der modernen Allgegenwart genetischer Verbesserungen und Manipulationen verschließt – dass das auf diese einseitige Weise nicht funktioniert, ist einer der Aspekte, die Eschbach gekonnt in den Hintergrund der Handlung einflicht.

Auf dieser Ebene thematisiert er auch die Folgen von uneingeschränkter Manipulation, fundiert hinterlegt mit heute plausiblen Möglichkeiten, so dass die Glaubwürdigkeit erhalten bleibt und das Ganze nicht ins rein Träumerische abgleitet. Dabei begibt er sich auf einen schmalen Grat, denn wo eben noch das selbstzweifelnde pubertierende Normalkind sich selbst und seine Probleme wiederfand, wird es hintergründig mit weltbewegenden Problematiken konfrontiert, die auch bei der Lektüre bereits einen gewissen Einsatz an geistiger Auseinandersetzung fordern. Hier besteht die Gefahr, dass sich die Leserin entnervt vom Buch abwendet, andererseits besteht die Hoffnung, sie in ihrer eigenen Welt über die teils als Identifikationsfigur, teils faszinierende Fremdartigkeit verkörpernde Protagonistin zu erreichen.

Stilistisch und technisch bewegt sich Eschbach gewohnt souverän am oberen Ende einer Skala, sein Text liest sich flüssig und bewegt sich glatt wie ein Vogel im Flug. Das ist Perfektion, geradezu Anmut. Was holpern andere Autoren durch den Text und über die Dialoge! Letztere stechen heraus, wenn man Eschbachs Geschichten auf den Zahn fühlt, sich auf sie einlässt und ihre Vitalität spürt. Eschbach kann einfach grandios schreiben.

Insgesamt ist das Buch deutlich zielgruppenorientiert, und das macht es sehr gut. Zu bemängeln ist die klischeebehaftete Oberflächenhandlung, der Eschbach auch keine Kritik angedeihen lässt. Ich hab das tatsächlich als Fliegenfalle für die Leser-innen verstanden, um sie für die tiefere Auseinandersetzung bereit zu machen. Trotzdem hätte ich mir in dem Zusammenhang eine kritische Aufarbeitung des Schönheitswahn-Themas gewünscht. Postadoleszente Erwachsene finden in dem Roman amüsante, nostalgische Unterhaltung mit dem Quäntchen kritischer Zukunftsvision, die das Buch auch für sie interessant macht.

Gebunden, 408 Seiten
ISBN-13: 9783401600222
ORIGINALAUSGABE

Arena-Verlag
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